Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
13.12.2013

„Dann achtet mal aufs Mutterschutzgesetz“ – und macht es teurer!

 

Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) selbst nimmt sich ernst genug, um sogar bei bestimmten Verstößen mit Straftaten und Bußgeldern zu drohen (§ 21 MuSchG – selten gelesen, meine ich, aber es lohnt sich…). Es geht schließlich auch um Leben und Gesundheit meist gleich zweier Personen.

 

Trotzdem werden Schwangere teilweise einem atemberaubenden Druck ausgesetzt. Freiberufler – Ärzte, Steuerberater und, tja, Anwälte – stellen da leider oft die Speerspitze der Kaltschnäuzigkeit (manche Sprechstundenhilfe weiß davon zu berichten).

 

In der gestern bekannt gewordenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Pressemitteilung 77/13 zum Urteil vom 12.12.2013 – 8 AZR 838/12) bleibt offen, was genau das für ein Unternehmen war. Jedenfalls ein schlechtes. Die folgende Passage – dem Urteil der Vorinstanz entnommen (Jus@Publicum bzw. Liz Collet hatte hier darüber berichtet) – lässt aber tief blicken. Oder auch einen eisigen Schauer am Rücken kitzeln:

 

Die am …1978 geborene, geschiedene und für zwei Kinder unterhaltspflichtige Klägerin ist seit dem 01.09.2010…als Vertriebsmitarbeiterin mit…30 Wochenstunden zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 750,00 € bei der Beklagten angestellt.

 

Gut, dass man im Vertrieb immerhin so ca. 6 EUR oder sogar mehr die Stunde bekommen kann.

 

Der gute Verdienst ist natürlich weg, wenn man noch einmal schwanger werden sollte. Diesen Schluss lassen die weiteren Ereignisse zu, vor allem das konziliante Verhalten der Arbeitgeberin. Das BAG schildert das im trockenen Ton seiner Pressemitteilung so:

 

Anfang Juli 2011 wurde…ein Beschäftigungsverbot…ausgesprochen. Dem Ansinnen der Beklagten, dieses Beschäftigungsverbot nicht zu beachten, widersetzte sich die Klägerin. Am 14. Juli 2011 wurde festgestellt, dass ihre Leibesfrucht abgestorben war…die Klägerin [wurde darauf] auf den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestellt. Sie unterrichtete die Beklagte von dieser Entwicklung noch am 14. Juli 2011 und fügte hinzu, dass sie nach der Genesung einem Beschäftigungsverbot nicht mehr unterliegen werde. Die Beklagte sprach umgehend eine fristgemäße Kündigung aus und warf diese noch am 14. Juli in den Briefkasten der Klägerin. Dort entnahm sie die Klägerin nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus am 16. Juli 2011.

 

Das kam juristisch zu einem – aus Arbeitgebersicht – „ungünstigen“ Zeitpunkt. Wenn nämlich während der Schwangerschaft gekündigt wird, ist die Kündigung unheilbar nichtig, weil ein absolutes Kündigungsverbot besteht. Als die Mutter mit dem schon toten Kind im Bauch in die Klinik ging, war sie da noch „schwanger“? Das BAG beantwortet das, aber man hätte ihm eine glücklichere Hand bei der Formulierung der schockierenden juristischen Feststellung wünschen mögen:

 

Da Mutter und totes Kind noch nicht getrennt waren, bestand noch die Schwangerschaft im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung.

 

Ich unterstelle, diese Formulierung sollte man als Anwalt von seiner Mandantin eine Weile noch fernhalten. Auch wenn sie das juristische Kernproblem beschreibt, was den Kündigungsschutz anbelangt.

 

Die Klägerin fühle sich durch all das als Frau diskriminiert und wollte eine Entschädigung nach dem AGG. Dazu trifft das BAG eine ganz einfache Feststellung: Wer das MuSchG dergestalt missachtet – etwa durch das Ansinnen, das Beschäftigungsverbot doch bitte einvernehmlich zu ignorieren – schafft das notwendige Indiz für eine Diskriminierung.

 

3.000 EUR.

 

Soviel gab es dann.

 

Und um es ehrlich zu sagen: Die Summe ist natürlich als Gesamtentschädigung viel zu gering.

 

Bevor man da aber allzu fordernd wird, ist zu bedenken: Das ist offenbar nur die nach § 15 Abs. 2 AGG entstandene Entschädigung – mithin das „Schmerzensgeld“ allein für die erlittene Diskriminierung. Bei der Höhe liegt es übrigens oft nahe, sich (auch) am Einkommen zu orientieren; denn für den Fall einer diskriminierenden Nicht-Einstellung sieht die Vorschrift eine Obergrenze von drei Monatsbezügen vor, wenn auch ohne Diskriminierung nicht eingestellt worden wäre. Deshalb schwingt bei der Bemessung oft das Einkommen irgendwie mit, obwohl das alles andere als selbstverständlich ist und letztlich im Gesetz keinen Anhaltspunkt hat: Der Schmerz ist ja nicht kleiner, weil man wenig verdient. Gemessen am Einkommen sind das immerhin vier Monatsgehälter, das klingt anständig.

 

Das Berufungsgericht hatte richtigerweise aber keine ausdrücklich Orientierung am Einkommen vorgenommen, sondern die „Abschreckungswirkung“ betont. Man kann sich allerdings fragen, wie „abschrecken“ 3.000 EUR wirklich auf jemanden wirken, der offenbar derart hartgesotten und seelisch grausam agiert. Da scheint das Einkommen eben gedanklich doch mitgespielt zu haben.

 

Doch scheint nach allem, was man liest, die Klägerin die Höhe des vom LAG festgesetzten Anspruchs nicht mit der Revision angegriffen zu haben. Die Beklagte schon, sie wollte gar nicht zahlen.

 

Die seelische Grausamkeit ist allerdings eigentlich auch Gegenstand eines separaten Anspruchs auf Schmerzensgeld nach den allgemeinen Gesetzen (§§ 280 und 823 BGB etwa, die freilich ein Verschulden voraussetzen).

 

§ 15 Abs. 5 AGG stellt ausdrücklich klar, dass solche Ansprüche durch eine AGG-Entschädigung unberührt bleiben. Nur sind sie hier nicht geltend gemacht worden – obwohl der Fall sich für so ein Experiment durchaus anbieten würde. Es ist durchaus offen, wie weit man (betragsmäßig) damit hätte kommen können. Aber für uns ist der Aspekt seelischer Grausamkeit, wenn man die Kündigung vorfindet, nachdem man gerade sein totes Kind mittels einer künstlich eingeleiteten Fehlgeburt zurückgelassen hat, mit 3.000 EUR bei weitem nicht angemessen berücksichtigt. Bei weitem nicht! Sie dürfen sich gerne vorstellen, wie in US-amerikanischen Fernsehshows da von den schneidigen Anwälten vor der Jury argumentiert würde. Nicht, dass wir das System toll finden. Aber hier würde es vielleicht einmal zu einer angemessenen Mahnung taugen. Wer sich so verhält, soll finanziell wenigstens bluten. Erheblich.

 

Ein anständiger Arbeitgeber macht so etwas übrigens nicht. Und es gibt viele sehr anständige Arbeitgeber. Man mag es kaum glauben, aber es ist wahr.

 

Eigentlich sollte der Weg solcher Fälle nicht nur ins Arbeitsgericht führen.

 

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