Urteil des VG Neustadt vom 09.06.2010

VG Neustadt: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, sachverständiger, öffentliches interesse, widerruf, vollziehung, persönliche eignung, überwiegendes interesse

VG
Neustadt/Wstr.
09.06.2010
4 L 512/10.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Beschluss vom 09.06.2010 - 4 L 512/10.NW
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn …
- Antragsteller -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwaltskanzlei Kühne, Otto-v.-Guericke-Straße 48, 39104
Magdeburg,
gegen
die Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz, vertreten durch den Präsidenten, Schusterstraße 46-48, 55116
Mainz,
- Antragsgegnerin -
wegen Bestellung zum Sachverständigen (Widerruf)
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der Beratung vom
9. Juni 2010, an der teilgenommen haben
Richter am Verwaltungsgericht Kintz
Richter am Verwaltungsgericht Bender
Richter am Verwaltungsgericht Pirrung
beschlossen:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen den Widerruf seiner Bestellung als Sachverständiger.
Der Antragsteller ist seit März 1996 öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für
Bauingenieurwesen einschließlich der Bewertung von bebauten Grundstücken. Mit Urteil des
Amtsgerichts Köln vom 13. Februar 2009 - ……… - , das dieses im Anschluss an einen Einspruch des
Antragstellers gegen den zuvor gegen ihn ergangenen Strafbefehl erlassen hat, wurde der Antragsteller
wegen gemeinschaftlichen Betrugs in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je
10 € verurteilt. Hintergrund der Verurteilung des Antragstellers war eine von ihm im April 2004 bewusst
wahrheitswidrig erstellte Abnahmebescheinigung in einem Verfahren, in dem der Antragsteller als
Sachverständiger den Baufortschritt eines Bauvorhabens eines Dritten gegenüber dessen Kreditgeber
bestätigen sollte. Der Antragsteller führte in der Abnahmebescheinigung fälschlich aus, dass neue
Bodenbeläge einschließlich Sockelleisten verlegt worden seien; der Wert der ausgeführten Leistungen
war mit 96.000 € netto angegeben. Die Abnahmeentscheidung des Antragstellers war maßgebliche
Grundlage für die Auszahlung einer anteiligen Darlehenssumme des Kreditgebers. In einem weiteren Fall
erstellte ein Dritter im November 2003 eine Rechnung über „Sanitärinstallationen“ in einem Umfang von
18.720 €. Hier bestätigte der Antragsteller wahrheitswidrig deren Fertigstellung durch eine
Abnahmebescheinigung.
Die Antragsgegnerin erhielt von der Verurteilung des Antragstellers am 23. März 2009 Kenntnis durch die
Staatsanwaltschaft Köln. Ohne den Antragsteller zuvor anzuhören, widerrief die Antragsgegnerin mit
Bescheid vom 04. Januar 2010 dessen Bestellung als Sachverständiger für Bauingenieurwesen
einschließlich der Bewertung von bebauten Grundstücken mit der Begründung, das vom Amtsgericht Köln
abgeurteilte Verhalten des Antragstellers rechtfertige den Widerruf als Sachverständiger, da hierdurch das
uneingeschränkte Vertrauen der Öffentlichkeit in der Person eines Sachverständigen erschüttert werde.
Dagegen legte der Antragsteller am 18. Januar 2010 Widerspruch ein, den die Antragsgegnerin mit
Widerspruchsbescheid vom 23. April 2010 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung des
Ausgangsbescheids zurückwies.
Der Antragsteller hat dagegen am 20. Mai 2010 Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz
nachgesucht. Er trägt vor, dass das Strafverfahren gegen ihn zunächst eingestellt worden sei und dies
nicht unberücksichtigt bleiben könne. Er habe nur deswegen Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt,
um die Geldstrafe zu minimieren. Aus völliger Unkenntnis habe er eine geringere Geldstrafe statt einer
Verwarnung mit Strafvorbehalt akzeptiert. Das Urteil sei das Ergebnis der Verkettung unglücklicher
Umstände. Dies müsse bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs berücksichtigt werden. Das
Urteil des Amtsgerichts Köln sei unzutreffend. Im Übrigen lägen die geahndeten Taten schon mehrere
Jahre zurück.
Der Antragssteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 04. Januar
2010 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.
II.
Der auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 18. Januar 2010 gegen
die Widerrufsverfügung vom 04. Januar 2010 gerichtete Antrag des Antragstellers ist gemäß § 80 Abs. 5
Satz 1 2. Alt. VwGO statthaft und auch ansonsten zulässig, in der Sache aber unbegründet.
Zunächst hat die Antragsgegnerin in formeller Hinsicht die Anordnung der sofortigen Vollziehung des
Bescheids vom 04. Januar 2010 im Widerspruchsbescheid vom 23. April 2010 ausreichend nach § 80
Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Hierzu hat die Antragsgegnerin ausgeführt, die Anordnung der sofortigen
Vollziehung sei geboten, da nur durch die sofortige Befolgung und das Unterlassen der
Sachverständigentätigkeit der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Rechnung getragen werden könne.
Damit liegt (noch) eine auf den konkreten Einzelfall abgestellte, substantiierte und nicht lediglich
formelhafte Begründung des besonderen Vollzugsinteresses vor. Ob diese Darlegungen der
Antragsgegnerin zutreffend sind und die Anordnung der sofortigen Vollziehung inhaltlich zu rechtfertigen
vermögen, ist im Rahmen der Formvorschrift des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ohne Bedeutung.
Auch in materieller Hinsicht ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs im Bescheid vom
04. Januar 2010 rechtlich nicht zu beanstanden.
Für das Interesse des Betroffenen, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen
ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten
Rechtsbehelfs von Belang (vgl. BVerfG, NVwZ 2009, 581). Ein überwiegendes Interesse eines
Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel anzunehmen, wenn
die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene Überprüfung ergibt, dass der angefochtene
Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen
Verwaltungsakts kann kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Ist der Verwaltungsakt dagegen
offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des
Antragstellers nur dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Verwaltungsakts besteht (vgl. BVerfG, NVwZ 2009, 240; OVG Schleswig-Holstein,
NordÖR 2007, 452; s. auch Finkelnburg/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im
Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage 2008, Rdnr. 975). Kann aufgrund der im Eilverfahren nur möglichen
summarischen Überprüfung nicht festgestellt werden, ob der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig
oder offensichtlich rechtswidrig ist, so beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle des
Sofortvollzuges des Verwaltungsakts auf die Durchführung einer Interessenabwägung, die je nach
Fallkonstellation zugunsten des Antragstellers oder des Antragsgegners ausgehen kann (BVerfG, NVwZ
2007, 1176, 1177). Das Gericht nimmt – da § 80 Abs. 5 VwGO keinerlei inhaltliche Einschränkungen
enthält – die Abwägung in eigener Verantwortung vor. An die Beurteilung der Behörde ist es nicht
gebunden und kann die von der Behörde herangezogenen Gründe für die Anordnung der sofortigen
Vollziehung durch andere ersetzen. Es prüft dabei eigenständig, ob unter Berücksichtigung und
Gewichtung aller für und wider den Sofortvollzug sprechenden Umstände – auch solcher, die der Behörde
nicht bekannt waren – die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder
AnfechtungsklagezurGewährungeffektivenRechtsschutzesinderHauptsache oder aus anderen Gründen
wiederherzustellen ist (vgl. Finkelnburg/Külpmann, a.a.O., Rdnr. 963); maßgebend für die
Interessenabwägung sind dabei die Gegebenheiten zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts(OVG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05. August 2009 – 18 B 331/09 -, juris; OVG Niedersachsen, NVwZ-
RR 2008, 483).
Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung
des Widerrufs der Bestellung des Antragstellers als Sachverständiger das private Interesse des
Antragstellers, seine Sachverständigentätigkeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Hauptsacheverfahrens weiter auszuüben. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ergibt
sich daraus, dass der angefochtene Bescheid vom 04. Januar 2010 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 23. April 2010 offensichtlich rechtmäßig ist und mit seiner Durchsetzung
nicht bis zur Bestandskraft, deren Eintritt noch nicht abzusehen ist, abgewartet werden kann.
Die angefochtene Verfügung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Zwar hatte die
Antragsgegnerin den Antragsteller vor Erlass des Widerrufs nicht nach § 1 LVwVfG i.V.m. § 28 VwVfG
angehört. Der (eventuelle) Anhörungsverstoß wurde jedoch gemäß § 1 LVwVfG i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 3,
Abs. 2 VwVfG mit Erlass des Widerspruchsbescheids vom 23. April 2010 geheilt.
In materieller Hinsicht ist der Bescheid vom 04. Januar 2010 offensichtlich rechtmäßig. Rechtsgrundlage
für den Widerruf der öffentlichen Bestellung des Antragstellers als Sachverständiger ist § 23 Abs. 1 der
Sachverständigenordnung der Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz vom 29. April 2003 - SVO – i.V.m. § 49
Abs. 2 Ziffer 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG -. Nach der zuerst genannten Bestimmung,
die aufgrund der Ermächtigungen in den § 36 Abs. 3 und 4 der Gewerbeordnung – GewO –, § 12 Abs. 1
Nr. 9 des Ingenieurkammergesetzes vom 21. Dezember 1978 – IngKammG – und § 1 Abs. 3 der
Landesverordnung über die Zuständigkeiten nach § 36 Abs. 1 und 2 der Gewerbeordnung auf dem Gebiet
der Wirtschaft und des Verkehrs vom 25. März 1991 von der Antragsgegnerin erlassen worden ist, richten
sich Rücknahme und Widerruf der öffentlichen Bestellung nach den Bestimmungen des
Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Rheinlands-Pfalz - LVwVfG -. Dessen § 1 Abs. 1 bestimmt
u.a., dass für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der der Aufsicht des Landes unterstehenden
juristischen Personen des öffentlichen Rechts die §§ 2 bis 5 sowie die Bestimmungen des VwVfG in der
Fassung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102) in der jeweils geltenden Fassung mit Ausnahme hier nicht
einschlägiger Vorschriften gelten, soweit nicht Rechtsvorschriften inhaltsgleiche oder entgegenstehende
Bestimmungen enthalten. Die Antragsgegnerin, gemäß § 10 Abs. 1 IngKammG eine Körperschaft des
öffentlichen Rechts, die gemäß § 22 Abs. 1 IngKammG der Aufsicht des fachlich zuständigen Ministerium
unterliegt, unterfällt dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 LVwVfG. Da spezialgesetzliche Vorschriften,
die den Widerruf regeln, nicht gegeben sind, ist § 49 VwVfG einschlägig.
§ 49 Abs. 2 Ziffer 3 VwVfG lässt den Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakts zu,
wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt
nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre. Der Widerruf
muss Feststellungen hinsichtlich der Schwere der Pflichtverletzung, der konkreten Gefährdung des
öffentlichen Interesses und der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit treffen (Bleutge,
GewArch 2008, 9). Er hat binnen Jahresfrist seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von den
rechtfertigenden Tatsachen zu erfolgen, § 49 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 48 Abs. 4 VwVfG.
Die Antragsgegnerin wäre im Zeitpunkt des Widerrufs der Bestellung des Antragstellers zum
Sachverständigen berechtigt gewesen, ihm diese Bestellung zu versagen. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 GewO
können als Sachverständige für bestimmte Gebiete Personen bestellt werden, die die besondere
Sachkunde nachweisen und gegen deren Eignung keine Bedenken bestehen. In § 3 Abs. 2 d) SVO
werden diese tatbestandlichen Voraussetzungen für die im Ermessen der Antragsgegnerin liegende
Bestellung sinngemäß wiederholt, ohne gegenüber der gesetzlichen Regelung inhaltlich verändert zu
werden.
Eine erstmalige Bestellung des Antragstellers zum Sachverständigen hätte im Zeitpunkt des Widerrufs
wegen mangelnder persönlicher Eignung unterbleiben dürfen.
Die Frage, ob ein Sachverständiger zur öffentlichen Bestellung geeignet ist, ist im Einzelfall anhand der
besonderen Aufgabe dieser Gruppe von Sachverständigen zu beantworten. Dabei unterliegt der
unbestimmte Rechtsbegriff der persönlichen Eignung in § 36 Abs. 1 GewO der uneingeschränkten
gerichtlichen Nachprüfung. Denn dabei handelt es sich nach der überwiegenden Rechtsprechung
(BVerwG, GewArch 1975, 333; OVG Niedersachsen, GewArch 2009, 452; OVG Rheinland-Pfalz,
GewArch 1979, 331; VG Koblenz, GewArch 1993, 22; aA Bleutge in: Landmann/Rohmer, GewO, Stand
August 2009, § 36 Rdnr. 58)., der sich die Kammer anschließt, nicht um eine Ermessens-, sondern um
eine Rechtsentscheidung, bei der der Antragsgegnerin kein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist.
Die öffentliche Bestellung erfolgt im Interesse der Allgemeinheit, um dieser die Möglichkeit zu geben, sich
solcher Sachverständiger zu bedienen, die nach der aufgrund eingehender Feststellungen von der
zuständigen Kammer getroffenen Entscheidung die Gewähr für besondere Sachkunde und Eignung
bieten (BVerwG, GewArch 1975, 333). Sie soll sicherstellen, dass Behörden wie Einzelpersonen im
Bedarfsfall auf Sachverständige zurückgreifen können, deren gutachtliche Äußerungen als fachlich und
persönlich objektiv und zuverlässig anerkannt werden können, ohne dass der Auftraggeber zuvor
zusätzliche Nachforschungen über Ruf und Eignung des Sachverständigen anstellen muss. Während es
bei dem Merkmal der besonderen Sachkunde um rein fachliche Fähigkeiten des Sachverständigen geht,
wirft das Merkmal der „Eignung“ die Frage nach der persönlichen Zuverlässigkeit, der Unabhängigkeit und
Vertrauenswürdigkeit, der Persönlichkeitsstruktur und der Akzeptanz des Sachverständigen bei den
potentiellen Auftraggebern auf: Die Persönlichkeit des Sachverständigen muss eine Gewähr für die
ordnungsgemäße Durchführung der Gutachtertätigkeit bieten, d.h. man muss nach seiner Persönlichkeit
von ihm erwarten können, dass er die Erstattung von Gutachten unter Wahrnehmung der ihm auferlegten
Pflichten vornimmt (Bleutge in: Landmann/Rohmer, GewO, Stand August 2009, § 36 Rdnr. 71; VG
Gelsenkirchen, GewArch 1993, 478). Die Bestellungsbehörde hat mithin in diesem Zusammenhang zu
prüfen, ob der Sachverständige für die Dauer seiner Bestellung die Gewähr für Unparteilichkeit,
Unabhängigkeit, Objektivität und Einhaltung seiner besonderen Pflichten als öffentlich bestellter
Sachverständiger bietet. Es genügen durch Tatsachen belegte Zweifel am Vorliegen der persönlichen
Voraussetzungen, um den Antrag eines Sachverständigen auf öffentliche Bestellung abzulehnen
(BVerwG, GewArch 1975, 333, 335; OVG Rheinland-Pfalz, GewArch 1979, 331). Die Ingenieurkammer,
die mit der öffentlichen Bestellung und Vereidigung eines Sachverständigen gegenüber der Öffentlichkeit
die Gewähr für dessen Eignung übernimmt, ist daher berechtigt, die Bestellung eines Sachverständigen
zu widerrufen, der seine persönliche Eignung als öffentlich bestellter Sachverständiger nachträglich
einbüßt.
Diese Voraussetzungen können erfüllt sein, wenn ein öffentlich bestellter Sachverständiger - wie der
Antragsteller - strafrechtlich in erheblichem Maße belangt worden ist und sich damit als rechtsuntreu
erwiesen hat (OVG Niedersachsen, GewArch 1991, 384). Dies gilt insbesondere dann, wenn der
Sachverständige eine Straftat im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Sachverständiger begangen hat
und deswegen verurteilt worden ist (s. VGH Baden-Württemberg, GewArch 1986, 329; Bleutge in:
Landmann/Rohmer, a.a.O., § 36 Rdnr. 77; Konstantinou, Die öffentliche Bestellung von Sachverständigen
nach § 36 GewO, 1993, Seite 45). Dies ist hier der Fall.
Die Antragsgegnerin hat ihre Entscheidung auf die Verurteilung des Antragstellers durch das Amtsgericht
Köln vom 13. Februar 2009 - ………. - wegen gemeinschaftlichen Betrugs in zwei Fällen zu einer
Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10 € gestützt. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zu
Recht würdigt sie in ihrer Widerspruchsentscheidung vom 23. April 2010 das Verhalten des Antragstellers,
das seiner rechtskräftigen Verurteilung zugrunde liegt, als schwerwiegende Verletzung seiner
Verpflichtung als Sachverständiger, wodurch das uneingeschränkte Vertrauen der Öffentlichkeit in seine
Person als Sachverständiger erschüttert werde. In dem Urteil ist unter Bezugnahme auf den zuvor
ergangenen Strafbefehl vom 28. Januar 2009 und die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Köln vom 19.
Oktober 2007 festgestellt, dass der Antragsteller im April 2004 in seiner Funktion als Sachverständiger
bewusst wahrheitswidrig eine Abnahmebescheinigung in einem Verfahren erstellt hatte, in der er
fälschlich ausführte, dass Baumaßnahmen erbracht worden seien, die aber zu diesem Zeitpunkt
tatsächlich noch nicht durchgeführt worden waren. Die Abnahmeentscheidung des Antragstellers war
maßgebliche Grundlage für die Auszahlung einer anteiligen Darlehenssumme des Kreditgebers. Des
Weiteren erstellte ein Dritter im November 2003 eine Rechnung über „Sanitärinstallationen“ in einem
Umfang von 18.720 €. Auch hier bestätigte der Antragsteller in seiner Funktion als Sachverständiger
wahrheitswidrig deren Fertigstellung durch eine Abnahmebescheinigung. Dass ein solches Verhalten mit
den Berufspflichten eines Sachverständigen nicht in Einklang steht, bedarf keiner weitergehenden
Begründung.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Antragsgegnerin
ohne weitere eigene Sachaufklärung von dem Sachverhalt der rechtskräftigen strafrichterlichen
Verurteilung ausgeht. Der Antragsteller hat dazu vorgetragen, das Urteil des Amtsgerichts Köln sei
ungerecht und hätte keinen Bestand gehabt, sofern er sich rechtsanwaltlichen Beistands bedient hätte. Er
habe sich im Strafverfahren nur deshalb nicht anwaltlich vertreten lassen, um Kosten zu sparen. Damit
kann er im vorliegenden Eilverfahren jedoch nicht gehört werden. Seine Behauptung, das Amtsgericht
habe ihn zu Unrecht bestraft, vermag die durch die rechtskräftige Verurteilung entstandenen Bedenken an
seiner persönlichen Eignung nicht auszuräumen. Die zur öffentlichen Sachverständigenbestellung bzw.
zu deren Widerruf zuständige Behörde darf in der Regel von den tatsächlichen Feststellungen in einem
rechtskräftigen Strafurteil ausgehen; sie ist demgemäß in aller Regel nicht verpflichtet, Einwendungen des
Betroffenen gegen den vom Strafrichter festgestellten Sachverhalt nachzugehen und weitere
Sachaufklärung zu betreiben (Bay. VGH, Beschluss vom 19. Juli 2004 - 22 CS 04.1885 -, juris; VGH
Baden-Württemberg, GewArch 1986, 329; Bleutge in: Landmann/Rohmer, a.a.O., § 36 Rdnr. 77 m.w.N.).
Weder das Verwaltungsverfahren noch das nachfolgende verwaltungsgerichtliche (Eil-) Verfahren sind
grundsätzlich dazu bestimmt und geeignet, die inhaltliche Richtigkeit einer der grundsätzlichen
Verwertung unterliegenden (§ 51 Abs. 1 BZRG) strafgerichtlichen Verurteilung nachträglich zu überprüfen
(VGH Baden-Württemberg, GewArch 1986, 329). Für eine solche Überprüfung besteht insbesondere
keine Veranlassung in Fällen wie hier, in denen der Angeklagte zur Minimierung der Kosten auf mögliche
Rechtsmittel gegen die daraufhin ergangene Verurteilung verzichtet hat. Das darin nach dem objektiven
Erklärungsgehalt liegende Eingeständnis strafrechtlichen Fehlverhaltens ist auch von der
Verwaltungsbehörde zu berücksichtigen; es wird im Nachhinein nicht bereits durch die bloße Behauptung
unbeachtlich, der Verurteilte habe aus prozessfremden Motiven auf einen ihm zustehenden Freispruch
verzichtet.
Der Umstand, dass die Straftaten des Antragstellers bei Erlass der Widerrufsentscheidung bereits mehrere
Jahre zurücklagen, stand deren Einbeziehung in die Ermessensausübung bei der Entscheidung über den
Widerruf nicht entgegen. Hier ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller der Antragsgegnerin bis zum
Eintritt der Rechtskraft hätte voraussichtlich entgegen halten können, dass seine Unschuld vermutet
werden müsse, solange er rechtskräftig nicht verurteilt sei. Im Übrigen ist Voraussetzung für die öffentliche
Bestellung des Sachverständigen dessen uneingeschränkte Vertrauenswürdigkeit und die Akzeptanz des
Sachverständigen bei den potentiellen Auftraggebern. Ist diese aufgrund einer schwerwiegenden im
Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit stehenden Verfehlung - die Taten des Antragstellers
werden gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 2 a) BZRG erst nach 10 Jahren aus dem Bundeszentralregister getilgt –
nicht mehr gegeben, so führt das Wohlverhalten des Sachverständigen nach Abschluss der Tat nicht zu
einer anderen rechtlichen Beurteilung.
Der Widerruf verstößt schließlich nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser schließt nicht
aus, dass auch eine schwere einmalige berufliche Verfehlung den Schluss auf mangelnde Zuverlässigkeit
und damit den Widerruf der Bestellung rechtfertigt (vgl. BVerwG, GewArch 1974, 103; Konstantinou, a.a.O.,
Seite 140). Hier hat der Antragsteller zwei Straftaten im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als
Sachverständiger begangen. Ist der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit - wie hier - sachlich
gerechtfertigt, kommt es im Rahmen der Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht noch auf
eine zusätzliche Auseinandersetzung mit individuellen Umständen, wie Alter des Betroffenen und
Möglichkeiten anderweitiger beruflicher Tätigkeit an (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16. Mai
2006 - 6 A 10132/06.OVG -). Im Übrigen weist die Kammer noch darauf hin, dass der Widerruf der
Bestellung zum öffentlich bestellten Sachverständigen der gewerberechtlichen Untersagungsverfügung
gemäß § 35 Abs. 1 GewO rechtsähnlich ist. Für sie ergibt sich aus § 35 Abs. 6 GewO, dass eine erneute
Erlaubnis nur nach einem nochmals durchgeführten Antragsverfahren erteilt werden darf. Diese
Bestimmung ist Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens (vgl. OVG Niedersachsen, GewArch 1991,
384; OVG Rheinland-Pfalz, NJW 1990, 1553 zum Widerruf einer Approbation).
Die Antragsgegnerin hat auch die § 49 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 48 Abs. 4 VwVfG beachtet. Sie hat von der
Verurteilung am 23. März 2009 von der Staatsanwaltschaft Köln Kenntnis erlangt. Da der Bescheid am 04.
Januar 2010 erging, ist die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG eingehalten.
Bestehen damit an der Rechtmäßigkeit des Widerrufs keine Zweifel, so besteht auch ein überragendes
öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs. Das Gericht prüft eigenständig, d.h.
ohne an die von der Behörde angegeben Gründe für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gebunden
zu sein, ob unter Berücksichtigung und Gewichtung aller für und wider den Sofortvollzug sprechenden
Umstände die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder
AnfechtungsklagezurGewährungeffektivenRechtsschutzesinderHauptsache oder aus anderen Gründen
wiederherzustellen ist. Dies ist hier zu verneinen. Das Institut der öffentlichen Bestellung zum
Sachverständigen ist keine Berufszulassung; der Sachverständige kann nach Widerruf der öffentlichen
Bestellung weiterhin als freier Sachverständiger tätig sein. Das Interesse eines Sachverständigen, auch
nach einem Verstoß gegen eine Sachverständigenpflicht weiterhin öffentlich bestellt zu bleiben, ist
weitaus geringer als bei Personen, bei denen die Berufsausübung schlechthin in Frage gestellt ist.
Schließlich ist bei der Abwägung der in Frage stehenden Interessen auch zu berücksichtigen, dass das
öffentliche Interesse an persönlich zuverlässigen Sachverständigen sehr hoch ist, zumal diese
Sachverständigen im Gerichtsverfahren aufgrund ihrer öffentlichen Bestellung besonders bevorzugt
werden (vgl. Bleutge in: Landmann/Rohmer, a.a.O., § 36 Rdnr. 46).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 63 GKG i. V. m. den Ziffern 1.5 und
54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2004.
Rechtsmittelbelehrung …
gez. Kintz
gez. Bender
gez. Pirrung