Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
10.04.2013

Ein unwirksamer Tarifvertrag und die absurdeste Urlaubsabgeltung des Jahres

Die schönsten Entscheidungen sind ja die ohne Pressemitteilung, so auch die des BAG vom 15.1.2013- 9 AZR 465/11, die vom BAG als möglicherweise als unwürdig angesehen wurde, als Special Interest sozusagen. Aber wir sind hier interessiert, glauben Sie mal.

Fallfrage: Wie bekomme ich meinen Urlaub ausbezahlt?

Jetzt habe ich Sie am Haken, nicht wahr?

Das – Ausbezahlen – geht bei Ende des Arbeitsverhältnisses, siehe unsere Urlaub FAQs. § 7 Abs. 4 BurlG. Kein Problem.

Auf dem Bau schon. Auf dem Bau – im Anwendungsbereich der großartigen Sozialkassentarifverträge – ist das nicht so einfach. Da bekommt man das Geld von der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse des Baugewerbes (hier zur absurden Konstruktion dahinter) – Stichwort SOKA-Bau. Das heißt, man bekommt die Urlaubsabgeltung natürlich in Wahrheit doch nicht von denen, sondern vom Arbeitgeber, wie alle anderen auch. Aber der musste das Geld erst an die Urlaubskasse geben, damit die es dann dem Arbeitnehmer geben kann. Man braucht also eine Institution mehr für einen alltäglichen Normalvorgang. So hat man schon in der DDR Arbeitsplätze geschaffen. Anspruch hat man nur, soweit man den Urlaub tariflich auch beanspruchen konnte. Tariflich? Ja, dazu gibt es den Bundesrahmentarifvertrag Bau (BRTV). So wird – endlich – aus ein bisschen Urlaub Bürokratie für drei Instanzen.

Im Fall des BAG hatte der BRTV ein kleines Problem. Er ist nämlich erst ab 2013 an die neueste Rechtsprechung des EuGH zum Urlaubsrecht angepasst worden (gemeint ist u.a. diese nicht taufrische Entscheidung, aber manchmal braucht man eben etwas länger). Für bestimmte Krankheitsperioden sah er – rechtswidrig – den Verfall von Urlaubstagen vor. Bis Ende 2012.

Der Fall des Klägers begann aber schon 2009. Er tat, wie ihm von den allmächtigen allgemeinverbindlichen Tarifverträgen geheißen und nahm die Urlaubskasse ULAK in Anspruch. Anders geht es nicht. Das hat jetzt fast vier Jahre gedauert und drei Instanzen gekostet. Damit das BAG sagt: Der BRTV ist insoweit rechtsunwirksam. Bingo! Du kannst das Geld für die paar Tage haben. Bingo! Aber nicht von der ULAK, wie es der Tarifvertrag eigentlich vorsieht, sondern vom Arbeitgeber. So wie alle anderen Menschen in Deutschland auch. Ups? Schade, dass Du dafür mehr Prozesskosten aufgewandt hast – bis hierher – als der Urlaub wert ist.

Schöne Welt, die wir uns da gebaut haben, nicht wahr?

Das BMAS wird voraussichtlich die Tarifverträge im Bau erneut für 2013 für allgemeinverbindlich erklären. Weil das Urlaubskassenverfahren so toll ist, dass ein „öffentliches Interesse“ daran besteht (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 TVG). Weil so die Urlaubsansprüche „sicher“ sind. Ist das nicht euphemistisch? Wunderbar, oder? Der Kläger im Verfahren beim BAG war wegen dieses Tarifschrotts Tarifvertrags über das „Sozialkassenverfahren“ einhundert Klassen schlechter gestellt als ein Normalarbeitnehmer. Hätte der seinen Urlaub nicht bekommen, hätte er einfach seinen Arbeitgeber verklagt und Recht bekommen.

Wir schlussfolgern, dass Regeln, die sogar die Urlaubsgewährung an Unsicherheiten über den richtigen Beklagten binden und ihn zu Rechtsstreitigkeiten in drei Instanzen treiben im öffentlichen Interesse liegen müssen. Weil man beim BAG einige Richterstellen sparen könnte, wenn es das völlig überflüssige „Sozialkassenverfahren“ gar nicht gäbe?

Mensch, woher soll ich das bloß wissen.

Bürokratie muss sein, genau wie die Sprache dazu: