Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
03.05.2012

Germanenangst in Heidiland

Diese Schlagzeile hat Theo Kroll der gestrigen Ausgabe des ZDF-Auslandsjournals im Ernst gegeben. Das Auslandsjournal ist eigentlich seriös.

Gyrosangst?

Stellen wir uns mal vor, man hätte – bezogen auf andere bilaterale Beziehungen – z.B. „Gyrosangst in Teutonenland“ oder „Gypsifear im Frankenreich“ verwendet. Wäre das vielleicht als ein ganz klitzekleines bisschen rassistisch und/oder wenigstens unpassend rübergekommen? Mit der Schweiz empfindet man da kein Mitleid, denn die Deutschen scheinen die Deutschschweizer wirklich als Anhängsel wahrzunehmen, weniger eigenständig als Österreicher oder Donauschwaben (*).

Heidi und die SVP

Die Schweiz hat sich schon lange an das EU-Recht angeglichen und mit der EU ein Freizügigkeitsabkommen unterschrieben. Das sichert im Prinzip allen EU-Staatsangehörigen dieselben Freizügigkeitsrechte zu, wie sie innerhalb der EU bestehen. Geführt hat das zu ungarischen Erntehelfern und deutschen Ärzten. Jetzt ist, meint die Schweizerische Volkspartei, der Kahn voll und man solle die Zuwanderung begrenzen. Dabei – meinte ein Experte verschmitzt – macht die Schweiz mit der Zuwanderung ein Supergeschäft. In ein Land, das kaum über eine sinnvolle Universitätslandschaft verfügt, kommen die Ärzte und Ingenieure freiwillig, nachdem sie im Ausland auf Steuerzahlerkosten 1a ausgebildet wurden. Geht es besser? Nein – außer, man ist National (eingestellt…). Da gleichen sie sich alle, ob aus D, CH, A, F oder I.

Rettung in der Not

Die ewige deutsche Debatte um „Zuwanderungsbegrenzung“ wollen wir hier mal sein lassen. Unbemerkt von nationalen Selbstüberschätzungen hat die vielbeschimpfte EU sogar in der Schweiz (die gar nicht Mitglied ist) in den letzten vier, fünf Jahren etwas bewirkt, dass noch vor 20 Jahren absolut undenkbar war: Ein echter, europäischer und auch europaweit genutzter Arbeitsmarkt. Als der Autor Europarecht in England studierte (lachen Sie nicht; das geht hervorragend), gab es Diskussionen, wie man den „Markt“ für Berufsausbildungen besser öffnen könne (!). Stellen Sie sich mal den Kontrast zu heute vor: Es ist praktizierte Alltagswelt, dass Griechen oder Spanier Jobs in Deutschland und Polen solche in Großbritannien suchen und finden.

Keiner klatscht in die Hände und freut sich über diese völlig neue Errungenschaft, vielleicht gerade ob ihrer Ungewohntheit.

Dabei kann Europa in seiner tiefsten Krise doch gar nichts Besseres passieren.

Den einheitlichen Arbeitsmarkt haben wir gerade noch rechtzeitig bekommen. Die Wanderungsbewegung, die jetzt zu beobachten ist, bringt auch uns viele spanische und griechische Softwareingenieure und Maschinenbauer, Ökonomen und ja, Reisemanager. Die hier gesucht werden. Der europäische Jobmarkt verhindert nebenbei, dass eine Generation gut ausgebildeter Menschen an der Arbeitslosigkeit ihrer Herkunftsländer zerbricht. Sie gibt vor allem Deutschland, einem Hauptzielland, eine wohltuende Infusion.

Heute obenauf, morgen um Hilfe rufend

Täuschen Sie sich nicht: Die Pendel schwingen auch wieder zurück. Vor ein paar Jahren sind alle Deutschen wild darauf gewesen, in Barcelona zu leben und zu arbeiten. Oder in Großbritannien oder eben der Schweiz – zwei der Länder mit der größten und am meisten beäugten Deutschenquote. Da steht es uns nicht gut zu Gesicht, über „Zuwanderung“ zu meckern, oder?

Die Regierung Schröder hat bei der EU-Osterweiterung dem Populismus nachgegeben und Polen für ein paar Jahre ausgesperrt. Was haben wir davon gehabt? Die Briten jedenfalls, die nicht ausgesperrt haben, haben von den Polen ebenso profitiert (es gibt jetzt auch in Großbritannien Mischbatterien an Wasserhähnen…) wie umgekehrt; manches polnische Haus ist mit Sterling finanziert und eine zweite Generation fängt langsam an, die Heimat ihrer Eltern nach britischen Vorbildern zu verändern.

Das alles ist hervorragend – vor allem aber eine Bereicherung, ein Auffangnetz, ein Ventil in der aktuellen Krise. Diese Errungenschaft mit Nationalpropaganda a la SVP oder deutschen Mark-und-Bein-Sprüchen a la „Heidiland“ zu torpedieren, ist Propaganda statt Aufklärung. Der europäische Arbeitsmarkt ist einer unserer stabilsten Rettungsanker. Man sollte ihm mehr Respekt zollen und vor allem Grenzen in den Köpfen abbauen.

(*) Die amateurethnologische Fußnote

(*) Woher das kommt, weiß der liebe Himmel, die Schweiz ist wirklich so wenig “deutsch” wie Belgien (wo Deutsch sogar Amtssprache ist). Aber bei der Deutschen Bank muss unbedingt, hieß es anlässlich der Stabsübergabe, ein Deutscher an der Spitze stehen, wenigstens als Teil eines Tandem. Dass der bisherige Amtsträger als Schweizer auch kein Deutscher war, wurde dabei natürlich übersehen. Dass es für ihn einen riesigen Kulturschock bedeutete, sich in Deutschland zurechtzufinden, darüber schütteln „Deutsche“ wohl nur den Kopf. Zu dem schon an sich saudämlichen Begriff „Heidiland“ sage ich lieber nichts (auch in „Heidi“ liegt das eher Ungute ja glaube ich in Frankfurt, also in Deutschland; die Schweizer hatten da immer schon so eine Ahnung).