Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
02.05.2013

„Liefern Sie Ihr Trinkgeld bitte ab, bevor Sie gehen“

Ich bin nicht erstaunt: Die Frage, ob der Ober sein Trinkgeld beim „Chef“ abliefern muss, scheint in der Gastronomie der Renner schlechthin zu sein. Wer nach einschlägigen Fragen bei Google sucht, wird mit teils widersprüchlichen Antworten überhäuft.

Das lässt sich hier nicht alles aussortieren. Es gibt zwei Möglichkeiten: Eine/n Expterten/-in fragen und die Antwort nicht verstehen, oder sich um ein Grundverständnis bemühen. FOCUS Online hat es auf dem ersten Weg versucht und Nathalie Oberthür gefragt. „Arbeitsrechtsexpertin“ ist da fast derogativ, sie gehört jedenfalls zu den profiliertesten Kolleginnen am Markt.

Deshalb ist die knapp verstandene Antwort

Kellner muss Trinkgeld nicht mit Kollegen teilen

sicher ebenso nicht gegeben worden wie das Resümee

Die Rechtslage sei eindeutig, erläutert die Anwältin

Es handelte sich wohl um ein qualifiziertes „es kommt darauf an“. Nun weiß ich nicht, ob Frau Oberthür der Schnippsel bei FOCUS Online egal ist (vermutlich), verteidigen könnte sie sich auch selbst. Aber nachdem ich es heute – nur deshalb – auf zwei (!) Anrufe wegen dieses Schnipsels gebracht habe, die intonierten

Was machen wir denn jetzt? Das ist alles rechtswidrig, bei mir stehen die Mitarbeiter schon auf den Füßen

könnte ich (1) den aufgeregten Mandanten sagen, sie sollten Ihren Mitarbeitern Focus-Apps verbieten oder wenigstens klar machen, dass man nicht während der Arbeitszeit lesen soll oder (2) meine heute gewonnen Einsichten teilen.

Es kommt nämlich ganz darauf an, wobei man noch Feinheiten ausloten kann, die wir heute beiseitelassen wollen.

Trinkgeld bekommt der/die Kellner/-in vom Gast. Was das ist, ist eigentlich klar. In jeden Gastronomiebetrieb wird damit anders umgegegangen. Denkbare Modelle:

  1. Der Bedachte darf das Geld behalten
  2. Der Bedachte muss alles oder einen Teil an die gemeinsame Kasse abliefern, aus der dann wieder herausverteilt wird
  3. Der Bedachte muss alles dem „Chef“ (in der Zeitung immer männlich) geben

Nichts davon ist vorgegeben. Denn nur die Frage

Was sagt das Gesetz?

Ist eindeutig: Nichts. § 107 GewO enthält immerhin das Wort „Trinkgeld“, ansonsten fällt dem Gesetz nur ein:

(3) Die Zahlung eines regelmäßigen Arbeitsentgelts kann nicht für die Fälle ausgeschlossen werden, in denen der Arbeitnehmer für seine Tätigkeit von Dritten ein Trinkgeld erhält. Trinkgeld ist ein Geldbetrag, den ein Dritter ohne rechtliche Verpflichtung dem Arbeitnehmer zusätzlich zu einer dem Arbeitgeber geschuldeten Leistung zahlt.

Soll heißen: Nur, weil die Trinkgelder vermeintlich üppig sind, darf man den Mitarbeiter nicht voll auf Trinkgeld setzen und auf den Festlohn verzichten.

In fast allen Fällen aber gibt es eine Vereinbarung zwischen den Parteien: Stillschweigend oder im (schriftlichen) Arbeitsvertrag etwa. Dabei ist das Dumme: Was man einmal vereinbart hat, daran ist man auch gebunden.

Die „Ausbeuterregel“ – alles zum „Chef“ – kann man als Exoten bezeichnen, ich jedenfalls habe sie noch nicht gesehen. Ob man so etwas wirksam vertraglich vereinbaren darf, mag kontrovers sein, aber jedenfalls ist das Problem meist (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9.12.2010 – 10 Sa 483/10), dass eine verabredete Regel geändert werden soll. So wird jahrelang vom Kellner kassiert und auf einmal soll alles in eine gemeinsame Kasse – zur Umverteilung – gehen. Diese Änderung wird meist aber scheitern. Denn damit wird ein Einkommensbestandteil beseitigt, was auf einseitige Anordnung grundsätzlich erst einmal nicht geht.

Es gibt aber einige gravierende Ausnahmen. In einigen Teilen des Landes, so in Baden-Württemberg, gibt es allgemeinverbindliche Tarifverträge für Hotels und Gaststätten, in den meisten Bundesländern immerhin Verbandstarife, die einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer erfassen. In vielen ist ein Systemwechsel vorgesehen. So kann in Ba-Wü die Belegschaft abstimmen und eine sog. Troncierung wählen – das ist das Umverteilsystem. Es hat einen gewissen Charme, denn so profitieren auch die Leute ohne unmittelbaren Gastkontakt von Trinkgeldeinnahmen; der Tarifvertrag gleicht das aus, weil er bestimmte Gruppen mit Gastkontakt wiederum am Umsatz beteiligt. Wer unter eine solche Regelung fällt, kann sich nicht wehren, wenn das System sich ändert.

Solche tariflichen Regeln im Arbeitsvertrag abzubilden, ist eher nicht ratsam. Letztlich laufen sie auf eine Widerrufsklausel hinaus, und die sind in Einzelverträgen fast undurchsetzbar geworden. Die Tarifvertragsparteien dürfen da mehr, weshalb man hier – das darf ja gesagt werden – auch mal überlegen kann, ob denn Tarifverträge sooo schlecht sind.

Bevor Sie jetzt also bei Ihrem Chef an die Tür wummern (oder für alle Chefs: bevor Sie sich die Tür eintreten lassen): Schauen Sie mal, was in Ihrem Vertrag steht und ob für Sie ein Tarifvertrag gilt. Dann gibt es vielleicht ein verschnupftes „Ach sooo..“, es wird aber viel Adrenalin gespart. Und nehmen Sie journalistische Wiedergaben von Expertenaussagen nicht immer super-wörtlich…Sie sind selten so gemeint…