Rechtsanwalt Dr. Hannes Hartung

THEMIS Hartung & Partner
80333, München
Rechtsgebiete
Erbrecht Urheberrecht und Medienrecht Steuerrecht
13.09.2018

Analyse in der WELT: Die letzte Chance für den Welfenschatz

Der Welfenschatz ist ein weltberühmtes Zeugnis sakraler Goldschmiedearbeiten aus dem Braunschweiger Dom. Sein aktueller Wert liegt im hohen dreistelligen Millionenbereich. Am 20. März 2014 entschied sich die Limbach Kommission gegen eine Rückgabe, dies mit folgender Einschätzung:

Obwohl die Kommission sich des schweren Schicksals der Kunsthändler und ihrer Verfolgung in der NS-Zeit bewusst ist, liegen keine Indizien vor, die darauf hindeuten, dass die Kunsthändler und ihre Geschäftspartner in dem von der Beratenden Kommission zu beurteilenden speziellen Fall in den Verhandlungen – etwa von Göring – unter Druck gesetzt worden sind; zudem hatte man es auch 1934/1935 mit den 4 Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise zu tun. Schließlich einigten sich beide Seiten auf einen Kaufpreis, der zwar unter dem Einkaufspreis von 1929 lag, aber der Lage auf dem Kunstmarkt nach der Weltwirtschaftskrise entsprach. Die Kunsthändler verwendeten den Erlös zu einem wesentlichen Teil für die Rückzahlung der finanziellen Beiträge ihrer in- und ausländischen Geschäftspartner. Im Übrigen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kunsthändler und ihre Geschäftspartner über den Erlös nicht frei verfügen konnten.

Die Erben der jüdischen Kunsthändler ließen das nicht auf sich sitzen und klagten in New York. Die Stiftung preußischer Kulturbesitz hat die internationale Zuständigkeit der New Yorker Gerichte über zwei Instanzen abgelehnt. Dem hat der US Court of Appeals am 10. Juli 2018 eine sehr deutliche Absage erteilt. In seiner ausführlichen Begründung macht das Gericht deutlich, dass es von der für eine Zuständigkeit amerikanische Gerichte notwendige violation of international law, sprich der Verletzung des Völkerrechts, ausgeht. Begründet wird dies mit dem Genozid. Der Genozid ist der Terminus für eine planmäßige Zerstörung einer ethnischen Gruppe. Wenn eine Wegnahme im Zusammenhang mit dem Genozid Erfolge, liege eine Verletzung des Völkerrechts vor, auch wenn der Staat gegen seine eigenen Menschen vorgehe.

Prinzipiell unterlag fast jeder Kunstraub der Nationalsozialisten an jüdischen Opfern dem Ziel des Genozides. Der US Kongress sieht in dem aktuellen HEAR Act den NS-Kunstraub als Bestandteil des NS-Genozids an Juden und anderen verfolgten Gruppen an. Der Genozid beschreibt auch zunächst nur den inneren Vorsatz, also die Absicht und Gesinnung, eine vollständige physische und kulturelle Zerstörung der Verfolgten zu erreichen.

Auf dieser Grundlage könnte von nun an jedes amerikanische Gericht über jeden innerdeutschen Raubkunstfall entscheiden, wenn die zweite Voraussetzung kommerzieller Aktivitäten des deutschen Beklagten in den USA gegeben ist. Die Kläger kommen dann je nach Wahl des Gerichtsortes in den USA in ein wesentlich restitutionsfreundlicheres Forum als in Deutschland, wo jede Klage ohne Ausnahme an der Verjährung scheitert.

Die in den USA verbreitete Act of State Doctrine wird hier nicht greifen. Diese entzieht Rechtsakte fremder Staaten der Kontrolle amerikanischer Gerichte. Auf dieser Grundlage hat in Kalifornien das US Court of Appeals die Rückgabeklage von Marei von Saher gegen das Norton Simon Museum of Art in Pasadena am 30. Juli 2018 zurückgewiesen. In diesem Fall hatte die niederländische Regierung die Gemälde Adam und Eva von Lucas Cranach dem Älteren aus der Sammlung von Jacques Goudstikker (also NS-Raubkunst) an Georg Stroganoff verkauft. Dieser hoheitliche Akt eines fremden Staates sei der Rechtsprechung von US Gerichten entzogen. Das gilt freilich nicht für einen Ankauf durch unter Druck durch den NS-Machthaber selbst.   * Ende

Der Welfenschatz ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, dass die Bundesregierung aus den Erfahrungen des Schwabinger Kunstfundes überhaupt nichts gelernt und auch keine angemessenen rechtlichen Konsequenzen gezogen hat. So blieb den Klägern gar nichts anderes übrig, ihren Fall im Ausland einzuklagen. Was besonders befremdet ist, wie hier mit unterschiedlichem Maß gemessen wird.

Während über Cornelius Gurlitt eine zerstörerische Kampagne mit schweren moralischen Vorwürfen und Vorhaltungen gezogen wurde, schweigt man sich beim Welfenschatz vollständig über die moralische Verantwortung aus und zieht sich auf den formalen Standpunkt zurück, dass dieser Fall nicht in den USA entschieden werden dürfe.

Die Verantwortlichen scheinen den Ernst der Lage noch immer nicht begriffen zu haben.

Gerade dieser Fall kann in den USA absolut gegensätzlich zu der Empfehlung der deutschen beratenden Kommission bewertet und entschieden werden. Die unstreitigen Fakten zum Kauf -immerhin unter Beteiligung Hermann Goerings-.  können nämlich auch ganz anders von amerikanischen Richtern beurteilt werden. Dann nämlich könnte ein Zwangsverkauf des Welfenschatzes von den jüdischen Kunsthändlern an den NS-Staat angenommen werden, was dann zu einer Verurteilung der Stiftung preußischer Kulturbesitz auf die vollständige entschädigungslose Herausgabe  führen kann. Ein solches Urteil kann dann auch in Deutschland vollstreckt werden.

Nach der Zulassung der Klage in den USA ist es jetzt 5 vor 12. Bereits die Republik Österreich hat die Klage von Maria Altmann für die Frau in Gold von Gustav Klimt in den USA nicht wirklich ernst genommen. Man hielt es für undenkbar, dass der Supreme Court eine Zuständigkeit amerikanischer Gerichte befürworten würde. Aber genau das entschied dann das höchste amerikanische Gericht.  Am Ende stand die Herausgabe nach einem Schiedsurteil in Österreich und ein Auktionsrekord über 125 Millionen $.

Deutschland hat jetzt die Chance zu zeigen, dass es ihnen mit fairen und gerechten Lösungen auch in ihren öffentlichen Sammlungen wirklich ernst ist. Gegen die Privatsammlung von Cornelius Gurlitt war sie mit aller Härte vorgegangen und hat den alten Mann an den Pranger gestellt. Er musste als Sündenbock für alle gesetzgeberischen Versäumnisse in Deutschland im Umgang mit Raubkunst herhalten. Man verlangte von ihm die bedingungslose Restitution jedweden Gegenstandes, der unter Raubkunstverdacht steht. Diese Logik würde für die SPK die vollständige Restitution des Welfenschatzes bedeuten.

Möglich wäre aber in der Causa Welfenschatz sicher noch ein Vergleich, nach welchem noch ein Großteil des Welfenschatzes in Deutschland verbleiben kann und nur einzelne Stücke zurückgegeben werden. Da dieser Fall alles andere als klar ist und die vollständige Wahrheit pro und contra Zwangsverkauf heute nicht mehr ermittelbar sein wird, liegt ein solcher Ansatz nahe.

Bereits die Achtung vor dem Verfolgungsschicksal der jüdischen Kunsthändler und ihrer Familien sowie die typischen Elemente eines Zwangskaufes legen es nahe, endlich Verantwortung zu tragen und sich nach Jahren endlich um eine faire und gerechte Lösung zu bemühen.

Nur so kann der fatale Eindruck beseitigt werden, dass die öffentliche Hand von privaten Sammlungen Zugeständnisse einfordert, welche sie in eigener Sache überhaupt nicht abzugeben bereit sind. Für eine ausgewogene, faire und gerechte Lösung für den Welfenschatz ist es jetzt noch nicht zu spät. Diese letzte Chance sollte nicht vertan werden.