Urteil des VG Neustadt vom 28.06.2010

VG Neustadt: aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, öffentliche ausschreibung, bezirk, rechtsschutzinteresse, rechtsverordnung, qualifikation, drucksache, behörde, verwaltungsakt

VG
Neustadt/Wstr.
28.06.2010
4 L 623/10.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Beschluss vom 28.06.2010 - 4 L 623/10.NW
Verwaltungsprozessrecht, Schornsteinfegerrecht
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn X.,
- Antragsteller -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Roth & Ulbrich, Hauptstraße 22, 67677 Enkenbach-
Alsenborn,
gegen
das Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch den Präsidenten der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion,
Willy-Brandt-Platz 3, 54290 Trier,
- Antragsgegner -
beigeladen:
Herr Y.
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Stefan Motzenbäcker, Marktstraße 35, 67655 Kaiserslautern,
wegen Schornsteinfegerrechts
hier: Antrag nach § 123 VwGO
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der Beratung vom
28. Juni 2010, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Butzinger
Richter am Verwaltungsgericht Kintz
Richter am Verwaltungsgericht Bender
beschlossen:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller einschließlich der außergerichtlichen Kosten des
Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Antragsteller die Verpflichtung des
Antragsgegners begehrt, es bis zur rechtkräftigen Überprüfung des Bescheids vom 26. Mai 2010 zu
unterlassen, den Kehrbezirk A zum 01. Juli 2010 an den Beigeladenen im durchgeführten
Ausschreibungsverfahren als Bezirksschornsteinfegermeister zu übertragen, ist bereits unzulässig.
Allerdings ist der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft. Der Antragsteller wendet sich gegen die
bevorstehende Bestellung des Beigeladenen zum Bezirksschornsteinfegermeister im Kehrbezirk A. Die
Bestellung zum Bezirksschornsteinfegermeister mit gleichzeitiger Zuweisung eines Kehrbezirks ist
gegenüber den übrigen Bewerbern - und damit auch gegenüber dem Antragsteller - als Verwaltungsakt
mit Doppelwirkung anzusehen (OVG Rheinland-Pfalz, GewArch 1988, 227, 230). Gemäß § § 5 Abs. 1
Satz 2 des Gesetzes über das Schornsteinfegerwesen i.d.F. vom 3. April 2009 (BGBl. I Seite 700) – SchfG
– i.V.m. § 10 Abs. 4 des Gesetzes über das Berufsrecht und die Versorgung im Schornsteinfegerhandwerk
vom 26. November 2008 (BGBl. I Seite 2242) – SchfHwG – hat der Widerspruch gegen die Bestellung zum
Bezirksschornsteinfegermeister keine aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass gegen die Bestellung
des Konkurrenten der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsakts gemäß § 123 Abs. 5
i.V.m. § 80a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaft ist. Vorliegend ist zum Zeitpunkt der Entscheidung
durch das Gericht indessen noch keine Bestellung des Beigeladenen zum Bezirksschornsteinfegermeister
erfolgt. Der Antragsgegner hat dem Beigeladenen bisher lediglich mit Schreiben vom 25. Mai 2010
mitgeteilt, dass das Auswahlverfahren ergeben habe, dass der Bezirk A an den Beigeladenen vergeben
werden soll und er um kurzfristige schriftliche Antwort gebeten werde, ob der den genannten Bezirk zum
01. Juli übernehme. Dieses Schreiben stellt noch keine anfechtbare Bestellung zum
Bezirksschornsteinfegermeister dar.
In Betracht kommt als statthafter Antrag daher allein der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123
Abs. 1 VwGO. Durch die einstweilige Anordnung ist grundsätzlich auch vorbeugender Rechtsschutz in
Bezug auf jede Art verwaltungsbehördlichen Handelns, somit auch in Hinblick auf bevorstehende
Verwaltungsakte möglich (vgl. VG Frankfurt, NJW 2008, 1096).
Voraussetzung für vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz ist allerdings ein qualifiziertes
Rechtsschutzinteresse (Dombert in: Finkelnburg/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im
Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage 2008, Rdnr. 104 m.w.N.). Dieses ist regelmäßig zu verneinen, da
das nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, für einen
vorbeugenden Rechtsschutz vorausgesetzte entsprechend qualifizierte, gerade auf die Inanspruchnahme
vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtete Rechtsschutzinteresse in der Regel nicht vorliegt. Ein derartiges
qualifiziertes Rechtsschutzinteresse wäre nur gegeben, wenn es dem Betroffenen aufgrund besonderer
Umstände nicht zumutbar wäre, die drohende Rechtsverletzung abzuwarten und sich auf den von der
VwGO (siehe insbesondere §§ 42, 68, 80, 80 a und § 123 VwGO) als grundsätzlich angemessen und
ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verweisen zu lassen (BVerwGE 54, 211 und
NVwZ 1984, 168).
Ein solches Rechtsschutzbedürfnis fehlt bei dem Antragsteller, der nicht glaubhaft gemacht hat, dass es
ihm unzumutbar wäre, den drohenden Verwaltungsakt, die Bestellung des Beigeladenen zum
Bezirksschornsteinfegermeister, abzuwarten und dann mit Widerspruch und eventuell anschließender
Anfechtungsklage sowie gegebenenfalls mit einem Antrag nach § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 VwGO
gegen diesen Bescheid vorzugehen.
Vorliegend liegt die Konstellation einer sog. „Konkurrentenverdrängungsklage“ vor (vgl. OVG
Niedersachsen, NdsVBl 2010, 81; Rennert, DVBl. 2009, 133), da der Kehrbezirk A nur einmal vergeben
werden kann. Der Antragsteller muss daher neben dem Verpflichtungsantrag, selbst zum
Bezirksschornsteinfegermeister für den Kehrbezirk A bestellt zu werden, die Bestellung des Beigeladenen
anfechten, um die diesem als begünstigtem Konkurrenten gegenüber ausgesprochene Bestellung für eine
erneute Auswahlentscheidung wieder verfügbar zu machen. Das Berufsrecht des
Schornsteinfegerwesens kennt im Gegensatz zum Beamtenrecht und dem dort geltenden Grundsatz der
‚Ämterstabilität“ (s. dazu BVerwG, NVwZ 1989, 158 und NJW 2004, 870) keine verbindliche, von einem
Dritten nicht anfechtbare Statusverleihung (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, GewArch 1988, 227, 230). Die
Bestellung kann von dem Konkurrenten innerhalb der geltenden Fristen angefochten werden; der
Gesetzgeber hat lediglich in § 10 Abs. 4 SchfHwG die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs
ausgeschlossen, um wegen der feuerpolizeilichen Aufgaben der Bezirksbevollmächtigten sicherzustellen,
dass ein Bezirk nicht unbesetzt ist. Die Bestellung soll nicht durch abgewiesene Bewerber oder
Bewerberinnen, sonstige Dritte „blockiert“ werden können (s. die Gesetzesbegründung in BT-Drucksache
16/9237, Seite 33). Die Bestellung kann im Unterschied zur beamtenrechtlichen Ernennung oder
Beförderung aber rückgängig gemacht werden.
Fehlt dem Antragsteller daher das qualifizierte Rechtsschutzinteresse für vorbeugenden vorläufigen
Rechtsschutz, war der Antrag als unzulässig abzulehnen.
Ungeachtet dessen ist der Antrag im Übrigen auch unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine
einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch
die Veränderung eines bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers
vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung
eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung
nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Der streitige
Anspruch (Anordnungsanspruch) und der Grund für die Anordnung (Anordnungsgrund) müssen glaubhaft
gemacht sein (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Der Antragsteller hat hier schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Für die Auswahl und die
Bestellung der Bezirksschornsteinfegermeister gelten gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 SchfG ab dem 1. Januar
2010 die §§ 9 und 10 des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes entsprechend. § 9 SchfHwG regelt
Anforderungen und Verfahren der Bestellung zum Bezirksschornsteinfegermeister. Die Auswahl der
Bezirksbevollmächtigten erfolgt nach Abs. 1 durch öffentliche Ausschreibung. Voraussetzung für die
Bestellung zum oder zur Bezirksbevollmächtigten ist, dass der Bewerber oder die Bewerberin die
handwerksrechtlichen Voraussetzungen zur selbständigen Ausübung des Schornsteinfegerhandwerks
besitzt (§ 9 Abs. 2 SchfHwG). Abs. 3 bestimmt, welche Unterlagen von den Bewerbern und Bewerberinnen
verlangt werden können. Die Auswahl zwischen den Bewerbern und Bewerberinnen ist nach ihrer
Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung vorzunehmen (§ 9 Abs. 4 SchfHwG).Die zuständige
Behörde hat ein objektives Auswahlverfahren einzurichten. Sie kann vor der Auswahlentscheidung
insbesondere zur Klärung technischer Fragen Sachverständige anhören, die über die entsprechende
Neutralität, Objektivität, Unabhängigkeit und Sachkunde verfügen (s. die Gesetzesbegründung in BT-
Drucksache 16/9237, Seite 32). § 9 Absatz 5 SchfHwG ermächtigt die Landesregierungen, Vorschriften
über das Ausschreibungsverfahren und die Auswahl der Bewerber und Bewerberinnen durch
Rechtsverordnung zu erlassen. Rheinland-Pfalz hat eine solche Rechtsverordnung bisher zwar nicht
erlassen. Jedoch wendet der Antragsgegner den Entwurf des Ministers für Wirtschaft, Verkehr,
Landwirtschaft und Weinbau zur Schornsteinfeger-Ausschreibungs- und Auswahlverordnung - SchfAAV -,
die demnächst in Kraft treten soll, in ständiger Praxis bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt an. § 6
SchfAVV konkretisiert in seinem Abs. 5 den § 9 Abs. 4 SchfHwG, indem er Kriterien für die Gewichtung der
Auswahlentscheidung aufstellt. Diese lauten wie folgt:
Eignung:
1. Auswertung der Bewerbungsunterlagen (Faktor 2,0)
Befähigung:
2. Berufserfahrung als Schornsteinfegerin oder Schornsteinfeger (Faktor 3,0)
3. Erfahrung als Kehrbezirksinhaberin oder Kehrbezirksinhaber (Faktor 1,0)
4. Berufsqualifizierende Fort- und Weiterbildung (Faktor 3,0)
Fachliche Leistung:
5. Note der Gesellenprüfung oder einer gleichwertigen Qualifikation (Faktor 0,5)
6. Note der Meisterprüfung oder einer gleichwertigen Qualifikation (Faktor 1,0)
Für jedes Kriterium wird eine gewichtete Punktzahl wie folgt gebildet:
Die Bewertung der Kriterien Nr. 1 bis 2 und 4 bis 6 erfolgt anhand einer Rangfolge der einzelnen
Bewerberinnen und Bewerber zueinander. Entsprechend der Rangfolge werden Punkte vergeben. Die
jeweils beste Bewerberin oder der jeweils beste Bewerber erhält die höchste, der oder die jeweils
schwächste die niedrigste Punktzahl. Die höchste erreichbare Punktzahl für jedes Kriterium entspricht der
schwächste die niedrigste Punktzahl. Die höchste erreichbare Punktzahl für jedes Kriterium entspricht der
Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber in dem Ausschreibungsverfahren. Haben bei einem Kriterium
mehrere Bewerberinnen und Bewerber den gleichen Rangplatz erreicht, so erhalten sie die gleiche
Punktzahl; die Punktzahl wird mit dem angegebenen Faktor vervielfältigt.
Bewerberinnen und Bewerber, die das Kriterium Nr. 3 erfüllen, erhalten Zusatzpunkte in Höhe der Anzahl
der Bewerberinnen und Bewerber.
Die Summe der gewichteten Punktzahl ergibt die Endpunktzahl der jeweiligen Bewerberin oder des
jeweiligen Bewerbers. Die Bewerberin oder der Bewerber mit der höchsten Endpunktzahl soll für den zu
besetzenden Bezirk ausgewählt werden. Bei gleicher Endpunktzahl gilt § 5 Abs. 1.
Nach § 6 Abs. 6 SchAAV ist das Auswahlverfahren durch die zuständige Behörde in geeigneter Form zu
dokumentieren.
Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner gegen § 9 Abs. 4 SchfHwG und die
in § 6 Abs. 5 SchfAAV aufgezählten Auswahlkriterien verstoßen hat und die getroffene
Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen zu beanstanden ist.
Der Antragsteller hat in Anwendung der Auswahlkriterien 77,5 Punkte erhalten, während der Beigeladene
79,5 Punkte erreicht hat. Ausschlaggebend bei der Bewertung der „Bewerbungsunterlagen“ war nach
Angaben des Antragsgegners, dass der Beigeladene mit sehr gutem Erfolg am 180 Unterrichtsstunden
dauernden Lehrgang „Servicetechnik Heizung-Klima-Sanitär“ an der Akademie der Handwerkskammer
Trier teilgenommen hat und der Antragsgegner diese Zusatzqualifikation wegen des teilweise engen
inhaltlichen Bezuges zum Schornsteinfegerhandwerk insoweit höher bewertete als die Tätigkeit des
Antragstellers als selbstständiger Handelsvertreter für Kaminöfen und Schornsteine. Diese Bewertung des
Antragsgegners ist rechtlich nicht zu beanstanden, zumal ihm dabei ein gerichtlich nur begrenzt
überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht.
Soweit der Antragsteller ferner moniert hat, es hätte zu seinen Gunsten in die Bewertung einfließen
müssen, dass der Beigeladene 52 km vom Kehrbezirk A entfernt wohne, während er, der Antragsteller,
„nur“ 40 km außerhalb des Kehrbezirks wohnhaft sei, kann er damit nicht gehört werden. Die in § 17 SchfG
a.F. angeordnete Residenzpflicht des Bezirksschornsteinfegermeisters ist aufgrund der Vorgaben der
Europäischen Kommission durch Artikel 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung des
Schornsteinfegerwesens vom 26. November 2008 (BGbl. I Seite 2242) mit Wirkung vom 29. November
2008 außer Kraft getreten. Die Nähe des Wohnortes zum Kehrbezirk A ist daher bei der Auswahl der
Bewerber kein maßgebliches Kriterium mehr.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung mit der Hälfte des Auffangstreitwertes hat ihre Grundlage in §§ 52 Abs. 2, 53 Abs.
3 GKG.
Rechtsmittelbelehrung …