Urteil des VG Neustadt vom 07.09.2010

VG Neustadt: sanierung, aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, grundstück, behörde, entlassung, vollziehung, verwaltungsakt, eigentümer, ergänzung

VG
Neustadt/Wstr.
07.09.2010
3 L 849/10.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Beschluss vom 07.09.2010 - 3 L 849/10.NW
Sanierungsrecht
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn …
- Antragsteller -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. jur. Wolfgang Schulte, Defreggerstraße 13, 67061
Ludwigshafen,
gegen
die Stadt Ludwigshafen am Rhein, vertreten durch die Oberbürgermeisterin, Rathausplatz 20, 67059
Ludwigshafen,
- Antragsgegnerin -
wegen Entlassung von Grundstücken aus einem Sanierungsgebiet nach BBauG
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der Beratung vom
7. September 2010, an der teilgenommen haben
Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Seiler-Dürr
Richterin am Verwaltungsgericht Klingenmeier
Richter Niesler
beschlossen:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 7. Juli 2010 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin
vom 10. Juni 2010 wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Der Streitwert wird auf 3.135,-- € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 7. Juli 2010 gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 10. Juni 2010, mit dem diese die Sanierung für das Grundstück Welserstraße 28 in
Ludwigshafen am Rhein (Flurstück-Nrn. 1461/17 und 1462/7) für abgeschlossen erklärt,
wiederherzustellen, ist zulässig und begründet.
Die Begründung für die am 21. Juli 2010 verfügte Anordnung der sofortigen Vollziehung der
Abgeschlossenheitserklärung, dass ein Vollzug des an den Antragsteller adressierten
Ausgleichsbetragsbescheides vom 28. Juni 2010 für das hier in Rede stehende Grundstück infolge des
am 7. Juli 2010 gegen die Abgeschlossenheitserklärung erhobenen Widerspruchs vorläufig nicht möglich
sei, jedoch in Anwendung des Rechtsgedankens des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – auch der Sofortvollzug des Entlassungsbescheides anzuordnen
sei, weil dieser eine Voraussetzung des kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Ausgleichsbetragsbescheides
darstelle, genügt noch den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Insoweit ist nicht von Bedeutung,
ob die Annahme der Antragsgegnerin, die gesetzgeberische Verlagerung des Vollzugsrisikos bei
Abgaben- und Kostenentscheidungen der laufenden Fiskalverwaltung lasse sich ohne Weiteres auch auf
die solchen Verfügungen vorgeschalteten rechtsgestaltenden Verwaltungsakte wie die
Abgeschlossenheitserklärung übertragen, überhaupt zutrifft. Dahin gestellt bleiben kann insbesondere, ob
– wie die Antragsgegnerin es formuliert hat – wegen des kraft Gesetzes sofort vollziehbaren
Ausgleichsbetragsbescheides der diesem vorangehende Entlassungsbescheid für sofort vollziehbar
erklärt werden „muss“. Denn die inhaltliche Richtigkeit der Begründung ist keine Frage des § 80 Abs. 3
Satz 1 VwGO. Entscheidend ist allein, ob die Behörde – wovon hier auszugehen ist – sich des
Ausnahmecharakters der Anordnung des Sofortvollzugs bewusst geworden ist und geprüft hat, ob im
konkreten Einzelfall aus ihrer Sicht Veranlassung für die sofortige Vollziehung ihres Bescheides besteht.
Allerdings überwiegt nach der vom Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden eigenen
Interessenabwägung das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche
Vollzugsinteresse, weil sich die Abgeschlossenheitserklärung bei der im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung derzeit als offensichtlich
rechtswidrig erweist.
Rechtsgrundlage der angefochtenen Abgeschlossenheitserklärung vom 10. Juni 2010 ist § 163 Abs. 1
Satz 1 Baugesetzbuch – BauGB –. Danach kann die Gemeinde die Sanierung für ein Grundstück als
abgeschlossen erklären, wenn entsprechend den Zielen und Zwecken der Sanierung das Grundstück
bebaut ist oder in sonstiger Weise genutzt wird (Nr. 1) oder das Gebäude modernisiert oder instand
gesetzt ist (Nr. 2). Von dieser Ermächtigungsgrundlage hat die Antragsgegnerin indessen nicht
rechtmäßig Gebrauch gemacht.
In formell-rechtlicher Hinsicht ist zunächst zu bemerken, dass dem Bescheid vom 10. Juni 2010 – wie bei
anderen, dem Gericht in parallelen Streitverfahren zur Prüfung vorgelegten Abschlusserklärungen auch –
nach Aktenlage keine Anhörung gemäß § 1 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG –
i.V.m. § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – vorausgegangen ist, obwohl die unfreiwillige
Entlassung eines Grundstücks wegen der ihr folgenden Ausgleichsbetragsleistungspflicht für den
betroffenen Eigentümer zumindest auch belastende Wirkung hat. Ein Grund, der dieses Unterlassen
rechtfertigen könnte (§ 28 Abs. 2, 3 VwVfG), ist nicht ersichtlich und wird von der Antragsgegnerin auch
nicht vorgetragen. Allerdings ist hier von der Heilung dieses Verfahrensfehlers gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3
VwVfG auszugehen, nachdem der Antragsteller durch das Einlegen eines Widerspruchs und die
sachliche Auseinandersetzung der Antragsgegnerin mit seinen Einwendungen nunmehr Gelegenheit
hatte, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern.
Des Weiteren enthielt die Abgeschlossenheitserklärung vom 10. Juni 2010 keine den Erfordernissen des
§ 39 Abs. 1 VwVfG genügende Begründung. Insbesondere wurden entgegen § 39 Abs. 1 Satz 2 VwVfG
nicht ansatzweise die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitgeteilt, die die
Antragsgegnerin zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Vielmehr erschöpfen sich die Ausführungen –
wiederum wie in allen Abschlusserklärungen der parallel anhängigen Verfahren auch – in der
formelhaften Wiedergabe des Gesetzeswortlauts, nämlich dass im Laufe der Jahre die für das
Sanierungsgebiet angestrebten Sanierungsziele auf dem Grundstück des Antragstellers erreicht seien,
das Grundstück bebaut sei und entsprechend den Zielen und Zwecken der Sanierung genutzt werde und
die Sanierungspläne und –überlegungen verwirklicht worden seien. Tatsachen oder Erklärungen, die
entsprechend dem Sinn und Zweck des Begründungserfordernisses die inhaltliche Nachvollziehbarkeit
und Nachprüfbarkeit dieses Verwaltungsaktes ermöglichen könnten, werden nicht mitgeteilt. Ebenso fehlt
es entgegen der Vorschrift des § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG an der Mitteilung der Gesichtspunkte, von denen
die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist, obwohl ein auf § 163 Abs. 1 Satz 1
BauGB gestützter Bescheid eine Ermessensentscheidung voraussetzt. Die Ausführungen im Bescheid
erschöpfen sich in der Aussage, dass eine Entlassung des Grundstücks aus der Sanierung von Amts
wegen umzusetzen und eine Einbeziehung des betroffenen Grundstücks in das Sanierungsgebiet nicht
wegen umzusetzen und eine Einbeziehung des betroffenen Grundstücks in das Sanierungsgebiet nicht
mehr zu rechtfertigen sei. Ob dieser Begründungsmangel durch die Erwiderung auf die Einwendungen
des Antragstellers gegen die Rechtmäßigkeit der Abschlusserklärung im Rahmen des hier anhängigen
Eilrechtsschutzverfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG als geheilt anzusehen ist, bedarf keiner
Erörterung, weil sich der Bescheid jedenfalls als materiell rechtswidrig erweist.
Dies ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass der
Abgeschlossenheitserklärung nicht vorlägen. Ob nämlich das hier in Rede stehende Grundstück faktisch
saniert ist, lässt sich anhand der Aktenlage derzeit nicht abschließend beurteilen. Weder liegt dem Gericht
– trotz seiner Aufforderung zur Vorlage der einschlägigen Verwaltungsakten – die Sanierungssatzung vor,
noch ergeben sich – wie bereits ausgeführt – aus der Abschlusserklärung belastbare Anhaltspunkte für
die genauen Sanierungsziele und den konkreten Zustand des Grundstücks. Sie ergeben sich auch nicht
aus den Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung oder aus dem sonstigen Inhalt der
vorgelegten Verwaltungsakten. Dass das Sanierungsziel erreicht ist, lässt sich – entgegen der Auffassung
der Antragsgegnerin – insbesondere nicht dem Gutachten des Planungsbüros Piske über die
sanierungsbedingte Bodenwerterhöhung vom 16. Dezember 2008 entnehmen. Zwar werden dort
beispielhaft („insbesondere“) die Sanierungsziele für den Ludwigshafener Stadtteil Hemshof insgesamt
referiert. Auch wird darin als Ergebnissatz festgehalten, dass für das Anwesen des Antragstellers gemäß
Ortsbesichtigung sowie entsprechend der „Abschlussplanung Sanierungsgebiet Hemshof“ vom Mai 2006
im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten die Ziele und Zwecke der Sanierung erfüllt seien (Ziff. 7.4 und
7.5 des Gutachtens). Ungeachtet dessen, dass die in Bezug genommene „Abschlussplanung
Sanierungsgebiet Hemshof“ aus dem Jahre 2006 dem Gericht ebenfalls nicht vorgelegt wurde, kann auf
diese gutachterlichen Ausführungen nicht die Feststellung des Abschlusses der Sanierung gestützt
werden, da auch insoweit keine konkreten Tatsachen mitgeteilt werden und damit die Richtigkeit dieser
Behauptung einer gerichtlichen Prüfung nicht zugänglich ist.
Die Abgeschlossenheitserklärung vom 10. Juni 2010 erweist sich jedenfalls deshalb als offensichtlich
rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin von der ihr durch § 163 Abs. 1 Satz 1 BauGB eingeräumten
Ermessensermächtigung nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechend Gebrauch gemacht hat (§ 114
Satz 1 VwGO i.V.m. § 40 VwVfG). Ungeachtet dessen, dass die Antragsgegnerin mit den bereits
wiedergegebenen Motiven für den Erlass der Abschlusserklärung offenbar den ihr zukommenden
Ermessensspielraum verkannt hat, rechtfertigt der Abschluss der Sanierung allein, zumal bei einer – wie
hier – Mehrzahl von Grundstücken noch nicht die Einzelentlassung durch Verwaltungsakt gemäß § 163
Abs. 1 Satz 1 BauGB. Dies ergibt sich aus § 162 Abs. 1 Satz 2 BauGB, wonach bei Beendigung der
Sanierung nur eines Teils des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets eine Teilaufhebungssatzung zu
erlassen ist. Dementsprechend darf bei Konstellationen der hier inmitten stehenden Art, bei denen –
zumindest nach Ansicht der Behörde – schon für mehrere Grundstücke – die Antragsgegnerin spricht
selbst von einer „Vielzahl von Entscheidungen“ – die Sanierung abgeschlossen ist, nicht ohne Weiteres
von einer Teilaufhebungssatzung abgesehen und ohne Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten des
konkreten Einzelfalles der grundsätzlich nur für Einzelentlassungen und nicht als Aliud zu einer unter den
Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Satz 2 BauGB zwingenden Teilaufhebungssatzung vorgesehene Weg
der Abgeschlossenheitserklärung beschritten werden.
Die zur fehlerfreien Betätigung des im Rahmen von § 163 Abs. 1 Satz 1 BauGB eingeräumten
Ermessensspielraums erforderlichen Erwägungen finden sich auch nicht in der Antragserwiderung.
Ungeachtet der Frage, ob in Anbetracht der bei Erlass der Abgeschlossenheitserklärung unterbliebenen
Ausübung des Ermessens überhaupt eine Ergänzung im Sinne des § 114 Satz 2 VwGO möglich ist,
scheidet diese hier bereits deshalb aus, weil die Ausführungen in der Antragserwiderung nicht mit der
gebotenen Eindeutigkeit erkennen lassen, dass es sich um eine Ergänzung der Ermessenserwägungen
handeln soll und nicht lediglich um einen reinen Sachvortrag (vgl. BayVGH, Urteil vom 1. Oktober 2008
– 22 B 08.1160 –, juris, Rn. 27).
Unabhängig davon genügen die Erwägungen in der Antragserwiderung auch deshalb nicht den
Erfordernissen des § 40 VwVfG, weil allein der Umstand, dass die Antragsgegnerin durch die
Aufrechterhaltung der Sanierungssatzung die Erhaltung der Sanierungsausgleichsbeträge zur
Finanzierung z.B. noch ausstehender Wohnumfeldverbesserungen gewährleisten und den Rückfluss der
Gelder an das Land bzw. den Bund verhindern will, für sich allein ebenso wenig eine dem Sinn und
Zweck des § 163 Abs. 1 Satz 1 BauGB genügende Erwägung darstellt, wie die weitere Begründung, dass
eine Abgeschlossenheitserklärung im Fall des Antragstellers insbesondere deshalb notwendig gewesen
sei, weil dieser den Abschluss einer Ablösevereinbarung verweigert habe.
Zwar ist der Abschluss der Sanierung eine Voraussetzung des Entstehens der sachlichen
Ausgleichsbetragspflicht (§ 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB) und dient die Sanierungsausgleichsbetragspflicht
gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB der Finanzierung der Sanierung, so dass die möglichst zeitnahe
Entlassung eines Grundstücks zur Erlangung von Geldmitteln für andernorts anstehende
Sanierungsmaßnahmen ein grundsätzlich zulässiger Gesichtspunkt sein kann. Gleiches gilt mit Blick auf
die nicht zustande gekommene Ablösevereinbarung (vgl. § 154 Abs. 3 Satz 2 BauGB), weil diese neben
der Einzelentlassung und der Vorauszahlung (§ 154 Abs. 6 BauGB) ein vom Gesetz selbst vorgesehenes
Instrument der Finanzbeschaffung ist.
Der Abschluss der Sanierung oder fiskalische Erwägungen allein können aber jedenfalls dann nicht für
sich ausschlaggebend für den Erlass einer Abgeschlossenheitserklärung sein, wenn die Sanierung nicht
nur für ein einzelnes, sondern wie hier für eine Mehrzahl von Grundstücken als abgeschlossen
angesehen wird. Dann muss die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung jedenfalls auch Klarheit
darüber gewinnen und dies gemäß § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG in ihrer Begründung zum Ausdruck bringen,
warum eine Entlassung der einzelnen Grundstücke bereits vor der (teilweisen) Aufhebung der
Sanierungssatzung dem wohlverstandenen öffentlichen oder privaten Interesse entspricht und der bei
Sanierungsabschluss eines Teilgebiets vorgesehene Erlass einer (Teil-)Aufhebungssatzung im konkreten
Einzelfall untunlich ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Das Sanierungsgebiet wird gemäß § 142 Abs. 1 BauGB durch eine Sanierungssatzung förmlich festgelegt
und das einzelne zu sanierende Grundstück durch Satzung einbezogen. Als actus contrarius sieht § 162
Abs. 1 Satz 1 BauGB in den dort genannten Fällen, darunter bei durchgeführter Sanierung (Nr. 1), die
zwingende Verpflichtung zur Aufhebung der Sanierungssatzung vor. Liegen die Voraussetzungen des
§ 162 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur für einen Teil des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets vor, muss nach
Satz 2 dieser Bestimmung zwingend die Satzung für diesen Teil aufgehoben werden. Verpflichtend
vorgeschriebene Rechtsform ist also die (Teil-)Aufhebungssatzung. Ergänzend gestattet § 163 BauGB in
Einzelfällen die Abschlusserklärung bei faktischer Sanierung eines Grundstücks (Abs. 1) bzw. bereits vor
dem faktischen Abschluss der Sanierung (Abs. 2) und erlaubt so eine von der Grundkonzeption des § 162
BauGB abweichende Entlassung des jeweiligen Grundstücks ohne den Erlass einer
(Teil-)Aufhebungssatzung. Damit ermöglicht § 163 Abs. 1 Satz 1 BauGB die amtswegige Entlassung eines
einzelnen Grundstücks durch Verwaltungsakt ohne das aufwendigere Satzungsgebungsverfahren z.B.
dann, wenn sich herausstellt, dass dort eine Sanierung entgegen der ersten Erwartung nicht erforderlich
oder der Abschluss der Sanierung für weitere Grundstücke alsbald nicht zu erwarten ist (vgl.
Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 163 Rn. 13). Umgekehrt trägt § 163 Abs. 1 Satz 2 BauGB dem
Interesse des Grundstückseigentümers an einem zügigen Abschluss der Sanierung und der Befreiung
von den mit der Aufnahme in ein förmlich festgelegtes Sanierungsgebiet einhergehenden Belastungen
und Beschränkungen Rechnung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 1995
– 4 B 281/95 –, NVwZ-RR 1996, 629).
Bereits aus diesem abgestuften Regelungskonzept folgt, dass die in den §§ 162, 163 BauGB geregelten
Modalitäten des Sanierungsabschlusses i.S.d. § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB in einem Verhältnis der
Praktikabilität und Verhältnismäßigkeit zueinander stehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember
1995, a.a.O.). Keinesfalls aber stellt die Abgeschlossenheitserklärung nach § 163 Abs. 1 Satz 1 BauGB
eine Alternative dergestalt dar, dass die Behörde bei mehreren faktisch sanierten Grundstücken ein
Wahlrecht zwischen einer Teilaufhebungssatzung und einer Abgeschlossenheitserklärung hätte. Dies gilt
insbesondere deshalb, weil die
(Teil-)Aufhebungssatzung vom Gemeinderat zu beschließen ist (§§ 24 Abs. 2, 32 Abs. 2 Nr. 1
Gemeindeordnung – GemO –), wohingegen der Erlass einer Abschlusserklärung ein Geschäft der
laufenden Verwaltung ist, für die gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 GemO der Bürgermeister als
Hauptverwaltungsbeamter zuständig ist (vgl. auch VG Arnsberg, Urteil vom 18. August 2008 – 14 K
2627/07 –, juris, Rn. 30; Schmidt-Eichstaedt, in: Brügelmann, BauGB, § 163 Rn. 23). Die
Rechtssetzungskompetenz des Rates darf aber nicht dadurch unterlaufen werden, dass die Sanierung
zahlreicher Grundstücke durch Abgeschlossenheitserklärungen anstatt durch eine Aufhebungssatzung
formell abgeschlossen wird. Einzig Praktikabilitätserwägungen und solche der Verhältnismäßigkeit, wobei
letztere insbesondere im Fall des § 163 Abs. 1 Satz 2 BauGB zum Tragen kommen werden, können es
deshalb auch bei einer Mehrzahl von faktisch sanierten Grundstücke rechtfertigen, keine
Teilaufhebungssatzung zu erlassen, sondern ausnahmsweise das Mittel der Abschlusserklärung zu
wählen. Anderenfalls droht eine ausweislich des § 162 Abs. 1 Satz 2 BauGB gesetzlich nicht gewollte
Umgehung der Ratszuständigkeit und Aushöhlung des Wirkungsbereiches der Sanierungssatzung.
Diesen Erwägungen steht nicht entgegen, dass trotz des Erlasses von Abgeschlossenheitserklärungen
noch immer eine (Teil-)Aufhebungssatzung erlassen werden kann. Denn durch die zwingende
Verpflichtung, bei Abschluss der Sanierung für ein Teilgebiet, also für eine Mehrzahl von Grundstücken
eine Teilaufhebungssatzung erlassen zu müssen, wohingegen die Abschlusserklärung bei einzelnen
Grundstücken lediglich in das Ermessen gestellt ist, hat der Gesetzgeber selbst den grundsätzlichen
Vorrang der Teilaufhebungssatzung bei Sanierungsabschluss auf mehreren Grundstücken zum Ausdruck
gebracht. Diese Entscheidung muss die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung im Rahmen des § 163
Abs. 1 Satz 1 BauGB berücksichtigen.
Damit ist der Erlass von Abschlusserklärungen nach § 163 Abs. 1 BauGB zwar auch im vorliegenden Fall
nicht von vornherein schlichtweg ausgeschlossen, und zwar auch dann nicht, wenn für zahlreiche weitere
Grundstücke die Sanierung bereits tatsächlich beendet sein sollte. Jedoch lassen die Ausführungen der
Antragsgegnerin in ihrem Entlassungsbescheid und in ihrer Antragserwiderung über ihre Beweggründe
für den Erlass der hier streitigen Abgeschlossenheitserklärung die erforderlichen Erwägungen hinsichtlich
Praktikabilität, Rechtsformenwahl und Verhältnismäßigkeit vermissen und führen damit zur
Rechtswidrigkeit der Abgeschlossenheitserklärung.
Da am Sofortvollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse besteht, bedarf es
hier keiner Entscheidung darüber, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Abschlusserklärung
hier keiner Entscheidung darüber, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Abschlusserklärung
vom 10. Juni 2010 schon deshalb im öffentlichen Interesse i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO liegt, weil
er die Voraussetzung für die Festsetzung eines Ausgleichsbetragsbescheides gemäß § 154 Abs. 3 Satz 1
BauGB ist, der seinerseits kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO sofort vollziehbar ist
(vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1992 – 4 C 30/09 –, NVwZ 1993, 1112). Allerdings weist die
Kammer vorsorglich darauf hin, dass es keinen Automatismus dergestalt gibt, dass eine
Abgeschlossenheitserklärung nach § 163 Abs. 1 BauGB in jedem Fall zwecks Realisierung der sich daran
anschließenden Ausgleichsbetragsforderung für sofort vollziehbar zu erklären ist, wie dies in der
Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 21. Juli 2010 jedoch anklingt. Vielmehr hat die Behörde auch
im Rahmen der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nach
pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden und dabei das kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO
geschützte Suspensivinteresse des Betroffenen gegen das berechtigte öffentliche Interesse an einer
zügigen Finanzbeschaffung sorgfältig abzuwägen. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass das
Gesetz mit der Anforderung von Vorauszahlungen gemäß § 154 Abs. 6 BauGB dem öffentlichen Interesse
an der Erlangung von Ausgleichsbeträgen vor dem bestandskräftigen Abschluss der Sanierung
Rechnung trägt, ohne dem betroffenen Eigentümer das Risiko des Vollzugs noch nicht bestandskräftiger
Verwaltungsakte aufzuerlegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG, wobei sich die Kammer bei der
Bemessung der sich für den Antragstellers ergebenden Bedeutung der Sache an der Höhe der geltend
gemachten Ausgleichsbeträge
(6.270,-- €) orientiert hat, wobei nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit
i.d.F. vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327) im Eilverfahren vom hälftigen Streitwert auszugehen ist.
Rechtsmittelbelehrung …
gez. Seiler-Dürr
gez. Klingenmeier
gez. Niesler