Urteil des VG Stuttgart vom 03.09.2014

VG Stuttgart: musikschule, hauptsache, schallschutzfenster, halle, gemeinde, bad, wehr, überschreitung, betriebszeit, akustik

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 3.9.2014, 5 S 804/14
Leitsätze
Liegen keine vom "Normalfall" abweichende Umstände vor, die eine höhere oder geringere
Bewertung des Interesses an der Abwehr von einem Bauvorhaben möglicherweise ausgehender
Beeinträchtigungen rechtfertigen, ist der Streitwert einer Baunachbarklage in Anwendung des
Rahmenvorschlags der Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 regelmäßig mit einem "mittleren"
Wert von EUR 10.000,-- angemessen erfasst.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg
vom 27. März 2014 - 6 K 634/14 - wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und für das Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht - insoweit unter Änderung der dortigen Festsetzung - jeweils auf 5.000,--
EUR festgesetzt.
Gründe
1 Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat keinen
Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1
VwGO dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§
146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben zu einer Änderung der vom Verwaltungsgericht zum
Nachteil der Antragstellerin getroffenen Abwägungsentscheidung keinen Anlass.
2 Das Verwaltungsgericht hat, soweit dies zu prüfen war, bei der von ihm nach Maßgabe der
§§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung dem
(besonderen) öffentlichen Interesse und dem privaten Interesse der Beigeladenen, von der
kraft Gesetzes (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB) sofort
vollziehbaren Baugenehmigung des Landratsamts Konstanz vom 10.10.2013 sofort
Gebrauch machen zu dürfen, zu Recht Vorrang vor dem privaten Interesse der
Antragstellerin gegeben, von deren Wirkungen vorläufig verschont zu bleiben. Mit dieser
Baugenehmigung wurden der beigeladenen Gemeinde der Abbruch des Südflügels der
H.-Halle und die Errichtung eines zweistöckigen Anbaus mit Schulungs-, Probe- und
Lagerräumen für ihre Musikschule genehmigt.
3 Der Senat vermag, nachdem die Baugenehmigung mit baurechtlicher Entscheidung vom
24.04.2014 um weitere Nebenbestimmungen ergänzt wurde, bei der im vorliegenden
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen
Prüfung der Sachlage schon nicht mehr zu erkennen, dass aufgrund inhaltlicher
Unbestimmtheit der Baugenehmigung mit der vorgesehenen Nutzung möglicherweise
doch gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts, nämlich das
nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO,
verstoßen würde.
4 Soweit die Beschwerde darauf abgehoben hatte, dass im Hinblick auf die auch vom
Verwaltungsgericht erkannte Unbestimmtheit der Baugenehmigung eine zuverlässige
Prognose der mit der Nutzung des Bauvorhabens verbundenen Schallimmissionen gar
nicht möglich sei, vermag dies eine andere Abwägungsentscheidung jedenfalls nicht mehr
zu rechtfertigen. Denn die vom Verwaltungsgericht vermisste Festschreibung von
Immissionsrichtwerten und Nutzungszeiten ist inzwischen erfolgt. So hat das Landratsamt
der Baugenehmigung nachträglich die Nebenbestimmungen 10 und 11 beigefügt,
wodurch die der gutachtlichen Stellungnahme der Ingenieurgesellschaft für Akustik,
Thermische Bauphysik, Immissionsschutz GSA K. GmbH (GSA) vom 20.08.2013
zugrunde gelegten Nutzungszeiten (13.30 bis 22.00 Uhr) der Schulungs- und Proberäume
nunmehr auch in der Baugenehmigung festgeschrieben (Nr. 10) und darüber hinaus
bestimmt wurde, dass durch bauliche und/oder organisatorische Maßnahmen
sicherzustellen ist, dass der durch den betrieblichen Ablauf sowie durch den Einsatz
betriebstechnischer Anlagen entstehende Beurteilungspegel in der Nachbarschaft den
entsprechenden Geräusch-Immissionsrichtwert nach Ziff. 6.1 d) und e) der TA Lärm an den
maßgeblichen Immissionsorten (an der Außenwand des der baulich genehmigten
Nutzung am nächsten gelegenen Gebäudes) nicht überschreitet (Nr. 11). Auch wurde in
der Nebenbestimmung Nr. 6 klargestellt, dass die (abschließbaren) Schallschutzfenster
(Klasse 3) während jeglicher Proben - also nicht nur während der Proben der Musikschule
- geschlossen zu halten sind.
5 Zwar wurden, was die Antragstellerin weiterhin beanstandet, die „Nutzungsarten“ bzw. die
„inhaltliche Nutzung“ der Räume insofern nicht näher bestimmt, als die in den
verschiedenen Schulungs- und Proberäumen vorgesehenen Nutzungen durch die
Musikschule und den Akkordeon-Spielring nicht weiter hinsichtlich Art und Anzahl der
Instrumente konkretisiert wurde. Jedoch war dies aller Voraussicht nach - auch im Hinblick
auf die gebotene nachbarliche Rücksichtnahme - nicht erforderlich. Denn aufgrund der in
der maßgeblichen gutachtlichen Stellungnahme der GSA vom 20.08.2013 angestellten
worst-case-Betrachtung dürften unabhängig von Art und Anzahl der Instrumente für die
Antragstellerin unzumutbare Lärmwirkungen jedenfalls auszuschließen sein.
6 Den durchaus unterschiedlichen Schalldruckpegeln wurde in dieser Stellungnahme,
worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, dadurch Rechnung getragen,
dass für sämtliche Räume und über die gesamte Betriebszeit ein Innengeräuschpegel von
L
I
= 90 dB(A) unterstellt wurde, mithin ein Geräuschpegel, der nach den
Arbeitsstättenrichtlinien nur bei regelmäßiger Verwendung von Gehörschutz zulässig
wäre. Darüber hinaus wurde für 50% der Einwirkungszeit ein Zuschlag für impulshaltige
Töne berücksichtigt. Dass - nicht zuletzt um unerwünschte Störungen der jeweils anderen
Musikproben auszuschließen - tatsächlich geringere Innengeräuschpegel zu erwarten
sind, erhellt ohne Weiteres auch daraus, dass - bei einer Mittelung über alle Instrumente -
bei einer Großgruppe lediglich ein Schalldruckpegel L
AF
von 80 dB(A) und bei einer
Kleingruppe gar nur von 70 dB(A) erzeugt würde, wobei entsprechend den gängigen
Betriebsweisen von Musikschulen ca. 75 % der Gesamtzeit auf Einzelübungen und
Kleingruppen entfallen (vgl. die gutachtliche Stellungnahme v. 05.08.2013). Schließlich ist
nach der inzwischen eingefügten Nebenbestimmung Nr. 11 sicherzustellen, dass der
entstehende Beurteilungspegel in der Nachbarschaft den entsprechenden Geräusch-
Immissionsrichtwert nach der TA Lärm - hier für ein reines Wohngebiet von tags 50 dB(A) -
an den maßgeblichen Immissionsorten nicht überschreitet. Dies ist nach den
Berechnungen - bei geschlossenen Fenstern mit einem Schalldämmmaß R
W
von mind. 32
dB - jedenfalls sichergestellt; so ergibt sich selbst an der nächstgelegenen
Immissionsposition IP 2a (unmittelbar gegenüber der Musikschule) lediglich ein
Beurteilungspegel L
r
von 45,2 dB(A). Berücksichtigt man, dass die Schallschutzfenster
nach den genehmigten Bauvorlagen sogar ein Schalldämmmaß R
W
von mind. 37 dB
aufweisen müssen (Schallschutzklasse 3 nach VDI 2719), ergibt sich gar nur ein
Beurteilungspegel L
r
von allenfalls 40 dB(A). Warum es sich bei den gutachtlichen
Stellungnahmen der GSA aufgrund ihres Prognosecharakters um keine
Schallschutzgutachten handeln sollte, erschließt sich dem Senat nicht.
7 Soweit die Antragstellerin noch geltend macht, dass die Räume der Musikschule außer
dem Akkordeon-Spielring offenbar auch noch weiteren probenden Musikgruppen bzw. -
vereinen zur Verfügung gestellt werden sollen, wäre dies eine von der baurechtlich
genehmigten Nutzung (Schulungs- und Proberäume für die Musikschule) umfasste
Nebennutzung, die grundsätzlich auch keine weitergehenden Nebenbestimmungen
erfordern dürfte. Warum insofern - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - die
Anwendung der „Freizeitlärmrichtlinie“ eine sachgerechtere Beurteilung ermöglichen
sollte, zeigt die Antragstellerin nicht auf. Abgesehen davon liegt es vor dem Hintergrund
der gutachtlichen Stellungnahme vom 05.08.2013 (S. 13, Tabelle 8b) fern, dass sich bei
den zuletzt zugrunde gelegten worst-case-Annahmen bei geschlossenen Fenstern der
Schallschutzklasse Klasse 3 nunmehr eine Überschreitung auch nur des innerhalb der
Ruhezeiten maßgeblichen Immissionsrichtwerts von 45 dB(A) zu ihren Lasten ergeben
könnte. So würde dieser am maßgeblichen Immissionsort IP 1b ohne die verschärften
worst-case-Annahmen auch bei gekippten Schallschutzfenstern der Klasse 2 noch
deutlich unterschritten.
8 Im Übrigen wäre eine andere Abwägungsentscheidung zugunsten der Antragstellerin
auch dann nicht gerechtfertigt, wenn bei bestimmten Nutzungen eine
Richtwertüberschreitung und damit ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht
gänzlich auszuschließen wäre. Denn dem könnte - worauf die Beigeladene zu Recht
hinweist - im Hauptsacheverfahren noch ohne Weiteres dadurch Rechnung getragen
werden, dass die der Baugenehmigung beigefügten Inhalts- und Nebenbestimmungen
präziser gefasst oder zusätzliche Schutzmaßnahmen angeordnet werden, um den
Nachbarbelangen der Antragstellerin erforderlichenfalls noch weitergehend Rechnung zu
tragen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 09.08.2011 - 1 ME 107/11 -, NVwZ 2012, 124).
9 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
10 Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1,
52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013. Der
Senat hält in Anwendung des Rahmenvorschlags der Nr. 9.7.1 das Interesse der
Antragstellerin in der Hauptsache mit einem „mittleren“ Wert von EUR 10.000,-- für
angemessen erfasst (vgl. für ein Ein- oder (kleineres) Mehrfamilienhaus bereits VGH Bad.-
Württ., Beschl. v. 13.08.2014 - 8 S 979/14 - sowie Beschl. v. 27.08.2014 - 3 S 1400/14 -).
Denn vom „Normalfall“ abweichende Umstände, die eine höhere oder geringere
Bewertung des Interesses an der Abwehr der geltend gemachten Beeinträchtigungen (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 09.08.1990 - 4 B 95.90 -, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr.
100) rechtfertigten, liegen nicht vor. Der gefundene Wert war hier allerdings auf die Hälfte
(= EUR 5.000,--) zu reduzieren, da sich die Antragstellerin ausschließlich gegen die
Lärmwirkungen der künftigen Nutzung des Südflügels der H.-Halle zur Wehr setzt und
insofern von einer faktischen Vorwegnahme der Hauptsache nicht gesprochen werden
kann.
11 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.