Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
26.08.2010

Fünfmal “Arschloch”, keinmal Kündigung? Wie steht es um die deutschen Tugenden im Betrieb?

 So geht das einfach nicht. Seit „Emmely” scheint jeder machen zu dürfen, was er/sie will. Gut: Emmely hat nur geklaut, hier geht es um das berühmteste deutsche Wort: „Arschloch” Wir haben eine schöne Sprache, nicht wahr? Unsere Bildungspolitiker sagen unisono, man müsse mehr für die Sprachförderung von Kindern tun. Meinen sie damit auch, dass es um die Fähigkeit zum Ausdruck oder nur um das Erlernen der Sprache geht? Wir meinen: „Arschloch” braucht man nicht zu lernen. Das kann man als Migrant unter „unwichtig” ablegen. Gesamtgesellschaftlich wichtiger ist der Abstand von verbaler Gewalt. Nicht, dass Sie jetzt glauben, er faselt - oder gar vermuten, ich wolle aus Neukölln erzählen. Nein, es geht um ein holsteinisches…lassen wir das erst einmal. Stellen Sie sich vor, Sie sind Arbeitgeber. Sie haben eine Spedition. Dazu sollte man - um die Vorstellungskraft zu steigern - wissen, dass es wenig Branchen gibt, in denen Kunden so gerne fremdgehen und so gerne auf den Preis drücken. Kundenbindung ist da ein Fremdwort. Niemand verliert gerne Kunden, aber Speditionen müssen ihre Kunden geradezu umgarnen. Stellen Sie sich weiter vor, Ihr Fahrer fährt mit seinem Brummi („Horst”; hinten die Aufschrift „Achtung Mädels: meiner ist länger!”) zu einem solchen - Kunden. Er rast durch die Einfahrt und begegnet einem Typen, den er noch nie gesehen hat. Das geht uns allen täglich so, dachte ich. Der Typ spricht ihn aber auch noch an. Auch das passiert durchaus, aber manche Fahrer mögen so etwas nun einmal nicht. Der Typ fragt also, ob er - Brummi-Horst - nicht bitte anhalten wolle, die Durchfahrt sei zu eng an dieser Stelle. Unverschämtheit! Brummi-Horst deshalb (Zitat aus dem LAG Schleswig-Holstein vom 08.04.2010 - 4 Sa 474/09, n.v., leider erst jetzt begründet und auf FAZ.net entdeckt): „Ich liefere hier seit Jahren und jetzt aus dem Weg, du Arsch.” Er hatte den falschen A… erwischt (und bekam für 6 Monate Hausverbot). Um ganz sicherzugehen, hat Horst (Name von der Redaktion geändert) zuvor mindestens aber noch fünfmal „Arschloch” zu dem unbekannten Typen gesagt, der ihm auf dem Hof des Kunden im Weg rumstand. Horst hat übrigens witziger Weise einen Arbeitsvertrag, der ihn - weil ja nichts mehr selbstverständlich ist - zu einem freundlichen Umgang mit dem Kunden verpflichtet. Ja - Präsens. Denn er hat ihn immer noch. Der Arbeitgeber hat Horst zwar gekündigt. Das LAG Niedersachsen aber befand, er habe nicht erkenne können, dass es sich um eine „Repräsentanten des Kunden” gehandelt habe. Das lasse die Sache in milderem Licht erscheinen. Kündigung unwirksam. Ich will nicht verhehlen, dass ich dieses Ergebnis - natürlich - nicht verstehe. Aber die Gelegenheit soll genutzt werden, um auf die Hypokrisie der Sache hinzuweisen. Und die beruht auf einer Geisteshaltung, nicht bloß auf der unvermeidlichen Unterschiedlichkeit, die Urteile in vermeintlich ähnlichen Fällen immer wieder aufweisen, weil Arbeitsrecht Einzelfallrecht ist. In Deutschland ist der „Betrieb” heilig. Dabei ist der „Betrieb” ein einzigartiges Konstrukt, der an Räterepubliken erinnert. Er ist keine juristische Person, er ist nicht greifbar, hat aber eine Leitung und - oft - einen Betriebsrat. Wir haben Betriebsausflüge, Betriebsjubiläen und tolle juristische Wörter - etwa den „Betriebsfrieden”. Der ist auch heilig. Stört man ihn durch grobes Verhalten, fliegt man auch als Betriebsratsvorsitzender raus, obwohl das die einzige Spezies mit einem Kündigungsschutz ist, der rechtlich allenfalls mit unmündigen Schwangeren im öffentlichen Dienst zu vergleichen wäre. Dieser rein auf betriebliche Nabelschau angelegten Perspektive steht für den Unternehmer (nicht „Betreiber”) die Außenperspektive gegenüber. Innerbetrieblich mögen die Fetzen fliegen, aber wer will wegen eines pöbelnden Arbeitnehmers einen Kunden verlieren? Natürlich niemand, aber die gesellschaftliche Akzeptanz für die Supermarktkassiererin, die den Kunden so anpöbelt, dass der nicht wiederkommen will, ist entgegen der Unternehmerperspektive größer als die für ihre Kollegin, die drei Minuten zu spät zur Arbeit kommt, weil sie ihr Kind zur Kita bringen musste. Das sind deutsche Tugenden. Aber da stimmt doch etwas nicht? Der Primärzweck eines Unternehmens ist das Geldverdienen. Das geht nur mit Kunden. Der Primärzweck ist nicht die Kuschelecke für die Mitarbeiter (oder der Pöbelhof). Deren Wohlbefinden und Schutz ist eine sekundäre Voraussetzung unternehmerischer Tätigkeit, nicht ihr Zweck. Unzureichendes Verhalten Kunden gegenüber richtet größere Schäden an als bei den sog. Bagatellkündigungen. Entzieht der Kunde einen Speditionssauftrag, sind zehntausende Euro weg (nicht 1,30 EUR, Emmely), Arbeitsplätze und Existenzen gefährdet - während man aber bei Emmelys ernsthaft eine Kündigung in Betracht zieht (zu Recht, meinen wir, wie man weiß), dann ist es doch absurd, einen Fahrer, der fünfmal „A….loch” sagt, behalten zu müssen. Nein, es kann auch nicht darauf ankommen, ob der erkennen konnte, „einem Repräsentanten des Kunden” (bald in Dissertationen als „arbeitsrechtlicher Repräsentanteneffekt” oder schlicht „Repräsentantentheorie” untersucht) gegenüber zu stehen. Man nennt niemanden Arschloch und niemand muss diesen Menschen beschäftigen. Und die „Repräsentantentheorie” ist absurd: Wer auf dem Hof des Kunden pöbelt, muss wissen, dass er jederzeit den falschen trifft. Und den Mund halten. Die Ausführungen des LAG dazu, als große Spedition könne man den Kerl sicher auch irgendwo einsetzen, wo er keinen Kundenkontakt habe, sind noch haarsträubender. Arbeitsverhältnisse sind keine betreuten Wohnheime für an der Grenze zur Debilität durchs Leben gehende Menschen, die der Führung bedürfen. Diese Ideologie beraubt die Leute ihrer Verantwortung - und bürdet den Arbeitgebern die Last auf. Dialog aus dem (englischen) Urlaub mit einer Dame, die zwanzig Jahre in Berlin war: „How did you find living in Germany then?” - „Oh, wonderful, but I never came quite to terms with the rudeness of the shop assistants.”. Warum wohl? Das LAG hat sein Urteil nicht auf seine Internetseite gestellt.