Prof. Dr. Horst Ehmann

Juristische Fakultät der Universität Trier
54296, Trier
29.02.2012

§ 778 BGB und die Frage, ob Wulff gelogen hat

 
 1.  Kreditauftrag mit Rechtsbindungswillen?
Hat Ministerpräsident Wulff seinen Landtag belogen? Er bestreitet dies bekanntlich mit der Begründung, er habe den Kredit von Frau Geerkens erhalten und also keine "wirtschaftliche" Beziehung zu Herrn Geerkens gehabt. Die FAZ (vom 23.2.2012, S. 8) lässt diese Schutzbehauptung durch einen Rechtswissenschaftler aus Lüneburg widerlegen mit der Begründung, Egon Geerkens habe seiner Frau den Auftrag erteilt, Wulff den Kredit zu gewähren und hafte daher gemäß § 778 BGB seiner Frau als Bürge, habe als solcher einen (potentiellen) Regressanspruch aus § 774 BGB und stünde daher zu Wulff in rechtlichen, also auch in „wirtschaftlichen“ Beziehungen. Geerkens habe sich überlegt, wie das "Geschäft" mit Wulff abgewickelt werden könnte und sei aufgrund dessen Auftraggeber seiner Frau geworden.
 
Das ist jedenfalls keine schlüssige Begründung von rechtswissenschaftlicher Qualität. Denn gelogen hätte Wulff ja nur, wenn er um diese „wirtschaftliche Beziehung“ gewusst hätte. Es ist aber schon sehr unsicher, ob diese überhaupt bestand. Denn es ist immerhin auch denkbar - wird sogar behauptet, dass Egon Geerkens seiner Frau das Geld vorher gegeben hat, damit sie es Wulff als Darlehen geben kann; auch denkbar, dass er dies Wulff gar nicht gesagt hat, um diesen nicht bösgläubig zu machen. In diesem Fall wäre Egon Geerkens  zwar auch Auftraggeber seiner Frau, aber nur zur Auszahlung des Darlehens, nicht zu einer Kreditvergabe aus eigenem Vermögen und also nicht Kreditauftraggeber und auch nicht Bürge. Denkbar ist auch, dass Frau Geerkens ihren Mann beauftragt hat, darüber nachzudenken, wie man Wulff helfen kann und dieser nach reiflicher Überlegung gesagt hat, gib du ihm das Geld, aber bitte über einen diskreten Scheck der Bundesbank (aus dem also der Kreditgeber nicht zu erkennen ist), damit nicht jeder Banklehrling sieht, woher er das Geld hat und womöglich denkt, er erhalte damit von uns einen "Vorteil" für eine Gegenleistung aus seinem Amte. Geerkens kann also seine Frau beauftragt haben, den Kredit aus ihrem eigenem oder aus seinem (des Auftraggebers) Vermögen zu geben; die  können im Innenverhältnis das Kreditrisiko auch geteilt haben. Im Zusammenhang der Diskussion des Falles ist auch unsubstantiiert die Möglichkeit angedeutet worden, dass der Kredit von einem anderen gewährt worden ist und Geerkens als Kreditgeber nur vorgeschoben worden sei. Schließlich kann  der Kredit auch, wie in der FAZ beschrieben, im Auftrag von Herrn Geerkens auch von Frau Geerkens aus ihrem eigenen Vermögen gegeben worden sein, Herr Geerkens als Auftraggeber aber gemäß §§ 778, 774 BGB als Bürge für die Schuld von Wulff haftbar gewesen sein, freilich aber nur, soweit die Eheleute die Geerkens nichts anderes vereinbart haben. Was dann gilt, bedarf aber einer näheren Betrachtung von § 778 BGB.
 
Ohne  die Regelung des § 778 BGB würde ein Auftraggeber im Falle eines solchen Auftrags nach § 670 die Aufwendungen zu ersetzen haben, die der Beauftragte zur Erfüllung des Auftrages machen musste, Geerkens hätte also seiner Frau die Kreditsumme zur Verfügung stellen müssen. Was also ist die ratio legis des § 778 BGB? Die Antwort findet sich bei Windscheid (Lehrbuch der Pandekten II, § 412 Note 18): die Regelung entstammt dem römischen Recht und war erforderlich, weil ansonsten der Auftraggeber die Haftung für das Darlehen ohne die Form einer Stipulation nicht hätte übernehmen können. Diese Voraussetzung war schon vor dem BGB entfallen und ist auch durch das BGB nicht wieder erforderlich geworden. Allerdings bedarf die Bürgschaft der Schriftform des § 766, nicht aber ein Garantievertrag, für welchen das BGB zwar keinen Vertragstypus geschaffen, der aber auf der Grundlage der allgemeinen Vertragsfreiheit des § 311 ebenso formfrei möglich ist wie eine Schuldmitübernahme. Hätte Frau Geerkens auf den Auftrag des Mannes also erwidert: Haftest du mir, wenn er zahlungsunfähig wird?, so wäre im Falle der Zustimmung zwar mangels Schriftform keine Bürgschaft, aber ein Garantievertrag zu Stande gekommen. Nach § 778 BGB soll jedoch eine Bürgenhaftung schon dann eintreten, wenn der Auftrag zur Kreditzahlung angenommen und der Kredit ausgezahlt wird, obwohl der Auftrag im Unterschied zu anderen unentgeltlichen Geschäften weder einer Form (§ 518 BGB) noch eines realen Momentes (§§ 598, 607 a.F. BGB) bedarf, vielmehr formfrei abgeschlossen werden kann. Das Reichsgericht (RGZ 50,160) hat daher erwogen, ob für einen solchen Kreditauftrag die Formvorschrift für die Bürgschaft (§ 766 BGB) entsprechende Anwendung findet, die Frage aber verneint mit der Begründung, dass die Bürgenhaftung gem. § 778 BGB nicht schon mit der Annahme des Auftrags, sondern erst mit Auszahlung des Darlehens einträte und der Beauftragte  vor der Auszahlung des Darlehens den Auftrag nach § 671 I BGB jederzeit kündigen könne.
 
Wie bei jedem formfreien unentgeltlichen Geschäft stellt sich also vor allem beim Kreditauftrag die Frage, unter welchen Voraussetzungen die „Bitte“ eines anderen und deren Annahme als Rechtsgeschäft verstanden werden darf, also die „Bitte“ einem Dritten einen bestimmten Kredit zu gewähren, als rechtlich verbindlicher Kreditauftrag zu begreifen ist, dessen Annahme statt des Aufwendungsersatzanspruchs aus § 670 (oder zusätzlich? vgl. BGHZ 270, 274: kein Anspruch auf Vorschuss gemäß § 669),  eine Bürgenhaftung entsprechend §§ 765 ff. begründen soll. Die Rechtsprechung fordert dazu und als Abgrenzung zu bloßen Gefälligkeitsverhältnissen allgemein einen "Rechtsbindungswillen", den sie grundsätzlich nur als gegeben annehmen will, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung der Tätigkeit den Beteiligten erkennbar ist. Wer wird auf Bitte eines anderen einem Dritten einen Kredit über 500.000 € ausbezahlen, ohne zurückzufragen, warum der Auftraggeber den Kredit nicht aus seinem eigenen Vermögen gewährt, warum er den Kredit gewähren soll und ob der Auftraggeber für die Rückzahlung die Garantie übernehme usw. Was darüber gesprochen und vereinbart wird, entscheidet darüber, ob ein Rechtsgeschäft zu Stande gekommen ist und mit welchem Inhalt. Nach bewährter juristischer Methode wird man also zuerst die für den Abschluss eines Kreditauftrags und seines Inhalts erforderlichen Tatsachen ermitteln müssen, bevor man entscheiden kann, welche Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten bestehen. Zu diesen Rechtstatsachen gehört vor allem die Frage, aus welchem Vermögen der Kredit letztlich gewährt worden ist und was zwischen Herrn und Frau Geerkens diesbezüglich vereinbart worden ist; nicht zuletzt freilich auch, inwieweit deren Aussagen glaubwürdig sind.
 
2. Falschaussage?
Falsch ist eine Aussage nach den §§ 153, 154 StGB auch dann, wenn sie unvollständig ist, zumindest dann, wenn der Zeuge ausdrücklich oder konkludent miterklärt, mit seiner Aussage alles geäußert zu haben, was er vom Beweisgegenstand wahrgenommen hat; deswegen muss ein Zeuge gemäß § 57 StPO auch über die Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage belehrt werden. Wieweit die Pflicht zur Vollständigkeit im Einzelfall geht, kann nur auf der Grundlage der gestellten Frage und ihrer Bedeutung beantwortet werden.
Im Allgemeinen hat ein Zeuge auch ungefragt solche Tatsachen anzugeben, die erkennbar mit der Beweisfrage in untrennbaren Zusammenhang stehen und entscheidungserheblich sind. Ausnahmsweise hat man lediglich in den alten Vaterschaftsprozessen die Kindsmütter nicht für verpflichtet gehalten, auf die Frage, ob sie mit diesem oder jenem in der fraglichen Zeit Verkehr gehabt hätten, auch solche Männer anzugeben, nach denen sie nicht gefragt worden sind. Diese Ausnahme kann für Parlamentarische Anfragen nicht gelten. Wenn daher ein Minister in Verdacht steht, von einer Person unberechtigt Vorteile angenommen zu haben, und er hat zwar nicht von dieser Person, aber von deren Ehegatten Leistungen entgegengenommen, so sagt er die Unwahrheit, wenn er nur sagt, dass er von der genannten Person keine Vorteile entgegengenommen hat und verschweigt, dass er Leistungen von deren Ehegatten erhalten hat.
 
3. Politischer oder persönlicher Rücktrittsgrund?
Gelogen oder nicht gelogen, der Fall Wulff ist jedenfalls erledigt: gewogen und zu leicht befunden. Interessant allenfalls noch die Frage, ob er aus politischen oder persönlichen Gründen zurückgetreten ist und deshalb bis an sein Lebensende einen für einen ehrenhaften deutschen Bundespräsidenten angemessenen „Ehrensold“ erhalten kann. Auch dies ist eine juristische Frage, die nach der causa proxima-Lehre (Theorie der wesentlichen Bedingung) zu entscheiden ist. Diese Lehre kommt in allen Fällen zur Anwendung, in denen verschiedene Ursachen zusammengewirkt haben, ein Ersatzanspruch aber nur gegeben ist, wenn eine dieser Ursachen, die wesentliche Bedingung (causa proxima) darstellt. Wird ein Arbeitnehmer infolge eines Rückenleidens arbeitsunfähig, so kann dies auf einer Sportverletzung oder auf seiner beruflichen Tätigkeit oder seiner anlagebedingten Konstitutionen beruhen. Eine Rente vom Sozialversicherungsträger erhält er nur, wenn die berufliche Tätigkeit dem Schadensereignis das Gepräge gibt, es letztlich herbeigeführt, im wesentlichen bestimmt hat. Im Fall RGZ 169, 1 musste der Dampfer Maria Blanca, der in unterschiedlicher Höhe gegen See- und Kriegsgefahr versichert war, einem feindlichen Flottenverband ausweichen und durch von Treibeis gefährdetes Gebiet schiffen; er lief gegen einen Eisberg und sank. Das Reichsgericht hat als causa proxima Seegefahr, nicht Kriegsgefahr angenommen, weil der Kapitän durch geeignete nautische Maßnahmen der Eisgefahr hätte ausweichen können und dieses nautische Fehlverhalten "dem Geschehensablauf erst die entscheidende, den Unfall unvermeidlich machende Richtung gegeben hat". Es kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, das nur die persönliche Lebensführung von Wulff und sein mangelndes Unterscheidungsvermögen hinsichtlich solcher Freunde, bei denen auch der Träger eines hohen politischen Amtes unentgeltlich Urlaub machen darf und solchen, bei denen er es im Zweifel nicht tun sollte, dem zum Rücktritt führenden Geschehensablauf die entscheidende, den Rücktritt unvermeidlich machende Richtung gegeben hat.