Urteil des VG Koblenz vom 01.09.2008

VG Koblenz: ausweisung, rücknahme, schutz der rechte anderer, emrk, achtung des privatlebens, ablauf der frist, abschiebung, wiederholungsgefahr, öffentliche sicherheit, eltern

VG
Koblenz
01.09.2008
3 K 1282/07.KO
Aufenthaltsrecht, Ausländerrecht
Verwaltungsgericht Koblenz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn ...,
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Härdle und Kollegen, Tullastraße 10, 68161 Mannheim,
gegen
den
Landkreis Bad Kreuznac
, vertreten durch den Landra
, Salinenstraße 47
,
5554
Bad Kreuznach
,
- Beklagter -
wegen Ausweisung (Türkei)
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
1. September 2008, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Lutz
Richter am Verwaltungsgericht Pluhm
Richter am Verwaltungsgericht Holly
ehrenamtliche Richterin Betreuerin Schwenk
ehrenamtlicher Richter Maschinenbauingenieur Brand
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Rücknahme einer gegen ihn am 7. Mai 1998 verfügten Ausweisung.
Er ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am ... 1973 als Kind türkischer Arbeitnehmer in S. in der
Bundesrepublik Deutschland geboren. Am 1. Mai 1973 verbrachten ihn seine Eltern in die Türkei, wo er
bis zu seiner Wiedereinreise nach Deutschland am 16. Oktober 1978 bei seinen Großeltern lebte. Am 12.
Mai 1989 wurde ihm erstmals eine bis zum 20. Dezember 1990 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die
bis zum 19. Dezember 1992 verlängert wurde. Auf seinen Verlängerungsantrag vom 21. Januar 1993
wurde ihm am 22. Januar 1993 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Der Kläger besuchte in Deutschland die Schule, die er mit der mittleren Reife abschloss. Danach schloss
er ebenfalls erfolgreich eine Lehre zum Metallschleifer ab. Im Anschluss daran war er kurzfristig arbeitslos,
von November 1995 bis Juli 1996 arbeitete er dann als Maschinenbediener.
Seit Anfang der 90er-Jahre ist der Kläger wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten, was im
Einzelnen zu nachstehenden Verurteilungen führte:
– durch Urteil des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 9. Februar 1995 – 3005 Js 9848/94 – jug. – 4 Ls
66/94 – wegen Diebstahls in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung bis
zum 16. Februar 1997 zur Bewährung ausgesetzt wurde.
– durch Urteil des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 16. April 1997 – 1009 Js 9123/96 – 4 Ls 12/97 –
und Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 2. Oktober 1997 in gleicher Sache wegen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6
Monaten.
– durch Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 25. November 1997 – 1009 Js 2254/97 Kls –
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 5 Fällen unter
Einbeziehung der Strafe aus dem vorgenannten Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren.
Wegen dieser Straftaten befand der Kläger sich seit 18. September 1996 in U-Haft, ab 10. Oktober 1997
verbüßte er seine Freiheitsstrafe in der JVA Wittlich.
Am 28. Oktober 1999 wurde er auf der Grundlage einer Ausweisungsverfügung des Beklagten vom 7. Mai
1998 in die Türkei abgeschoben, nachdem ein dagegen von ihm eingeleitetes Verwaltungsstreitverfahren
ohne Erfolg geblieben war. Auf die in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen des
erkennenden Gerichts (Beschluss vom 21. August 1998 – 3 L 2201/98.KO -; Urteil vom 14. Februar 2000 –
3 K 1004/99.KO -) und des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 13. November 1998
– 10 B 12102/98.OVG -) wird Bezug genommen.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 10. Juli 2001 beantragte der Kläger die nachträgliche zeitliche Befristung
der Sperrwirkung der Ausweisung. Gleichzeitig bat er um Mitteilung der Kosten der Abschiebung, damit
diese beglichen werden könnten. Mit Schreiben vom 20. November 2001 teilte der Beklagte dem Kläger
die Gesamtkosten in Höhe von 6.856,28 DM mit und forderte ihn zur Zahlung auf. Weiter heißt es in dem
genannten Schreiben, dass nach Eingang des Betrages die Befristung vorgenommen werde.
Dazu kam es jedoch nicht mehr, weil der Kläger am 25. Februar 2004 im Raum Frankfurt vorläufig
festgenommen wurde. Hintergrund der Festnahme war die Beteiligung des Klägers an einem
Falschgelddelikt. Dies führte schließlich zu einer erneuten Verurteilung des Klägers durch das
Landgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 20. April 2004 – 5/4 KLs – 5340 Js 207650/04(8/04) -) wegen
Geldfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren. Diese hat der Kläger in der JVA Frankenthal verbüßt.
Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Zweibrücken vom 23. Juli 2008 – 2 StVK
782/07 – sowie – 2 StVK 783/07 -) wurde dem Kläger Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1
StGB nach 2/3-Verbüßung bewilligt. Wegen der Einzelheiten wird auf den genannten Beschluss Bezug
genommen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 23. Januar 2006 beantragte der Kläger, die Ausweisung vom 7. Mai 1998
zurückzunehmen, hilfsweise, das Verfahren nach § 51 VwVfG wieder aufzugreifen.
Mit Schreiben vom 27. Januar 2006 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er im Hinblick auf die erneute
Verurteilung des Klägers keine Veranlassung zur Rücknahme der Ausweisung sehe. Außerdem kündigte
er eine erneute Ausweisung des Klägers an, die schließlich mit Bescheid vom 27. Februar 2006 verfügt
wurde.
Gegen diese Ausweisung legte der Kläger unter dem 22. Mai 2006 Widerspruch ein, über den noch nicht
entschieden ist.
Des Weiteren erhob er am 23. Mai 2006 bezüglich der beantragten Rücknahme der Ausweisung vom 7.
Mai 1998 Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht. Mit Beschluss des erkennenden Gerichts vom
10. Januar 2007 – 3 K 811/06.KO – wurde dem gleichzeitig vom Kläger gestellten Antrag auf
Prozesskostenhilfe teilweise stattgegeben. Auf die Gründe wird Bezug genommen. Dies nahm der
Beklagte zum Anlass mitzuteilen, dass er nunmehr beabsichtige, in Kürze über den entsprechenden
Antrag des Klägers zu entscheiden. Hierauf wurde das genannte Gerichtsverfahren nach
übereinstimmender Erledigungserklärung eingestellt.
Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 23. März 2007 lehnte der Beklagte schließlich
den Antrag auf Rücknahme der Ausweisung vom 7. Mai 1998 ab.
Nachdem über den dagegen seitens des Klägers unter dem 3. April 2007 eingelegten Widerspruch nicht
entschieden worden ist, hat dieser schließlich am 10. Juli 2007 erneut die vorliegende Untätigkeitsklage
erhoben.
Der Kläger trägt vor, er habe Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung vom 7. Mai 1998, weil diese
rechtswidrig gewesen sei.
Er genieße den Status eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen gemäß Art. 7 Satz 2
ARB 1/80 EWG/Türkei. Daher habe er nur unter den Voraussetzungen des Art. 14 ARB 1/80 EWG/Türkei
ausgewiesen werden dürfen. Dies sei im Rahmen der Entscheidung vom 7. Mai 1998 verkannt worden
und er daher auf der Grundlage einer Regelausweisung ausgewiesen worden. Die Voraussetzungen für
seine Ausweisung auf der Grundlage des Art. 14 ARB 1/80 EWG/Türkei hätten im Jahre 1998 nicht
vorgelegen. Nach dieser Bestimmung könne eine strafrechtliche Verurteilung eine Ausweisung nur
insoweit rechtfertigen, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen
lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Es sei jeweils eine
konkrete Einzelfallprüfung erforderlich. Dies sei seinerzeit missachtet worden.
Der Bescheid vom 23. März 2007 sei ebenfalls ermessensfehlerhaft. Er leide insbesondere daran, dass in
die Ermessensentscheidung über die Rücknahme der Ausweisung lediglich die zu seinen Lasten
gehenden Gesichtspunkte eingestellt worden seien, während die zu seinen Gunsten sprechenden
Umstände nicht hinreichend geprüft und erwogen worden seien. Dies gelte zunächst für die Bewertung
der bei ihm bestehenden Drogenproblematik. Insoweit werde ihm vorgehalten, dass dieses Problem
bisher nicht aufgearbeitet worden sei. Dabei werde aber außer acht gelassen, dass seine Teilnahme an
einer im Jahre 1998 bereits genehmigten Drogentherapie allein durch die Ausweisung und Abschiebung
vereitelt worden sei. Überdies liege auch ein Schreiben des Drogenberaters W. aus der JVA Zweibrücken
vom 28. März 2007 vor, aus dem sich ergebe, dass eine Drogenabhängigkeit bei ihm nicht mehr vorliege.
Des Weiteren habe der Beklagte in seine Ermessenserwägungen keine konkrete Überprüfung der
Sozialprognose zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des 9. März 1999 eingestellt. Zumindest hätte insoweit
eine Stellungnahme der JVA Wittlich eingeholt werden müssen. Hieraus hätte sich ergeben, dass die
Sozialprognose zum damaligen Zeitpunkt positiv gewesen sei.
Auch seine familiären Verhältnisse seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Das gleiche gelte für den
Umstand, dass er in Deutschland geboren worden sei und hier seine Ausbildung mit Erfolg durchlaufen
habe. Auch das Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sei nicht
hinreichend geprüft worden. Ferner sei die damalige Ausweisung auch unverhältnismäßig, weil sie nicht
von vornherein befristet worden sei.
Schließlich habe mit Beschluss vom 23. Juli 2008 die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
Zweibrücken die von ihm zu verbüßende Reststrafe gemäß § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt.
Ein in diesem Zusammenhang eingeholtes Gutachten der Universität des Saarlandes vom 7. Juli 2008
stelle ihm eine positive Prognose aus.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23. März 2007 zu verpflichten, die Ausweisung des
Klägers vom 7. Mai 1998 zurückzunehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, der Kläger könne die Rücknahme der Ausweisung vom 7. Mai 1998 nicht verlangen,
weil er auch auf der Grundlage einer Ermessensausweisung unter Berücksichtigung des Art. 14 ARB 1/80
EWG/Türkei ausgewiesen worden wäre. Die wiederholt vom Kläger begangenen schwerwiegenden
Straftaten hätten besorgen lassen, dass er nach der Haftentlassung erneut einschlägig in Erscheinung
treten werde. Dabei falle insbesondere ins Gewicht, dass er nicht nur selbst Betäubungsmittel konsumiert,
sondern damit auch Handel betrieben habe. Damit habe er Leben und Gesundheit Dritter erheblich
gefährdet. Eine entsprechende Aufarbeitung der Drogenproblematik habe bis November 1998 nicht
stattgefunden gehabt, so dass eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit gegeben sei. Die persönlichen
Lebensumstände seien nicht geeignet gewesen, eine positive Prognose zu stützen. Er habe seine ihm vor
der Inhaftierung von seinem Onkel angebotene Arbeitsstelle nicht angetreten. Auch der Umstand, dass
der Kläger in Deutschland geboren worden und weitgehend hier aufgewachsen sei, sowie die Tatsache,
dass seine übrigen Familienmitglieder in Deutschland leben sei nicht gewichtiger einzustufen gewesen,
als das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer schwerwiegender Straftaten durch den Kläger
im Bundesgebiet. Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Privatleben des Klägers nach Art. 8
EMRK sei notwendig und damit verhältnismäßig.
Auf die am 3. März 2008 durchgeführte mündliche Verhandlung wurde dem Beklagten mit Beschluss des
erkennenden Gerichts vom gleichen Tage Gelegenheit gegeben, seine Ermessenserwägungen im
Bescheid vom 23. März 2007 bis zum 16. Mai 2008 zu ergänzen. Auf die Begründung wird Bezug
genommen.
Mit Schriftsatz vom 16. Juni 2008 hat der Beklagte seine Ermessenserwägungen ergänzt. Hierin ist
ausgeführt, unter Berücksichtigung der Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten, der Dauer seines
Aufenthaltes, der Zeit, die seit der Straftat verstrichen ist, der familiären Situation und der Möglichkeit der
Reintegration des Klägers in sein Heimatland habe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles im
maßgeblichen Zeitpunkt 14. Februar 2000 das öffentliche Ausweisungsinteresse das private Interesse des
Klägers an einem weiteren Aufenthalt in Deutschland überwogen. Eine Rücknahme der damaligen
Ausweisung scheide vor diesem Hintergrund aus. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der Kläger
erneut in erheblichem Maße straffällig geworden sei. Die erneute Verurteilung des Klägers wegen
Geldfälschung belege, dass sich seine kriminelle Energie noch gesteigert habe. Zudem habe er sich
illegal und unter Verwendung falscher Personalien in Deutschland aufgehalten.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 1. September 2008 hat der Beklagte des Weiteren seine
Ermessenserwägungen in Bezug auf die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
Zweibrücken und das in diesem Zusammenhang zur Akte gereichte Gutachten der Universität des
Saarlandes vom 7. Juli 2008 ergänzt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug
genommen. Insbesondere hat der Beklagte in Ansehung dieser Entwicklung die Ausweisung auf den 31.
August 2013 befristet.
Der Kläger hält die Entscheidung auch in Ansehung der Ermessensergänzung und Befristung aus den
bereits genannten Gründen für rechtswidrig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der
beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, der Straf- und Gefangenen-Personalakten sowie der
Gerichtsakten 3 K 264/08.KO, 3 K 811/06.KO und 3 L 2201/98.KO Bezug genommen. Diese Unterlagen
lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die als Untätigkeitsklage nach § 75 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO - zulässige Klage ist nicht
begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung vom 7. Mai 1998. Der dieses Begehren
ablehnende Bescheid des Beklagten vom 23. März 2007 erweist sich daher als rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Der vom Kläger geltend gemachte Rücknahmeanspruch beurteilt sich nach § 48 Abs. 1 Satz 1
Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG -. Hiernach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch
nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die
Vergangenheit zurückgenommen werden. Vorliegend erweist sich die Ausweisung des Klägers vom 7.
Mai 1998 zwar als rechtswidrig. Die vom Beklagten getroffene Ermessensentscheidung, die Ausweisung
gleichwohl nicht zurückzunehmen, sondern lediglich deren Sperrwirkung auf den 31. August 2013 zu
befristen, ist indessen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Insbesondere kann der Kläger nicht mit
Erfolg geltend machen, das dem Beklagten im Rahmen der Entscheidung über die Rücknahme dieses
Verwaltungsaktes zustehende Ermessen habe sich zu seinen Gunsten auf „Null“ verdichtet, so dass die
Rücknahme der damaligen Ausweisung die einzig rechtmäßige Entscheidung sei.
Die als Regelausweisung verfügte Ausweisung des Klägers vom 7. Mai 1998 war wegen Verstoßes
gegen europarechtliche Bestimmungen rechtswidrig. Dies ergibt sich bei Zugrundelegung der
Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 29. April 2004 – Rs C – 482/01 und C - 493/01 -, Orfanopoulus
und Oliveri, DVBl. 2004, 876) und der daran anknüpfenden Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 3. August 2004 – 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297).
So ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger gemäß Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 EWG/Türkei in den
Genuss der Rechtsstellung eines Berechtigten nach dieser Bestimmung gelangt ist. Hiernach können sich
nämlich die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – im Aufnahmeland eine
Berufsausbildung abgeschlossen haben (hier: abgeschlossene Lehre zum Metallschleifer), unabhängig
von der Dauer ihres Aufenthaltes in dem betreffenden Mitgliedsstaat dort auf jedes Stellenangebot
bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedsstaat seit mindestens drei Jahren beschäftigt
war. Da diese Voraussetzungen im Falle des Klägers vorliegen, durfte er nach der vorstehend zitierten
Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverwaltungsgerichts nur auf der Grundlage des Art. 14 Abs. 1
ARB 1/80 EWG/Türkei i.V.m. §§ 45, 46 AuslG a.F. im Wege einer behördlichen Ermessensentscheidung
ausgewiesen werden. An einer solchen Ermessensentscheidung fehlte es bezüglich der Ausweisung vom
7. Mai 1998. So hatte der Beklagte die Ausweisung seinerzeit im Ausgangsbescheid vorrangig auf § 47
Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG a.F. (Regelausweisung) gestützt, was nach der vorstehend zitierten
Rechtsprechung nicht zulässig war. Zwar hat der Beklagte darüber hinaus in dem in Rede stehenden
Bescheid auch ausgeführt, dass eine Ausweisung des Klägers ebenfalls im Ermessenswege zulässig sei
und hat dies im Einzelnen näher begründet. Insoweit bleibt aber zu sehen, dass die Frage der
Ermessensausweisung allein auf der Grundlage spezialpräventiver Gesichtspunkte weder im Rahmen
des anschließenden Widerspruchsverfahrens, noch in den hierzu ergangenen gerichtlichen
Entscheidungen (Beschluss des erkennenden Gerichts vom 21. August 1998 – 3 L 2201/98.KO -;
Beschluss des OVG Rheinland-Pfalz vom 13. November 1998 – 10 B 12102/98.OVG -) und auch nicht im
Rahmen des hierzu ergangenen Urteils des erkennenden Gerichts vom 14. Februar 2000 ( - 3 K
1004/99.KO -) eine Rolle gespielt hat. Insbesondere lässt auch der Widerspruchsbescheid keinen
Rückschluss darauf zu, dass der Kreisrechtsausschuss sich seinerzeit die Ermessenserwägungen im
Bescheid der Ausgangsbehörde zu eigen gemacht hätte. Dies erscheint auch folgerichtig, weil es nach
damaliger herrschender Rechtsauffassung für die Frage der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung
nicht mehr darauf ankam, ob die bereits als rechtmäßig erachtete Regelausweisung auch als
Ermessensausweisung gerechtfertigt gewesen wäre.
Erweist sich die Ausweisung des Klägers vom 7. Mai 1998 nach alledem als rechtswidrig, so steht deren
Rücknahme auf der Rechtsfolgenseite im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten. Die vom Beklagten
getroffene Entscheidung, die Ausweisung dennoch nicht zurückzunehmen und gleichzeitig die
Sperrwirkung dieser Ausweisung auf den 31. August 2013 zu befristen, ist frei von Ermessensfehlern.
Denn der Beklagte hat mit dieser Entscheidung weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
überschritten, noch in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise hiervon Gebrauch
gemacht (§ 114 Satz 1 VwGO).
Der Beklagte hat alle im Rahmen des § 48 Abs. 1 VwVfG abwägungsrelevanten Umstände in seine
Entscheidung einbezogen. Hierzu gehört die Beantwortung der Frage, ob der Beklagte die Ausweisung
auch verfügt hätte, wenn ihm seinerzeit bekannt gewesen wäre, dass hierüber nach Ermessen hätte
entschieden werden müssen (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 23. Mai 2006 – 17 K 1214/05 -, zitiert nach
juris). Diese Frage hat der Beklagte mit zutreffenden Argumenten bejaht und dies in seine Erwägungen
einbezogen. Darüber hinaus hat er ebenso die Entwicklung und Lebensumstände des Klägers nach
seiner Abschiebung bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren in seiner
Entscheidung berücksichtigt.
Zu Recht geht der Beklagte von der Prämisse aus, dass die Ausweisung des Klägers vom 7. Mai 1998
auch als Ermessensausweisung auf der Grundlage des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 EWG/Türkei i.V.m. §§ 45,
46 Nr. 2 AuslG a.F. rechtmäßig hätte verfügt werden dürfen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist
insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des
Tatsachengerichts. Dies war in Bezug auf die Ausweisung vom 7. Mai 1998 der 14. Februar 2000, das
Datum der mündlichen Verhandlung im gegen die damalige Ausweisung gerichteten
Verwaltungsrechtsstreit – 3 K 1004/99.KO -.
Nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 EWG/Türkei gilt der erste Abschnitt des Beschlusses, in dem sich unter
anderem auch Art. 7 ARB befindet, vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen
Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind. Grundsätzlich ist insoweit der
gemeinschaftsrechtliche Standard für die Ausweisung von Gemeinschaftsangehörigen bzw. für die
Feststellung des Verlusts der Freizügigkeitsrechte von Unionsbürgern nach § 6 Freizügigkeitsgesetz EU –
FreizügG/EU – i.V.m. Art. 39 Abs. 3 EG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige zu
übertragen (Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Kommentar,
Loseblattsammlung, Bd. 3, Nr. 381, Art. 14 ARB 1/80 EWG/Türkei, Rdn. 4 m.w.N.). Demzufolge ist die
Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nur aus spezialpräventiven
Gründen zulässig. Sie setzt voraus, dass eine tatsächliche und hinreichende Gefährdung vorliegt, die ein
Grundinteresse der Gesellschaft berührt und, dass gerade der Ausländer durch sein persönliches
Verhalten Anlass zur Ausweisung gibt. Die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen
dürfen danach nicht allzu gering bemessen werden (Kloesel/Christ/Häußer, a.a.O. Rdn. 6 bis 8 m.w.N.).
Allerdings ist wegen des maßgeblichen Beurteilungszeitpunktes 14. Februar 2000 auf die damalige
Ausweisung noch nicht der gesteigerte Prüfungsmaßstab der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 anzuwenden, wie er inzwischen seinen Niederschlag in § 6
Abs. 5 FreizügG/EU gefunden hat. Diese Richtlinie hat nämlich am 14. Februar 2000 noch nicht existiert.
Den so zu umreißenden Prüfungsmaßstab hat der Beklagte erkennbar seiner Entscheidung zugrunde
gelegt. Dies lassen insbesondere seine ergänzenden Ermessenserwägungen im Schriftsatz vom 16. Juni
2008 und in der mündlichen Verhandlung vom 1. September 2008 deutlich erkennen. Die Richtigkeit des
vom Beklagten zugrunde gelegten Prüfungsmaßstabes wird vom Kläger auch nicht grundsätzlich in
Abrede gestellt, so dass sich hierzu weitere Ausführungen erübrigen.
Die vom Beklagten unter Berücksichtigung dieses besonderen Prüfungsmaßstabes auf der Grundlage der
§§ 45, 46 Nr. 2 AuslG a.F. vorgenommene Abwägung der widerstreitenden Interessen ist rechtlich nicht zu
beanstanden.
Der Kläger erfüllte zunächst am 14. Februar 2000 die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46 Nr. 2
AuslG a.F., denn er hatte sich wiederholt strafbar gemacht und damit weder einen vereinzelten, noch
einen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen.
Zu Recht ist der Beklagte auch davon ausgegangen, dass der Aufenthalt des Klägers zum damaligen
Zeitpunkt die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt hat (§ 45 Abs. 1 AuslG). Insbesondere ist
die vom Beklagten angestellte Prognose, dass zum damaligen Zeitpunkt eine beachtliche
Wiederholungswahrscheinlichkeit im Falle des Klägers gegeben war, ohne Weiteres gerechtfertigt. Dabei
ist zunächst zu berücksichtigen, dass an die Wiederholungswahrscheinlichkeit je nach Schwere der Tat
und Bedeutung der beeinträchtigten Rechtsgüter um so geringere Anforderungen zu stellen sind, je
schwerer die Tat zu bewerten ist. Dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung schwerwiegender
Straftaten ist nämlich regelmäßig ein bedeutendes Gewicht beizumessen. Dies gilt allerdings mit
Rücksicht auf den besonderen Status des Klägers im vorliegenden Fall unter der oben gemachten
Einschränkung, dass die Anforderungen an die Wiederholungswahrscheinlichkeit nicht allzu gering
angesetzt werden dürfen. Da die Wiederholungswahrscheinlichkeit im Falle des Klägers zum damaligen
Zeitpunkt jedoch als hoch eingestuft werden musste, führt auch der insoweit strengere Prüfungsmaßstab
zu keiner anderen Bewertung.
Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang zu Recht hervorgehoben, dass es sich bei den vom Kläger
begangenen Straftaten – und dabei insbesondere betreffend die Drogendelikte – um schwerwiegende
Straftaten gehandelt hat. Dabei hat er zu Recht auch erschwerend berücksichtigt, dass der Kläger die
Drogen nicht nur selbst konsumiert, sondern auch zum Teil mit harten Drogen Handel betrieben hat. Auch
wenn er dies nicht aus Gewinnsucht getan hat, sondern um seinen eigenen Drogenbedarf zu finanzieren,
hat er damit zweifellos in Kauf genommen, dass seine Kunden durch die von ihm verkauften Drogen
süchtig werden und damit schwere Schäden zumindest an Leib und Gesundheit erleiden werden. An
dieses persönliche Verhalten des Klägers anknüpfend, hat der Beklagte sodann schlüssig und
nachvollziehbar die Gründe für die seinerzeit nach seiner Auffassung bestehende Wiederholungsgefahr
dargelegt. Auf die diesbezüglichen Ausführungen, insbesondere im Schriftsatz vom 16. Juni 2008 und in
der mündlichen Verhandlung vom 1. September 2008, die die Kammer für zutreffend hält, kann zur
Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug genommen werden. Soweit der Kläger in diesem
Zusammenhang bemängelt, der Beklagte habe seine gute Führung während der Haft und den Umstand,
dass er sich intensiv um eine Drogentherapie bemüht habe, dies aber letztlich aus Gründen gescheitert
sei, die er nicht habe beeinflussen können, nicht hinreichend gewürdigt, kann ihm nicht zugestimmt
werden. Die Bemühungen des Klägers um eine Drogentherapie hat der Beklagte durchaus differenziert
betrachtet und ausführlich gewürdigt. Er gelangt indessen nachvollziehbar zu einer anderen Bewertung
dieser Umstände als der Kläger selbst. Dagegen ist aber nichts einzuwenden. Insoweit ist auch in den
Blick zu nehmen, dass es vorliegend um Gefahrenabwehr geht und von daher die Frage, ob der Kläger
schuldhaft an der Durchführung einer Drogentherapie verhindert war, nicht den Ausschlag gibt. Tatsache
ist, dass beim Kläger ein ernstzunehmendes, nicht aufgearbeitetes Drogenproblem bestand und dies
begründeten Anlass zu der Besorgnis gab, dass er nach der Haftentlassung alsbald wieder in das
Drogenmilieu abgleiten werde. Diese Einschätzung war im Übrigen völlig richtig. Denn der Kläger hat –
worauf der Beklagte in der mündlichen Verhandlung zutreffend hingewiesen hat – selbst eingeräumt, in
der Zeit nach seiner Abschiebung – und damit bereits kurz nach der Haftentlassung – weiter Drogen
konsumiert zu haben. Damit räumt der Kläger selbst ein, dass sich die Wiederholungsgefahr in seinem
Falle sogar relativ kurzfristig nach der Haftentlassung realisiert hatte. Lagen damit die tatbestandlichen
Voraussetzungen einer Ermessensausweisung am 14. Februar 2000 im Falle des Klägers vor, so
begegnen auch die vom Beklagten vorgenommenen Ermessenserwägungen als solche keinen
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn der Beklagte hat mit der von ihm getroffenen Feststellung,
der Kläger hätte im damaligen Zeitpunkt auch rechtmäßiger Weise auf der Grundlage einer
Ermessensausweisung ausgewiesen werden können, weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
überschritten, noch davon in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch
gemacht (§ 114 Satz 1 VwGO).
Der Beklagte hat auch insoweit alle abwägungsrelevanten Umstände in seine Entscheidung einbezogen.
Hierzu gehörten neben Art und Umständen der Tat und der zu besorgenden Wiederholungsgefahr alle in
§ 45 Abs. 1 und 2 AuslG a.F. nicht abschließend genannten Gesichtspunkte unter Beachtung der oben
bereits näher beschriebenen Wertungsprärogative des Art. 14 Satz 1 ARB 1/80 EWG/Türkei. Diese
Vorgaben hat der Beklagte beachtet.
Dies gilt zunächst für die Art und Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten. Insoweit ist der
Beklagte zutreffend von einer Verurteilung des Klägers zu 4 Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen. Auch
hat er richtig erkannt, dass der Kläger bereits vor seiner letzten Verurteilung mehrfach strafrechtlich in
unterschiedlicher Weise und Intensität in Erscheinung getreten ist. Des Weiteren hat er bei seiner
Entscheidung die Entwicklung des Klägers nach der Tat und insbesondere sein Verhalten während der
Verbüßung der Strafhaft, wie auch seine weitere Entwicklung nach der Haftentlassung und Abschiebung
in die Türkei in seine Überlegungen einbezogen. In dieser Hinsicht hat der Beklagte die gute Führung des
Klägers in der Haftanstalt und seine ernsthaften Bemühungen um einen Therapieplatz zur Behandlung
seines Drogenproblems mit in den Blick genommen. Des Weiteren hat er aber auch berücksichtigt, dass
dem Kläger mit Blick auf die Drogenproblematik keine uneingeschränkt positive Prognose ausgestellt
werden konnte. Bei dieser Einschätzung hat der Beklagte sich auf die entsprechenden Ausführungen der
zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier vom 1. Oktober 1999 gestützt. Weiter hat
er berücksichtigt, dass sich die Bedenken bezüglich einer Rückfälligkeit des Klägers bestätigt haben,
nachdem dieser eingeräumt habe, nach seiner Abschiebung weiterhin Drogen konsumiert zu haben.
Des Weiteren hat der Beklagte auch die persönlichen Umstände des Klägers bei seiner
Ermessensentscheidung berücksichtigt. Dazu gehört, dass der Kläger in Deutschland geboren und
wenige Monate nach seiner Geburt in die Türkei verbracht wurde, wo er sodann die ersten fünf
Lebensjahre bei seinen Großeltern lebte. Weiter wurde berücksichtigt, dass der Kläger im Oktober 1978
wieder nach Deutschland eingereist ist, hier die Schule besucht und diese mit der „Mittleren Reife“
abgeschlossen hat. Ebenso hat der Beklagte die abgeschlossene Berufsausbildung zum Metallschleifer
einbezogen und den Umstand, dass der Kläger vor seiner Inhaftierung als Maschinenbediener tätig war.
Sodann hat der Beklagte berücksichtigt, dass der Kläger im Besitz einer unbefristeten
Aufenthaltserlaubnis war und von daher besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG
a.F. genoss. Letzteres wurde bereits im Rahmen der damaligen Ausweisungsverfügung zu Gunsten des
Klägers berücksichtigt. Schließlich hat der Beklagte auch die Verbindungen des Klägers zu seinen in
Deutschland lebenden Familienangehörigen (Eltern und Geschwister) in seine Entscheidung einbezogen
(§ 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG a.F.).
Die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Klägers, die sich rechtmäßig im
Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebten, sind gemäß § 45 Abs. 2 Nr.
2 AuslG a.F. ebenfalls einzustellen. Hierzu hatte der Kläger jedoch nichts Besonderes vorgetragen, so
dass eine weitergehende Auseinandersetzung des Beklagten mit diesen Gesichtspunkten entbehrlich
war.
Schließlich hat der Beklagte auch die in § 55 Abs. 2 AuslG a.F. genannten Duldungsgründe in seine
Überlegungen einbezogen (§ 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG a.F.). Dazu gehören die schutzwürdigen Belange des
Klägers aus Art. 6 Grundgesetz – GG – bzw. Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der
Menschenrechte – EMRK -, soweit sie nicht bereits von §§ 45 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AuslG a.F. erfasst sind,
und die Frage nach der Reintegrationsmöglichkeit des Klägers in seinem Heimatland. Auch diese
Gesichtspunkte hat der Beklagte im Rahmen seiner Ermessensentscheidung erwogen.
Hat der Beklagte somit alle abwägungsrelevanten Gesichtspunkte in seine Ermessenserwägungen
eingestellt, so ergeben sich entgegen der Rechtsauffassung des Klägers auch keine Anhaltspunkte für
eine Fehlgewichtung der widerstreitenden Belange.
So ist es zunächst nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte die vom Kläger wiederholt begangenen
Drogendelikte als besonders schwerwiegende Straftaten gewertet hat. Dies ist mit Blick auf die
Tatumstände, wie sie sich aus den beigezogenen Strafakten ergeben, ohne Weiteres gerechtfertigt.
Hieraus wird deutlich, dass der Kläger nicht etwa – wie er nunmehr Glauben machen möchte – aufgrund
des Zusammenspiels unglücklicher Umstände vorübergehend mit Drogen in Verbindung kam. Vielmehr
hat er ersichtlich nicht nur über einen längeren Zeitraum selbst Drogen konsumiert, sondern diese auch
weiterverkauft und in diesem Zusammenhang feste Kontakte im Drogenmilieu etabliert. Soweit er darauf
verweist, dass er nicht aus Gewinnsucht, sondern zur Finanzierung seiner Drogenabhängigkeit mit
Drogen gehandelt habe, hat der Beklagte diesem Gesichtspunkt zu Recht kein ausschlaggebendes
Gewicht beigemessen. Denn unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr, um die es bei der
Ausweisung geht, kommt es – anders als bei der Strafzumessung durch das Strafgericht – nicht vorrangig
auf die Motivation des Drogendealers für sein Handeln an. Entscheidend ist insoweit, dass der Handel mit
Drogen deren weitere Verbreitung fördert und damit in Kauf genommen wird, dass die potenziellen Käufer
hiervon ebenfalls süchtig werden und dadurch erhebliche Schäden an Leib und Gesundheit nehmen. An
dieses persönliche Verhalten des Klägers anknüpfend hat der Beklagte unter Einbeziehung der aus den
bereits dargelegten Gründen im Falle des Klägers bestehenden Wiederholungsgefahr in
nachvollziehbarer und vertretbarer Weise aufgezeigt, dass mit dem Verhalten des Klägers ein
grundlegendes Interesse der Gesellschaft tangiert ist und dass die Ausweisung des Klägers erforderlich
war, um die erneute Begehung vergleichbar schwerer Straftaten durch den Kläger und die damit
verbundene Gefährdung höchstrangiger Rechtsgüter Dritter im Bundesgebiet wirksam zu verhindern. In
diesem Zusammenhang ist besonders hervorzuheben, dass das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz
vom 18. August 2008, er habe nach seiner Abschiebung in die Türkei keinen weiteren Kontakt mit Drogen
gehabt, durch seine eigenen Angaben im Rahmen der Behandlungsuntersuchung in der JVA
Zweibrücken widerlegt ist. Dort hat er ausweislich eines an seinen Verfahrensbevollmächtigten
gerichteten Schreibens der JVA Zweibrücken vom 13. Dezember 2007 (Bl. 398 ff. der Gefangenen-
Personalakten Bd. 3) angegeben, dass er während seiner Zeit in Griechenland und vor seiner erneuten
Inhaftierung in Deutschland regelmäßig Haschisch geraucht und je nach finanzieller Lage zusätzlich
Speed und Kokain konsumiert habe. Weiter hat er angegeben, dass er ca. vier Monate nach der
Abschiebung aus der Türkei geflüchtet sei (Bl. 391 der Gefangenen-Personalakte).
Auch die sonstigen persönlichen und wirtschaftlichen Bindungen des Klägers in Deutschland hat der
Beklagte in Bezug auf den Beurteilungszeitpunkt 14. Februar 2000 zutreffend gewürdigt.
Dies gilt zunächst für die familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet, die dem Schutzbereich des
Art. 6 GG unterfallen. Ausgehend von dem Umstand, dass der 1973 geborene Kläger im maßgeblichen
Zeitpunkt bereits 29 Jahre alt war, hat der Beklagte zu Recht den schutzwürdigen Belangen des Klägers
aus Art. 6 GG Nachrang gegenüber dem oben bereits dargelegten öffentlichen Ausweisungsinteresse
eingeräumt. Die Beeinträchtigung der nach Art. 6 Abs. 1 GG aufenthaltsrechtlich geschützten Belange
geht im Falle des Klägers nicht über das im Regelfall übliche Maß hinaus. Dies kann nur dann
angenommen werden, wenn einer der Familienangehörigen, mit denen der Ausländer in familiärer
Lebensgemeinschaft lebt, aufgrund individueller Besonderheiten mehr als im Regelfall üblich auf den
persönlichen Beistand des von der Ausweisung betroffenen Ausländers angewiesen ist (VGH Bw,
Beschluss vom 6. Mai 1997 – 13 F 1997 – NVwZ –RR 1997, 746 – 749 und BVerwG, Beschluss vom 15.
Januar 1997 – 1 B 256/96 – Buchholz 402.240, § 47 AuslG, 1990, Nr. 12). Diese Voraussetzungen liegen
hier nicht vor. Denn es ist vorliegend weder dargetan noch sonst für die Kammer ersichtlich, dass eines
der Familienmitglieder des Klägers in gesteigertem Maße auf dessen Anwesenheit in Deutschland
angewiesen gewesen wäre. Vielmehr handelte es sich bei den Beziehungen des Klägers zu seinen Eltern
und Geschwistern um die üblichen Beziehungen zwischen erwachsenen Familienangehörigen. Diese
konnten seinerzeit unter anderem auch durch telefonischen und brieflichen Kontakt aufrecht erhalten
werden. Dies ist im Ergebnis auch so erfolgt, weil der Kläger insoweit angegeben hat, dass er nach seiner
Abschiebung in die Türkei dort finanzielle Unterstützung seitens seiner in Deutschland lebenden
Familienmitglieder erhalten habe.
Des Weiteren hat der Kläger auch keine Umstände vorgetragen, noch sind solche sonst für die Kammer
ersichtlich, aus denen sich ergeben könnte, dass er seinerseits in besonderem Maße auf die
Unterstützung seiner in Deutschland lebenden Familienangehörigen angewiesen gewesen wäre.
Sonstige engere persönliche Bindungen hat der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt nicht geltend gemacht.
Auch die wirtschaftlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet hat der Beklagte im Ergebnis
zutreffend gewichtet. Zwar verfügte der Kläger über einen qualifizierten Schulabschluss und eine
abgeschlossene Berufsausbildung zum Metallschleifer. Diese Tätigkeit hat er aber nicht mehr ausgeübt,
sondern arbeitete vor seiner ersten Inhaftierung als Maschinenbediener. Diesen durchaus positiven
Gesichtspunkten hat der Beklagte indessen zu Recht kein derart überragendes Gewicht beigemessen,
dass im Hinblick darauf von der Ausweisung abzusehen gewesen wäre. Insoweit hat der Beklagte
zutreffend darauf verwiesen, dass diese Umstände den Kläger nicht von der Begehung der in Rede
stehenden schweren Rauschgiftdelikte abgehalten haben. Auch geboten diese positiven Umstände
seinerzeit nicht, trotz der Wiederholungsgefahr die drohende erneute Beeinträchtigung höchstrangiger
Rechtsgüter Dritter im Falle des weiteren Aufenthaltes des Klägers in Kauf zu nehmen. Darüber
hinausgehende schutzwürdige wirtschaftliche Belange hat der Kläger in Bezug auf den
Beurteilungszeitpunkt 14. Februar 2000 nicht geltend gemacht und sind auch sonst für die Kammer nicht
ersichtlich.
Auch die Aufenthaltsdauer und die daraus resultierenden schutzwürdigen Belange des Klägers auf
Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK hat der Beklagte in Bezug auf den Beurteilungszeitpunkt
14. Februar 2000 zutreffend gewichtet und abgewogen.
Zwar griff die seinerzeitige Ausweisung des Klägers in den Schutzbereich dieser Bestimmung ein. Dieser
Eingriff war aber nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.
Der Schutzbereich des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst des Recht auf Identität und
persönliche Entwicklung und das Recht, Beziehungen mit anderen Menschen und der Außenwelt zu
begründen und zu pflegen (Kloesel/Christ/Häußer, a.a.O., Art. 8 EMRK Rdn. 30 m.w.N.). In diesen Schutz-
bereich griff die Ausweisung des Klägers ein. Er ist in Deutschland geboren und hielt sich – mit Ausnahme
des ca. fünfjährigen Aufenthaltes in der Türkei von 1973 bis 1978 – in Deutschland auf. Damit geht einher,
dass er der deutschen Sprache mächtig ist. Auch hat er in Deutschland die Schule besucht und mit der
mittleren Reife abgeschlossen. Ebenso hat er im Anschluss daran mit Erfolg eine Ausbildung zum
Metallschleifer absolviert. Danach hat er zeitweise als Maschinenbediener gearbeitet. Dass die Eltern und
Geschwister des Klägers ebenfalls in Deutschland leben, wurde oben bereits erwähnt. Sonstige engere
persönliche Bindungen zu in Deutschland lebenden Personen waren seinerzeit nicht ersichtlich.
Zusammenfassend sind damit aber unverkennbar solche Umstände verknüpft, die sowohl das Recht des
Klägers auf Identität und persönliche Entwicklung wie auch auf Achtung seiner schutzwürdigen
Beziehungen zu anderen Menschen betreffen.
Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in diese Rechte war aber nach Art. 8 Abs. 2 EMRK
gerechtfertigt. Denn er war gesetzlich vorgesehen und stellte sich als eine Maßnahme dar, die in einer
demokratischen Gesellschaft für die Wahrung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und insbesondere zur
Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte Anderer notwendig war.
Die Ausweisung des Klägers war in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 EWG/Türkei i.V.m. §§ 45, 46 Nr. 2 AuslG a.F.
gesetzlich geregelt. Insoweit besteht Einigkeit, dass nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen
Grundsätzen die Vertragsstaaten das Recht haben, über die Einreise, den Aufenthalt und die
Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden. Von diesem Recht hat die Bundesrepublik
Deutschland unter anderem durch den Erlass des Ausländergesetzes alter Fassung und seiner
ergänzenden Bestimmungen Gebrauch gemacht. Auf der Grundlage dieser Regelung hat der Beklagte
die Ausweisung des Klägers verfügt.
Ob die Maßnahme im Einzelfall zur Erreichung des vorstehend bezeichneten Zwecks notwendig und
damit im Ergebnis nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt ist, kann nur im Rahmen einer
einzelfallbezogenen Interessenabwägung beantwortet werden (BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2007 – 2
BvR 304/07 m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur). In diese Abwägung sind einzubeziehen die Art
und Schwere der begangenen Straftaten, die Wiederholungsgefahr, die Dauer des Aufenthaltes im Land,
aus dem der Betroffene ausgewiesen werden soll, die seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne, das
Verhalten des Betroffenen in dieser Zeit sowie die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären
Bindungen im Aufenthaltsland sowie zum Staat seiner Staatsangehörigkeit (OVG Rheinland-Pfalz,
Beschluss vom 16. Juli 2008 – 7 B 10529/08.OVG -). An diesem Prüfprogramm, welches sich der Sache
nach im Wesentlichen mit dem Wortlaut des § 45 Abs. 1 und 2 AuslG a.F. deckt, zeigt sich, dass die nach
Art. 8 EMRK zu beachtenden Gesichtspunkte weitestgehend bereits in den nationalen Bestimmungen des
Ausländergesetzes a.F. ihren Niederschlag gefunden hatten und Art. 8 EMRK somit keinen
Prüfungsrahmen außerhalb des Aufenthaltsgesetzes eröffnet (vgl. VG Koblenz, Urteile vom 17. März 2008
– 3 K 1349/07.KO – und vom 18. August 2008 - 3 K 869/07.KO -). Er ist lediglich bei der Anwendung der
gesetzlichen Bestimmungen, was auch durch die Regelung des § 45 Abs. 2 Nr. 3 AuslG a.F. in
besonderem Maße deutlich wird, zu berücksichtigen (a.A. wohl OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O.). Dies
vorausgeschickt, hat der Beklagte im Ergebnis zu Recht den diesbezüglichen Belangen des Klägers
gegenüber dem öffentlichen Ausweisungsinteresse den Nachrang eingeräumt.
Was die Art und Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten anbelangt, kann zur Vermeidung
unnötiger Wiederholungen auf die oben hierzu bereits gemachten Ausführungen Bezug genommen
werden. Ergänzend ist in diesem Zusammenhang nochmals hervorzuheben, dass es sich im
Wesentlichen um besonders gefährliche Delikte aus dem Bereich der schwer zu bekämpfenden
Drogenkriminalität (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O.) gehandelt hat. Gerade in diesem Bereich ist die
Rückfallquote und die damit einhergehende Wiederholungsgefahr besonders hoch. Dies trifft auch gerade
im Falle des Klägers zu, der nach eigenen Angaben bereits relativ kurze Zeit nach der Haftentlassung
wieder Drogen konsumiert hatte. Die Ausweisung des Klägers war daher notwendig, um die mit seinem
weiteren Aufenthalt in Deutschland verbundene konkrete Gefährdung höchstrangiger Rechtsgüter Dritter
wie Leib und Gesundheit und die Begehung weiterer einschlägiger Straftaten durch den Kläger im
Bundesgebiet wirksam zu verhindern.
Die demgegenüber für den Kläger sprechenden Gesichtspunkte sind nicht derart gewichtig, dass sie die
seinerzeitige Ausweisung als unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK erscheinen lassen.
Was die Dauer des Aufenthaltes anbelangt, ist geklärt, dass weder die Geburt im gegenwärtigen
Aufenthaltsland noch der langjährige Aufenthalt als solcher absolut vor der zwangsweisen
Aufenthaltsbeendigung nach schweren Straftaten schützen (so auch OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O. unter
Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR). Aus dieser Erkenntnis folgt, dass nicht in erster Linie die
Dauer des Aufenthaltes als solche dem Ausländer schon eine im gesteigerten Maße schutzwürdige
Position vermittelt, sondern dass es maßgeblich darauf ankommt, in welchem Umfang die persönliche
Entwicklung und die Identität des Ausländers durch den Aufenthalt in Deutschland geprägt und wie
intensiv seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen sozialen Beziehungen hier sind (vgl. aber
auch OVG Rheinland-Pfalz, a.a.O.). Dabei liegt es auf der Hand, dass bei zunehmender Dauer des
Aufenthaltes diese Umstände mehr und mehr an Gewicht gewinnen, so dass hier letztlich im Regelfall ein
Verhältnis der Wechselwirkung zwischen Aufenthaltsdauer und Integrationsgrad festzustellen ist.
Dies vorausgeschickt, stellte sich die Situation des Klägers so dar, dass dieser in Deutschland geboren
wurde, sodann aber noch im Säuglingsalter von wenigen Monaten in die Türkei verbracht wurde, wo er
seine ersten fünf Lebensjahre bei den Großeltern aufwuchs. Damit wird bereits deutlich, dass er durchaus
einen nicht völlig zu vernachlässigenden Teil seiner Sozialisation in der Türkei erfahren hat. Hieraus folgt,
dass er während dieser Zeit erste grundlegende Kenntnisse der türkischen Sprache erworben hat. Im
Anschluss daran hat er sodann seit 1978 in Deutschland gelebt. Damit hat der wesentliche Teil seiner
Sozialisation in Deutschland als Kind türkischer Arbeitnehmer der ersten Generation stattgefunden.
Infolge dessen ist festzuhalten, dass er die deutsche Sprache spricht, in Deutschland einen qualifizierten
Schulabschluss erreicht und schließlich eine abgeschlossene Berufsausbildung als Metallschleifer
absolviert hat. Nach kurzfristiger Arbeitslosigkeit hat er diesen Beruf aber nicht ausgeübt, sondern war als
Maschinenbediener tätig. Zuletzt war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Damit hat der
Kläger einen beachtlichen Integrationsgrad in Deutschland erreicht, womit gleichzeitig deutlich wird, dass
die persönliche Entwicklung und Identität des Klägers durch seinen Aufenthalt in Deutschland maßgeblich
geprägt worden ist. Allerdings wird seine Ausweisung damit in Ansehung der Schwere der von ihm
begangenen Straftaten noch nicht unverhältnismäßig. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass
er ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK faktisch nur mehr in Deutschland hätte führen können.
Er ist nämlich mit Blick auf seine gesamte vorstehend aufgezeigte Entwicklung nicht etwa faktisch zu
einem Inländer geworden, so dass ihm ein Leben in der Türkei nicht hätte zugemutet werden können (vgl.
hierzu VGH Hessen, Beschluss vom 15. Februar 2006 – 7 TG 106/06 -, Asyl-Magazin 2006, 32 ff.; VGH
Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Januar 2006 – 13 F 2220/05 -, Asyl-Magazin 2006, S. 29 ff.; OVG
Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. Februar 2006 – 7 B 10020/06.OVG -, jeweils mit weiteren
Nachweisen aus der Rechtsprechung).
Entgegen dem Vorbringen des Klägers kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass er zu
seinem Heimatland Türkei keinerlei Bezüge mehr hatte. Hierzu wurde oben bereits aufgezeigt, dass er die
ersten fünf Lebensjahre dort bei seinen Großeltern verbracht hat. Gerade in diesem Zusammenhang ist
allgemein anerkannt, dass vor allem die ersten Lebensjahre besonders prägend sind. Dementsprechend
hat der Kläger dort auch erste grundlegende Kenntnisse der türkischen Sprache erworben. Sodann ist er
in Deutschland weiter in einer türkischen Familie der ersten Generation aufgewachsen. Von daher ist
davon auszugehen, dass auch in der Familie des Klägers weiter zumindest auch Türkisch gesprochen
wurde und dass ihm die dortigen gesellschaftlichen und kulturellen Werte vermittelt worden sind. Soweit
er geltend macht, er sei der türkischen Sprache nur rudimentär mächtig, kann ihm dies vor diesem
Hintergrund bei lebensnaher Betrachtungsweise nicht abgenommen werden. Hierzu hat der Beklagte zu
Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger während der Haftverbüßung Kontakt zu türkischen
Mitgefangenen gesucht und auf eigenen Wunsch türkische Zeitungen gelesen und türkische Musik gehört
habe.
Der fehlende Bezug des Klägers zu seinem Heimatland Türkei wird auch nicht durch die Schilderung
seines Werdeganges nach der Abschiebung und dem Umstand, dass er nach ca. weiteren vier Monaten
nach Griechenland gegangen ist, belegt. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass die Eingewöhnung in
die türkischen Lebensverhältnisse für ihn nicht leicht gewesen sein dürfte. Dennoch bleibt zu sehen, dass
es ihm nach eigenen Angaben alsbald gelungen ist, einen Arbeitsplatz in der Tourismusbranche zu
erlangen. Soweit er in diesem Zusammenhang berichtet, ihm sei der versprochene Lohn verweigert
worden, wäre es ihm unbenommen gewesen, seine Ansprüche notfalls gerichtlich durchzusetzen, was er
aber offensichtlich unterlassen hat. Überdies kann davon ausgegangen werden, dass ihm sowohl seine
Sprachkenntnisse (Deutsch und Türkisch) als auch seine in Deutschland erworbene qualifizierte Schul-
und Berufsausbildung auch in der Türkei, einem Land mit einem nach wie vor hohen Bevölkerungsanteil
ohne eine solche qualifizierte Ausbildung, zugute gekommen ist. Mit dieser Qualifikation hatte der Kläger
als arbeitsfähiger junger Mann durchaus eine realistische Chance, sich in der Türkei eine Existenz
aufzubauen. So waren es nach den Schilderungen des Klägers in seiner Stellungnahme vom 25. März
2008 denn auch nicht vorrangig wirtschaftliche Gründe, die ihn zur Flucht nach Griechenland bewogen
haben, sondern der Umstand, dass ihm die Einberufung zum Militär drohte. Im Hinblick auf seine
Sprachkenntnisse und den geschilderten kulturellen Hintergrund wäre es ihm auch ohne Weiteres
möglich gewesen, in der Türkei neue persönliche Kontakte aufzubauen. Dass der Kläger überdies über
ein gewisses Maß an Anpassungsfähigkeit verfügte, zeigt sich auch darin, dass er sich über einen
längeren Zeitraum in Griechenland aufgehalten hat, obwohl er bis dahin zu diesem Land weder in
sprachlicher noch sonstiger Hinsicht irgendwelche Bezüge aufgebaut hatte.
Die familiären Bindungen des Klägers in Deutschland wurden bereits im Rahmen des Art. 6 GG
berücksichtigt und sind aus den dort bereits genannten Gründen auch im Rahmen des Art. 8 EMRK nicht
geeignet, die Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung zu begründen.
Die schutzwürdigen Belange des Klägers aus Art. 8 EMRK sind demnach insgesamt nicht von derartigem
Gewicht, dass sie der Ausweisung angesichts der von ihm begangenen Straftaten und der damals
bestehenden Wiederholungsgefahr entgegengestanden hätten. Der Beklagte ist nach alledem zu Recht
davon ausgegangen, dass er den Kläger auch auf der Grundlage einer Ermessensausweisung nach Art.
14 Abs. 1 ARB 1/80 EWG/Türkei hätte ausweisen können.
Neben der Frage, ob die Ausweisung des Klägers im Jahre 1998 rechtmäßigerweise auch als
Ermessensausweisung hätte verfügt werden können, hat der Beklagte die weitere Entwicklung des
Klägers über den 14. Februar 2000 hinaus bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im
vorliegenden Verfahren mit in seine Entscheidung über die Rücknahme der Ausweisung einbezogen. In
diesem Zusammenhang hat er insbesondere die illegale Wiedereinreise des Klägers nach Deutschland
im Jahr 2003 und die sodann zu verzeichnende erneute Straffälligkeit des Klägers, die in einer
Verurteilung zu 4 Jahren Freiheitsstrafe wegen Geldfälschung mündete, berücksichtigt. Weiter hat er in
diesem Zusammenhang die Entwicklung des Klägers in der Strafhaft und die Entscheidung des
Landgerichts Zweibrücken vom 23. Juli 2008 – 2 StVK 782/07 – und 2 StVK 783/07 – sowie das dieser
Entscheidung zugrunde liegende Gutachten der Universität des Saarlandes vom 4. April 2008 ausführlich
gewürdigt. Auf die diesbezüglichen ergänzenden Ermessenserwägungen des Beklagten im Schriftsatz
vom 16. Juni 2008 und im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 1. September 2008 kann wegen der
Einzelheiten verwiesen werden.
Zusammenfassend ist der Beklagte in ermessensfehlerfreier Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass trotz
der dem Kläger inzwischen attestierten Nachreifung und der auch ansonsten ausweislich des genannten
Gutachtens zu verzeichnenden positiven Entwicklung seiner Persönlichkeit, nach wie vor eine
ernstzunehmende Gefahr besteht, dass er erneut in beachtlichem Umfang straffällig wird. Dies hat der
Beklagte schlüssig und nachvollziehbar unter Hinweis auf die langjährige strafrechtliche Karriere des
Klägers und den Umstand begründet, dass auch der Gutachter im Hinblick auf die strafrechtliche
Vorbelastung dem Kläger keine eindeutige positive Prognose zu stellen vermochte.
Vor diesem Hintergrund ist es nach Auffassung der Kammer ermessensfehlerfrei, wenn der Beklagte unter
Einbeziehung dieser neuesten Entwicklung zwar einerseits die Rücknahme der damaligen Ausweisung
abgelehnt hat, gleichzeitig aber mit Blick auf die Vorgeschichte und die persönliche Entwicklung des
Klägers, wie sie in dem Gutachten nochmals in ihren wesentlichen Zügen skizziert ist, die Sperrwirkung
der in Rede stehenden Ausweisung nunmehr auf den 31. August 2013 befristet hat. Dabei ist allerdings zu
beachten, dass das Gutachten teilweise auf unzutreffenden Sachverhaltsannahmen beruht. Dies betrifft
namentlich den Umfang des Drogenkonsums des Klägers. Insoweit geht der Gutachter ersichtlich davon
aus, dass der Kläger lediglich bis zu seiner Inhaftierung im Jahre 1996 Drogen konsumiert habe und
später nicht mehr. Dass dies nicht den Tatsachen entspricht, wurde oben bereits dargelegt. Selbst wenn
man trotz dieses Umstandes zu Gunsten des Klägers mit dem Gutachter davon ausgeht, dass ihm eine
vorsichtig positive Sozialprognose gestellt werden könne, so erscheint die Befristung der Sperrwirkung
der Ausweisung auf den 31. August 2013 unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit als
sachgerecht. Denn damit hat der Kläger nunmehr Gelegenheit – wenn auch in seinem Heimatland Türkei
– sich in Freiheit zu bewähren und nachzuweisen, dass bei ihm tatsächlich ein nachhaltiger
Einstellungswandel eingetreten ist. Sofern ihm dies gelingt und er bis zum genannten Zeitpunkt die noch
offenstehenden Abschiebekosten gezahlt hat, steht die Ausweisung damit nach Ablauf der Frist einer
Wiedereinreise des Klägers nach Deutschland jedenfalls nicht mehr entgegen.
Schließlich ist dem Kläger auch aus heutiger Sicht eine Rückkehr in die Türkei aus den selben Gründen
wie im Februar 2000 ohne Weiteres zumutbar. Eine weitere nennenswerte Verfestigung in die deutschen
Lebensverhältnisse hat seit seiner illegalen Wiedereinreise nicht stattgefunden. Dies schon deshalb nicht,
weil er den überwiegenden Teil seines neuerlichen Aufenthaltes im Gefängnis verbracht hat. Auch wenn
er die Zeit genutzt hat, eine weitere Ausbildung mit Erfolg abzuschließen, so erhöht dies sicherlich seine
Chancen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Insoweit
steht der Kläger aber erneut vor einem Neuanfang, den er ebenso in der Türkei beginnen kann. Auch auf
dem dortigen Arbeitsmarkt wird ihm diese zusätzliche Qualifikation aus den bereits genannten Gründen
ohne Weiteres zugute kommen. Die von ihm vorgetragenen Stellenangebote in Deutschland lassen
zudem erkennen, dass es sich wiederum nur um solche Tätigkeiten handelt, für die die von ihm
erworbenen Qualifikationen nicht vorausgesetzt werden. Die Beziehungen zu seinen in Deutschland
lebenden Familienangehörigen kann der inzwischen 35 Jahre alte Kläger durch telefonische und
briefliche Kontakte aufrecht erhalten. Auch ist es den Familienangehörigen unbenommen, ihn in der
Türkei zu besuchen. Dies gilt auch für die Freundin des Klägers, zumal diese nach seinen Angaben als
Stewardess tätig ist und von daher über günstige Reisemöglichkeiten verfügt. Erweist sich die Ablehnung
der Rücknahme der Ausweisung somit als ermessensfehlerfrei, steht dem Kläger erst recht kein Anspruch
auf Rücknahme der Ausweisung im Sinne einer Ermessensreduktion auf „Null“ zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167
VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Berufung war gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Rechtsmittelbelehrung
...
gez. Lutz gez. Pluhm gez. Holly
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,-- € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der
Beschwerde
angefochten werden.
gez. Lutz gez. Pluhm gez. Holly
2, Artikel
2, Nachname
2, Name2
2, Strasse
2, Plz
2, Ort