Urteil des VG Hannover vom 14.08.2013

VG Hannover: genehmigung, wartezeit, fahrzeug, unternehmer, verordnung, anteil, ermessensspielraum, zahl, rollstuhl, vollstreckung

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Krankentransportgenehmigung
1. Die Genehmigungsfiktion nach § 15 I 5 PBefG gilt nur im erstmaligen
Verwaltungsverfahren und nicht für eine durch Urteil erfolgte Verpflichtung
zur Neubescheidung (Berufung zugelassen).
2. Die Planungsvorgabe, nach der die Wartezeit im Krankentransport "in der
Regel" 30 Minuten nicht übersteigen darf, wird nicht eingehalten, wenn die
Wartezeit nur in 69,34 % aller Fälle eingehalten wird (Berufung zugelassen).
VG Hannover 7. Kammer, Urteil vom 14.08.2013, 7 A 5302/12
§ 5 Abs 2 S 1 RettDBedarfV ND, § 21 Abs 1 RettDG ND, § 22 Abs 1 S 2 RettDG ND,
§ 15 Abs 1 S 5 PBefG, § 113 VwGO
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin auf ihren seit 27. März 2012
vollständigen Antrag die Genehmigung zum qualifizierten Krankentransport
außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes mit einem
Krankentransportwagen mit dem amtlichen Kennzeichen D. und der Fahrzeug-
Identifizierungsnummer E. mit Standort in F. und dem Betriebsbereich des
Rettungsdienstbereichs der Beklagten zu erteilen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Gerichtskosten tragen die Klägerin und die Beklagte zu je 1/2. Die
außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte zu 1/2 und die
außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt die Klägerin ebenfalls zu 1/2. Im
Übrigen trägt jeder Beteiligte seine eigenen außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der festgesetzten Kosten abwenden,
wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte ist Trägerin des öffentlichen Rettungsdienstes in ihrem
Rettungsdienstbereich und Genehmigungsbehörde.
Nach ihrem Rettungsdienst-Bedarfsplan in der Fassung der Fortschreibung
zum 1. Januar 2007 (im Folgenden: Bedarfsplan 2007) umfasste ihr
öffentlicher Rettungsdienst 6 Notarzt-Einsatzfahrzeuge (NEF), 29
Rettungswagen bzw. Mehrzweckfahrzeuge (RTW/MZF) und 12
Krankentransportwagen (KTW), hiervon 1 KTW für Fernfahrten (Bedarfsplan
2007, S. 13f.). Mehrzweckfahrzeuge sind RTW, die auch im Krankentransport
eingesetzt werden. Für den Bereich des Krankentransports waren vier
Versorgungsbereiche gebildet. Die Beklagte trägt vor, dass im Verhältnis zur
vorausgegangenen Bedarfsplanung aus dem Jahre 2004 insgesamt 4 KTW
sowie 1 MZF abgebaut und zusätzlich 2 RTW in Dienst gestellt werden
mussten (Bl. 7 d.A. 7 A 3542/10.). In der Rettungswache G. waren
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durchgängig 2 RTW stationiert (Bedarfsplan 2007, S. 14).
Nach zum 1. November 2011 fortgeschriebenen Bedarfsplan (im Folgenden:
Bedarfsplan 2011) umfasst ihr öffentlicher Rettungsdienst nunmehr 6 NEF, 35
RTW/MZF und 8 KTW, zuzüglich 11 Reservefahrzeuge, die in 14
Rettungswachen und 6 Notarztstandorten vorgehalten werden (Bl. 46 d.A.). In
der Rettungswache H. sind wie bisher durchgängig 2 RTW stationiert und
außerdem zusätzlich u.a. montags bis donnerstags in der Zeit von 07.00 bis
15.00 Uhr und freitags in der Zeit von 08.00 bis 14.00 Uhr ein MZF für den
qualifizierten Krankentransport. Samstags wird ein MZF ohne Beschränkung
auf den qualifizierten Krankentransport in der Zeit von 7.00 bis 15.00 Uhr
vorgehalten (Bl. 187 d.A. 7 A 3542/10). Grundlage der
Bedarfsplanfortschreibung war das tatsächliche Einsatzaufkommen im
Zeitraum vom 1. November 2009 bis 31. Oktober 2010 (Bl. 173, 184 d.A. 7 A
3542/10).
Außerdem hat die Beklagte 2008 Krankentransportgenehmigungen außerhalb
des öffentlichen Rettungsdienstes an 4 Unternehmen für insgesamt 11
Fahrzeuge erteilt. Im Jahr 2011 wurde einem Unternehmer 1 weiteres
Fahrzeug zum Transport u.a. von Patienten mit mehr als 150 kg Körpermasse,
besonderer Rollstühle etc. genehmigt (Bl. 107 d.A. 7 A 3542/10).
Die Klägerin hatte mit Schreiben vom 2. Dezember 2009, das am 4. Dezember
2009 bei der Beklagten einging, die Erteilung einer Genehmigung zum
qualifizierten Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes
nach § 19 des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes - NRettDG - mit 1
KTW mit dem amtl. Kennz. D. mit Standort in F. für den Rettungsdienstbereich
der Beklagten für die Geltungsdauer von fünf Jahren beantragt. Für dieses
Fahrzeug ist gegenwärtig eine Genehmigung nach § 49 des
Personenbeförderungsgesetzes - PBefG - erteilt. Die geplante Rollzeit des
Fahrzeugs ist montags bis freitags jeweils von 7.00 bis 17.00 Uhr (Bl. 47 BA
A).
Mit einem Bescheid vom 16. Juli 2010 lehnte die Beklagte die Erteilung der
nachgesuchten Genehmigung erstmals ab. Zur Begründung wurde
ausgeführt, dass die Erteilung der Genehmigung das öffentliche Interesse an
einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden und
wirtschaftlichen Rettungsdienst beeinträchtigen würde. Gemessen an der
KTW-Vorhaltung 2007 (11 KTW + 1 Fern-KTW) würde der KTW der Klägerin
im Falle seiner Genehmigung 11,34% der Vorhaltung des öffentlichen
Rettungsdienstes abziehen. Würden 7 Krankentransporte täglich zugrunde
gelegt, würden 7,75% des jährlichen Krankentransportaufkommens des
öffentlichen Rettungsdienstes abgezogen. Ein KTW des öffentlichen
Rettungsdienstes, der im Versorgungsbereich der Rettungswachen I., J., K., L.
und H. vorgehalten werde, habe jedoch nur eine Auslastung von 35,82%.
Deshalb müsse im Falle der Erteilung der Genehmigung mit einem weiteren
Einbruch der Auslastung des öffentlichen Rettungsdienstes gerechnet werden.
Maximal sei bei 7 Krankentransporten/täglich, die an die Klägerin fielen, ein
Einnahmeausfall des öffentlichen Rettungsdienstes in Höhe von 226.927,63 €
zu erwarten. Dies entspreche einem Anteil von 9,55% im Kostenbereich KTW.
Die Kostensteigerung bei der KTW-Gebühr des öffentlichen Rettungsdienstes
betrüge 21,24%. Wenn als Reaktion auf die Erteilung der Genehmigung
11,34% der Vorhaltestunden des öffentlichen Rettungsdienstes abgebaut
werden müssten, könne die vorgegebene Wartezeit von 30 Minuten im
Krankentransport nicht mehr eingehalten werden. Die M. habe sich gegen die
Erteilung der Genehmigung ausgesprochen. Die Klägerin sei ein
Neubewerber. In Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens habe die
Beklagte die Genehmigung zu versagen. Die Versagung sei geeignet, einem
Kapazitätsabbau, den die Zulassung des beantragten KTW zur Folge hätte,
entgegenzuwirken. Das öffentliche Interesse an einem ordnungsgemäß
funktionierenden Rettungsdienst sei höher zu bewerten als das Interesse der
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Klägerin an der Ausübung des Krankentransportes mit einem KTW zu den
beantragten Zeiten. Die Versagung führe auch dazu, dass die
Solidargemeinschaft nicht höhere Lasten in Kauf nehmen müsse. Zu den
überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern zähle auch die Sicherstellung des
Krankentransports als Teilaufgabe des öffentlichen Rettungsdienstes durch
die Beklagte.
Auf die hiergegen erhobene Klage der Klägerin hob die Kammer mit Urteil vom
27. März 2012 den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2010 auf und
verpflichtete sie auf den 2. Hilfsantrag der Klägerin, ihren Genehmigungsantrag
vom 2. Dezember 2009 in der Fassung der Erklärung der Klägerin in der
mündlichen Verhandlung vom 27. März 2012 auf Erteilung einer Genehmigung
zum qualifizierten Krankentransport außerhalb des öffentlichen
Rettungsdienstes mit einem KTW mit dem amtlichen Kennzeichen D. und der
Fahrzeug-Identifizierungsnummer E. mit Standort in F. und dem
Betriebsbereich des Rettungsdienstbereichs der Beklagten unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Im Übrigen wurde
die Klage abgewiesen - 7 A 3542/10 -. Die Kammer führte hierzu aus, dass
erst seit der mündlichen Verhandlung am 27. März 2012 ein
bescheidungsfähiger Antrag vorliege, nachdem die Klägerin erklärt hatte:
"Die Klägerin wird für den Fall, dass ihr die Genehmigung nach § 19
NRettDG erteilt wird, für das streitbefangene Fahrzeug auf die zuvor
erteilte und bis 2013 gültige Genehmigung nach § 49 PBefG verzichten
und diese für den Fall der Erteilung der rettungsdienstlichen
Genehmigung zurückreichen."
In den Entscheidungsgründen heißt es zu dem von der Klägerin damals mit
Hilfsanträgen verfolgten Verpflichtungs- bzw. Neubescheidungsbegehren auf
der Grundlage des damaligen Sach- und Streitstands weiter:
„2. Zum 1. Hilfsantrag: Der 1. Hilfsantrag ist unbegründet. Zwar ist der
Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2010 rechtswidrig und verletzt die
Klägerin in ihren Rechten. Die Sache ist jedoch im maßgeblichen
Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage am Schluss der
mündlichen Verhandlung nicht spruchreif, so dass die Beklagte
gegenwärtig nicht auf den 1. Hilfsantrag zu verpflichten ist, der Klägerin
die Genehmigung nach § 19 NRettDG für den qualifizierten
Krankentransport außerhalb des Rettungsdienstes mit 1 KTW für den
Betriebsbereich des Rettungsdienstbereichs der Beklagten mit Standort
in F. für den beantragten Zeitraum montags bis freitags 7.00 bis 17.00
Uhr zu erteilen (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Klägerin erfüllt unstreitig die subjektiven
Genehmigungsvoraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 [des
Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes -] NRettDG.
Zur Überzeugung des Gerichts erfüllt die Klägerin hingegen die objektive
Genehmigungsvoraussetzung des § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG nicht.
Nach dieser Vorschrift kann die Beklagte die Genehmigung versagen,
wenn zu erwarten ist, dass sie zu einer Beeinträchtigung des öffentlichen
Interesses an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten,
flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst führt; zu
berücksichtigen sind insbesondere die Auslastung und die Abstimmung
des Einsatzes der Rettungsmittel, die Zahl und die Dauer der Einsätze,
die Eintreffzeiten und die Entwicklung der Gesamtkosten im
Rettungsdienstbereich. Ist nicht zu erwarten, dass das zur Genehmigung
gestellte Fahrzeug das von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG geschützte
öffentliche Interesse beeinträchtigt, hat der Antragsteller einen Anspruch
auf Erteilung der Genehmigung. Ist hingegen zu erwarten, dass das zur
Genehmigung gestellte Fahrzeug das geschützte öffentliche Interesse
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beeinträchtigen wird, ist der Genehmigungsbehörde von § 22 Abs. 1 Satz
2 NRettDG ein Ermessensspielraum eröffnet, ob die Genehmigung
gleichwohl zu erteilen ist. Eine Beeinträchtigung des von § 22 Abs. 1
Satz 2 NRettDG geschützten öffentlichen Interesses muss nicht bereits
eingetreten sein. Vielmehr reicht die Erwartung aus, dass im Falle der
Erteilung der Genehmigung eine entsprechende Beeinträchtigung
eintreten wird. Die Behörde muss danach eine prognostische
Entscheidung mit wertendem Charakter treffen, die ihr einen gerichtlich
nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsfreiraum gewährt (OVG
Lüneburg, Urteil vom 24.6.1999 - 11 L 719/98 - Nds. MBl. 1999, S. 689
Ls).
Die Beklagte zählt nicht zu den Rettungsdienstträgern, die in ihrem
Rettungsdienstbereich überhaupt keine Genehmigungen nach § 19
NRettDG an Unternehmer außerhalb ihres öffentlichen Rettungsdienstes
erteilt hat. Vielmehr hat sie bislang an 4 Unternehmer Genehmigungen
für 12 Fahrzeuge erteilt. Der zur Genehmigung gestellte KTW der
Klägerin wäre damit das 13. Fahrzeug außerhalb des öffentlichen
Rettungsdienstes, das grundsätzlich geeignet wäre, Umsatz des
öffentlichen Rettungsdienstes abzuziehen, der nach § 2 NRettDG auch
den qualifizierten Krankentransport rund um die Uhr sicherstellen muss.
Der Kammer erscheint plausibel, dass dem öffentlichen Rettungsdienst
ein nicht unerhebliches Gebührenaufkommen entzogen würde, das
wegen der Verpflichtung des öffentlichen Rettungsdienstes, den
Krankentransport rund um die Uhr sicherzustellen, die Kosten des
Rettungsdienstes verteuern würde. Auch die Klägerin will ihr Fahrzeug
nur montags bis freitags tagsüber einsetzen und scheut ersichtlich aus
Wirtschaftlichkeitsgründen die Inbetriebnahme nachts und an
Wochenenden.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Fortschreibung des
Bedarfsplanes 2011 zum Abbau von Kapazitäten im Bereich des
qualifizierten Krankentransports im Umfang von 15,73% = 92
Wochenstunden geführt habe, mithin ein besonders sensibler Bereich
betroffen wäre. Hierfür spricht auf den ersten Blick auch, dass die
Beklagte die Gesamtzahl der von ihr vorgehaltenen KTW in dem
Bedarfsplan 2011 gegenüber 2007 von 12 um weitere 4 auf 8 KTW
reduziert hat. Gleichzeitig hat sie jedoch die Zahl ihrer RTW und MZF von
ursprünglich 29 (Bedarfsplan 2007, S. 13f.) um 6 auf 35 Fahrzeuge (Bl.
174 d.A. [7 A 3542/10]) aufgestockt. Insgesamt wurden die einsatzbereit
vorgehaltenen Fahrzeuge des öffentlichen Rettungsdienstes von 41 um
2 auf 43 Fahrzeuge erhöht. Dabei wurde augenscheinlich
Krankentransportvolumen von den KTW auf die MZF verlagert. Dieses
Vorgehen ist gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über die
Bemessung des Bedarfs an Einrichtungen des Rettungsdienstes vom
4.1.1993 (Nieders. GVBl. S. 1) - BedarfVO-RettD - auch grundsätzlich
zulässig, zumal es wirtschaftlich ist. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der
Beurteilung der Sach- und Rechtslage am Schluss der mündlichen
Verhandlung ist zudem zu berücksichtigen, dass die Beklagte nach dem
Bedarfsplan 2011 in der Rettungswache H. ein dort bislang nicht
stationiertes MZF mit der Widmung "qual. Krankentransport" und den
Dienstzeiten montags bis donnerstags 7.00 bis 15.00 Uhr und freitags
8.00 bis 14.00 Uhr stationiert hat (Bl. 187 d.A. [7 A 3542/10]). Für die
Kammer ist offensichtlich, dass der zur Genehmigung gestellte KTW der
Klägerin mit Standort in F. Transportvolumen von diesem im Rahmen des
Sicherstellungsauftrages dort stationierten MZF abziehen würden. Die
Prognose der Beklagten hinsichtlich des möglichen Abzuges von
Transportvolumen vom öffentlichen Rettungsdienst, die sich in dem
Bescheid vom 16. Juli 2010 in einzelnen Parametern noch auf einen
weiter entfernt stationierten KTW des öffentlichen Rettungsdienstes
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bezog, besitzt danach aktuelle Gültigkeit und ist nicht zu beanstanden.
Insbesondere ist die Beklagte berechtigt, ein worst-case-Szenario in
Ansatz zubringen, bei dem von bis zu 7 Transporten/täglich durch den
KTW der Klägerin auszugehen ist, zumal diese nach ihrer Erklärung in
der mündlichen Verhandlung das zur Genehmigung gestellte Fahrzeug
nunmehr ausschließlich im qualifizierten Krankentransport einzusetzen
beabsichtigt.
3. Zum 2. Hilfsantrag: Die Klage ist jedoch mit dem 2. Hilfsantrag
begründet. Die Beklagte ist zur Neubescheidung des
Genehmigungsantrages zu verpflichten, weil die von ihr getroffene
Ermessensentscheidung rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren
Rechten verletzt, §§ 113 Abs. 5 Satz 2, 114 VwGO. Wie bereits oben
ausgeführt, ist der Beklagten im Falle der Beeinträchtigung des
öffentlichen Rettungsdienstes durch den zur Genehmigung gestellten
KTW ein Ermessensspielraum eröffnet, die Genehmigung gleichwohl zu
erteilen. Zwar hat die Beklagte auf Seite 8f. ihres
Genehmigungsbescheides das gesetzlich geforderte Ermessen
ausgeübt. Diese Ermessensentscheidung erweist sich jedoch bei
rückschauender Betrachtungsweise als unvollständig, weil wesentliche
Veränderungen der Sachlage, deren Ursachen zumindest teilweise
bereits im Zeitpunkt der Bescheidung lagen, nicht eingestellt waren und
diese Umstände zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen sind.
a. Im Zeitpunkt der Bescheidung umfasste der öffentliche Rettungsdienst
zwei Fahrzeuge weniger als heute. Während des Klageverfahrens wurde
im Zuge der Fortschreibung des Bedarfsplans 2011 die Zahl der
Rettungsmittel ohne NEF von 41 auf 43 aufgestockt (s. Bedarfsplan
2007, S. 13f. und Bl. 174 [d.A. 7 A 3542/10]). Im Bereich des qualifizierten
Krankentransports mag zwar ein Rückgang des Transportvolumens
festzustellen sein, jedoch hat die Beklagte in der Standortgemeinde des
von der Klägerin zu Genehmigung gestellten Fahrzeuges im Zuge des
Klageverfahrens in der Rettungswache H. ein dem ‚qualifizierten
Krankentransport‘ gewidmetes MZF, das zuvor dort nicht stationiert war,
zu den Dienstzeiten in Betrieb genommen, die auch die Klägerin mit
ihrem bereits 2009 zur Genehmigung gestellten Fahrzeug abdecken
wollte. Diese Indienststellung des im Bereich H. zusätzlichen MZF für den
qualifizierten Krankentransport erfolgte ausweislich der Angaben im
Bedarfsplan 2011 aufgrund des tatsächlichen Einsatzaufkommens im
Zeitraum vom 1. November 2009 bis zu 31. Oktober 2010, mithin einer
Datenlage, die auch den Bearbeitungszeitraum des Antrages der
Klägerin vom 4. Dezember 2009 bis zum 16. Juli 2010 umfasste. Danach
hätte sich die Beklagte die Frage stellen müssen, ob sie statt ihren
Bedarfsplan mit einem MZF, der dem "qualifizierten Krankentransport"
gewidmet ist, in Wunstorf aufzustocken, den Antrag der Klägerin hätte
genehmigen sollen. In der Rechtsprechung des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts ist für den Fall bereits erteilter Genehmigungen
geklärt, dass sodann eine Pflicht zur Anpassung des Bedarfsplans
besteht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 9.8.1996 - 7 L 7019/95;
Beschluss vom 6.2.1997 - 7 M 5028/96 -; Urteil vom 24.6.1999 - 11L
719/98 -). Nach Auffassung der Kammer gilt für den Fall, dass sich aus
dem tatsächlichen Einsatzaufkommen abzeichnet, dass sich am
Standort eines zur Genehmigung gestellten KTW ein
Transportaufkommen entwickelt, das zur Stationierung eines weiteren
KTW oder MZF des öffentlichen Rettungsdienstes mit Widmung für den
qualifizierten Krankentransport in der Rettungswache der
Standortgemeinde führt, dieser Umstand zugunsten des
Genehmigungsbewerbers in die Ermessensentscheidung über seinen
Antrag einzustellen ist. Die Genehmigungsbehörde hat in einem solchen
Fall vor Aufstockung ihres öffentlichen Rettungsdienstes zu
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berücksichtigen, dass ein rechtzeitig gestellter Genehmigungsantrag
vorliegt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Neustationierung eines
Fahrzeugs des öffentlichen Rettungsdienstes in derselben Gemeinde
wie dem Standort des zur Genehmigung gestellten Fahrzeugs mit
weitestgehend identischen Betriebszeiten erfolgen soll. Andernfalls liefe
das legitime Interesse von Genehmigungsbewerbern, sich Standorte für
Fahrzeuge zu suchen, die nicht das von § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG
geschützte öffentliche Interesse beinträchtigen, leer.
b. Die Beklagte hat den Genehmigungsantrag der Klägerin mit dem
streitbefangenen Bescheid vom 16. Juli 2010 abgelehnt, jedoch zeitlich
nachfolgend ím Jahr 2011 einem Unternehmer die Genehmigung nach §
19 NRettDG für den qualifizierten Krankentransport von Patienten erteilt,
‚deren Körpermasse (Gewicht) den Wert von 150 kg übersteigt oder die
aufgrund einer ärztlichen Verordnung (z.B. wegen ihrer
Körperproportionen) nicht mit einem Rettungsmittel transportiert werden
können oder die aufgrund einer ärztlichen Verordnung sitzend in einem
Rollstuhl (z.B. Elektrorollstuhl, überbreiter Rollstuhl oder angepasste
Sitzschalen mit Untergestell für Menschen mit Multi-Dysfunktionalität)
unter Beachtung der DIN 75080 (Teil 2: Rückhaltesysteme) transportiert
werden müssen‘ (Bl. 107 d.A. [7 A 3542/10]). Die Genehmigung ist damit
ersichtlich im Einverständnis mit dem Antragsteller auf den Transport
entsprechender Patienten beschränkt. Die Genehmigungserteilung an
den Unternehmer erfolgte trotz der in dem streitbefangenen und an die
Klägerin gerichteten Bescheid vom 16. Juli 2010 enthaltenen Prognose,
dass die von der Klägerin beantragte Genehmigung im Falle ihrer
Erteilung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen,
bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen
Rettungsdienst beeinträchtigen würde. Die Genehmigungserteilung an
den Unternehmer erfolgte ebenfalls, obwohl der öffentliche
Rettungsdienst nach § 2 NRettDG den Transport auch solcher Patienten
flächendeckend rund um die Uhr sicherstellen muss, die die vorstehend
genannten Erschwernisse mit sich bringen. Danach lässt sich die 2011
während des vorliegenden Klageverfahrens erfolgte
Genehmigungserteilung an den Unternehmer für die erkennende
Kammer nur damit erklären, dass der öffentliche Rettungsdienst der
Beklagten entweder nicht in der Lage war oder ist, den entsprechenden
Personenkreis zu transportieren oder die Beklagte Einnahmeverluste
ihres öffentlichen Rettungsdienstes aufgrund der erteilten Genehmigung
hinnimmt oder der Unternehmer die fraglichen Transporte wirtschaftlicher
durchführen kann. Die Vertreter der Beklagten haben in der mündlichen
Verhandlung hierzu lediglich auf die ‚Krankenkassen‘ als Kostenträger
nach § 4 Abs. 6 NRettDG verwiesen. Jedenfalls war die von der
Beklagten in dem streitbefangenen Bescheid vom 16. Juli 2010
getroffene Ermessensentscheidung auch insoweit unvollständig, als es
ein Transportaufkommen von Patienten gibt, hinsichtlich dessen die
Beklagte bereit ist, Einnahmeverluste des öffentlichen Rettungsdienstes
hinzunehmen. Auch dieser Umstand hätte zugunsten der Klägerin
berücksichtigt werden müssen.
Eine Ermessenreduktion auf ‚Null‘ mit der Folge, dass nur eine
Genehmigungserteilung zugunsten der Klägerin in Frage kommt, folgt
hieraus nicht. Die Beklagte ist jedoch verpflichtet, bei einer
Neubescheidung die vorgenannten Umstände in ihre
Ermessensentscheidung einzustellen und mit dem Interesse der Klägerin
an der Genehmigungserteilung abzuwägen.“
Das Urteil ist seit 22. Mai 2012 rechtskräftig.
Mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 20. August 2012 lehnte die
Beklagte den Antrag der Klägerin erneut ab. In diesem Bescheid stellt sie
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zunächst fest, dass in ihrem Rettungsdienstbereich ein funktionsfähiger,
bedarfsgerechter, flächendeckender und wirtschaftlicher Rettungsdienst
bestehe (Bescheidabdruck S. 2-4) und führt sodann in einem zweiten Schritt
eine Beeinträchtigungsprüfung durch (Bescheidabdruck S. 4). In diesem
Zusammenhang kommt sie erneut zu dem Ergebnis, dass bei Erteilung der
beantragten Genehmigung eine ernsthafte- und schwerwiegende
Beeinträchtigung des öffentlichen Rettungsdienstes zu befürchten sei, die zu
schwerwiegenden Mängeln bei dessen Durchführung führen würde
(Bescheidabdruck S. 9). Im Falle der Erteilung der Genehmigung werde sich
der Auslastungsgrad im Krankentransport um mehr als 10% verringern
(Bescheidabdruck S. 8) und die Einnahmeausfälle würden sich bei einem
worst-case-Szenario auf 9,55% erstrecken (Bescheidabdruck S. 9). Damit
bestehe die Gefahr, dass die Eintreff- und Wartezeiten nicht mehr eingehalten
werden könnten, weil möglicherweise ein vorgehaltener KTW abgebaut
werden müsste. Bei weiterer Vorhaltung hätte dies kostenrechtliche
Auswirkungen (Bescheidabdruck S. 8). Die Kosten würden im KTW-Bereich je
Einsatz im Vergleich zum Vorjahr um 21,12% steigen.
Zu Ziffer 3a) des Urteils der Kammer vom 27.3.2012 führt die Beklagte aus
(Bescheidabdruck S. 6f. und S. 11):
„Die [Beklagte] hat im Zeitpunkt der Bedarfsfortschreibung keine
Möglichkeit gesehen und sieht sich auch weiterhin nicht in der Lage, das
dortige Krankentransportvolumen entsprechend der Anmerkung des
Gerichts in seinem Urteil vom 27.03.2012 unter Ziffer 3a) an [die Klägerin]
im Rahmen einer Genehmigung nach § 19 NRettDG zu geben.
Einerseits würde dies zu einer erheblichen Unwirtschaftlichkeit des dort
samstags vorzuhaltenden Notfallrettungsmittels MZF führen und auch
insgesamt zu einer noch nachfolgend weiter begründeten
Beeinträchtigung des öffentlichen Rettungsdienstes führen.
Bezüglich der Bemerkung des Gerichts, es würde sich hierbei um eine
Neustationierung eines zusätzlichen Fahrzeugs handeln, ist
festzustellen, dass dies zwar bezüglich der Vorhaltung samstags für die
Notfallrettung zutreffend ist, es sich hinsichtlich der Vorhaltung für den
qualifizierten Krankentransport montags bis freitags lediglich um eine
Verschiebung von in diesem Krankentransportversorgungsbereich
bereits vorhandenen Kapazitäten aufgrund der oben geschilderten
wirtschaftlichen Erwägungen gehandelt hat. Insgesamt hat sich die
Vorhaltung für den qualifizierten Krankentransport im
Krankentransportversorgungsbereich J., I., L., H. und K. montags bis
freitags (wie bisher ohne Fernfahrtaufkommen) von 172 Wochenstunden
im Bedarfsplan 2007 auf 110 Wochenstunden im Bedarfsplan 2011
verringert.“ (insoweit Bescheidabdruck S. 6f.). (…)
„Ihr Interesse an einer Standortsuche für ihre Fahrzeuge für den
qualifizierten Krankentransport außerhalb des öffentlichen
Rettungsdienstes habe ich zu Ihren Gunsten berücksichtigt. Der Bedarf
von qualifizierten Krankentransporten im Versorgungsbereich J., I., L., H.,
K. von montags bis donnerstags von 7 bis 15 Uhr und freitags von 8 bis
14 Uhr ist zwar gemäß Bedarfsplan 2011 vorhanden, allerdings ist
darüber hinaus ein Notfallrettungsmittel auf der Rettungswache H.
samstags von 7 bis 15 Uhr [als] ein zusätzliches Notfallrettungsmittel
vorzuhalten. Diese Vorhaltung kann nur vom öffentlichen Rettungsdienst
wahrgenommen werden, daher wurde von der Rettungsdienstträgerin
entschieden, dass diese Vorhaltung nicht einem privaten Unternehmer
übertragen, sondern vom öffentlichen Rettungsdienst mittels eines MZF
durchgeführt wird. Die auf diese Weise verbesserte Auslastung trägt zur
Kostenminderung bei. Wie bereits dargelegt, ist dieses MZF in Notfällen
auch während der Vorhaltezeiten für den qualifizierten Krankentransport
für die Notfallrettungen von montags bis freitags einsatzfähig, so dass
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durch kürzere Eintreffzeiten die Patienten schneller versorgt werden
können.
Bei der Abwägung Ihrer wirtschaftlichen Interessen in Bezug auf die
Standortsuche und der öffentlichen Interessen der Kostenminimierung
und Verkürzung der Eintreffzeiten im Bereich der Rettungswache H.
komme ich zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen
überwiegen“ (insoweit Bescheidabdruck S. 11).
Zu Ziffer 3b) in dem Urteil der Kammer vom 27.3.2012 führt die Beklagte aus
(Bescheidabdruck S. 7f.):
„Auch die Tatsache, dass im Juli 2011 eine Genehmigung nach § 19
NRettDG an ein Unternehmen zur Durchführung von qualifiziertem
Krankentransport von Patienten, deren Körpermasse (Gewicht) den Wert
von 150 Kilogramm übersteigt, die aufgrund einer ärztlichen Verordnung
(z.B. wegen ihrer Körperproportionen) nicht mit einem regulären
Rettungsmittel transportiert werden können oder die aufgrund einer
ärztlichen Verordnung sitzend in einem Rollstuhl (z.B. Elektrorollstuhl,
Überbreiter-Rollstuhl oder angepasste Sitzschalen mit Untergestellt für
Menschen mit Multi-Dysfunktionalität) unter Beachtung der DIN 75078
(Teil 2: Rückhaltesysteme) transportiert werden müssen, erteilt wurde, ist
kein Hinweis auf einen generell erhöhten Bedarf an qualifizierten
Krankentransporten. Die damals erteilte Genehmigung weist eindeutig
darauf hin, dass lediglich diese spezielle Form des qualifizierten
Krankentransports durchgeführt werden darf. Diese Form des
Krankentransports setzt eine spezielle Ausstattung des eingesetzten
Rettungsmittels voraus. In Ihrem Antrag sind weder Angaben noch
Nachweise einer besonderen Ausstattung des von Ihnen für die
Durchführung der qualifizierten Krankentransporte vorgesehenen
Fahrzeuges enthalten. Aufgrund des vorliegenden Antrages gehe ich
daher davon aus, dass Sie im Falle einer Genehmigung den
qualifizierten Krankentransport vollumfänglich für die beantragten
Betriebszeiten, d.h. ohne besondere Auflagen, wahrnehmen möchten.
Insofern handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um die Bevorzugung
eines konkurrierenden Unternehmens aufgrund von sachfremden
Erwägungen.
Die Erteilung der vorgenannten Genehmigung führt darüber hinaus zu
keinem Einnahmeverlust des öffentlichen Rettungsdienstes, da diese
spezielle Form bisher von der [Beklagten] selbst nicht vorgehalten wurde
und auch nicht im Bedarfsplan bemessen war. Wurden solche speziellen
qualifizierten Krankentransporte in der Vergangenheit erforderlich, so
wurde gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 NRettDG nachbarschaftliche Hilfe durch
die N. in Anspruch genommen oder Einzelaufträge außerhalb des
öffentlichen Rettungsdienstes vergeben. Da sich eine Zunahme dieser
Transporte abzeichnete und auch die N. signalisierte, nur noch in
geringem Maße nachbarschaftlich aushelfen zu können, hatte die
[Beklagte] die gesonderte Bemessung einer Vorhaltung für
entsprechende Sondertransporte im Rahmen der Fortschreibung des
Bedarfsplans vom 01.11.2011 vorgesehen. Da noch vor Beginn dieser
Berechnungen jedoch dem Antrag des Unternehmens nach § 19
NRettDG für genau diese Spezialtransporte zu entsprechen war, musste
die ursprünglich vorgesehene gesonderte Bemessung einer Vorhaltung
für entsprechende Sondertransporte aus der Fortschreibung des
Bedarfsplans herausgenommen werden. Zu dem Zeitpunkt, zu dem über
den am 13.05.2011 gestellten Antrag zu entscheiden war, konnte eine
Beeinträchtigung des öffentlichen Rettungsdienstes im Sinne von § 22
Abs. 1 Satz 2 NRettDG für qualifizierten Krankentransport entsprechend
der beantragten Beschränkung nicht festgestellt werden. (…)“
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Schließlich führt die Beklagte aus, dass die Genehmigung in Ausübung ihres
pflichtgemäßen Ermessens nach wie vor zu versagen sei (Bescheidabdruck S.
11-12). Die Versagung der Genehmigung sei geeignet, einem
Kapazitätsabbau, den die Zulassung des beantragten KTW zur Folge hätte,
entgegenzuwirken. Das öffentliche Interesse an einem ordnungsgemäßen
funktionierenden Rettungsdienst sei höher zu bewerten als das Interesse der
Klägerin an der Ausübung des qualifizierten Krankentransports mit einem KTW
zu den beantragten Zeiten.
Mit ihrer am 20. September 2012 beim Verwaltungsgericht Hannover
erhobenen erneuten Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter. Sie ist (1.) der
Auffassung, dass die Genehmigung aufgrund der Genehmigungsfiktion in § 21
Abs. 1 NRettDG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG bereits seit 27.
Juni 2012 als erteilt gilt, weil der Genehmigungsantrag mit dem Tag der
mündlichen Verhandlung in dem Verfahren 7 A 3542/10 am 27. März 2012
vollständig gestellt gewesen sei und die Beklagte gleichwohl die Genehmigung
nicht innerhalb der 3-Monats-Frist versagt habe sondern erst mit dem
streitbefangenen Bescheid vom 20. August 2012. Deshalb habe die Klägerin
einen Anspruch auf Herausgabe der Genehmigungsurkunde. Hilfsweise habe
sie (2.) einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung, weil der
Rettungsdienst der Beklagten nicht bedarfsgerecht ausgebaut sei und bereits
deshalb durch den zur Genehmigung gestellten KTW nicht beeinträchtigt
werde. Es sei zweifelhaft, ob die Beklagte bei der Organisation ihres
Rettungsdienstes die Eintreffzeit in der Notfallrettung von 15 Minuten in 95 vom
Hundert der in einem Jahr im Rettungsdienstbereich zu erwartenden
Notfalleinsätze (§ 2 Abs. 3 BedarfVO-RettD) einhalte. Das von der Beklagten
hierzu vorgelegtes Zahlenwerk, das sich auf den Zeitraum vom 1. November
2011 bis 31. Mai 2012 beschränke, beruhe auf Rechenfehlern, weil sie den 7-
Monats-Zeitraum verdoppelt habe, um ein Jahresaufkommen zu erhalten.
Außerdem sei der öffentliche Rettungsdienst nach wie vor selbst nicht
bedarfsgerecht, weil die Beklagte nach ihren eigenen Unterlagen die Wartezeit
im qualifizierten Krankentransport von in der Regel 30 Minuten (§ 5 Abs. 2 Satz
1 BedarfVO-RettD) nur in - bereits von der Beklagten im Klageverfahren
korrigiert - 69,36% aller Fälle einhalte (Bl. 113 d.A.). Dieser Wert sei zu gering,
um den „Regelfall“ abzubilden. Außerdem sei die Beklagte nach wie vor selbst
nicht in der Lage, stark übergewichtige Patienten zu transportieren, wie die
einem Dritten hierzu erteilte Genehmigung und deren Begründung zeige. Die
Beklagte hätte bei Fortschreibung des Bedarfsplans den bereits seit 2009
vorliegenden Antrag der Klägerin berücksichtigen müssen. Die
Neustationierung des MZF in der Standortgemeinde des zur Genehmigung
gestellten Fahrzeugs der Klägerin werde mit der Notwendigkeit, samstags für 8
Stunden ein 3. Notfallrettungsmittel vorzuhalten, begründet. Hingegen werde
das Einsparvolumen bei Wegfall des MZF über 32 Stunden montags bis
freitags (richtig wohl: 38 Stunden; die Klägerin beantragt für sich eine Rollzeit
von 50 Stunden) nicht berücksichtigt. Das Zahlenmaterial für die Prognose,
welche Einnahmeausfälle im öffentlichen Rettungsdienst bei Erteilung der
nachgesuchten Genehmigung entstünden, sei veraltet. Auch gehe die
Beklagte im Rahmen des worst-case-Szenario davon aus, dass die Klägerin 7
Krankentransporte/Tag durchführen werde (= 1,27 Stunden/Einsatz). Diese
Annahme sei zu hoch. Zudem ginge das Transportvolumen nicht
ausschließlich zu Lasten des öffentlichen Rettungsdienstes, sondern auch zu
Lasten der Konkurrenten, die bereits im Besitz einer
Krankentransportgenehmigung sei. Ferner habe sie hilfsweise (3.) einen
Anspruch auf Neubescheidung, weil auch die erneute
Ermessensentscheidung fehlerhaft sei. Die Beklagte habe die Verpflichtung
aus dem Urteil der Kammer vom 27. März 2012 unzureichend umgesetzt.
Schließlich stellt sie 12 Hilfsbeweisanträge.
Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 20. August 2012 aufzuheben sowie
festzustellen, dass zugunsten der Klägerin die Genehmigung zur
Durchführung qualifizierten Krankentransportes außerhalb des
Rettungsdienstes (Dienstzeit montags bis freitags 7.00 bis 17.00 Uhr
vom Standort der Klägerin aus im gesamten Rettungsdienstbereich der
O. mit einem KTW) nach Maßgabe des von der Klägerin mit Schreiben
vom 2. Dezember 2009 gestellten und in der mündlichen Verhandlung
vor dem Verwaltungsgericht Hannover - 7 A 3542/10 - am 27. März 2012
konkretisierten Antrages als erteilt gilt und die Beklagte verpflichtet ist, der
Klägerin die entsprechende Genehmigungsurkunde auszuhändigen,
hilfsweise
die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die beantragte Genehmigung
zu erteilen,
hilfsweise
die Beklagte zu verpflichten, über den Genehmigungsantrag der Klägerin
erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu
entscheiden,
hilfsweise
Beweis zu erheben gemäß den in der Anlage zum Protokoll der
mündlichen Verhandlung beigefügten Beweisanträgen zu 1) bis 12),
nach der Anlage zu dem Schriftsatz vom 13. August 2013, der am 14.
August 2013 zur Gerichtsakte gereicht worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise
Schriftsatznachlass zu den Beweisanträgen zu 1) bis 12) zu gewähren.
Die Beklagte erwidert: (1.) Sie habe innerhalb des 3-Monats-Zeitraums nach
Rechtskraft des Urteils der Kammer mit der Verpflichtung zur Neubescheidung
entschieden. Danach sei die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten (2.) Da
das Verwaltungsgericht eine Verpflichtung zur Neubescheidung unter
Berücksichtigung der Bedarfsplanfortschreibung ab 1. November 2011
ausgesprochen hätte, habe zum Zeitpunkt der erneuten Bescheidung nur auf
das Zahlenmaterial vom 1. November 2011 bis 31. Mai 2012 zurückgegriffen
werden können. Bei der erneuten Prüfung der Beeinträchtigung des
Rettungsdienstes seien ihr in dem streitbefangenen Bescheid vom 20. August
2012 allerdings Auswertungs- und Rechenfehler unterlaufen. Diese hätten
jedoch keinerlei Einfluss auf das Ergebnis der „Bedarfsprüfung“ (Bl. 80 d.A.).
Mit Schriftsatz vom 27. März 2013 erklärt sie: Eine Neuauswertung und
Berechnung ergebe, dass die Eintreffzeit in 95,22% aller Notfalleinsätze
eingehalten werde. Die Wartezeit im Krankentransport betrage 25,42 Minuten.
Dabei habe jedoch ein Anteil von unplausiblen Datensätzen ausgeschieden
werden müssen. Zwar treffe es zu, dass sie die Wartezeit im Krankentransport
nur in knapp 70% der Einsätze einhalte. Die BedarfVO-RettD gebe ihr jedoch
im Gegensatz zur Notfallrettung nicht die Einhaltung eines gewissen
Prozentanteils vor, weil die Norm nur die Einhaltung der Wartezeit „in der
Regel“ vorschreibe. Die Wartezeit von 30 Minuten bei qualifizierten
Krankentransporten werde in ihrem Rettungsdienstbereich durchschnittlich
erfüllt. Deshalb liege ein funktionsfähiger Rettungsdienst vor, der
beeinträchtigungsfähig sei (Bl. 113, 170,199 d.A.). Im Genehmigungsfall würde
die Klägerin 10,01% der Krankentransporte vom öffentlichen Rettungsdienst
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abziehen. Eine Entgeltsteigerung von 21,53% sei zu erwarten. Es wäre
äußerst unwirtschaftlich, in H. ausschließlich samstags ein „extra“ drittes
Fahrzeug für die Notfallrettung vorzuhalten und das Fahrzeug für den
Krankentransport an einem anderen Standort zu stationieren. (3.) Zu der
„Anmerkung 3a)“ des Gerichts werde nach wie vor ausgeführt, dass es sich
nicht um eine Neustationierung eines Fahrzeuges handele, sondern lediglich
um eine Standortverlagerung.
Die Klägerin repliziert, dass die Beklagte die Grundlagen ihrer
Prognoseentscheidung vollständig ausgewechselt habe. Damit sei dem
Bescheid vom 20. August 2012 die Grundlage entzogen. Die Berechnung der
Eintreff- und Wartezeit sei nicht nachvollziehbar. Der Anteil von 570
unplausiblen Einsätzen sei viel zu hoch. Entsprechendes gelte für die Einsätze
mit „negativen Wartezeiten“ (= 0 Minuten in 1.284 Fällen, Bl. 163 d.A.). Im
Übrigen könne die Klägerin allenfalls 5 Transporte/Tag durchführen, von
denen 80% zu Lasten des öffentlichen Rettungsdienstes berechnet werden
dürften (= 4 Transporte). Es sei dann auf keinem Fall im
Krankentransportbereich der Beklagten eine Steigerung im zweistelligen
Bereich zur erwarten. Die Beklagte habe die ihr aus dem rechtskräftigen Urteil
vom 27. März 2012 auferlegten Verpflichtungen ignoriert.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorbezeichneten Gerichtsakten
und des Verwaltungsvorganges der Beklagten, der dem Gericht zur
Einsichtnahme vorgelegen hat, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist mit dem 1. Hilfsantrag begründet.
1. Zum Hauptantrag: Der Hauptantrag ist nicht begründet. Die Klägerin hat
keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung und Aushändigung der
Genehmigungsurkunde gemäß § 21 Abs. 1 des Niedersächsischen
Rettungsdienstgesetzes in der Neufassung vom 2.10.2007 (Nds. GVBl. S.
473), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7.12.2012 (Nds. GVBl. S. 548) -
NRettDG - in Verbindung mit § 15 Abs. 2 Satz 1 des
Personenbeförderungsgesetzes - PBefG -, weil die Genehmigung nicht gemäß
§ 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG spätestens seit 27. Juni 2012 als erteilt gilt. Die
Klägerin kann sich nicht auf die Genehmigungsfiktion berufen.
Mit Art. 1 des Änderungsgesetzes vom 12.7.2007 (Nds. GVBl. S. 316) ist die
Genehmigungsfiktion erstmals in das Niedersächsische Rettungsdienstgesetz
inkorporiert worden, weil § 21 Abs. 1 NRettDG in der vorausgehenden
Fassung auf eine ältere Fassung des Personenbeförderungsgesetzes Bezug
genommen hatte, die ihrerseits die Genehmigungsfiktion noch nicht enthielt.
Gemäß § 21 Abs. 1 NRettDG in der nunmehr geltenden Fassung ist in
Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG über den Genehmigungsantrag
nach §§ 19ff. NRettDG innerhalb einer Frist von 3 Monaten zu entscheiden.
Diese Frist beginnt nach ständiger Rechtsprechung der Kammer mit Eingang
der vollständigen Antragsunterlagen bei der Behörde zu laufen (s. auch OVG
Greifswald, Beschluss vom 9.12.2003 - 1 L 174/03 -; OVG Magdeburg, Urteil
vom 29.2.1996, DVBl. 1997, S. 964; Fromm/Sellmann/Zuck; PBefR, 4. Aufl., §
15 PBefG Rdnr. 2). Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass der
Antrag nach den ergänzenden Erklärungen der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung zum gerichtlichen Verfahren 7 A 3542/10 am 27. März 2012
vollständig gestellt war. Dies ist jedoch unerheblich, weil die
Genehmigungsfiktion nach § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG nur im erstmaligen
Verwaltungsverfahren und nicht für die durch Urteil erfolgte Verpflichtung der
Genehmigungsbehörde zur Neubescheidung gilt. Kommt die Verwaltung der
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gerichtlich auferlegten Verpflichtung nicht binnen angemessener Frist nach, ist
dies ein Fall der Vollstreckung des gerichtlichen Urteils und nicht eine Frage
der Genehmigungsfiktion.
Selbst wenn die Genehmigungsfiktion jedoch auch auf den Fall eines Urteils
zur Verpflichtung auf Neubescheidung anwendbar sein sollte, wäre die
Genehmigungsfiktion jedoch vorliegend nicht eingetreten. Denn in einem
solchen Fall wäre nicht auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als
Beginn der Drei-Monats-Frist, sondern auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des
zur Neubescheidung verpflichtenden Urteils abzustellen, mithin auf den 22.
Mai 2012 (ebenso VG Oldenburg, Urteil vom 6.2.2013 - 11 A 4199/12 - n. rkr.,
Urteilsabdruck S. 18). Der streitbefangene Bescheid vom 20. August 2012
wäre danach innerhalb der Drei-Monats-Frist ergangen und die
Genehmigungsfiktion nicht eingetreten.
2. Zum 1. Hilfsantrag: Die erneute Ablehnung der Erteilung der
Krankentransportgenehmigung in dem Bescheid vom 20. August 2012 ist
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Weil die Sache
spruchreif ist, ist die Beklagte gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu
verpflichten, die beantragte Genehmigung zu erteilen (vgl. auch BVerwG, Urteil
vom 17.1.1954 - V C 97.54 - BVerwGE 1, S. 291, 296f.; Kopp/Schenke, VwGO,
19. Aufl., § 113 Rdnr. 179 mwN).
Die Klägerin erfüllt unstreitig die subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen
nach § 22 Abs. 1 Satz 1 NRettDG.
Die Klägerin erfüllt nunmehr auch die objektive Genehmigungsvoraussetzung
nach § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG.
Nach dieser Vorschrift kann die Beklagte die Genehmigung nur versagen,
wenn zu erwarten ist, dass sie zu einer Beeinträchtigung des öffentlichen
Interesses an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten, flächendeckenden
und wirtschaftlichen Rettungsdienst führt; zu berücksichtigen sind
insbesondere die Auslastung und die Abstimmung des Einsatzes der
Rettungsmittel, die Zahl und die Dauer der Einsätze, die Eintreffzeiten und die
Entwicklung der Gesamtkosten im Rettungsdienstbereich. Ist nicht zu
erwarten, dass das zur Genehmigung gestellte Fahrzeug das von § 22 Abs. 1
Satz 2 NRettDG geschützte öffentliche Interesse beeinträchtigt, hat der
Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Ist hingegen zu
erwarten, dass das zur Genehmigung gestellte Fahrzeug das geschützte
öffentliche Interesse beeinträchtigen wird, ist der Genehmigungsbehörde von §
22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG ein Ermessensspielraum eröffnet, ob die
Genehmigung gleichwohl zu erteilen ist. Eine Beeinträchtigung des von § 22
Abs. 1 Satz 2 NRettDG geschützten öffentlichen Interesses muss nicht bereits
eingetreten sein. Vielmehr reicht die Erwartung aus, dass im Falle der Erteilung
der Genehmigung eine entsprechende Beeinträchtigung eintreten wird. Die
Behörde muss danach eine prognostische Entscheidung mit wertendem
Charakter treffen, die ihr einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren
Entscheidungsfreiraum gewährt (Nds. OVG, Urteil vom 24.6.1999 - 11 L
719/98 - Nds. MBl. 1999, S. 689 Ls).
Zwar hatte die Kammer mit Urteil vom 27. März 2012 festgestellt, dass die
Klägerin zum damaligen Zeitpunkt nicht die objektive
Genehmigungsvoraussetzung des § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG erfüllte, weil zu
erwarten war, dass die Genehmigung im Falle ihrer Erteilung zu einer
Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem funktionsfähigen,
bedarfsgerechten, flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst
führt. Insoweit war das Urteil vom 27. März 2013 von der Klägerin nicht unter
Weiterverfolgung ihres Verpflichtungsbegehrens angefochten worden und ist
rechtskräftig. Die Kammer hatte die Beklagte jedoch zur Neubescheidung
unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer verpflichtet, wobei aus
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den Urteilsgründen hervorgeht, dass ihre Ermessensentscheidung in dem
vorausgegangenen Bescheid vom 16. Juli 2010 fehlerhaft gewesen war.
Die Beklagte hat nunmehr in dem streitbefangenen Bescheid vom 20. August
2012 eine erneute Beeinträchtigungsprüfung unter Verwendung aktualisierten
Zahlenmaterials vorgenommen, damit einen vollumfänglichen Zweitbescheid
erlassen und der Klägerin somit die Möglichkeit zur erneuten Überprüfung
auch des Vorliegens der objektiven Genehmigungsvoraussetzung des § 22
Abs. 1 Satz 2 NRettDG gegeben. Dabei hat sie auf Vorhalt der Klägerin
einräumen müssen, dass sie in dem streitbefangenen Bescheid vom 20.
August 2012 unrichtiges Zahlenmaterial verwendet hat, das sie erst im
Klageverfahren berichtigte (u.a. Klageerwiderung vom 27. März 2013, S. 3 und
6, Bl. 134 und 137 d.A.).
Deshalb ist der Einwand der Klägerin vollinhaltlich zu überprüfen, es fehle
überhaupt an einem funktionsfähigen Rettungsdienst, der durch das
Hinzutreten ihres zur Genehmigung gestellten einen Krankentransportwagens
gefährdet werden könnte. Die Ausführungen der Beklagten in dem
streitbefangenen Bescheid vom 20. August 2012 auf den Seiten 2 bis 4 des
Bescheidabdrucks, sie stelle einen funktionsfähigen, bedarfsgerechten,
flächendeckenden und wirtschaftlichen Rettungsdienst in ihrem
Rettungsdienstbereich sicher, trifft hinsichtlich des qualifizierten
Krankentransports ausweislich des von ihr selbst vorgelegten und im
Klageverfahren berichtigten Zahlenmaterials nicht zu. Die Klägerin ist
berechtigt, diesen Umstand zu rügen. Die Kammer folgt in diesem
Zusammenhang in ständiger Rechtsprechung nicht der jüngeren
Rechtsprechung des OVG Münster, die in Abweichung von ihrer
vorausgehenden Rechtsprechung im Rahmen der Funktionsschutzklausel
nicht mehr vorab prüft, ob überhaupt ein funktionsfähiger Rettungsdienst
vorliegt, der beeinträchtigt werden kann (OVG Münster, Urteil vom 7.3.2007,
DVBl. 2007, S. 1503; Beschluss vom 19.9.2007 - 13 A 2451/04 -; Urteil vom
10.6.2008 - 13 A 1779/06 - DVBl. 2008, S. 1139). Der Hinweis des OVG
Münster, das öffentliche Interesse schütze nicht nur einen bestehenden
funktionsfähigen öffentlichen Rettungsdienst, sondern auch das Ziel zur
Erlangung eines solchen, überzeugt nicht. Zum einen würde der
Rettungsdienstträger kaum mehr einer Kontrolle unterliegen, ob er wirklich
funktionsgerecht, bedarfsgerecht, flächendeckend und (hierbei) wirtschaftlich
handelt; zum anderen könnte allein der Hinweis des Rettungsdienstträgers, er
sei bestrebt, einen den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden
Rettungsdienst herzustellen, regelmäßig die Zulassung eines jeden
Unternehmers verhindern (u.a. Urteil der erk. Kammer vom 23.8.2011 - 7 A
3283/10 -). Deshalb wird ein unterdimensionierter Rettungsdienst nicht von der
Funktionsschutzklausel des § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG geschützt.
Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte bei der Organisation
ihres öffentlichen Rettungsdienstes insbesondere die Eintreffzeit in der
Notfallrettung nach § 2 Abs. 2 und 3 BedarfVO-RettD einhält, wobei allerdings
der hohe Anteil von Datensätzen auffällt, der von der Beklagten aus der
Statistik ihrer Notfallrettungseinsätze als „unplausibel“ herausgerechnet
worden ist.
Denn die Kammer ist aufgrund der erneuten mündlichen Verhandlung zu der
Überzeugung gelangt, dass die Beklagte bei der Organisation ihres
öffentlichen Rettungsdienstes die Wartezeit im Krankentransport nach § 5 Abs.
2 Satz 1 BedarfVO-RettD nicht einhält und ihr Rettungsdienst insoweit deshalb
nicht bedarfsgerecht organisiert ist. Deshalb ist noch „Platz“ für den von der
Klägerin zur Genehmigung gestellten einen Krankentransportwagen. Die
Überprüfung der Frage, ob die Beklagte die Wartezeit im qualifizierten
Krankentransport einhält, ist durch § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG nicht
ausgeschlossen. Denn dieser enthält keine abschließende Aufzählung der zu
prüfenden Kriterien, wie sich aus dem Begriff „insbesondere“ ergibt, der der
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Aufzählung der nachfolgenden Kriterien vorangestellt ist und in der die
Wartezeit nicht genannt wird. Für die Kammer ist die Einhaltung der Wartezeit
im qualifizierten Krankentransport jedoch ein zentrales Kriterium, weil die
Beklagte gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 NRettDG mit ihrem öffentlichen
Rettungsdienst aufgrund der in § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 NRettDG definierten
medizinischen, funktionalen und wirtschaftlichen Einheit von Notfallrettung,
Intensivtransport und qualifiziertem Krankentransport auch die Einhaltung der
Wartezeit sicherzustellen hat, solange diese in Niedersachsen durch
Verordnung geregelt ist.
Diesen Anforderungen wird der öffentliche Rettungsdienst der Beklagten
insoweit nicht gerecht, wenn nach den eigenen Angaben der Beklagten in der
mündlichen Verhandlung die Wartezeit von 30 Minuten im qualifizierten
Krankentransport nur in 69,34% aller Fälle eingehalten wird, mithin in 30,66%
aller Fälle nicht (Bl. 113, 199 d.A.). Dieser Wert wird den Anforderungen des §
5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD nicht gerecht und führt dazu, dass der
öffentliche Rettungsdienst der Beklagten im Krankentransportbereich
unterdimensioniert und damit durch das Hinzutreten eines weiteren
Krankentransportwagens nicht beeinträchtigt werden kann. Dies ergibt sich
aus Folgendem:
Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD ist der Bedarf an einsatzbereit
vorzuhaltenden Krankenkraftwagen für den qualifizierten Krankentransport im
öffentlichen Rettungsdienst so zu bemessen, dass der Zeitraum zwischen dem
Eingang einer Anforderung in der zuständigen Rettungsleitstelle und dem
Eintreffen eines Krankenkraftwagens am Einsatzort (Wartezeit) in der Regel 30
Minuten nicht übersteigt. Die Beklagte legt das Erfordernis des Regelfalls in der
Vorschrift dahingehend aus, dass damit die Wartezeit von ihr nur
durchschnittlich einzuhalten ist (Bl. 170, 199 d.A.). Diese Auffassung steht
jedoch im Widerspruch zum Regelungsgehalt der Vorschrift.
Der Wortlaut der Vorschrift verlangt die Einhaltung der Wartezeit „in der Regel“
und nicht „durchschnittlich“. In der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zum Personalvertretungsrecht ist geklärt, dass der
Begriff der „in der Regel beschäftigten Personen“ nicht mit der
„Durchschnittszahl der beschäftigten Personen“ gleichzusetzen ist (BVerwG,
Beschluss vom 3.7.1991, ZBR 1992, S. 89, 91 mwN). Entsprechendes gilt im
Fall der „in der Regel“ einzuhaltenden Wartezeit. Das Gegenteil vom „Regelfall“
ist begrifflich der „Ausnahmefall“. Dieser ist nicht mit dem unterhalb des
Durchschnitts liegenden Fall gleichzusetzen.
Systematisch wird die von § 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD vorgegebene
Wartezeit im qualifizierten Krankentransport von 30 Minuten jedenfalls dann „in
der Regel“ eingehalten, wenn die Überschreitung in weniger als 5% der Fälle
erfolgt. Denn für den Bereich des Krankentransports kann kein höheres
Sicherheitsniveau gefordert werden als im Bereich der Notfallrettung (vgl. erk.
Kammer, Urteil vom 23.8.2011 - 7 A 3283/11 -, Urteilabdruck S. 10; VG
Göttingen, Urteil vom 2.3.2006 - 4 A 17/04 -).
Sinn und Zweck der Wartezeit im qualifizierten Krankentransport ist, dass der
Nicht-Notfallpatient in der Regel nicht länger als eine halbe Stunde auf seinen
Krankentransport warten soll. Sinn und Zweck der Wartezeit ist es auch, mit
der Verpflichtung zur zeitnahen Durchführung dieser Leistung zu verhindern,
dass im Einzelfall aus dem Nicht-Notfallpatienten durch eine Verzögerung des
Transportbeginns ein Notfallpatient wird. Schließlich ist Sinn und Zweck der
Regelung einer Wartezeit als Organisationsvorgabe für den öffentlichen
Rettungsdienst, dass die einzelnen medizinischen Maßnahmen, die dem
Krankentransport nachfolgen (z.B. der Beginn einer Dialyse, die Untersuchung
in einem medizinischen Zentrum, eine Anschlussheilbehandlung etc.)
pünktlich und ohne Verzögerungen durchgeführt bzw. begonnen werden
können und damit ebenso Belastungen und Nachteile für den Patienten
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ausgeschlossen bzw. minimiert werden wie wirtschaftliche Nachteile in den
Behandlungseinrichtungen durch unnötige Wartezeit bis zum Eintreffen des
Patienten.
Die Wartezeit im Krankentransport ist nur in einzelnen Bundesländern geregelt.
In Mecklenburg-Vorpommern beträgt sie gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des
Rettungsdienstgesetzes - RDG M-V - bei zeitkritischen Krankentransporten in
der Spitzenbelastung in der Regel nicht mehr als 30 Minuten. In Rheinland-
Pfalz beträgt sie gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 des Rettungsdienstgesetzes -
RettDG - in der Regel 40 Minuten, wobei diese Frist nicht für
Krankentransporte gilt, die bereits am Tag zuvor angefordert werden können.
Diese Einschränkungen enthält die Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-
RettD in Niedersachsen nicht. Vielmehr beschränkt sich der Regelfall nach
Auslegung durch die Kammer darauf, dass die Wartezeit nur im Ausnahmefall
nicht eingehalten werden muss. Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat mit
Urteil vom 6.2.2013 (aaO, Urteilsabdruck S. 12, n. rkr.) eine Einhaltung der
Wartezeit durch den Rettungsdienstträger in 77,7% der Fälle für nicht mehr
ausreichend erachtet. Vorliegend bildet der von der Beklagten erreichte Anteil
von sogar nur 69,34% aller von ihr in die Statistik als plausibel aufgenommen
Krankentransporteinsätze, die die Wartezeit einhalten, nicht mehr den Regelfall
der Einhaltung der Vorgabe ab, wenn in drei von zehn Einsätzen dem
Patienten eine Wartezeit von mehr als 30 Minuten auferlegt wird.
Danach ist der öffentliche Rettungsdienst der Beklagten hinsichtlich des
qualifizierten Krankentransportes in ihrem Rettungsdienstbereich nicht
bedarfsgerecht organisiert und deshalb durch § 22 Abs. 1 Satz 2 NRettDG
nicht geschützt. Er kann bereits vom Ansatz her durch das Hinzutreten eines
einzelnen Krankentransportwagens der Klägerin nicht beeinträchtigt werden.
Danach kann dahingestellt bleiben, ob die tragenden Entscheidungsgründe
der Kammer in dem Urteil vom 27. März 2012 - 7 A 3542/12 - sachgerecht in
die Ermessensentscheidung in dem Bescheid vom 20. August 2012 eingestellt
worden sind, weil der Beklagten ein Ermessensspielraum nicht mehr eröffnet
ist, nachdem der nicht ausreichende Organisationsgrad ihres
Rettungsdienstes im Bereich des qualifizierten Krankentransportes
festzustellen ist.
3) Über den 2. Hilfsantrag und die Hilfsbeweisanträge brauchte danach nicht
mehr entschieden zu werden. Entsprechendes gilt danach für den von der
Beklagten beantragten Schriftsatznachlass zu den Hilfsbeweisanträgen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Klägerin ist
mit dem Hauptantrag unterlegen und hat mit dem 1. Hilfsantrag obsiegt. Dies
rechtfertigt eine Kostenteilung. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711
Satz 1 und 2 ZPO.
Die Berufung ist gemäß §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Die Kammer misst der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu, ob die
Genehmigungsfiktion nach § 21 Abs. 1 NRettDG in Verbindung mit § 15 Abs. 1
Satz 5 PBefG auch im Nachgang zu einem Bescheidungsurteil gilt und
bejahendenfalls, ab welchem Zeitpunkt. Ebenfalls grundsätzliche Bedeutung
misst die Kammer der Rechtsfrage zu, ob § 5 Abs. 2 Satz 1 BedarfVO-RettD
dahingehend auszulegen ist, ob - wie die Beklagte meint - lediglich eine
durchschnittliche Einhaltung der Wartezeit von 30 Minuten im qualifizierten
Krankentransport ausreicht, um dem Sicherstellungsauftrag des
Rettungsdienstträgers im Sinne der §§ 2 und 4 Abs. 2 Satz 1 NRettDG zu
genügen.