Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
14.12.2011

Bundeswehr an der Arbeitsrechtsfront (gleichzeitig: Zur Bedeutung von Wikipedia)


Die Bundeswehr hat sicher schon genug Scherereien, in bewaffneten Konflikten – aber die werden selten mit derselben psychischen Härte ausgetragen wie  es bei Arbeitsgerichtsprozessen erleb- und erfahrbar ist. Vorab: Die Streitkräfte behielten die Oberhand.

Eigentlich ist auch nicht die Entscheidung des BAG vom 8. Dezember 2011 – 6 AZR 354/10 (hier die Pressemitteilung) selbst so bemerkenswert, sondern die Entwicklung des Falls. Am interessantesten wäre das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 10.09.2009 (2 Ca 70/09). Das kann man zwar nirgends finden (wer entscheidet eigentlich, was so in eine Landesrechtsprechungsdatenbank kommt – wenn da nicht mal Urteile landen, die Gegenstand einer Revision gewesen sind?). Aber das Berufungsurteil des LAG B-W kann man finden. Ok: Die Landesrechtsprechungsdatenbank fand auch das nicht würdig genug. Also muss man sich an die kostenpflichtigen Datenbanken halten. Schade.

Das ist aber nur Nebensache. Der Fall selbst ist schnell gelöst: Bei der Bundeswehr-Standortverwaltung (heute „Dienstleistungszentrum“) war ein Auszubildender beschäftigt, der es nicht brachte und deshalb in der Probezeit gekündigt wird. Nach Ablauf der Probezeit ist das wegen § 22 BBiG ziemlich unmöglich, davor besonders leicht: Keine Gründe, keine Frist. Jetzt war der Azubi minderjährig. Dass man schriftlich kündigen muss, weiß jeder. Aber wie kündigt man einem Minderjährigen? Die Väter und Mütter des BGB haben daran gedacht, es steht in § 131 Abs. 1 BGB. Man muss gegenüber einem Elternteil kündigen. Wusste auch die Verwaltung und brachte den unterschriebenen Brief, gerichtet an „den Auszubildenden M. K., gesetzlich vertreten durch die Eltern F. und K. K….“ zum elterlichen Briefkasten. Der Kerl erhob trotzdem Klage. Was war schiefgelaufen?

Taktisch schlecht war, dass man nicht noch einmal kündigen konnte, denn die Probezeit war mittlerweile durch. Die erste Kündigung musste also halten. Am Fall kann man nicht nur die Findigkeit von Rechtsanwälten trainieren, sondern ihn gut und gerne als kleinen BGB-Schein einreichen:

Erst mal, sagte der Azubi, hat hier „der Falsche“ unterschrieben. Das war nämlich nicht der Leiter des Materiallagers (= Ausbildungsstätte), sondern der des Dienstleistungszentrums. Wer das denn wohl sei, schrieb der Anwalt, sein Mandant kenne den nicht, man weise die Kündigung zurück, denn eine Vollmacht des Verteidigungsministers (= gesetzlicher Vertreter) habe nicht beigelegen – § 174 BGB. 12 Tage, nachdem die Kündigung im Briefkasten war (in den 12 Tagen gab es 7 Arbeitstage).

Ach, und der Briefkasten – die Kündigung habe die Eltern de facto gar so schnell nicht erreicht. Am betreffenden Tag seien die im Urlaub gewesen und erst Tage später zurück gekommen – soviel vorsorglich zu der Behauptung, die Zurückweisung sei vielleicht nicht, wie von § 174 BGB verlangt, unverzüglich erfolgt.

Volle Breitseite, aber wir sind in B-W (hier: Baden-Württemberg) und nicht bei der Marine.

Die Bundeswehr (Landstreitkräfte) konterte radikal und ließ sich angesichts dieser dreisten Einlassungen keineswegs lumpen.

Dazu muss man vorab wissen, dass dem Kläger weder verborgen geblieben sein konnte, dass die Verwaltung des Dienstleistungszentrums für Kündigungen und alle Personalfragen zuständig ist, noch, wer es leitet. Aber die einzige Karte, die sticht, muss man spielen. Eine besondere Vollmachtsurkunde des Verteidigungsministers legt eben auch die Bundeswehrverwaltung ihren Kündigungen nicht bei (man könnte fast denken, das habe praktische Gründe). Dann aber kann man sich gegen die Killernorm § 174 BGB nur verteidigen, wenn man darstellen kann, jeder im Betrieb wisse doch, dass Herr XYZ kündigen dürfe.

Aber wie stellt man das dar? Im Ministerialblatt war diese Berechtigung veröffentlicht – das ist schwach, denn dass der Azubi ausgerechnet das in seiner Freizeit liest, schluckt kaum ein Arbeitsgericht (er wird es ohnehin bestreiten). Deshalb wurde man modern:

„…Auch die Umbenennung der Standortverwaltungen in Bundeswehr-Dienstleistungszentren sei in amtlichen Veröffentlichungen, aber auch auf den Internet-Seiten von Wikipedia und der Bundeswehr selbst nachzulesen…“

Der Fall wird als Mannheimer Wikipedia-Fall in die Geschichte eingehen, sollte man meinen. Heutzutage macht man seine Kündigungsberechtigungen bei Wikipedia bekannt und das reicht auch für die Mitarbeiter des Betriebs. Da kann man nur hoffen, dass alle Unternehmen „ihre“ Wikipedia-Einträge immer schön aktuell halten. Und „Rückkorrekturen“ überwachen. Dann erleben wir bald das Unternehmen, das behauptet, es habe dort das Richtige verlautbart, das sei aber wieder geändert worden – vom Kläger selbst…

Originell, aber abseitig? Wo denken Sie hin! Das LAG hat das Argument aufgenommen. Der Kläger habe gewusst, dass der Leiter des Dienstleistungszentrums zur Kündigung berechtigt sei, und zwar gerade weil…

„…Ferner ist in einer Reihe öffentlich zugänglicher Publikationen, sowohl auf der Internet-Seite www.b…de, auf der Seite der Internet-Enzyklopädie „wikipedia“ oder im Magazin der Bundeswehr „Y“ (Jahrgang 2007, Heft Juli S. 66 ff.) die Umbenennung der bisherigen Standortverwaltungen beschrieben…“

Das ist ein tragender Urteilsgrund! Eines Landesarbeitsgerichts – Wikipedia forever!

Das BAG hat’s dann ruhiger angehen lassen und uns allen noch einen kleinen Gefallen getan. Die Wikipedia will man in Erfurt noch nicht auf den Thron heben, lieber beim klassischen Handwerkszeug bleiben. Die Zurückweisung der Kündigung sei schlicht zu spät. Auf die Frage, was man aus der Wikipedia so wissen müsse, komme es nicht mehr an. 7 Arbeitstage nach Kündigung sei nicht mehr unverzüglich. Jetzt haben wir mal einen Anhaltspunkt. Auf die paar Tage elterlichen Urlaub kam es auch nicht an, denn der Zugang ist unabhängig davon, ob die gerade da waren oder nicht – das ist ein Klassiker. Auch gut – und die Wikipediazeit, die kommt bestimmt, denn das Fieber hat schon die anscheinend schon Obergerichte erreicht.

Erin Meilenstein, die LAG-Entscheidung. Vielleicht wird sie deshalb so sorgsam geheimgehalten…