Urteil des VG Göttingen vom 03.04.2013

VG Göttingen: probezeit, fahren, ermächtigung, strafbarkeit, ordnungswidrigkeit, auflage, anwendungsbereich, besuch, niedersachsen, genehmigung

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Aufbauseminar bei "Begleitetem Fahren ab 17 Jahre"
Auch bei der Ermächtigung zum "Begleiteten Fahren ab 17 Jahre" handelt es
sich um eine Fahrerlaubnis auf Probe im Sinne der
straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, so-dass bei Verkehrsverstößen die
Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar in Betracht kommt.
VG Göttingen 1. Kammer, Urteil vom 03.04.2013, 1 A 92/11
§ 48a Abs 1 S 1 FeV, § 48a Abs 3 S 1 FeV, § 2a Abs 1 S 1 StVG, § 2a Abs 2 Nr 1
StVG, § 2b StVG, § 6e Abs 1 StVG
Tatbestand
Der Kläger begehrt mit der Klage die Feststellung, dass die Anordnung seiner
Teilnahme an einem Aufbauseminar durch die Beklagte als
Fahrerlaubnisbehörde rechtswidrig gewesen ist.
Dem am ... geborenen Kläger wurde am 17.07.2009 nach bestandener
Fahrprüfung eine Prüfungsbescheinigung zum „Begleiteten Fahren ab 17 Jahre“
ausgehändigt, wonach er berechtigt ist, Kraftfahrzeuge der Klassen B/M/L und S
zu führen. Am 12.05.2010 missachtete der Kläger bei der Teilnahme am
Straßenverkehr das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage und erhielt eine
Geldbuße. Mit Bescheid vom 28.04.2011 forderte die Beklagte ihn auf, an einem
Aufbauseminar über die zukünftige Bewährung im Straßenverkehr teilzunehmen
und eine entsprechende Bestätigung bis spätestens zum 30.06.2011
vorzulegen. Außerdem wies sie ihn darauf hin, dass sich die Probezeit nach
dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) um zwei Jahre verlängere. Zur Begründung
führte sie aus, der Kläger habe eine schwerwiegende Zuwiderhandlung im
Straßenverkehr begangen, sodass seine Teilnahme an einem Aufbauseminar
zwingend anzuordnen gewesen sei.
Am 30.05.2011 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben. Er trägt vor, er habe
sich am 12.05.2010 nicht in der Probezeit für Fahrerlaubnisinhaber befunden,
sondern lediglich über eine Prüfungsbescheinigung zum „Begleiteten Fahren ab
17 Jahre“ verfügt. Eine solche Prüfungsbescheinigung stelle keine
Fahrerlaubnis auf Probe dar. Auf der Bescheinigung sei der Probezeitraum nicht
vermerkt, sodass für ihn schon nicht erkennbar gewesen sei, dass es sich um
eine Fahrerlaubnis auf Probe handeln könnte. Bei der Fahrerlaubnis auf Probe
beginne die Probezeit zudem mit der Erteilung der Fahrerlaubnis und somit mit
der Aushändigung des Führerscheins. Im Fall des begleiteten Fahrens werde
kein Führerschein ausgestellt. Dieser könne erst bei Erreichen des Mindestalters
von 18 Jahren ausgestellt werden. Weil § 6e Abs. 1 und 2 StVG keine Regelung
über die Teilnahme an einem Aufbauseminar treffe, bestehe eine bewusste
Regelungslücke und könne nicht einfach auf die allgemeinen Regelungen zur
Fahrerlaubnis auf Probe zurückgegriffen werden. Eine andere Auslegung
verstoße gegen Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG). Bei der Anordnung
zur Teilnahme an einem Aufbauseminar handele es sich um eine strafähnliche
Sanktion.
Der Kläger nahm in der Zeit vom 26.05. bis zum 09.06.2011 an einem
Aufbauseminar gemäß § 2a StVG teil und wies dies der Beklagten nach. Er führt
seine Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage fort. Sein Feststellungsinteresse
begründet er mit der Absicht, Amtshaftungsansprüche geltend zu machen.
Der Kläger beantragt,
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festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2011
rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, für Kraftfahrer mit Prüfungsbescheinigungen würden die
allgemeinen Vorschriften über die Fahrerlaubnispflicht und insbesondere auch
die Fahrerlaubnis auf Probe entsprechend gelten. Nach dem schwerwiegenden
Verkehrsverstoß des Klägers sei seine Teilnahme an einem Aufbauseminar
zwingend anzuordnen gewesen. Art. 103 Abs. 2 GG sei nicht anwendbar, weil
die Anordnung des Aufbauseminars keinen Sanktionscharakter habe, sondern
eine reine Maßnahme der Gefahrenabwehr sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den
Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Es kann dahinstehen, ob die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß §
113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig und der Kläger insbesondere ein
Feststellungsinteresse hinreichend begründet hat. Jedenfalls hat die Klage in
der Sache keinen Erfolg, denn der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2011
erweist sich als rechtmäßig.
Gemäß § 2a Abs. 1 Satz 1 StVG wird eine Fahrerlaubnis bei ihrem erstmaligen
Erwerb auf Probe erteilt, wobei die Probezeit zwei Jahre vom Zeitpunkt der
Erteilung an dauert. Ist gegen den Inhaber einer Fahrerlaubnis wegen einer
innerhalb der Probezeit begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine
rechtskräftige Entscheidung ergangen, die nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 StVG in
das Verkehrszentralregister einzutragen ist, so hat die Fahrerlaubnisbehörde
gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG seine Teilnahme an einem Aufbauseminar
anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen, wenn er eine schwerwiegende oder
zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. In diesem
Fall verlängert sich die Probezeit gemäß § 2a Abs. 2a Satz 1 StVG um zwei
Jahre.
Der Kläger war entgegen seiner Auffassung im Zeitpunkt des
Verkehrsverstoßes am 12.05.2010 im Besitz einer Fahrerlaubnis auf Probe.
Daran ändert nichts, dass es sich um eine Fahrerlaubnis zum Führen von
Kraftfahrzeugen in Begleitung gemäß § 6e Abs. 1 StVG i.V.m. § 48a der
Fahrerlaubnisverordnung (FeV) handelt. Nach der auf der
Ermächtigungsgrundlage des § 6e Abs. 1 StVG erlassenen Regelung gemäß §
48a Abs. 1 Satz 1 FeV beträgt das Mindestalter für die Erteilung einer
Fahrerlaubnis der Klassen B und BE 17 Jahre. Bereits diese Formulierung lässt
erkennen, dass es sich auch bei der Ermächtigung zum „Begleiteten Fahren ab
17 Jahre“ um eine Fahrerlaubnis im Sinne der straßenverkehrsrechtlichen
Vorschriften handelt. Dies ergibt sich zudem aus der Begründung des
Gesetzgebers zu § 6e StVG (VkBl. 2005, 686, 691), die von der Herabsetzung
des Mindestalters für die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B und BE
spricht.
Über diese Fahrerlaubnis wurde dem Kläger gemäß § 48a Abs. 3 Satz 1 FeV
eine Prüfungsbescheinigung ausgestellt, die bis drei Monate nach Vollendung
des 18. Lebensjahrs im Inland zum Nachweis der Fahrberechtigung dient. Mit
der Aushändigung dieser befristeten Prüfungsbescheinigung wurde dem Kläger
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die Fahrerlaubnis gemäß § 22 Abs. 4 Satz 7 FeV bereits am 17.07.2009
unbefristet erteilt (vgl. die amtliche Begründung zu § 6e StVG, a.a.O., Seite 691).
Da dem Kläger erstmals eine Fahrerlaubnis erteilt wurde, handelt es sich gemäß
§ 2a Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 StVG um eine Fahrerlaubnis auf Probe, wobei die
Probezeit nach dem 2. Halbsatz der Vorschrift zwei Jahre vom Zeitpunkt der
Erteilung an dauert. Der Kläger befand sich somit zur Zeit des
Verkehrsverstoßes am 12.05.2010 noch in der Probezeit. Es kommt nicht darauf
an, dass der Zeitraum der Probezeit in der Prüfungsbescheinigung nicht
vermerkt wird, denn der Umstand, dass dem Kläger eine Fahrerlaubnis auf
Probe erteilt wurde, und die Länge der Probezeit ergeben sich ohne Weiteres
aus dem Gesetz. Es wäre auch lebensfremd anzunehmen, dass dem Kläger
nicht bekannt war, dass er sich in einer Probezeit befand, zumal Kenntnisse
über die Fahrerlaubnis zum Prüfungsstoff der Fahrprüfung gehören (Nr. 6.2 der
Anlage 7 zu § 16 Abs. 2 und § 17 Abs. 2 und 3 FeV).
Der Kläger hat innerhalb der Probezeit eine Ordnungswidrigkeit begangen,
indem er am 12.05.2010 das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage missachtet hat (§
24 StVG i.V.m. §§ 49 Abs. 3 Nr. 2, 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO). Hierbei handelte es
sich auch um eine nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG im Verkehrszentralregister zu
speichernde schwerwiegende Zuwiderhandlung im Sinne von § 2a Abs. 2 Nr. 1
StVG (Nr. 2.1 der Anlage 12 zu § 34 FeV, „Verhalten an Wechsellichtzeichen“).
Die Beklagte hatte daher, ohne dass sie Ermessen auszuüben hatte, die
Teilnahme des Klägers an einem Aufbauseminar gemäß § 2b StVG, § 34 Abs. 2
FeV anzuordnen.
Der Vortrag des Klägers, § 6e Abs. 1 und 2 StVG treffe keine Regelungen über
die Teilnahme an einem Aufbauseminar und enthalte deshalb eine bewusste
Regelungslücke, verhilft seiner Klage nicht zum Erfolg. Wie bereits dargelegt,
enthält § 6e Abs. 1 StVG eine Verordnungsermächtigung hinsichtlich des
Führens von Kraftfahrzeugen in Begleitung. Einer besonderen Ermächtigung zur
Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar bedurfte es bereits deshalb
nicht, weil der Umstand, dass es sich auch bei der nach § 48a FeV erteilten
Fahrerlaubnis um eine Fahrerlaubnis auf Probe handelt, sowie die Probezeit
einschließlich der Folgen von Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften
im Straßenverkehrsgesetz selbst geregelt sind. Von einer bewussten Lücke
kann somit nicht die Rede sein. § 6e Abs. 2 StVG betrifft die Voraussetzungen
für den Widerruf einer auf Grundlage der Rechtsverordnung nach Abs. 1
erteilten Fahrerlaubnis; warum der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine
Regelungslücke darin sieht, dass hier keine Regelung über den Besuch eines
Aufbauseminars getroffen wurde, ist nicht nachvollziehbar. Gegen eine solche
Lücke spricht im Übrigen, dass § 6e Abs. 3 StVG ausdrücklich die Geltung der
Regelungen die Fahrerlaubnis auf Probe auch im Fall des Führens von
Kraftfahrzeugen in Begleitung anordnet.
Schließlich kann sich der Kläger auch nicht auf einen Verstoß gegen Art. 103
Abs. 2 GG berufen, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die
Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Zum einen
galten sämtliche entscheidungsrelevanten Bestimmungen bereits im Zeitpunkt
des Verkehrsverstoßes des Klägers, zum anderen unterfällt die Aufforderung,
ein Aufbauseminar zu besuchen, nicht dem Anwendungsbereich des Art. 103
Abs. 2 GG. Strafbarkeit nach dieser Norm bezieht sich auf staatliche
Maßnahmen, die eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein
rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten darstellen und wegen dieses Verhaltens
ein Übel verhängen, das dem Schuldausgleich dient (BVerfG, Urteil vom
05.02.2004 - 2 BvR 2029/01 -, BVerfGE 109, 133, 167; Jarass/Pieroth, GG, 11.
Auflage 2011, Art. 103 Rn. 44). Die Strafe, auch die bloße Ordnungsstrafe, ist
daher im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch
gekennzeichnet, dass sie - wenn nicht ausschließlich, so doch auch - auf
Repression und Vergeltung für rechtlich verbotenes Verhalten abzielt (BVerfG,
Beschluss vom 25.10.1966 - 2 BvR 506/63 -, BVerfGE 20, 323). An dieser
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Voraussetzung fehlt es hier. Die Anordnung, an einem Aufbauseminar gemäß §
2b StVG teilzunehmen, hat keinen Vergeltungscharakter, sondern verfolgt
lediglich den Zweck, künftigen Verkehrsverstößen von Fahranfängern
vorzubeugen. Es handelt sich somit um eine präventive Maßnahme der
Gefahrenabwehr, die nicht dem Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG unterfällt
(siehe für den vergleichbaren Fall eines Aufbauseminars gemäß § 4 Abs. 3 Satz
1 Nr. 2, Abs. 8 StVG: BVerwG, Urteil vom 25.09.2008 - 3 C 3/07 -, BVerwGE
132, 48).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V
m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.