Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
21.04.2011

Arbeitnehmer nur für einen Tag – Tagelöhner bei der Berliner Stadtreinigung?

 

Berlin hat – nach Auffassung der Morgenpost – einen neuen Skandal. Es geht um Tagelöhner. Das ist ein schlimmes Wort: Der Tagelöhner musste schon im Mittelalter jeden Tag neu kommen, um seine Arbeit zu erbetteln.

Bei der Berliner Stadtreinigung (BSR – für Touristen: Das ist das orangefarbene Unternehmen, das an Touristen auch T-Shirts verkauft und Straßenfegen zum Lifestylejob stilisiert hat) soll es seit langem Tagelöhner geben. Die Morgenpost hatte einen solchen interviewt, der nach ewigen “Tagesarbeitsverträgen” trotz bescheinigter Zuverlässigkeit übergangen wurde, als er auch nur einen befristeten Job haben wollte. Sechs (6!) Jahre lang ist er als Tagelöhner unterwegs gewesen. Jetzt ist der rot-rote Senat natürlich wirklich rot (tomatenrot, im Gesicht, allen voran das BSR-Aufsichtsratsmitglied Harald Wolf, hauptberuflich Wirtschaftssenator). Dass allenthalben auf den tatsächlichen oder vermeintlichen Abbau von Arbeitnehmerrechten geschimpft wird, wenn der Staat der Arbeitgeber ist, indes keine Ausrede zu faul ist, kann man schon manchmal beobachten. Jetzt wird die BSR erst einmal martialisch zum “Rapport” gebeten. Und eine Arbeitsrechtsexpertin hält die Praxis der BSR in der Zeitung gar für “illegal”.

Ist sie das?

Wenn die Begründung der BSR der lange Winter und der dichte Schneefall ist: Nein.

Tagesarbeitsverträge sind zulässig. Sie benötigen einen sachlichen Grund. Der vorübergehende Mehrbedarf ist ein solcher (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG) und weil nach Auffassung des BAG Befristung und Bedarf zeitlich nicht deckungsgleich sein müssen, kann man für einen vorübergehenden Bedarf von 2 Monaten auch tageweise einstellen. Wenn man im Sommer dann anderen “vorübergehenden Bedarf” hat (Häufchen wegräumen, Straßen fegen), ist das ein neuer Befristungsgrund: Gleiches Spiel.

Das BAG hat vor einem guten Jahr allerdings das Geisterwort von der “Daueraufgabe” wieder zum Leben erweckt. In seiner Entscheidung vom 17.3.2010 (7 AZR 640/08) hat es kritisiert, dass manche öffentlichen Verwaltungen aufgrund der schönen Befristungsmöglichkeit (und, man muss das ergänzen, wegen des betonharten Bestandsschutzes eines “Normalarbeitsvertrags” im öffentlichen Dienst, dessen Kündigung eigentlich undenkbar ist) von vornherein unzureichende Personalausstattungen haben. Diese mit Befristungen zuzupflastern, lässt sich nicht mehr als “vorübergehender Mehrbedarf” einordnen. Bei der allgemeinen Straßenreinigung wird man da schon Zweifel an der BSR haben dürfen. Im Winter allerdings sieht es – wenn Winter wie der letzte nicht der Regelfall werden - nach wie vor so aus, dass die Befristungspraxis legal ist.

Wie man auf Tagelöhner die zwingenden Arbeitsschutzvorschriften anwendet (wie z.B. ist der Urlaubsanspruch des Tagelöhners zu sehen? Ha!), ist kaum gelöst. Der Tagelöhner ist eben auch weder erwünscht noch wirklich systemkonform.

Die ganze Perversion unseres fein abgestimmten Systems wird aber offenbar, wenn die BSR sich damit verteidigt, dass die Tagelöhner es meist gar nicht anders wollen. Denn nur so haben sie – die oft auch Hartz IV beziehen oder andere, nicht anrechnungsfreie Leistungen bekommen – in der Hand, die Hinzuverdienstgrenzen fein auszutarieren.

Wer jetzt meint, unser Arbeits- und Sozialversicherungssystem stelle sich immer wieder selbst Beine, ist aber nun wirklich ein Scharfmacher…