Harold Treysse

Privat
13407, Berlin
08.04.2016

Überlegungen zur Zeiterfassung in der Anwaltskanzlei

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Vielfach wird mir im Rahmen von Beratungsgesprächen die Frage gestellt, ob das zurzeit installierte Anwaltsprogramm oder das Anwaltsprogramm des Anbieters „ABC“ das richtige Tool für die Kanzlei wäre.
Auch in den verschiedensten Foren und Social Media ist immer wieder die Frage aus dem anwaltlichen Bereich zu lesen „welches Programm habt ihr und ist es gut?“.
Oft erfolgt dann großes Erstaunen, wenn ich im Rahmen der Beratung darauf hinweisen muss, dass diese Frage so ohne weiteres nicht beantwortet werden kann, ein Anwaltsprogramm sich den Anforderungen der Kanzlei anpassen muss, die Anforderungen von Kanzlei zu Kanzlei erheblich differieren können und diese vorab vernünftig erfasst bzw. geplant werden müssen.

Lassen Sie mich dieses an einem Beispiel zur Zeiterfassung kurz darlegen.
Während in der einen oder anderen Kanzlei Zeiterfassung nur sporadisch vorgenommen wird, hat eine andere Kanzlei wieder die Anforderung, jede Tätigkeit in einem Mandat zu erfassen.
Letzteres hauptsächlich aus dem Grund, dass die Kanzlei Nachkalkulationen über jedes bearbeitete Mandat durchführt um feststellen zu können, ob dieses Mandat kostendeckend oder gar mit Gewinn bearbeitet werden konnte.
Für die Kanzlei, die lediglich sporadisch Zeiterfassung durchführt und dieses sich überwiegend auf Eingabe der einzelnen Zeiten beschränkt, mögen die nachfolgenden Ausführungen nicht einleuchtend sein.
Aber versuchen wir es einmal.

Eine Zeiterfassung kann nur funktionieren, wenn eindeutig geregelt ist

  • Wer Zeiten zu erfassen hat
  • Welche Zeiten zu erfassen sind
  • Für den Zeiten in einem Mandat erfasst werden dürfen
  • Durch wen Zeiten in einem Mandat erfasst werden dürfen
  • Welche Arten von Zeiten erfasst werden dürfen
  • Wie die Tätigkeiten der erfassten Zeiten zu bezeichnen sind

Wer Zeiten zu erfassen hat

Stellen Sie diese Frage einmal in einer Kanzlei, die sich bisher nicht mit Zeiterfassung befasst hat. Sie werden sehen, welcher Diskussionsumfang zu berücksichtigen ist.
Muss

  • Jeder Anwalt
  • Auch jede Sekretärin
  • Jeder juristische Mitarbeiter
  • Hilfskräfte

die aufgewendete Zeit erfassen?
Vielfach wird der Einwand erhoben,

  • Stunden der Sekretärinnen und juristischen Mitarbeiter sowie Hilfskräfte seien bereits im Stundensatz des Anwalts enthalten,
  • man decke seine Kostenstruktur noch außen auf,
  • die Mandanten hätten kein Verständnis dafür, wenn nunmehr auch Sekretariatsstunden berechnet werden.

Sie glauben nicht, welche Einwände gerade zu dieser Frage erhoben werden.
Es muss natürlich jeder Kanzlei selbst überlassen bleiben, die Entscheidung hierüber zu treffen. Auf der anderen Seite findet auch unter den Kanzleien ein erheblicher Konkurrenzkampf statt. Die Mandanten schauen zwischenzeitlich auf die „aufgerufenen“ Stundensätze der Partner und angestellten Anwälte. Was liegt also näher, als mit einem geringeren „Anwaltsstundensatz„ in die Verhandlungen zu gehen, dafür aber zusätzliche Zeiten, wie Sekretariatszeiten etc. zur Berechnung anzubieten.
Kaufmännisch geführte Unternehmen haben hierfür Verständnis und nehmen solche Angebote teilweise schon gerne an. Es ist leichter festzustellen, ob die Sekretariatszeit für das Schreiben eines Schriftsatzes überzogen berechnet wird oder aber die Zeit eines Anwaltes für die Ausarbeitung des Schriftsatzes.

Welche Zeiten zu erfassen sind

Auch diese Frage will natürlich gut überlegt sein.
Die Erfassung der Zeiten ist „kanzleiintern“ und hat nichts damit zu tun, welche Zeiten tatsächlich abgerechnet werden.
Vielfach werden zum Beispiel Zeiten von juristischen Mitarbeitern, wie Referendaren dem Mandanten gegenüber nicht oder nur teilweise abgerechnet weil darin sogenannte „Lernzeiten“ enthalten sind. Dennoch sollten diese Zeiten in voller Höhe zum Mandat erfasst werden, da dieses der Nachkalkulation dient.
Auch die Verwaltungszeiten sollten genau erfasst werden.
Es geht nicht darum festzustellen, ob sich der eine oder andere Partner oder Anwalt auf Verwaltungszeiten „ausruht„ was es ja auch schon gegeben haben soll, sondern darum festzustellen, ob es nicht effizienter ist, diese Verwaltungstätigkeiten durch nichtjuristische, dafür aber spezialisierte Mitarbeiter durchführen zu lassen. Ich denke hierbei insbesondere an die sogenannten „Office Partner“, die eine Vielzahl von Stunden in eine Verwaltungstätigkeiten stecken, die von einem gut ausgebildeten Office Manager eigenverantwortlich preiswerter ausgeübt werden könnten.

Für wen Zeiten in einem Mandat erfasst werden dürfen

Auch diese Frage bedarf einer vorherigen Klärung. Soll für jeden Anwalt und Mitarbeiter in einem Mandat aufgewendete Zeit  erfasst werden können, oder aber nur für die Mitarbeiter, die dem Mandat zugeordnet sind? Letzteres hat Vor- und Nachteile.
Der Nachteil ist der verwaltungstechnische Aufwand, d.h. das Freischalten des entsprechenden Mitarbeiters für die Zeiterfassung in diesem Mandat. Vorteil ist unter anderem, dass für einen Mitarbeiter, der an dem Mandat nicht tätig ist, auch keine Zeiten erfasst werden können.

Durch wen Zeiten in einem Mandat erfasst werden dürfen

Dieses hat nichts mit dem vorherigen Fall zu tun. Hier geht es darum, welcher Mitarbeiter für wen die Zeiterfassung vornehmen darf.
Vielfach ist es so, dass Anwälte aus Zeitgründen die aufgewendete Zeit im Mandat auf einen Zeiterfassungsbogen schreiben und diesen der Sekretärin zur Verfügung stellen, damit diese die Zeit des Anwalts in die Zeiterfassung übernehmen kann. Wenn dieses gewünscht ist, müssen auch entsprechende Rechte, so die Zeiterfassung überhaupt Rechte verwalten kann, erteilt werden.

Welche Arten von Zeiten erfasst werden dürfen

Hiermit ist gemeint, ob abweichend von den „Normalzeiten“ „Industriezeiten“ genutzt werden sollen.
Weiterhin, welche Mindestzeiten (Zeitblöcke) eingegeben werden müssen. Letzteres ist wiederum abhängig von der Vereinbarung mit dem Mandanten.
Nehmen wir einmal an, ihr Mandant ist Unternehmer, der ebenfalls Zeiterfassung vornimmt und Sie führen mit diesem ein Telefonat, welches 5 Minuten dauert. Sie können davon ausgehen, dass der Mandant diese 5 Minuten auch als 5 Minuten erfasst hat. Es wäre peinlich wenn sie eine hiervon abweichende Zeit für diese Tätigkeit später berechnen würden. Es ist daher sinnvoll, grundsätzlich eine Vereinbarung mit dem Mandanten darüber zu treffen, welche Mindestzeit (Zeitblock) in Ansatz gebracht wird.

Wie die Tätigkeiten der erfassten Zeit zu bezeichnen sind

Auch hierzu sollte in der Kanzlei eine einheitliche Lösung gefunden werden. Sicherlich ist es schön, wenn nur Stichpunkte festgehalten werden können. Dieses geht dann schnell und recht unkompliziert. Ob es allerdings dem Mandanten ausreicht, müssen sie prüfen. Mandanten verlangen zwischenzeitlich Drill downs der Zeiterfassungsreporte.
Eine gute Zeiterfassung gibt Ihnen die Möglichkeit umfangreiche Tätigkeitsangaben zu machen und sie ist insoweit auch lernfähig, d.h. dass ihnen diese Eingaben auch zukünftig zur Auswahl zur Verfügung stehen.

Das zum Beispiel sind Fragen, die sie sich und (soweit vorhanden) ihren Partnern stellen müssen, bevor Sie umfassende Zeiterfassung einführen.
Für die auszuwählenden Software halten wir damit folgende Vorgaben fest.
Sie muss die Möglichkeit bieten:

  • Umfassende Rechtevergabe, so das abgebildet werden kann,
    • dass für alle Mitarbeiter einer Kanzlei oder nur bestimmte Mitarbeiter Zeiten auf alle oder nur ihnen zugewiesene Mandate erfasst werden können,
    • dass durch alle Mitarbeiter oder nur bestimmte Mitarbeiter einer Kanzlei Zeiten für alle oder nur bestimmte Personen in allen oder nur betimmten Mandaten erfasst werden können
    • dass auch Verwaltungszeiten eingegeben werden können, ohne dass für die Verwaltungszeiten gesonderter Akten angelegt werden müssen
    • dass zwischen Normaleit und Industriezeit umgeschaltet werden kann.
    • dass Krankheits- u. Urlaubszeiten eingegeben werden können.

Letztendlich sollte die Zeiterfassung auch Mahnungen ausgeben, wenn durch einen Mitarbeiter, der Zeiten zu erfassen hat, Zeiten nicht eingegeben wurden. Auf diese Weise kann vermieden werden, dass Zeiten „untergehen „.

Welche Möglichkeit der Erfassung der Zeit durch die Mitarbeiter genutzt wird, hängt vielfach auch davon ab, welche Möglichkeiten die Software bietet. Zumindest sollte die Software die Möglichkeit bieten

  • Anfangszeit und Endzeit
  • Gesamtzeit

einzugeben.
Bei Eingabe von Anfangszeit und Endzeit sollte die Software die aufgewendete Zeit selbst berechnen.
Ob eine sogenannte „Stoppuhr“ ein Auswahlkriterium für eine Zeiterfassung sein sollte, muss jede Kanzlei für sich selbst entscheiden.

Aber damit sind die Fragen für die Zeiterfassung nach wie vor nicht voll geklärt. Als nächster Punkt sollte geklärt werden, welche zeitgebundenen Honorare eine Zeiterfassung in der Lage sein muss zu bearbeiten.

Wünschenswert wären m. E. drei Stundensätze.

1. Mandantenbezogener Stundensatz
Es sollte die Möglichkeit bestehen, zu jedem Mandanten einen Stundensatz anzugeben, der nur von dem mandatsbezogenen Stundensatz überschrieben werden kann, so dass erst einmal alle Mandate dieses jeweiligen Mandanten mit dem Mandantenstundensatz versehen werden.

2. Mandatsbezogener Stundensatz
Unabhängig vom mandantenbezogenen Stundensatz sollte ein Mandatsstundensatz, der ja von einem allgemeinen Stundensatz des Mandanten abweichen kann, im Mandat eingegeben werden können, der dann den mandantenbezogenen Stundensatz überschreibt.

3. Allgemeiner Stundensatz
In allen Mandaten ohne Stundensätze nach 1 und 2 sollte der Kostenstundensatz des jeweiligen Sachbearbeiters automatisch zugeordnet werden (u.a. zum Zwecke der Nachkalkulation)

Vielleicht fallen Ihnen hierzu weitere Anforderungen ein.

Umbuchungsmöglichkeit

Wie bereits oben dargelegt, können sich die zu einem Mandat erfassten und in einem Mandat berechneten Zeiten erheblich unterscheiden. Sei es, dass sogenannte „Lernzeiten“ dem Mandanten gegenüber nicht berechnet werden sollen oder aber, dass für eine Tätigkeit einfach ein zu hoher Zeitaufwand erfasst wurde.
Sinnvoll wäre es, solche nicht zu berechnenden Zeiten aus dem Mandat in ein Konto eines jeden Mitarbeiters, der der Zeiterfassung beteiligt ist, umzubuchen, um Aufschluss darüber zu erhalten, welche Zeiten nicht abgerechnet wurden.
Auf die Frage der Utilization hat dieses keinen Einfluss, da zur Berechnung ja nur die abgerechneten Stunden des Mitarbeiters seinen Jahresstunden gegenübergestellt werden. Ausgebuchte Stunden sind bezogen auf den Mitarbeiter unproduktive Stunden, die bei der Frage seiner Auslastung nicht berücksichtigt werden sollten.

Das die Zeiterfassung ein umfassendes Reporting mit frei erstellbaren Filtern bieten sollte, muss nicht gesondert erwähnt werden.

Sie sehen also, bereits bei dem kleinen Teilbereich „Zeiterfassung“ trennt sich für Sie bezogen auf die angebotene Software vielleicht schon der „Spreu vom Weizen“.