Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
07.09.2010

Der Sarrazene und das Arbeitsrecht - wie Thilo Sarrazin auch noch das Rechtssystem revolutioniert

Es ist schon erstaunlich: Während mindestens die Hälfte der Republik Thilo Sarrazin vorwirft, Unsinn zu schreiben, schreibt ein Teil der anderen Hälfte selbst kräftig Unsinn, wenn es um die Frage geht, ob man den Mann aus der Bundesbank werfen kann. Richtig gemacht hat es natürlich Markus Stoffels, der im Beck-Blog die Debatte eröffnete, indem er darauf hinwies, das sei zwar kein Arbeitsrechtsfall, aber einige bewährte arbeitsrechtliche Grundsätze könne man da schon anwenden. Mag sein. In der Folge wurde dann fast jeder namhafte Verfassungsrechtler und fast jeder begabte Arbeitsrechtler zum selben Thema befragt, einschließlich der Spekulationen im Focus, Sarrazin könnte vor die Arbeitsgerichte ziehen, wenn Herr Wulff ihn entlässt (dass das nichts wird, merkt man aber schnell). Wir beobachten zwei Positionen: Die erste wird eher von den Verfassungsrechtlern eingenommen. Die finden, dass der Bundespräsident sich unmöglich gemacht habe; denn er habe schließlich Sarrazin eindeutig verurteilt und sei jetzt nicht mehr “unbefangen”, wenn er über die Abberufung entscheide. Ob daraus auch folgt, dass Herr Wulff ihn nicht entlassen darf (darum geht es ja), bleibt unbeantwortet. Die Arbeitsrechtler kommen, wenn sie zu den Skeptikern des Vorgangs gehören, aus einer anderen Ecke und meinen, der Mann genieße eben Meinungsfreiheit und die Entlassung werde “schwierig”. So ist das eben manchmal mit Entlassungen. Die Zweitmeinung sieht das ganz anders und weist auf die Beschädigung der Institution Bundesbank hin. Teilweise wird auch davon gesprochen, dass Sarrazin den Betriebsfrieden störe (dazu ist dem Kollegen Dr. Fuchs etwas Passendes eingefallen). Jedenfalls sei er untragbar, irgendwo haben wir auch von einer “Druckkündigung” gelesen. Eigentlich wollten wir nichts zum Thema Sarrazin schreiben, weil es einfach nichts Arbeitsrechtliches in sich trägt. Aber nachdem die Öffentlichkeit das anders sieht - es hat seinen Reiz! Problem 1: Wer entlässt wen? Wir haben in der öffentlichen Debatte gelernt, dass Herr Wulff als Bundespräsident für die Entlassung des Herrn Sarrazin zuständig sei, weil das angeblich im Bundesbankgesetz so steht. Sicherheitshalber haben wir nachgesehen, das ist ja keine arbeitsrechtliche Vorschrift, deshalb kennen wir sie nicht so gut. Und ja: Der Server des BMJ ist noch nicht wegen der dauernden Abfragen zum BBankG zusammengebrochen, damit ist § 7 Abs. 3 BBankG zugänglich. Allerdings steht da nur, dass der Bundespräsident das Vorstandsmitglied berufe, nicht, dass er es auch abberufen darf. Erstaunlich, wie schnell man auf Probleme stößt. Natürlich haben sich schon schlauere Zeitgenossen diesen Gedanken gemacht, so etwa Ladeur in der Legal Tribune. Mit einem noch weitergehenden Ergebnis übrigens. Der Gesetzgeber hat das nicht einfach vergessen (dann gäbe es eine Annexkompetenz), sondern wollte ausdrücklich das unabrufbare Mitglied. Übrigens: Vielfach habe ich gelesen, man könne ein Mitglied des Vorstandes nur bei “schweren Verfehlungen” abberufen. Klingt logisch, ist aber falsch. Es gibt gar keinen Abberufungsgrund im Gesetz und auch kein geregeltes Abberufungsverfahren. Der Antrag an Herrn Wulff ist danach etwa so sinnvoll wie eine entsprechende Bitte an Barack Obama. Problem 2: Die Befangenheit Nehmen wir mal an, der Bundespräsident dürfe das (die Entlassung vornehmen). Ist er dann desavouiert, wie einige Verfassungsrechtler annehmen, befangen also? So ein Unfug! Ich versichere jedem, dass im Arbeitsrecht alle Arbeitgeber befangen sind, die jemanden feuern. Sie wollen ihn feuern und finden das richtig. Sonst würden sie es ja nicht tun. Wie soll denn ein Bundespräsident (wenn er es wirklich dürfte) nicht befangen sein, wenn er Sarrazin entlässt? Nur ist das doch wirklich egal. Gegen diese Entlassung geht man vor Gericht und die einzigen, die nicht befangen sein dürfen, sind die Richter. Das ist im Gesetz so geregelt. Aber der Bundespräsident darf und muss eine eigene Meinung haben. Was uns zum nächsten Problem führt: Problem 3: die Meinungsfreiheit Darf Sarrazin das alles sagen und schreiben? Wer die Frage so stellt, hat das Grundgesetz nicht verstanden, denn darauf muss man antworten: “Natürlich. Vor allem, wenn es Dir nicht gefällt”. Ob er auch Bundesbanker bleiben darf, wenn er “solche Positionen” vertritt (ich habe das Buch nicht gelesen), ist damit nicht ganz, aber fast beantwortet. Im Arbeitsrecht erleben wir immer wieder, dass man versucht, Extremisten aus dem öffentlichen Dienst zu werfen. In Baden-Württemberg trifft es die, die im etwa für die NPD um ein öffentliches Amt kandidieren. Erfolg: Null. Die Gerichte sprengen die Kündigungen. Immer. Ein festes Ritual. Obwohl unbestreitbar ist, dass z.B. (frei gebildet - ob es so einen Fall gibt, wissen wir nicht) der Direktor eines städtischen Krankenhauses als NPD-Abgeordneter ein schwerer Fall von Fremdschämen ist und die Institution nicht beschädigt, sondern geradezu besudelt. Weil Meinungsfreiheit eine mittelbare Drittwirkung hat, muss man das eben aushalten. Kann man das bei der Bundesbank anders sehen? Ich weiß gar nicht, woher die ihr vielzitiertes “Ansehen” nimmt. Ja, als sie eine Notenbank war, hatte sie Ansehen, für die D-Mark, die erfolgreichste Nachkriegswährung. Aber das ist vorbei, und bei der EZB wird Deutschland von Sarrazins Vorgesetztem vertreten. Wen also kann die Meinungsäußerung beschädigen - und wie genau? Es gibt also keine zwingende rechtliche Vorgabe. Man muss sich eine Meinung bilden. Richtig und falsch gibt es - in juristischen Kategorien - hier jedenfalls nicht. Da der grauhaarige Wahlberliner alles bis zum Ende durchficht, auch wenn es ihm nicht bekommt oder sinnlos ist, werden wir aber alsbald eine gerichtliche Äußerung sehen. Es sei denn, er wird nicht entlassen oder geht selbst.