Rechtsanwalt Dr. Thomas Bode

Stiftung Europa-Universität Viadrina
15230, Frankfurt Oder
11.11.2010

Weitere Hausaufgaben für die 5. Stunde

   
1. Lesen Sie zu den Handlungslehren: a) Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, S.217-232. Der Strafrechtliche Handlungsbegriff und die damit zusammenhängenden Fragen. b) Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 30-46., 11. Aufl. 1969. c) Gallas ZStW 67, 46ff. d) Schönke/Schröder/Lenkner, Vorbem §§ 13 ff. Rnd. 121, 26. Aufl. 2001. e) G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts , Erster Teil Das abstrakte Recht, C. Zwang und Verbrechen, §96 . f) Lesen Sie diesen Zeitungsartikel, ein bizarrer Schulfall zum Thema "Handlung" wird Realität: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,662003,00.html was hat das mit "Handlung" im strafrechtlichen Sinne zu tun? Hat der Schlafwandler gehandelt? Hat er sich strafbar gemacht? g) Lesen Sie zur Kausalität schon folgendes Urteil: (KZ-Fall) BGHSt 2, 20-25

2. Handlungslehren und Deliktsaufbau

A. Kausale Handlungslehre:

Strafrechtlich relevant ist danach jedes willensgetragene menschliche Verhalten, das zu einer Veränderung in der Außenwelt führt. Menschliche Handlungen sind schlichte Kausalvorgänge. Der soziale Sinngehalt des willentlichen Geschehens spielt keine Rolle. Das Unrecht wird durch den von der Handlung verursachten Erfolg begründet.  Konsequenz für den Aufbau des vollendeten vorsätzlichen Erfolgsdelikts: I. Tatbestand: Handlung, Erfolg, Kausalität II. Rechtswidrigkeit: Kein Eingreifen von RFG (Rechtfertigungsgründen) III. Schuld: Vorsatz und weitere Schuldvoraussetzungen

B. Finale Handlungslehre:

Nach dieser Lehre ist nur das zweckgerichtete menschliche Verhalten strafrechtlich relevant. Das besondere des menschlichen Handelns gegenüber Kausalvorgängen ist die Fähigkeit des Menschen, mögliche Folgen seiner Bewegungen vorauszusehen, sich Ziele zu setzen und danach zu streben. Das (Vorsatz-)Unrecht wird durch die bewusste Ausrichtung der Handlung auf die Herbeiführung des Erfolges begründet.
(1) Extreme Variante: Das Unrecht erschöpft sich hierin. Konsequenz für den Aufbau des vollendeten vorsätzlichen Erfolgsdelikts: I. Tatbestand: Handlung mit Deliktsvorsatz und evtl. weiteren subjektiven Merkmalen II. Rechtswidrigkeit: Kein Eingreifen von RFG III. Schuld IV. zurechenbare Verursachung des Erfolges als objektive Bedingung der Strafbarkeit
(2) Gemäßigte Variante, heute ganz herrschend und in der Fallbearbeitung ohne weiteres zu unterstellen: Ein Erfolg, der durch eine unrechtmäßige Handlung verursacht wird, ist seinerseits Unrechtsbestandteil. Konsequenz für den Aufbau des vollendeten vorsätzlichen Erfolgsdelikts:
I. Tatbestand: a) objektiv: Handlung, Erfolg, Kausalität, obj. Zur. b) subjektiv: Deliktsvorsatz und evtl. weitere subjektive Merkmale II. Rechtswidrigkeit: Kein Eingreifen von RFG III. Schuld

Die heute ganz herrschende gemäßigten Variante beachtet nicht, dass sie subjektive Willensmomente bereits auch nach der Definition dieser Lehre in die Handlung einbauen muss. Bei der vorsätzlichen Handlung braucht es einen bewussten Willensimpuls, bei der fahrlässigen Handlung mindestens einen unbewussten. Daher ist die Trennung objektiver Tatbestand / subjektiver Tatbestand nicht richtig. Auch eine Beschränkung auf „Neuronenaktivität“ etc. unter Außerachtlassung der geistigen Seite führt nicht weiter, da so eine künstliche Trennung zwischen Geist und Körper vorgenommen wird. Dies sind aber philosophische Fragen über Monismus und Dualismus, die hier nicht geklärt werden können. Fazit: Solange „Willensentscheidung“  konstituierendes Merkmal der Handlung ist, bleibt die Einteilung in objektiven und subjektiven Tatbestand falsch, dennoch ist der oben genannte Aufbau aus taktischen Gründen (Bekanntheit bei Korrekturassistenten) zu empfehlen.

Ein unproblematischer und richtiger Aufbau für Mutige (denn die Einteilung obj/subj Tatbestand fehlt) wäre auch: I. Tatbestand: a) Erfolg b) Handlung c) Kausalität, d) obj. Zur. e)  Deliktsvorsatz f) evtl. weitere subjektive Merkmale II. Rechtswidrigkeit: Kein Eingreifen von RFG III. Schuld Hier habe ich nur die grobe Richtung dargestellt.

Das Thema Handlungslehren wird überschätzt,Hintergrund ist, dass früher (vor einer großen Reform des AT in den 70ger Jahren) § 3 StGB die Handlung als Zentralbegriff des Verbrechens hinstellte. § 13 gab es nicht und mithin wurden auch Unterlassungen zu Handlungen vergewaltigt etc. Zentralbegriff ist heute die "Straftat" als Geschehen. Auch die Einordnung des Vorsatzes war früher offenener, da zB § 17 StGB in seiner heutigen Form  fehlte. Allerdings lugt die Handlung dann eine Ebene tiefer doch wieder hervor, denn das Begehen einer Straftat kann nur durch Handeln oder Unterlassen geschehen bzw. wie das Gesetz formuliert: begangen werden , vgl. § 8 StGB. Zudem spiegeln sich die alten Streitigkeiten  in verschiedenen Aufbauvarianten wieder.
Wer sich näher mit dem Zusammenhang Handlungslehren und Fallaufbau beschäftigen will, dem sei dringend die Lektüre der entsprechenden erstklassigen Fundstelle bei Gropp, AT , C. II Rnd. 57 ff, bzw. S. 109 ff. ans Herz gelegt. Das Buch steht nur 6 mal in der Bibliothek, aber kommt mir bitte nicht wieder, damit ihr hättet das nicht finden können.  Dort wird die Terminologie "Verbrechenslehre" verwendet, dies ist aus heutige Sciht zutreffend. In der Selsbtbezeichnung handelt es sich aber oft um Handlungslehren (Kausalehandlungslehre, Finale Handlungslehre, etc) bzw. sind diese die Grundpfeiler der jeweiligen Verbechensbegriffe. Neben der Aufbaufrage kommt den Handlungslehren nur in seltenen Fällen studienpraktische - also klausurrelevante - Bedeutung zu, zB beim "Erlaubnistatumstandirrtum". An der entsprechenden Stelle (später!) kommen wir auf die Handlungslehren zurück.

2. Falllöseaufgabe: Messer im Gesicht:
Messer im Gesicht (angelehnt an BGH NStZ 01, 29)
 
knife_face.jpg
A und B streiten sich im Haus der M. Unter anderem geht es um eine verheimlichte Schwangerschaft. A reißt B an den Haaren und schlägt sie. Dann sticht A mehrfach mit einem Messer auf B ein, bis das Messer im bereits völlig entstellten Gesicht der B stecken bleibt. A ruft ihren Freund C an, sie habe B umgebracht. C kommt um nach der Leiche zu sehen A wartet verstört auf der Straße. Als er alleine ins Haus geht, bemerkt er dass B noch röchelt. Er springt auf Bs Brustkorb und drückt schließlich mit einem Kissen auf ihren Kopf bis sie Tod ist. B wäre ohnehin an den Verletzungen der A gestorben.
Sind die Stiche der A kausal? Sind die Handlungen des C kausal für den Tod der B? Wo und wie prüfen Sie das im Fallaufbau?