Rechtsanwalt Mathias Klose

93049, Regensburg
Rechtsgebiete
Strafrecht Sozialrecht Arbeitsrecht
30.08.2016

Neufassung von § 39 SGB II erschwert den Rechtsschutz für SGB II-Empfänger

Im Bereich des Sozialrechts haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. D.h. wird die zunächst erfolgte Bewilligung einer Sozialleistung durch die Behörde später wieder aufgehoben, zurückgenommen oder entzogen, ändert sich an der Rechtslage nichts, wenn der Betroffene dagegen Widerspruch oder Klage zum Sozialgericht erhebt. Die Behörde bleibt durch die eintretende aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über Widerspruch bzw. Klage an die Bewilligung gebunden und muss die zugesprochenen Leistungen gewähren.

Ausnahmen von diesem Grundsatz galten schon bislang im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende ("Hartz IV"). Nach § 39 Nr. 1 SGB II hatten Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt keine aufschiebende Wirkung.

Nicht erfasst von § 39 SGB II war die Leistungsentziehung nach § 66 SGB I wegen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht. Widerspruch und Klage gegen einen Entziehungsbescheid nach § 66 SGB I hatten aufschiebende Wirkung. Das Jobcenter musste also die bewilligten SGB II-Leistungen trotz Entziehung weiterzahlen, wenn Widerspruch eingelegt bzw. Klage erhoben wurde. Der Rechtsschutz gegen Leistungsentziehung wegen fehlender Mitwirkung war also einfach und eingleisig. Auf diese Weise war auch gewährleistet, dass die - existenznotwendigen - Grundsicherungsleistungen den Bedürftigen weiterhin erreichten. Die sofortige, zusätzliche Anrufung des Sozialgerichts im Wege des Eilrechtsschutzes war nicht erforderlich.

Zum 01.08.2016 hat sich die Rechtslage für Hartz IV-Empfänger aber deutlich verschlechtert.§ 39 Nr. 1 SGB II wurde neu gefasst und der Anwendungsbereich auch auf Leistungsentziehung (§ 66 SGB I) erweitert:


"Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt".

Um sicherzustellen, die bewilligten Leistungen zu erhalten, reichen nun Klage bzw. Widerspruch nicht mehr aus. Vielmehr muss ggf. zusätzlich ein Antrag im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beim zuständigen Sozialgericht gestellt werden.

Für die betroffenen Leistungsempfänger wird auf diese Weise der Rechtsschutz nicht gerade einfacher.