Rechtsanwältin Christine Bonke-Heseler

recht.flott. UG (haftungsbeschränkt)
22765, Hamburg
Rechtsgebiete
Recht der freien Berufe
10.09.2012

Den Begriff „Sozietät“ können auch getrennte Kanzleien verwenden – Rechtsprechungsänderung des BGH

Die Verwendung der Bezeichnung Sozietät durch einen Zusammenschluss von Rechtsanwälten, die keine Sozietät in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bilden, ist keine unzulässige Irreführung der Rechtsuchenden im Sinne des § 43b BRAO, wenn die Beauftragung der zusammengeschlossenen Rechtsanwälte dem Rechtsverkehr im Wesentlichen die gleichen Vorteile bietet wie die Mandatierung einer Anwaltssozietät. Dies hat der BGH am 12.7.2012 entschieden (AnwZ (Brfg) 37/11) und damit seine bisherige Rechtsprechung als für überholt erachtet. Zudem würden die § 43b BRAO konkretisierende Bestimmung des § 8 BORA a.F. als Zusammenarbeit "in sonstiger Weise" nicht nur die im Klammerzusatz genannten klassischen Fallgestaltungen einer Außen(=Schein-)Sozietät (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit) erfassen, sondern auch solche Formen der Zusammenarbeit, in denen sich selbständige Rechtsanwälte oder rechtsfähige Sozietäten als Mitglieder einer Außen(=Schein-)Sozietät gerieren, so der BGH weiter.

 
Sachverhalt
Die Kläger sind Mitglieder der als GbR geführten Anwaltssozietät mit Sitz in H. Die weiteren Kläger sind Mitglieder der ebenfalls als GbR ausgestalteten Anwaltssozietät mit Sitz in Bi.  Nach dem Wegfall der Singularzulassung bei den Oberlandesgerichten strebten beide Gesellschaften ihren Zusammenschluss zu einer überörtlichen Sozietät unter Beibehaltung der rechtlichen Selbständigkeit der örtlichen Sozitäten an. Die beabsichtigte Form der Zusammenarbeit beider Gesellschaften wurde in einem schriftlichen Vertragsentwurf mit der Überschrift "Vereinbarung über die Bildung einer Außensozietät" festgehalten. Dieser wurde zwar nicht unterzeichnet, jedoch vereinbarten die Beteiligten mündlich die Geltung der dort niedergelegten Regelungen mit Wirkung ab 1. Juli 2002 und wenden diese seitdem an. Die Kläger firmieren in den von ihnen verwendeten Briefbögen unter der dort aufgedruckten Kurzbezeichnung: "ST. S. Rechtsanwälte Notare Zusammenschluss der Sozietäten … ". Auf der Internetseite ist ein Text eingestellt, in dem die Sozietät als eine der nunmehr größten Anwaltskanzleien in Westfalen beschrieben wird. 

Auch AGH beanstandet Außendarstellung
Nach Anhörung der Kläger erteilte die Beklagte diesen am 7.12.2009 einen belehrenden Hinweis, der folgende Beanstandungen enthält:" Die Außendarstellung Ihrer Kanzlei verstößt gegen §§ 43, 43b BRAO, §§ 8, 9 BORA (...), da in irreführender Weise und unter der unzulässigen Kurzbezeichnung "St. S. " eine überörtliche Sozietät mit Kanzleisitzen u. a. in H. und Bi. kundgegeben wird, obwohl es sich bei den Standorten in H. und Bi. um selbstständige Kanzleien handelt." Die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage hat der AGH abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, der belehrende Hinweis genüge den formellen Anforderungen und sei auch materiell rechtmäßig. Die Außendarstellung der Kläger auf ihrem Briefkopf und ihrem Internetauftritt verstoße gegen §§ 43, 43b BRAO, §§ 8, 9 BORA. Ein Rechtsanwalt dürfe nicht den Anschein erwecken, sich mit anderen Anwälten zu einer Sozietät zusammengeschlossen zu haben, wenn dies in Wahrheit nicht der Fall sei. So lägen die Dinge hier. Die beiden örtlichen Sozietäten hätten sich nicht zu einer überörtlichen Sozietät zusammengeschlossen, denn sie hätten sich ihre unternehmerische Selbständigkeit bewahrt und betätigten sich nicht als reine Organisationseinheiten innerhalb einer überörtlichen Sozietät. Insbesondere verfüge die aus zwei örtlichen Sozietäten gebildete Organisation weder über eine unternehmerische Entscheidungsgewalt noch über ein eigenes Bankkonto oder eine eigene Steuernummer und schließlich auch über kein Gesamthandsvermögen.

BGH: AGH hat zu strenge Anforderungen gestellt, Scheinsozietät ist inzwischen etabliert
Die zulässige Berufung der Kläger ist begründet. Der AGH hat nach Ansicht des BGH zu strenge Anforderungen an die Zulässigkeit einer gemeinsamen beruflichen Zusammenarbeit (§ 59a BRAO) und deren Darstellung nach außen gestellt (§ 43b BRAO, §§ 8, 9 BORA a.F.). Denn er habe zum einen nicht bedacht, dass die §§ 706 ff. BGB weitgehend abdingbar sind und es daher vielfältige Erscheinungsformen zulässiger Gestaltungen einer als (Außen-)Gesellschaft des bürgerlichen Rechts geführten Anwaltssozietät gibt. Zum anderen habe er unberücksichtigt gelassen, dass sich auch außerhalb des Gesellschaftsrechts institutionalisierte Zusammenschlüsse von Rechtsanwälten entwickelt haben. So habe sich neben der Sozietät im eigentlichen Sinne zwischenzeitlich auch die vertraglich vereinbarte Außen- oder Scheinsozietät etabliert, bei der sich die beteiligten Anwälte darüber einigen, im Außenverhältnis als Scheinsozien aufzutreten und sich im Hinblick auf ihre persönliche Haftung so behandeln zu lassen, als ob sie Mitglieder einer vollwertigen Sozietät wären.
 
Außendarstellung im Briefkopf mit dem Hinweis "Zusammenschluss der Sozietäten (...)“ ist zulässig
Auch wenn sich die gemeinsame Tätigkeit der örtlichen Sozietäten in der Bildung einer Außen(=Schein-)Sozietät erschöpfen sollte, wäre die auf dem Briefkopf verwendete Bezeichnung "Zusammenschluss" nicht irreführend im Sinne von § 43b BRAO, so der BGH. Denn die gewählte Bezeichnung sei weder nach dem allgemeinen Sprachgebrauch noch aus rechtlicher Sicht mit einer (als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts geführten) Sozietät gleichzusetzen. Es handele sich hierbei nicht um einen Rechtsbegriff, sondern um eine nach allgemeinem Sprachverständnis weit zu verstehende Bezeichnung, die im vorliegenden Kontext nur zum Ausdruck bringt, dass sich bestimmte örtliche Sozietäten zu einer gemeinschaftlichen Tätigkeit verbunden haben, jedoch keine Aussagen über die rechtliche Qualität einer solchen Verbindung trifft. Demensprechend werde dieser Begriff auch im Zusammenhang mit der Beschreibung einer bloßen Außen(=Schein-)Sozietät verwendet. Diese werde bezeichnet als ein Zusammenschluss mehrerer Rechtsanwälte, die nach außen gemeinsam in Erscheinung treten, ohne dass ein Gesellschaftsvertrag besteht oder ohne dass in einen bestehenden Gesellschaftsvertrag sämtliche nach außen in Erscheinung tretenden Rechtsanwälte einbezogen seien. Der § 43b BRAO konkretisierende § 8 Satz 1 BORA a.F. verbietet es laut BGH ebenfalls nicht, den allgemein gehaltenen Begriff "Zusammenschluss" auch in den Fällen zu benutzen, in denen keine Anwaltssozietät besteht. Ein Hinweis auf eine berufliche Zusammenarbeit sei nämlich auch dann erlaubt, wenn sie nicht in einer Sozietät, sondern auf "sonstige Weise (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit) mit sozietätsfähigen Personen im Sinne von § 59a BRAO (...) erfolgt". Der Begriff "in sonstiger Weise" werde nicht auf die dort aufgeführten Tatbestände verengt; dieser Zusatz ist vielmehr nur als Aufzählung von Regelbeispielen zu verstehen.
 
Bezeichnung als „Sozietät“ im Internetauftritt ist keine unzulässige Irreführung wegen gleicher Vorteile
Auch der gemeinsame Internetauftritt der beiden örtlichen Sozietäten begegnet nach Ansicht des BGH keinen rechtlichen Bedenken., obwohl dort - über die in den Briefköpfen verwendete Bezeichnung hinausgehend - von einer aus dem Zusammenschluss zweier Wirtschaftskanzleien entstandenen "(Anwalts-)Sozietät" mit über 50 Anwälten die Rede ist. Die darin enthaltenen Aussagen sind aber auch dann nicht irreführend und unzulässig, wenn es sich bei dem Zusammenschluss der örtlichen Sozietäten nur um eine Außen(=Schein-)Sozietät und nicht um eine echte Sozietät handelt. Denn eine unzulässige Irreführung der Rechtsuchenden liege regelmäßig nicht vor, wenn zwar in Wahrheit keine Sozietät in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts besteht, die Beauftragung von zusammengeschlossenen Rechtsanwälten dem Rechtsverkehr aber im Wesentlichen die gleichen Vorteile bietet wie die Mandatierung einer Anwaltssozietät. Der gesetzlich nicht definierte und seit der - zum 18. Dezember 2007 wirksam gewordenen - Änderung der grundlegenden Norm über die Zulässigkeit beruflicher Zusammenarbeit (= § 59a BRAO) dort nicht mehr verwendete Begriff der "Sozietät" habe seit einiger Zeit an Konturen verloren. Der Rechtsuchende, der eine Sozietät beauftragt, wolle sich in der Regel die Vorteile zunutze machen, die ihm aus einer gemeinschaftlichen Berufsausübung verschiedener Anwälte erwachsen. Diese Anforderungen seien im Streitfall gewahrt. Auch hinsichtlich der Solidarhaftung der nach außen als Scheinsozien in Erscheinung tretenden Rechtsanwälte besteht nach Meinung des BGH zu der Haftung von Mitgliedern einer tatsächlich existierenden Sozietät kein entscheidender Unterschied: Beim Fehlen einer gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit verpflichte das gemeinschaftliche Auftreten nach außen alle Rechtsanwälte nach Rechtsscheingrundsätzen zu einer gesamtschuldnerischen Haftung gegenüber dem Mandanten.