Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
03.09.2012

Der Lohn vom Chef – Tücken des Schadensersatzes bei Insolvenzen

Geschäftsführer einer GmbH sind eine gebeutelte Spezies (ich weiß, wovon ich rede). Ein Mandant wollte das Amt gar nicht antreten, nachdem er wunschgemäß über alle (alle) Risiken beauskunftet worden war.

Das liegt nicht unerheblich daran, dass sie stets zur Kasse gebeten werden, wenn etwas passiert. Umsatzsteuer oder Einkommensteuer für die Mitarbeiter falsch oder gar nicht abgeführt? Zahlen – auch bei Unternehmenspleite. Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer nicht ausgezahlt – Straftat (§ 266a StGB) und – natürlich – zahlen! Da kann einem die Lust vergehen.

In Nürnberg haben sich ein Arbeitnehmer (und sein Anwalt) etwas Neues einfallen lassen. Der Geschäftsführer stellt – angeblich zu spät Insolvenzantrag. Das Ergebnis der Nürnberger LAG-Entscheidung dazu (Urteil vom 6.03.2012 – 7 Sa 341/11) ist zwar wenig überraschend, dafür inhaltlich geradezu eine Examensklausur (Thorsten Blaufelder hat auf die Entscheidung hier aufmerksam gemacht).

Stellt ein GmbH-Geschäftsführer zu spät einen Insolvenzantrag, verletzt er Pflichten, die man auch als Schutzpflichten Dritten – etwa den Mitarbeitern gegenüber – auffassen kann. Das sind, wenn solche Pflicht gesetzlich geregelt ist, sog. Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB. Der so Geschädigte kann dann Schadensersatz verlangen. Wann der Geschäftsführer Insolvenzantrag zu stellen hat, bestimmt (u.a.) § 15a InsO (Insolvenzordnung); danach darf er längstens drei Wochen abwarten. Weil ihn die Pflicht persönlich trifft, nützt ihm weder die beschränkte GmbH-Haftung etwas noch die Tatsache, dass später ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird.

Die Idee aus Nürnberg war also einfach:

Der beklagte Geschäftsführer hätte – meinte der Kläger – schon im Dezember des Vorjahres (statt erst Ende Januar) Insolvenzantrag stellen müssen. Hätte er das getan, so der Kläger, dann hätte der Kläger bereits ab Januar Insolvenzgeld bekommen (das zahlt die Bundesagentur für Arbeit, aber nur für 3 Monate). So habe er gearbeitet – jetzt bekomme er kein Geld mehr für Januar, weil die Insolvenzmasse nicht ausreiche, um die Forderung nach Lohn zu befriedigen. Insolvenzgeld gab es erst ab Februar.

Ergo: Der Geschäftsführer muss den Verlust ersetzen. Er haftet nach §§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit (juristisch: „i.V.m.“) auf Schadensersatz.

Klingt gut für den Kläger, aber wie Getöse in den Ohren des Geschäftsführers.

Der Teufel steckt aber, wie oft, im Detail.

Zuerst müsste man mal feststellen, ob § 15a InsO überhaupt ein „Schutzgesetz“ ist. Ohne Schutzgesetz keine Haftung des Geschäftsführers (BAG, Urteil vom 23. 2. 2010 – 9 AZR 44/09). Das kann man aber in jedem Kommentar zu BGB und GmbHG nachlesen – darüber besteht Einigkeit. Also: (+), wie der Prüfling sagt.

Dann stellt sich die Frage nach der Pflichtverletzung: War er zu spät dran oder nicht?

Das ist extrem schwer festzustellen. Wenn man das Glück hat, über das Insolvenzgutachten zu verfügen, kann man daraus – vielleicht – etwas ableiten. Aber abschreckend genug ist das schon: Man muss sich mit den bisher völlig unbekannten bilanziellen Verhältnissen, der Liquidität und der Forderungslage zu einem bestimmten Stichtag auseinandersetzen. In der Praxis nicht unmöglich, aber schwer. Sehr schwer. Das Gericht hat deshalb etwas gemacht, was der Prüfling (im 1. Staatsexamen) nicht darf: Es hat gesagt: „Egal“.

Das geht nur, wenn die Haftung jedenfalls an etwas anderem scheitert. Das ist hier erstaunlicherweise so:

Das Schadensersatzrecht unterscheidet zwischen sog. negativen Interesse und dem Erfüllungsinteresse (positiven Interesse). Im ersten Fall werde ich bei Schadensersatz so gestellt, wie ich stünde, wenn ich nicht darauf vertraut hätte, dass mit meinem (Arbeits-)Vertrag alles glatt geht. So, wie der Kläger stünde, wenn er nicht darauf vertraut hätte, sein Arbeitgeber werde noch zahlen, bevor er – der Kläger – arbeitet. Im zweiten Fall bekomme ich das, was ich bekommen hätte, wenn der Arbeitsvertrag vom Arbeitgeber erfüllt worden wäre.

Klar ist: Nur mit dem positiven Interesse kann man hier weiterkommen. Dann bekommt der Kläger, was ihm nach dem Vertrag zusteht – Lohn – als Schadensersatz.

Leider steht bei keiner Haftungsnorm dabei, ob sie auf das negative oder positive Interesse geht. Sonst wären noch mehr Juristen von Arbeitslosigkeit bedroht. Die Antwort hat der Bundesgerichtshof vor langer Zeit schon gegeben – bei der Verletzung solcher Pflichten ist das negative Interesse zu ersetzen (BGH,  Urteil vom 6.06.1994 -II ZR 292/91 -das war sogar einem juristischen Repetitorium – Alpmann Schmidt -eine Volltextveröffentlichung wert). Begründet wird das damit, dass es sich um einen sog. Neugläubger handelt. Der Arbeitnehmer hat nämlich eine Wahl: Hätte er nicht darauf vertraut, alles wäre in Ordnung, sondern von der Insolvenzreife gewusst, dann hätte er nicht mehr arbeiten müssen, sondern seien Arbeitskraft zurückhalten können; er hätte ggf. – meint das LAG etwas leichtfertig – auch das Vertragsverhältnis fristlos kündigen können (da hätte die Arbeitsagentur aber Augen gemacht). Er hätte vielleicht einen neuen Job bei einem zahlungsfähigen Arbeitgeber angetreten (dann hätte er einen Schaden). Man weiß es nicht: Im Fall hatte der Kläger aber gar nicht erzählt, was er getan hätte: Damit ist auch keine Feststellung darüber möglich, ob er eine Schaden hat. Schaden also (-).

Tja. Das ist richtig, zeigt in der Praxisbewertung aber nur: Alle Gläubiger zahlen bei Pleiten drauf, Arbeitnehmer sind da keine Ausnahme. Jede andere Sichtweise würde dazu führen, dass keiner mehr GmbH-Geschäftsführer sein wollte. Außerdem würde sie Dienstleister (wie Arbeitnehmer) privilegieren. Sie gehen immer in Vorleistung. Allenfalls kann man – wie schon so oft – mahnen, dass Antragspflichten konkreter definiert werden und Insolvenzverwaltung nicht dem Wachstum von (Insolvenzanwalts-)Kanzleien dienen darf, sondern den Gläubigern und vor allem der Unternehmenssanierung. Viel zu oft entsteht ein anderer Eindruck. Ob das hier eine Rolle gespielt hat, muss aber offen bleiben.

Übrigens: Seinen Anwalt musste der Geschäftsführer selbst zahlen. War ja ein Arbeitsgerichtsprozess. Eine Klagewelle von ein paar Dutzend Mitarbeitern, und der Geschäftsführer ist – privat – der nächste Insolvenzfall.