Urteil des VG Münster vom 17.06.2009

VG Münster: lehrer, vergleich, rechtsgutachten, schule, rechtfertigung, willkür, öffentlich, form, aufwand, unangemessenheit

Verwaltungsgericht Münster, 22 K 2691/08.PVL
Datum:
17.06.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
22. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
22 K 2691/08.PVL
Schlagworte:
Freistellungsumfang, Lehrerpersonalrat, Verringerung,
Differenzierungsgrund
Normen:
§ 85 Abs. 5 Satz 2 LPVG NRW, § 42 Abs. 3 und 4 LPVG NRW, Art. 3 GG
Leitsätze:
Die pauschale Verringerung des Freistellungskontingentes für örtliche
Lehrerpersonalräte auf der Ebene der Bezirksregierung nach § 85 Abs. 5
Satz 2 LPVG NRW verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
G r ü n d e :
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I.
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Der Antragsteller ist der bei der Bezirksregierung N. gebildete örtliche Personalrat für
Lehrerinnen und Lehrer an Gesamtschulen, der etwa 2168 Beschäftigte vertritt. Er
streitet mit dem Beteiligten über die Frage, in welchem Gesamtumfang seinen
Mitgliedern ein Anspruch auf Freistellung von ihren dienstlichen Tätigkeiten zusteht,
namentlich ob eine Kürzung des dem Personalrat grundsätzlich zustehenden
Freistellungskontingentes nach § 85 Abs. 5 Satz 2 LPVG NRW rechtmäßig ist.
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Der Antragsteller hat am 19. Dezember 2008 das vorliegende
personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren eingeleitet. Er trägt im Wesentlichen
vor: § 85 Abs. 5 Satz 2 LPVG NRW sei verfassungswidrig. Die Bestimmung verstoße
gegen Art. 3 GG. Durch die in § 42 Abs. 4 LPVG NRW geregelten Freistellungsstaffeln
habe der Gesetzgeber klargestellt, dass bei örtlichen Personalräten je nach Anzahl der
vertretenen Beschäftigten eine bestimmte Anzahl von Personalratsmitgliedern
freizustellen sei. Ein entsprechender Bedarf bestehe auch im Lehrerbereich. Schon aus
der "Ortsferne" der einzelnen Schulen folge für den Antragsteller ein erheblich größerer
Betreuungsbedarf als er etwa bei Personalräten mit einer zentralen Dienststelle
gegeben sei. Eine Rechtfertigung für die in § 85 Abs. 5 Satz 2 LPVG NRW
vorgesehenen Ungleichbehandlung gegenüber anderen Personalräten lasse sich nicht
aus dem Umstand herleiten, dass im Lehrerbereich das sogenannte Gruppenprinzip
nicht gelte.
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Der Antragsteller beantragt,
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Der Antragsteller beantragt,
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festzustellen, dass ihm – dem Antragsteller - ein ungekürztes
Freistellungskontingent von 102 Lehrerwochenstunden gemäß § 42 Abs. 4
LPVG NRW zur Verfügung steht.
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Die Beteiligte beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er trägt vor, § 85 Abs. 5 Satz 2 LPVG NRW sei rechtlich nicht zu beanstanden,
insbesondere stehe die Vorschrift mit Art. 3 GG im Einklang.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag ist unbegründet.
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Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, dass ihm ein
ungekürztes Freistellungskontingent zusteht. Gemäß § 42 Abs. 4 Satz 4 LPVG NRW
sind vier Mitglieder des Personalrats von ihrer dienstlichen Tätigkeit nach § 42 Abs. 3
LPVG NRW ganz freizustellen in Dienststellen mit in der Regel 2001 bis 3000
Beschäftigten. Nach § 85 Abs. 5 Satz 2 LPVG NRW, verringert sich bei örtlichen
Lehrerpersonalräten auf der Ebene der Bezirksregierungen das Freistellungskontingent
abweichend von § 42 Abs. 4 Sätze 4 und 5 LPVG NRW jeweils um ein Sechstel.
Gemessen daran kann der Antragsteller eine Freistellung seiner Mitglieder im Umfang
von 85 Unterrichtsstunden pro Woche beanspruchen. Dieser Freistellungsumfang ist
ihm gewährt worden. Weitergehende Ansprüche hat er nicht. Insbesondere ist die
Verringerung des Freistellungsumfanges nach § 85 Abs. 5 Satz 2 LPVG NRW nicht zu
beanstanden.
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Die vorgenannte Regelung im LPVG NRW verstößt nach Auffassung des Gerichts nicht
gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der gegenteiligen Ansicht des Antragstellers – insbesondere
gestützt auf das Rechtsgutachten von Priv.-Doz. Dr. Grigoleit aus Mai 2008 "Die
Sonderregelungen für Personalvertretungen im Schulbereich des Landes Nordrhein-
Westfalen" – vermag die Kammer nicht zu folgen.
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Der Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG gebietet im wesentlichen Gleiches gleich
zu behandeln und wesentlich Ungleiches verschieden zu behandeln. Eine
Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte muss allerdings keinesfalls
zwangsläufig Art. 3 Abs. 1 GG verletzen. Sie kann vielmehr durch einen hinreichend
gewichtigen Grund gerechtfertigt sein. Als ein solcher Grund für die
Ungleichbehandlung (Differenzierungsgrund) kommt jede vernünftige Erwägung in
Betracht. Dabei ist es zwar grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen
Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft. Seine Auswahl muss
allein sachlich vertretbar sein bzw. an sachgerechten Kriterien orientiert sein.
Andererseits kommt es nicht allein auf die vom Gesetzgeber herangezogenen Gründe
an; auch andere, objektiv vorhandene Gründe können rechtfertigend wirken.
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Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 10. Aufl. 2009, Art. 3, Rdnrn. 6, 7,
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14, 15; BVerfG, Beschluss vom 20. März 1979 – 1 BvR 111/74 und 283/78 -,
BVerfGE 51, 1, 26, 27; Beschluss vom 5. Mai 1987 – 1 BvR 724, 1000, 1015/81
-, 1 BvL 16/82 und 5/84 -, BVerfGE 75, 246, 268.
Nach diesen Maßstäben ist die in § 85 Abs. 5 Satz 2 LPVG NRW vorgesehene
Verringerung des Freistellungsumfanges für örtliche Lehrerpersonalräte auf der Ebene
der Bezirksregierung durch hinreichende Differenzierungsgründe gerechtfertigt und
verstößt damit nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
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Ausgangspunkt des Gesetzgebers bezüglich der im Oktober 2007 in Kraft gesetzten
Verringerung des Freistellungskontingents für Lehrerpersonalräte war der Jahresbericht
2006 des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen (LRH). Dieser hatte ausgeführt
(Seite 190 bis 204): In Nordrhein-Westfalen seien die Personalvertretungen für Lehrer
getrennt nach Schulformen und Schulaufsichtsbehörden organisiert. Dadurch bedingt
gebe es im Schulbereich insgesamt 144 Personalvertretungen. Deren Mitglieder seien
im Umfang von rund 495 Vollzeitstellen von ihrer dienstlichen Tätigkeit freigestellt. Das
entspreche einem Kostenvolumen von rd. 24,8 Mio. Euro. Ferner benötigten die
Personalvertretungen erhebliche Sach- und Personalressourcen von seiten der
Verwaltung; auch deren Höhe werde maßgeblich durch die Anzahl der
Personalvertretungen und ihrer Mitglieder bestimmt. Es werde empfohlen, wie in
anderen Bundesländern auch in Nordrhein-Westfalen in wesentlich größerem Umfang
schulformübergreifende Strukturen zu schaffen. Ein vom LRH dazu entwickelter
Vorschlag erfordere nur noch 65 Personalvertretungen und reduziere die Kosten für
Freistellungen um rund 40 % bzw. 10 Mio. Euro.
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In den Begründungen des Gesetzes zur Änderung des Personalvertretungsrechts und
schulrechtlicher Vorschriften vom 24. April 2007 (LT-Drs. 14/4239) sind die
Überlegungen des LRH aufgegriffen worden. Die vom LRH geforderten
schulformübergreifenden Strukturen sind allerdings nicht übernommen worden. Die
stattdessen eingeführten Einschränkungen für Lehrerpersonalräte hat der Gesetzgeber
als sachgerecht angesehen, weil wegen der Schulformbezogenheit der Personalräte
eine homogene Interessenvertretung gewährleistet werden könne, die sowohl eine
Verringerung der Anzahl der Personalratsmitglieder als auch eine Reduzierung des
Umfangs der Freistellungen rechtfertige (LT-Drs. 14/4239, S. 87, 103). Daneben hat der
Gesetzgeber bei der Befassung mit den im Gesetzgebungsverfahren vorgebrachten
Einwänden der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und Berufsverbände als
Differenzierungsgrund im Blick gehabt, dass im Lehrerbereich das Gruppenprinzip nicht
gilt.
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Vgl. S. 70 der Anlage zur Mitteilung des Innenausschusses an die Mitglieder
des Landtags vom 27. April 2007 (Information 14/0431).
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Die vorgenannten Differenzierungsgründe für eine besondere (einschränkende)
Regelung des Freistellungsumfanges für Lehrerpersonalräte – fehlende Geltung des
Gruppenprinzips (§ 85 Abs. 3 Satz 1 LPVG NRW) sowie größere Homogenität der
schulformbezogen organisierten Personalvertretungen – sind mit Blick auf Art. 3 Abs. 1
GG rechtlich nicht zu beanstanden. Die fehlende Geltung des Gruppenprinzips führt
dazu, dass für örtliche Lehrerpersonalräte auf der Ebene der Bezirksregierung
regelmäßig der Aufwand bei der Wahrnehmung von Gruppenangelegenheiten entfällt.
Die Annahme einer Homogenität der schulformbezogen organisierten
Personalvertretungen ist sachgerecht; Lehrerpersonalräte vertreten die Interessen nur
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einer Berufsgruppe mit im wesentlichen gleichartigen öffentlich-rechtlichen Aufgaben
innerhalb einer einheitlichen Behördenstruktur. Die hiergegen vorgebrachten Einwände
in dem vom Antragsteller vorgelegten Rechtsgutachten von Priv.-Doz. Dr. Grigoleit
greifen nicht durch. Insoweit nimmt das Gericht zur Begründung Bezug auf die
Ausführungen im Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg 17. November 2008 - 20
L 724/08.PVL – (Seite 4 bis 8 des amtlichen Umdrucks) sowie des Verwaltungsgerichts
Minden im Beschluss vom 27. April 2009 – 14 K 237/09 – (Seite 9, 10 des amtlichen
Umdrucks).
Im Übrigen fällt eigenständig tragend ins Gewicht, dass die besondere Regelung der
Einschränkung des Freistellungsumfanges für örtliche Lehrerpersonalräte auf der Ebene
der Bezirksregierung in § 85 Abs. 5 Satz 2 LPVG NRW durch (weitere) objektiv auf der
Hand liegende Differenzierungsgründe zu rechtfertigen ist. Solche Gründe sind nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beachten; demgemäß gilt: "Nicht
die subjektive Willkür des Gesetzgebers oder die Feststellung, dass Gründe, die im
Verfassungsstreit zur Rechtfertigung einer Regelung vorgetragen werden, vom
Bundesverfassungsgericht als nicht hinreichend angesehen werden, führt zur
Verfassungswidrigkeit einer Norm, sondern nur die objektive, d.h. die tatsächliche und
eindeutige Unangemessenheit einer Norm im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation,
die sie regeln soll."
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BVerfG, Beschluss vom 20. März 1979 – 1 BvR 111/74 und 283/78 -, BVerfGE
51, 1, 26, 27.
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Insoweit ist nach Ansicht der Kammer Folgendes beachtlich:
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Erstens gelten für die von der Einschränkung betroffenen Lehrerpersonalvertretungen im
Vergleich zu sonstigen Personalräten weitere die Aufgabenwahrnehmung
einschränkende Regelungen. So dürfte etwa ein geringerer Arbeitsaufwand bezüglich
der gemeinschaftlichen Besprechungen mit dem Dienststellenleiter entstehen, weil
diese nur zweimal jährlich und nicht einmal im Quartal stattfinden (vgl. § 85 Abs. 4 bzw.
§ 63 Satz 1 LPVG NRW). Ferner sind die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte der in
Rede stehenden Personalräte durch § 92 Abs. 3 bis 5 LPVG NRW bei bestimmten
Personalmaßnahmen im Vergleich zu anderen Personalvertretungen eingeschränkt.
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Zweitens besteht in NRW eine besondere (zusätzliche) Form der Interessenvertretung
für die Lehrer in den jeweiligen Schulen selbst, die zu einer Aufgabeneinschränkung der
örtlichen Personalvertretungen auf der Ebene der Bezirksregierungen führt. Dieses
besondere Organisationsgefüge für die Interessenvertretung der Lehrer unterscheidet
sich maßgeblich von den übrigen personalvertretungsrechtlichen Strukturen im
öffentlichen Dienst. An jeder Schule werden gemäß § 69 SchulG NRW Lehrerräte
gewählt, die den Aufgaben von Personalräten vergleichbare Funktionen "vor Ort"
wahrnehmen (vgl. § 69 Abs. 4 SchulG NRW), soweit es um Entscheidungen und
Maßnahmen des Schulleiters geht. Dem Lehrerrat steht ein umfassendes Informations-
und Anhörungsrecht zu. Für die Beteiligung des Lehrerrates an bestimmten
Entscheidungen des Schulleiters gelten die §§ 62 bis 77 LPVG NRW entsprechend. Vor
diesem Hintergrund sind (schon jetzt) die örtlichen Personalräte auf der Ebene der
Bezirksregierung mit einer Vielzahl der die Lehrer "vor Ort" betreffenden Maßnahmen
(Unterrichtsorganisation, Stundenpläne, Verwaltungsmaßnahmen, Angelegenheiten der
Fortbildung und Auswahl der Teilnehmer – vgl. § 59 Abs. 6 SchulG NRW -, etc.) nicht zu
befassen. Einhergehend mit der – auch rechtlich – zunehmenden "Selbstständigkeit"
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der Schulen werden zudem (künftig) personalbezogene Befugnisse auf die Schulleiter
übertragen. So entscheidet bereits aktuell die Auswahlkommission der jeweiligen
Schule, deren Vorsitzender der Schulleiter ist, über die Auswahl einzuladender
Bewerber im schulscharfen Einstellungsverfahren. Erweiterte Kompetenzen des
Schulleiters, die bereits in einigen Modellschulen eingeführt sind, dürften schließlich
fortschreitend zur Verringerung der Aufgaben der örtlichen Personalräte auf der Ebene
der Bezirksregierung führen (vgl. dazu §§ 69 Abs. 3, 59 Abs. 4 und 5 SchulG NRW).
Eine Kostenentscheidung entfällt im personalvertretungsrechtlichen
Beschlussverfahren.
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