Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
22.03.2012

„Tarifsystem stärken“ – oder Terror von oben?

Die SPD Fraktion im Deutschen Bundestag will nach eigener Angabe das Tarifsystem stärken. Dabei ärgert sie sich, dass das Gesetz so dumme Sachen vorsieht. Wie zum Beispiel, dass man nicht einfach irgendeinen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären kann, sondern nur dann, wenn er 50% der Branche repräsentiert (§ 5 Abs. 1 TVG).

Die Pressemitteilung belehrt:

„…Mit dem Quorum sehe das deutsche Recht eine Voraussetzung vor, „die immer schwer zu erfüllen ist und in Zukunft kaum noch zu erfüllen sein wird“, betont die SPD-Fraktion…“

„Das deutsche Recht“ klingt immer ein bisschen, als wären wir böse Schulkinder in Deutrschland. Tatsächlich gibt es ein Zwangssystem wie die Allgemeinverbindlichkeit („was wenige wollen, sollen alle machen“) praktisch nur hier. Also mal Klartext: Das wollt ihr stärken. Das System, der Mehrheit Euren Willen aufzuzwingen.

Gut erkannt, übrigens, analyseseitig:

„…Die Tarifbindung in Deutschland sinke seit den 1990er Jahren beständig und im Vergleich zu anderen europäischen Staaten dramatisch…“

Oh je, die anderen Kinder wollen nicht mit uns spielen, also müssen wir sie zwingen. Im größten Allgemeinverbindlichkeitsbereich – dem Bau – schreien die Spatzen von den Dächern, dass das Quorum unerfüllbar ist. Konsequenz also: Dann müssen wir die Regeln ändern! Sonst würden wir ja an Macht verlieren!

Reife Leistung.

Das Nachdenken darüber, ob man intelligentere Systeme findet, Tarifverträge vielleicht, die auch die Akzeptanz einer Mehrheit finden, ist sicher viel zu schwer. Also spielen wir noch einmal die Machtkarte, gell?

Nur: Das 50-%-Quorum ist letztlich ein Verfassungsgebot. Bei Entgelttarifverträgen mag man – wegen der Mindestlohndebatte – noch niedrigere Zugänge akzeptieren. Diese Diskussion gäbe es mit einem gesetzlichen Mindestlohn gar nicht. Aber auf dem Umweg über die Allgemeinverbindlichkeit werden eben auch andere Sachen transportiert als nur Mindestlöhne – wie z.B. die Sozialkassen Bau. Die braucht zwar keiner, aber da arbeiten viele, viele Leute, da kann man Partys Feier, zum 50, 100 oder 150-jährigen Bestehen und mit Politikern auf Augenhöhe reden.

Warum das alles aufgeben?

Dann schon lieber die Regeln ändern…

Erosion stoppt man, indem man sich erosionsfest macht. Verändert. Nicht, indem man die Erosion einfach wegdefiniert. In der Weimarer Republik hat man zum Schluss alles über die Allgemeinverbindlichkeit gemacht. Wegen der Erosion damals. Hat es den Arbeitnehmerinteressen genützt? Da kann auch die SPD-Fraktion sich mal aus allgemein zugänglichen Quellen drüber informieren.

Weitere Info: Beck-Blog: SPD will Erosion des Tarifvertragssystems stoppen