Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
20.03.2013

Ihr Tarifausschuss empfiehlt: Bleiben Sie ruhig und bekennen Sie sich schuldig

Bereits im vergangenen Jahr hatte ich ja das große Vergnügen,  der Sitzung des Tarifausschusses beizuwohnen, in der es um die Allgemeinverbindlicherklärungen der Bautarife ging. Weil mir das mehr Ärger als Vergnügen eingebracht hat, hatte ich mich damals ziemlich aufgeregt. Allen, die an diesem Thema interessiert sind, empfehlen wir, sich den letztjährigen Bericht noch einmal durchzulesen.

Dass jetzt schon wieder ein Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung vorliegt, liegt nicht an der Gier der Tarifvertragsparteien nach neuem Streit. Sie haben ihr eigenwilliges Urlaubskassenverfahren nur europarechtskonform überarbeitet,  wogegen ja wenig einzuwenden ist. Außer vielleicht, dass alle Arbeitgeber die Anweisungen des EuGH ohnehin zu beachten hatten und daher wieder einmal bestens mit einer Urlaubskasse bedient waren, die nicht auf der Höhe der Zeit ist.

Ich will etwas Positives voranstellen.  Es musste auch gar nicht lange gesucht werden, obwohl…ein bisschen Zeit brauchte ich auch. Also: Wir haben bitterlich geklagt, dass das Verfahren vor dem Tarifausschuss absolut intransparent sei und rechtsstaatlichen Ansprüchen einfach nicht genüge. Hochgezogene Augenbrauen,  wenn überhaupt mal eine Öffentlichkeit erschien. Ein Geheimverfahren, bei dem einem nicht einmal die Stellungnahmen zu den eigenen Einsprüchen zur Kenntnis gegeben wurden. Alle konnten dann wissend lächeln, nur der Einspruchsführer wußte gar nicht, was man zu seinen Einsprüchen so alles geschrieben hatte. Auch Einsicht in die alles entscheidenden Antragsunterlagen: Ohne vorherigen Streit und eine Klagedrohung kam man da einfach nicht ran.

Das zuständige Referat beim Bundesministerium für Arbeit hat jetzt einen neuen Chef, der zumindest die Verfahrensfragen noch einmal geprüft und erhebliche Verbesserungen eingeführt hat. Schon im Bundesanzeiger wird auf das Recht der Öffentlichkeit hingewiesen, zu erscheinen und Fragen zu stellen oder sich zu äußern. Die Verhandlung wird klar strukturiert und es gibt tatsächlich ein echtes Zeitfenster für Äußerungen. Wir hatten heute fast die dringend überfällige Debatte.

Nur materiell.  Da hat der Ausschuss den Antrag durchgewunken. Einstimmig und wie seit Jahrzehnten.  Um es klar zu sagen, der Ausschuss entscheidet formal nicht, das macht die Ministerin. Aber er empfiehlt und letztlich wird der Empfehlung eben gefolgt.

Mein persönliches Highlight war die Frage nach meiner “Rolle”. Da war ich wirklich perplex. Nicht nur, dass jeder wusste – weil es schriftlich angekündigt war – dass ich einen Mandanten vertrete. Ich gehe auch davon aus, die “Öffentlichkeit” sei eben jeder. Jeder. Ohne besondere Qualifikation. Oder ohne Rolle. So ganz einfach und locker ist der Umgang mit der neuen Transparenz also noch nicht. Ich habe dann gesagt, ich wolle nicht, dass eine Entscheidung rechtswidrig sei. Darauf wurde mir bedeutet, das sei irgendwie nicht Aufgabe der Verwaltung,  sondern der Gerichte.  Das hat der, der es gesagt hat, aber sogleich bereut. Denn er weiß: In Deutschland will das Grundgesetz,  dass schon die Verwaltung rechtmäßig handelt. Und sich stetig darauf überprüft,  ob sie das auch noch so macht.

Macht sie hier nicht.

Das ist traurig. So werden für die Bau-AVEs seit Jahren Zahlen des Statistischen Bundesamts verwendet.  Man brauchte erst einen Verwaltungsgerichtsprozess – und einen Richter – um zu entdecken, dass diese ehrwürdige Institution im Wesentlichen keine eigenen Zahlen erhebt, sondern einen Datensatz der Bundesagentur für Arbeit bearbeitet. Auf dem Weg zu den Statistikern gehen erstaunlicherweise bis 1 Mio Bauarbeiter verloren. Mit der Dunkelziffer, die daraus entsteht und mit ihren Gründen hat sich nach eigenen Angaben bei den Behörden noch keiner befasst. Bemerkenswert, vor allem, wenn eine sorgfältige Sachverhaltsermittlung von der Behörde gefordert ist. Die Crux ist: Die Tarifvertragsparteien haben den Anwendungsbereich ihres Tarifvertrags hoffnungslos überdehnt. Die notwendigen Feststellungen,  ob man nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklären darf – darf! – kann damit letztlich gar nicht seriös getroffen werden. Dann kann es aber auch keine AVE geben. Oder?

Es wird sie, auch dieses Mal – aber sicher geben. Wie in den vergangenen Jahren. Der Tarifausschuss hat heute um ca. 13 Uhr erneut die AVE befürwortet. Es sage also keiner später, er sei ja dagegen gewesen.

Die gegenwärtige Praxis der Tarifvertragsparteien Bau, sich über ale Bedenken hinwegzusetzen, sich jeder Reform zu verweigern, kann man als Arroganz der Macht sehen. Ich weiß es nicht. Es fällt aber sehr schwer, diese Haltung als “vertretbar” zu bezeichnen. Sie schadet dem Institut der Allgemeinverbindlichkeit. Einen Rechtsbruch in Kauf zu nehmen, statt, was möglich ist, die Abgrenzungsfragen besser zu regeln, das ist – ja, wie soll ich das eigentlich nennen?

Wie nur?

Ich bekenne mich schuldig. Schuldig, daran zu glauben, die Verwaltung müsse aus eigener Verantwortung nach Recht und Gesetz handeln. Wo habe ich das nur gelesen?

Aber sie haben neuerdings sehr schöne Dekorationen im BMAS. Was Sie sehen, lebt. Es ist eine Art Moos, das sorgfältig besprüht werden muss, um es feucht zu halten.