Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder

Kanzlei Blaufelder
71638, Ludwigsburg
24.04.2015

BSG rüttelt an Festpreisen für Hörgeräte – umfassender Behinderungsausgleich verpflichtend

Krankenkassen und Rentenversicherung dürfen Hörbehinderte nicht pauschal auf die Festpreise für Hörgeräte verweisen. Sie sind vielmehr zu einem umfassenden Behinderungsausgleich verpflichtet, wie das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am 16.04.2015 veröffentlichten Urteil vom 30.10.2014 entschied (AZ: B 5 R 8/14 R). Danach gilt bereits die Abgabe der ärztlichen Verordnung beim Hörgeräteakustiker als umfassender Leistungsantrag, den die Krankenkasse gegebenenfalls an die Rentenversicherung weiterleiten oder für diese mit prüfen muss.

Um nicht in die Mühlen des derzeitigen Zuständigkeitsstreits beider Kostenträger zu gelangen, können sich Patienten daher ausschließlich an die Krankenkasse wenden. Nach dem Kasseler Urteil ist diese für den generellen Behinderungsausgleich zuständig. Angesichts technischer Verbesserungen reiche die Versorgung mit einem Gerät „zur Verständigung im Einzelgespräch unter direkter Ansprache“ dabei nicht mehr aus. Gefordert sei vielmehr ein „möglichst vollständiger Behinderungsausgleich“, sprich ein Gerät, das auch die Verständigung in größeren Räumen und bei störenden Nebengeräuschen ermögliche.

Die Rentenversicherung sei zuständig, wenn sich aus der konkreten beruflichen Situation weitere Anforderungen ergeben. Mit dieser Aufteilung der Zuständigkeiten schloss sich der für die Rentenversicherung zuständige 5. BSG-Senat der Rechtsprechung des für die Krankenversicherung zuständigen 3. Senats an (Urteil vom 24.01.2013, AZ: B 3 KR 5/12 R).

Wie nun der 5. BSG-Senat weiter entschied, gilt bereits die Abgabe der ärztlichen Verordnung beim Hörgeräteakustiker als Leistungsantrag bei der Krankenkasse. Die Krankenkassen hätten das gesamte Verfahren „outgesourct“ und den Hörgeräteakustikern übertragen. Bei den Versicherten erwecke dies den „Rechtsschein einer Vollmacht“ und begründe „ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass es sich beim Hörgeräteakustiker insoweit um eine zur Antragsentgegennahme zuständige Stelle handelt“. Soweit erforderlich, müssten die Kassen den Antrag auch an die Rentenversicherung weiterleiten oder aber entsprechende Ansprüche selbst überprüfen.

Im Streitfall war die heute 60-jährige Klägerin in den Streit der Kostenträger geraten. Sie arbeitet bei einem Telekommunikationsunternehmen in der Stammdatenpflege. Dabei ist sie an der Lehrlingsausbildung beteiligt und muss an Teambesprechungen mit bis zu 30 Mitarbeitern teilnehmen. Mit ihrer ärztlichen Hörgeräteverordnung wandte sie sich an einen Hörgeräteakustiker. Wegen der beruflichen Gründe stellte sie zudem einen Kostenantrag bei der Rentenversicherung. Die lehnte den Antrag freilich ab: Die Krankenversicherung müsse für einen umfassenden Behinderungsausgleich sorgen und sei daher allein zuständig.

Weil die Frau auf ein hochwertiges Gerät angewiesen war, bezahlte sie dies zunächst weitgehend selbst. Von der Rechnung über 4.333,00 € zog der Hörgeräteakustiker lediglich den von den Krankenkassen üblich bezahlten Festbetrag von 972,00 € ab. Mit ihrer Klage verlangt die Frau die verbleibenden 3.361,00 € von der Rentenversicherung zurück. Nach dem Kasseler Urteil muss nun aber das Landessozialgericht (LSG) Mainz zunächst klären, ob die Rentenversicherung oder die Krankenversicherung vorrangig zuständig ist, weil sich die Patientin an beide Träger gewandt hatte.

Der Zuständigkeitsstreit zwischen Krankenkasse und Rentenversicherung war einerseits durch den technischen Fortschritt und andererseits als Folge eines Urteils des 3. BSG-Senats aus 2009 entstanden. Danach sind Festbeträge für Hörgeräte zwar zulässig, sie müssen dann aber so hoch sein, dass sie für einen wirklichen Behinderungsausgleich ausreichen (Urteil vom 17.12.2009, AZ: B 3 KR 20/08 R). In der Folge hatten mehrere Instanzgerichte Hörbehinderten Kassenleistungen über dem Festbetrag zugesprochen, weil dieser eine angemessene Hörgeräteversorgung nicht gewährleiste (so etwa Landessozialgericht (LSG) Stuttgart, Urteil vom 20.08.2013, AZ: 13 R 2607/10; LSG Darmstadt, Urteil vom 24.07.2014, AZ: L 8 KR 357/11).

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