Urteil des VG Gelsenkirchen vom 01.12.2005

VG Gelsenkirchen: stadt, satzung, amtsblatt, öffentliche aufgabe, unbestimmter rechtsbegriff, abschreibung, anschaffungswert, toleranzgrenze, hauptsache, rechtsgrundlage

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 13 K 1776/00
Datum:
01.12.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 1776/00
Schlagworte:
Abwassergebühren, Entwässerungsgebühren, Gebührenkalkulation,
Privatisierung, Übertragungswert, Sachzeitwert, Veräußerungsgewinn,
Äquivalenzprinzip, gruppennützige Verwendung des
Abgabeaufkommens, Wagniszuschlag, Selbstkostenerstattungspreis
Normen:
KAG NRW § 6; VO PR 30/53; Leitsätze für die Preisermittlung (LSP)
Leitsätze:
Eine unzulässige Kostenüberdeckung i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 3 KAG NRW
ist anzunehmen, wenn nach bisheriger Abschreibung einer
Kanalisationsanlage nach dem Wiederbeschaffungszeitwert und
Verzinsung zum Nominalzins in einem Privatisierungsmodell die Anlage
zum Sachzeitwert auf eine Gesellschaft des Privatrechts übertragen und
über ein Betriebsführungsentgelt als Fremdkostenposition in der
Gebührenkalkulation der Übertragungswert durch die Gebührenzahler
refinanziert wird. Die Gemeinde erhält so einen durch Gebühren
refinanzierten Veräußerungsgewinn, der entgegen dem Gebot der
gruppennützigen Verwendung des Aufkommens aus nicht-steuerlichen
Sonderabgaben zur Haushaltssanierung verwandt werden kann und
nicht mehr den Gebührenzahlern zugute kommt (entgegen OVG NRW,
Urteil vom 14. 12. 2004 - 9 A 4187/01 -).
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 1. Dezember 2005 - 13 K 1776/00 -
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit es hinsichtlich der
Straßenreinigungsgebühren in der Hauptsache erledigt ist.
Im Übrigen wird der Grundbesitzabgabenbescheid des Beklagten vom
10. Januar 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.
März 2000 hinsichtlich der Schmutz- und Niederschlagswassergebühren
aufgehoben.
Hinsichtlich der Abfallgebühren wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, soweit es hinsichtlich der
Straßenreinigungsgebühren in der Hauptsache erledigt ist.
Im Übrigen trägt der Kläger die Kosten des Verfahrens zu 52 %, der
Beklagte zu 48 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen
Vollstreckungsschuldner bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils zu
vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Der Kläger ist Eigentümer des bebauten Grundstücks .
1
Er wendet sich in dem vorliegenden Musterverfahren gegen die Heranziehung zu
Schmutz- und Niederschlagswassergebühren und zu Abfallgebühren für das Jahr 2000
mit der Rüge, dass die zugrunde gelegten Gebührensätze aus den jeweiligen
Gebührensatzungen unter Verstoß gegen das Kostenüberschreitungsverbot zu hoch
festgesetzt worden seien. Gegenstand seiner Klage ist zunächst auch die Heranziehung
zu Straßenreinigungsgebühren gewesen.
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1. Schmutz- und Niederschlagswassergebühren
3
Entsprechend § 1 Abs. 1 der Entwässerungssatzung der Stadt in der geänderten
Fassung vom 8. Dezember 1997 (Amtsblatt der Stadt vom 12. Dezember 1997 Nr. 50 S.
285) wurden ab dem 1. Januar 1998 Planung, Bau und Betrieb der städtischen
Entwässerung den Stadtwerken AG (SAG) als Verwaltungshelferin übertragen.
4
Ab dem Jahr 2000 hält die Stadt mittelbar oder unmittelbar eine knappe Mehrheit von bis
zu 51 % der Aktien der SAG.
5
Die SAG erhalten für ihre Tätigkeit ein Betriebsführungsentgelt, das mitsamt der
Umsatzsteuer als Kostenposition in die Gebührenkalkulation eingegangen ist. Das
Betriebsführungsentgelt ist ein Selbstkostenerstattungspreis und enthält keinen
kalkulatorischen Wagniszuschlag.
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Das Entwässerungsvermögen ist auf eine Objektgesellschaft Entwässerung GmbH (E
GmbH) zum Sachzeitwert übertragen. Die E GmbH ist eine reine Tochtergesellschaft
der SAG. Die Anlagen sind von den SAG gepachtet, die dafür ein Pachtentgelt zahlen,
das wesentlicher Bestandteil des Betriebsführungsentgeltes ist. Das Pachtentgelt setzt
sich vor allem aus Abschreibungen und kalkulatorischen Zinsen zusammen. Die
Abschreibungen wurden auf der Grundlage des Sachzeitwerts als Anschaffungswert der
E GmbH bei einer Abschreibung der Anlagen über die Restnutzungsdauer berechnet.
Die kalkulatorischen Zinsen wurden zu einem Zinsfuß von 7 % auf der Grundlage des
fortgeschriebenen Anschaffungsrestwertes der Stadt unter Berücksichtigung der
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fortgeschriebenen Anschaffungsrestwertes der Stadt unter Berücksichtigung der
Beiträge und Zuschüsse als Abzugskapital ermittelt.
Noch im Jahre 1997 hatte die Stadt das Abwasser in eigener Rechtsträgerschaft
beseitigt. Bei der Gebührenkalkulation war der Beklagte von Abschreibungen für das
Kanalnetz nach Wiederbeschaffungszeitwerten ausgegangen. Die kalkulatorischen
Zinsen waren nach dem Anschaffungsrestwert (entsprechend der Nachberechnung:
556.108.789 DM) nach Verminderung um das Abzugskapital (entsprechend der
Nachberechnung: 194.962.306 DM) bei einem Zinsfuß von 8 % ermittelt worden.
8
Für die Übertragung des Kanalvermögens auf die E GmbH erhielt die Stadt ein Entgelt,
das wie folgt ermittelt wurde: Der Sachzeitwert wurde um das aus Anschlussbeiträgen
und Zuschüssen bestehende Abzugskapital reduziert. Der verbleibende Betrag (ca.
1.082.000 000 DM) war durch einen an die Stadt zu zahlenden Kaufpreis von ca.
429.600.000 DM abzugelten. Der Rest (652.400.000 DM) wurde der E GmbH teilweise
als Darlehen, teilweise als Rücklagekapital zur Verfügung gestellt. Das Darlehen in
Höhe von ca. 40 Millionen DM wurde im Jahre 2000 getilgt.
9
Bei der Gebührenbedarfsberechnung für das Jahr 2000 ging der Beklagte von einem
Gesamtgebührenbedarf für die Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigung in Höhe
von 170.846.481 DM aus. Bei der Ermittlung der Niederschlagswassergebühren wurden
die Flächen der Straßen, Wege und Plätze zur Berechnung des Stadtanteils in den
Divisor einbezogen.
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Von den Gesamtkosten betrug das Betriebsführungsentgelt der SAG einschließlich
Umsatzsteuer 106.468.280 DM.
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Die wesentliche Position des Betriebsführungsentgelts war das Pachtentgelt für die E
GmbH in Höhe von 62.461.000 DM (ohne Umsatzsteuer). Darin enthalten waren
Abschreibungen von 34.544.000 DM auf der Grundlage des Sachzeitwertes und
kalkulatorische Zinsen von 32.310.000 DM bei einem Zinsfuß von 7 % sowie
zusätzliche Personal- und Nebenkosten von 87.000 DM.
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Die Ergebnisrechnung für das Jahr 2000 ergab später eine Überdeckung von
3.308.215.98 DM.
13
Durch Bescheid vom 10. Januar 2000 zog der Beklagte den Kläger für das
Hausgrundstück zu Schmutzwassergebühren in Höhe von 1.381,65 DM (453 cbm x 3,05
DM) und zu Niederschlagswassergebühren in Höhe von 203,49 DM (153 qm x 1,33 DM)
heran.
14
2. Abfallgebühren
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Mit Wirkung vom 1. Januar 1999 ist die allein gebührenpflichtige Entsorgung der Abfälle
aus privaten Haushalten einschließlich der Bioabfälle und die Beseitigung der
hausmüllähnlichen Abfälle den bereits am 11. Mai 1998 gegründeten
Entsorgungsbetrieben GmbH (EBE) als Verwaltungshelferin übertragen. Die EBE
erhalten dafür von der Stadt ein Entgelt. Für die Abfälle zur Beseitigung aus anderen
Herkunftsbereichen übernahmen die EBE die Entsorgungspflicht selbst und rechneten
die Entsorgungsleistungen nach einer privatrechtlichen Entgeltordnung direkt mit den
Abfallerzeugern und -besitzern ab.
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Der Abfall wird größtenteils im Müllheizkraftwerk (MHKW) verbrannt. Das MHKW wird
von der AG betrieben. Die Stadt zahlt einen Betriebskostenzuschuss und hat mit
Zuschüssen des Landes ein sogen. Veraschungsrecht erworben, das bei der Stadt
verblieb, dessen Nutzung jedoch durch Vertrag vom 29. Juli 1998 den EBE übertragen
wurde.
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Weiteres Anlagevermögen wurde den EBE zum Sachzeitwert übertragen. Nicht
übertragen wurde der Fuhrpark, über dessen Nutzung durch die EBE ein Fuhrpark- und
Werkstättenvertrag vom 11. Dezember 1998 geschlossen wurde. Aufgrund eines
Dienstleistungsvertrages gleichen Datums stellte die Stadt der EBE weitere
Dienstleistungen zur Verfügung. Auch städtisches Personal wurde bei den EBE
eingesetzt.
18
Die Gesellschaftsanteile der EBE befanden sich bis zum Jahre 2003 vollständig in den
Händen der Stadt.
19
Nach der vorliegend ersten Gebührenkalkulation nach Übernahme der
Abfallbeseitigung durch die EBE erhöhten sich die Abfallgebühren um 25,97 %. Die
Gebührenbedarfsberechnung sah Gesamtkosten in Höhe von 95.522.661,05 DM vor.
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Davon betrug das an die EBE zu zahlende Entgelt 65.988.684,20 DM. Das Entgelt war
ein Selbstkostenerstattungspreis. Es enthielt einen kalkulatorischen Gewinnzuschlag
von 3 % der Nettoselbstkosten (Hausmüll: 1.487.820 DM, Bioabfall: 169.077 DM).
Abschreibungen und kalkulatorische Zinsen waren aufgrund des Sachzeitwertes der
übertragenen Fahrzeuge und Geräte ermittelt. Dabei ergaben sich an Abschreibungen
und Zinsen nach dem Zinsfuß von 6,5 % für die Hausmüllentsorgung: 1.995.100 DM
bzw. 313.200 DM, für die Bioabfallentsorgung: 230.700 DM bzw. 43.900 DM).
21
Zu diesen Kosten addierte der Beklagte 974.873,09 DM für Dienstleistungen der Stadt
an die EBE und 589.000 DM an Personalkosten für bei den EBE tätige Beamte der
Stadt.
22
Die Kosten der Müllverbrennung im MHKW machten insgesamt 23.543.279,84 DM aus.
Darunter waren Abschreibungen (1.837.761,38 DM) und kalkulatorische Zinsen
(859.153,44 DM) für das Veraschungsrecht, die nach Anschaffungswerten ermittelt
worden waren, und kalkulatorische Zinsen in Höhe von 5,5 % vom
Anschaffungsrestwert des Veraschungsrechts.
23
Weitere Kosten der Stadt waren in Höhe von 4.426.823,91 DM in den Gesamtkosten
enthalten. Davon betrafen 1.431.704,91 DM Kosten für bei der Stadt verbliebene
hoheitliche Aufgaben. Prozesskosten und anteilige Gehälter von OB und Dezernenten
waren darin nicht enthalten, wohl aber anteilige Kosten für den Erlass der Satzungen.
Ein Betrag von 132.704,91 DM für eine „Geschäftsführung MHKW" betraf die
Personalkosten für einen Bediensteten, der den Kontakt zum MHKW organisierte.
24
Berücksichtigt sind auch Kosten für die Leerung der Straßenpapierkörbe und die
Beseitigung von verbotswidrig abgelagerten Abfällen auf den der Allgemeinheit
zugänglichen Grundstücken. Diese Kosten sind durch Eigenleistung des ehemaligen
Grünflächenamtes ( ) oder als Entgelt für die Tätigkeit der EBE entstanden. Es sind
dabei nur Flächen zugrunde gelegt worden, die von der Allgemeinheit betreten werden
können. Die Flächen der G. sind nicht dabei.
25
Nach dem später ermittelten Betriebsergebnis für das Jahr 2000 ergab sich eine
Unterdeckung von 3.303.999,75 DM.
26
Maßstab war für das Jahr 2000 nach der Satzung allein das Volumen der
Restmüllgefäße. Für Eigenkompostierer waren ermäßigte Beträge vorgesehen. Die
Ermäßigungen entsprachen nicht den gesamten Kosten der Bioabfallentsorgung.
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Durch Bescheid vom 10. Januar 2000 zog der Beklagte den Kläger zu Abfallgebühren
für 2 Restmüllbehälter von 240 l bei einmal wöchentlicher Leerung in Höhe von
1.708,80 DM (2 x 854,40 DM) heran.
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Der Widerspruch des Klägers gegen die Festsetzung der Benutzungsgebühren wurde
durch Bescheid vom 14. März 2000 zurückgewiesen. Daraufhin hat der Kläger am 10.
April 2000 die vorliegende Klage erhoben.
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3. Straßenreinigungsgebühren
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Grundlage für die Erhebung der Straßenreinigungsgebühren war zunächst die Satzung
über die Straßenreinigung und über die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren in
der Stadt (Straßenreinigungsgebührensatzung) vom 11. Dezember 1997 (Amtsblatt der
Stadt Nr. 52 vom 23. Dezember 1997) in der Fassung der Satzung vom 10. Dezember
1999 (Amtsblatt der Stadt Nr. 50 vom 17. Dezember 1999).
31
In diesen Satzungen waren Sätze festgesetzt, die auch die Kosten für den Winterdienst
umfassten. Nach den Winterdienstplänen der Stadt ist ein Großteil der Nebenstraßen -
auch soweit dort im Übrigen eine Reinigung durch die Stadt vorgesehen ist - von den
Streuplänen nicht erfasst, so dass dort ein Winterdienst nur auf besondere Anforderung
oder bei besonderem Bedarf erfolgt.
32
Die Kammer hat durch Urteil vom 6.9.2001 - 13 K 2116/98 - die entsprechenden
Grundbesitzabgabenbescheide hinsichtlich der Straßenreinigungsgebühren für die
Jahre 1998 und 1999 wegen der undifferenzierten Winterdienstregelung aufgehoben.
Das OVG NRW hat insofern durch den Beschluss vom 16. August 2004 (9 A 4187/01)
die Berufung nicht zugelassen.
33
Durch Bescheid vom 10. Januar 2000 zog der Beklagte den Kläger für das
Hausgrundstück zu Straßenreinigungsgebühren in Höhe von 143,26 DM (13 m x 11,02
DM = 5,63 EUR) heran.
34
Durch Satzung vom 27. Juni 2005 (Amtsblatt der Stadt Nr. 26 vom 1. Juli 2005) wurden
während des Verfahrens für die Jahre 2000 bis 2004 neue Gebührensätze für die
Straßenreinigung und zusätzlich für den Winterdienst nach Streuplänen differenziert
festgesetzt.
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Daraufhin ermäßigte der Beklagte die Straßenreinigungsgebühr aufgrund der Satzung
vom 27. Juni 2005 durch Bescheid vom 10. Oktober 2005 auf 71,76 EUR (13 m x 5,52
EUR = 1,43 EUR Ermäßigung).
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Hinsichtlich der Straßenreinigungsgebühren haben die Beteiligten in der mündlichen
Verhandlung das Verfahren insgesamt für in der Hauptsache erledigt erklärt.
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Der Kläger beantragt,
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den Grundbesitzabgabenbescheid vom 10. Januar 2000 sowie den
Widerspruchsbescheid vom 14. März 2000 hinsichtlich der festgesetzten Schmutz- und
Niederschlagswassergebühren in Höhe von 1. 381,65 DM und 203,49 DM sowie
hinsichtlich der Abfallgebühren in Höhe von 1.708,80 DM aufzuheben.
39
Der Beklagte beantragt,
40
die Klage abzuweisen.
41
Er meint, die strittigen Gebührensätze seien nach der Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen nicht überhöht.
42
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aller Musterverfahren (13 K
1776/00, 13 K 2671/02, 13 K 1748/03, 13 K 2039/04, 13 K 2561/04) und der dazu
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten einschließlich der Kalkulations-
und Betriebsabrechnungsunterlagen Bezug genommen.
43
Entscheidungsgründe
44
Hinsichtlich der Straßenreinigungsgebühren ist der Rechtsstreit entsprechend der
Tatbestandsvoraussetzung des § 161 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) insgesamt in der Hauptsache erledigt, nachdem die Beteiligten im Hinblick auf
die Satzungsänderung vom 27. Juni 2005 und den darauf beruhenden
Änderungsbescheid vom 10. Oktober 2005 übereinstimmende Erledigungserklärungen
abgegeben haben. Zur Klarstellung wird das Verfahren insofern eingestellt.
45
Hinsichtlich der Schmutz- und Niederschlagswassergebühren ist die vorliegende Klage
als Anfechtungsklage im Sinne von § 42 der VwGO zulässig und begründet, hinsichtlich
der Abfallgebühren zulässig, aber unbegründet.
46
1. Schmutz- und Niederschlagswassergebühren
47
Der angefochtene Grundbesitzabgabenbescheid in der Fassung des
Widerspruchsbescheids ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten
(§113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit er zu Schmutz- und Niederschlagswassergebühren
herangezogen worden ist.
48
Als Rechtsgrundlage für die allein strittige Festsetzung der Schmutz- und
Niederschlagswassergebühren kommt die Satzung über die Erhebung von
Entwässerungsabgaben (Entwässerungsabgabensatzung) der Stadt vom 8. Dezember
1997 (Amtsblatt der Stadt Nr. 50 vom 12. Dezember 1997) in der Fassung der
Änderungssatzung vom 2. Dezember 1999 (Amtsblatt der Stadt Nr. 49 vom 10.
Dezember 1999) mit einem Satz für die Schmutzwassergebühr von 3,05 DM und für die
Niederschlagswassergebühr von 1,33 DM in Betracht.
49
Die Satzungen enthalten keine wirksame Rechtsgrundlage für die strittigen
Gebührenfestsetzungen. Nach § 6 Abs. 1 b der Satzungen sind die Gebührensätze pro
50
cbm anrechenbarer Schmutzwassermenge und nach § 6 Abs. 2 b für
Niederschlagswasser pro qm angeschlossener Grundstücksfläche unter Verstoß gegen
das Kostenüberschreitungsverbot nach § 6 Abs. 1 Satz 3 des
Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG NRW) zu hoch
festgesetzt worden.
Nach dem gewählten Privatisierungsmodell werden die Gebührenzahler mit Kosten für
die Finanzierung des Kanalvermögens belastet, die sie bereits vorher mit ihren
Gebühren getragen haben. Der Stadt wächst dagegen als Gegenleistung für die
Veräußerung ein Entgelt in Höhe eines Wiederbeschaffungswertes zu, obwohl seitens
der Stadt eine Wiederbeschaffung nicht mehr ansteht.
51
Die Kammer hat in ihrer Entscheidung zu Gebührenfestsetzungen für die Jahre 1998
und 1999 in dieser Verfahrensweise eine rechtswidrige Überbelastung der
Gebührenpflichtigen gesehen.
52
Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 6. September 2001 - 13 K 2116/98 - Nordrhein-
Westfälische Verwaltungsblätter (NWVBl) 2001, 485.
53
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) ist dem
nicht gefolgt und hat die Klage insoweit abgewiesen.
54
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2004 - 9 A 4187/01 - NWVBl 2005, 219.
55
Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde vom
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zurückgewiesen.
56
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. September 2005 - 10 B 13.05 -
57
Vor einer Klärung der Widersprüche in der Rechtsprechung des OVG NRW vermag sich
die Kammer dessen Rechtsprechung nicht anzuschließen. Das BVerwG hatte nach dem
Inhalt der Nichtzulassungsbeschwerde keine Gelegenheit, sich mit den
entscheidungserheblichen Fragen auseinander zu setzen.
58
Jede Entscheidung betrifft zwar einen Einzelfall. Die bei einer Einzelfallentscheidung
geprägten Rechtsgrundsätze müssen jedoch allgemein auch in anderen Fällen gelten.
59
Die Übertragung von Anlagevermögen, das bisher von den Gebührenpflichtigen über
den Ansatz von Abschreibungen zum Wiederbeschaffungszeitwert und kalkulatorische
Zinsen vom Anschaffungsrestwert zum Nominalzins finanziert worden ist, zu einem
Restwert vom Wiederbeschaffungszeitwert (Sachzeitwert) führt zu einer
Überfinanzierung durch die Gebührenpflichtigen, wenn diese künftig die Kapitalkosten
aufgrund von Abschreibungen zu tragen haben, die nach dem Übertragungswert als
Anschaffungswert berechnet werden. Diese Erkenntnis hat sich auch in anderem
Zusammenhang durchgesetzt,
60
Vgl. Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, 4. Aufl. (2003), Rn. 318;
Wiesemann, Auswirkungen von Privatisierungen auf kommunale Benutzungsgebühren,
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2005, 391, 398.
61
Auch das OVG NRW hat in seiner grundlegenden Entscheidung zu einem
62
Privatisierungsmodell,
vgl. Urteil vom 15. Dezember 1994 - 9 A 2251/93 - NVwZ 1995, 1238,
63
eine unzulässige Überfinanzierung angenommen, weil in dem Übertragungswert, der
künftig Grundlage für die Ermittlung der Abschreibungen sein sollte, Wertansätze für
bereits abgeschriebene Anlagegüter und für Anlagegüter auf der Grundlage einer
Verlängerung der bis dahin prognostizierten Nutzungsdauer enthalten waren. In diesen
Fällen ist das OVG NRW von einem unzulässigen Veräußerungsgewinn ausgegangen,
der den Gebührenpflichtigen zugute kommen muss. Es ist nicht ersichtlich, warum dies
bei der Übertragung zum Sachzeitwert anders sein soll. Auch in diesem Fall entsteht
wirtschaftlich ein Veräußerungsgewinn.
64
Vgl. Gabler, Wirtschaftslexikon, 15. Aufl. (2000) zum Stichwort „Veräußerungsgewinn".
65
Wird nach einer Vermögensübertragung ein Sachzeitwert (Wiederbeschaffungszeitwert)
als Ausgangswert für die künftigen Berechnungen der Abschreibungen und
kalkulatorischen Zinsen gewählt, tritt nur dann keine Überfinanzierung ein, wenn zuvor
die Kapitalkosten nach dem Wiederbeschaffungszeitwertmodell (Abschreibungen nach
dem Wiederbeschaffungszeitwert, Zinsen zum Realzins vom
Wiederbeschaffungszeitrestwert) berechnet worden sind. Die bisherige Verzinsung nur
zum Realzins verhindert bei einer solchen Konstellation eine Mehrfachfinanzierung.
66
Vgl. Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand Sept. 2005, zu §
6 Rn. 200, 161.
67
Die nunmehr geäußerte Auffassung des Beklagten, eine Überfinanzierung trete nicht
ein, weil die über die Gebührenkalkulation erwirtschafteten Mittel der Stadt über das
Betriebsführungsentgelt an die SAG weiter geleitet würde, ist nicht nachvollziehbar, weil
das Betriebsführungsentgelt voll über Gebühren gedeckt wird und der
Veräußerungsgewinn den Gebührenzahlern nicht zugute kommt.
68
Wenn - wie im vorliegenden Fall - die Kapitalkosten bis 1999 nach dem vom OVG NRW
für richtig gehaltenen Modell (Abschreibungen nach dem Wiederbeschaffungszeitwert,
Zinsen vom Anschaffungsrestwert) angesetzt worden sind, ergibt sich vielmehr eine
Überfinanzierung zulasten der Gebührenpflichtigen.
69
Bundesrechtlich dürfte es unter dem Gesichtspunkt des Äquivalenzprinzips, das nach
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine gröbliche Störung von Leistung und
Gegenleistung verbietet,
70
vgl. Schulte/Wiesemann, a. a. O., § 6 Rn. 49b f,
71
unzulässig sein, eine Leistung durch Gebühren mehrfach zu finanzieren. Das
Äquivalenzprinzip ist auch dann verletzt, wenn sich die Gebühr in ihrer Höhe völlig von
den Kosten der gebührenpflichtigen Leistung entfernt.
72
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2003 - 6 C 5/02 - NVwZ 2003, 1385 - zu einer
Verwaltungsgebühr, welche die Kosten der Leistung um das 4.444fache überstieg.
73
Bei wiederkehrenden Benutzungsgebühren wie den strittigen Schmutz- und
74
Niederschlagswassergebühren tritt diese Loslösung von den Kosten schon dann ein,
wenn sich jährliche Überdeckungen über die gesamte Nutzungszeit zu einem
Millionenbetrag summieren, der endgültig der Finanzierung der Abwasserbeseitigung
entzogen und zur Haushaltssanierung verwandt wird.
Durch das gewählte Privatisierungsmodell erhält die Stadt für die Übertragung des
Kanalvermögens einen Erlös in Höhe eines Wiederbeschaffungswertes, obwohl eine
Wiederbeschaffung durch die Stadt nicht mehr ansteht. Allein der an die Stadt
ausgezahlte Kaufpreis erreicht nach Tilgung der zunächst gestundeten Beträge den
Betrag von 429.640.000 DM (219.671.444 EUR). Dazu kommt in Höhe des der E GmbH
zur Verfügung gestellten Eigenkapitals ein Wertzuwachs des Aktienkapitals der SAG,
der bei einem Verkauf der Aktien realisiert werden kann.
75
Das OVG NRW hat es in der genannten Entscheidung vom 14. Dezember 2004 - 9 A
4187/01 - als unerheblich bezeichnet, dass die Stadt durch das gewählte
Privatisierungsmodell einen Betrag nach einem Wiederbeschaffungszeitrestwert erzielt,
obwohl eine Wiederbeschaffung durch die Stadt nicht mehr ansteht.
76
In einer Entscheidung zur Abschreibung eines sogen. Veraschungsrechts, das durch
Baukostenzuschüsse zu einem von einem Privatunternehmen betriebenen
Müllheizkraftwerk erworben wurde, hat das OVG NRW dagegen eine Abschreibung nur
nach dem Anschaffungswert zugelassen, weil dem Ziel der Substanzerhaltung durch
den Ansatz von Abschreibungen bei der Einschaltung eines Privatunternehmens keine
maßgebliche Bedeutung zukam. Es war nämlich völlig ungewiss, ob nach Ablauf der
Nutzungszeit wiederum ein Nachfolgekraftwerk durch Baukostenzuschüsse zu
finanzieren war.
77
OVG NRW, Urteil vom 24. Juli 1995 - 9 A 2474/94 - S. 8 des Urteilsabdrucks, NWVBl
1996, 65 = Der Gemeindehaushalt (GemHH) 1997, 12.
78
Wenn eine Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert schon bei einer
Ungewissheit über eine künftige Art der Wiederbeschaffung unzulässig sein soll, ist es
nicht ersichtlich, dass die Stadt Mittel für eine Wiederbeschaffung erhalten darf, obwohl
mit Sicherheit eine Wiederbeschaffung nicht mehr von ihr zu finanzieren ist.
79
Die Auffassung des OVG NRW gerät auch in Konflikt zur Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Zulässigkeit der nicht-steuerlichen
Sonderabgaben mit Finanzierungszweck. Eine Zulässigkeitsvoraussetzung ist die
gruppennützige Verwendung des Abgabeaufkommens. Der Gruppe der
Abgabepflichtigen muss das Aufkommen aus der Abgabe zugute kommen.
80
Vgl. Ossenbühl, Zur Rechtfertigung von Sonderabgaben mit Finanzierungszweck,
Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) 2005, 667, 669.
81
Das BVerfG hat eine Bestimmung als verfassungswidrig angesehen, nach der
Exporteure von Abfällen zu Beiträgen zu einem Solidarfonds Abfallrückführung
herangezogen wurden. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach internationalem Recht
verpflichtet, die Rückführung illegaler Abfallausfuhren zu gewährleisten. Die Kosten
sollten durch den Solidarfonds gedeckt werden. Die abgabenpflichtigen Exporteure
mussten aber bereits ihrerseits Sicherheit leisten, um die Rückführung der Abfallexporte
zu garantieren, wenn sie sich als illegal erweisen sollten. Die Leistungen aus dem
82
Fonds sollten damit allein die Rückführung von illegalen Exporten fremder Exporteure
finanzieren. Das BVerfG entschied, dass fremdes Fehlverhalten nicht in den
Verantwortungsbereich der abgabepflichtigen Exporteure falle. Das Aufkommen aus
den Beiträgen zum Solidarfonds sei nicht gruppennützig.
BVerfG, Urteil vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2335/95 u. a. - NVwZ 2005, 1171 = Die
Öffentliche Verwaltung (DÖV) 2005, 912 ; dazu Koch, Solidarfonds „Abfallrückführung"
verfassungswidrig, NVwZ 2005, 1153.
83
Auch Benutzungsgebühren sind ein Unterfall nicht-steuerlicher Abgaben. Die Gruppe
der gebührenpflichtigen Grundstückseigentümer als Benutzer der Einrichtung
Abwasserbeseitigung sind für die Finanzierung dieser Einrichtung verantwortlich, nicht
aber für die Haushaltssanierung. Über das gewählte Privatisierungsmodell werden sie
dazu herangezogen, Mittel zur Sanierung des Haushalts aufzubringen, die nie mehr der
Abwasserbeseitigung zugute kommen. Der Veräußerungsgewinn, der durch Gebühren
refinanziert wird, ist damit einer gruppennützigen Verwendung entzogen.
84
Ebenso fehlerhaft ist nach der Auffassung der Kammer die Einbeziehung von
kalkulatorischen Zinsen zu einem Zinsfuß von 7 % in das Pachtentgelt der E GmbH
GmbH, das schließlich über das Betriebsführungsentgelt der SAG zu einem
Kostenbestandteil in der Gebührenkalkulation geworden ist. Der Zinsfuß ist nach Nr. 43
Abs. 2 LSP i. V. m. der VO PR 4/72 über die Bemessung des kalkulatorischen
Zinssatzes v. 17. April 1972 (BAnz. Nr. 78) auf höchstens 6,5 % beschränkt. Das OVG
NRW hält diese Bestimmung nicht für anwendbar, weil die Bereitstellung des
Anlagekapitals durch die E GmbH nur eine mittelbare Leistung sei. Darauf seien die
Vorschriften der VO PR. 30/53 nach § 2 Abs. 4 Nr. 1 VO PR Nr. 30/53 nur bei einem
entsprechenden Verlangen des öffentlichen Auftraggebers anwendbar. Die Stadt als
Auftraggeberin sei auch nicht verpflichtet gewesen, ein solches Verlangen zu äußern.
85
Damit ermöglicht das OVG NRW eine deutliche Umgehung der bundesrechtlich
geltenden Vorschriften des Preisprüfungsrechts. Ersichtlich ist im vorliegenden Fall das
Anlagevermögen nicht auf die SAG als Auftragnehmerin, sondern auf deren
Tochtergesellschaft E GmbH übertragen worden, so dass die Bereitstellung des
Anlagevermögens zu einer mittelbaren Leistung wurde. Im Sinne des § 42 der
Abgabenordnung wäre eine solche Konstruktion für einen Abgabepflichtigen ein
Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Bei der Vergabe eines Auftrages an
ein verwaltungsfremdes Drittunternehmen außerhalb des gebührenrechtlich relevanten
Bereichs würde die Stadt zu ihrem Schaden kaum darauf verzichten, die Anwendung
des Preisprüfungsrechts auch für mittelbare Leistungen eines Konzernunternehmens
des Auftragnehmers zu verlangen. Ein solcher Verzicht kann zum Nachteil der
Gebührenzahler ebenfalls nicht in Betracht kommen.
86
Das OVG NRW hat versucht, mit seiner Entscheidung vom 4. Dezember 2004 seine
Rechtsprechung, wonach eine Überfinanzierung der Geldentwertungsrate durch
Abschreibungen nach dem Wiederbeschaffungszeitwert und kalkulatorischen Zinsen
zum Nominalzins zulässig sein soll,
87
vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. 4. 2005 - 9 A 3120/03 -,
88
auch auf den Fall einer Privatisierung zu übertragen. Dies ist aber auch dort als Verstoß
gegen betriebswirtschaftliche Grundsätze mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren.
89
Vgl. Schulte/Wiesemann, a. a. O., § 6 Rn. 159c, 159e; Schröder, Die Erhebung von
Entwässerungsgebühren in Nordrhein-Westfalen, Europäische Hochschulschriften
Reihe II Rechtswissenschaften, 2003, S. 409.
90
Der Begriff der betriebswirtschaftlichen Grundsätze ist ein unbestimmter Rechtsbegriff,
dessen Auslegung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht
ohne Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG völlig in das Belieben der Verwaltung gestellt
werden kann.
91
Vgl. Schulte/Wiesemann, a. a. O., § 6 Rn. 31; Aussprung in „Zwischen Abgabenrecht
und Verfassungsrecht", Festschrift für Driehaus zum 65. Geburtstag, 2005, S. 3, 5
92
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die sich schließlich ergebende Überdeckung nur
geringfügig und durch unterbliebene mögliche Kostenansätze ausgeglichen ist.
Jedenfalls hat der Beklagte trotz einer Aufforderung nach § 87b VwGO nicht glaubhaft
dargelegt, dass die Kostensteigerung unter der Toleranzgrenze von 3 % bleibt oder
dass die Gebührensätze bei der eingetretenen Kostenentwicklung im Ergebnis nicht
überhöht sind.
93
Vgl. zur Toleranzgrenze von 3 % und zur Ergebnisrechtsprechung: OVG NRW, Urteil
vom 5. August. 1994 - 9 A 1248/92 - NVwZ 1995, 1233.
94
Der Beklagte hat zwar vorgetragen, dass bei einem Zinsfuß von 6,5 %, aber bei einem
Ansatz anderer preisprüfungsrechtlich zulässiger Positionen (z. B.
Gewerbeertragssteuer, Verluste aus Anlageabgängen) das Betriebsführungsentgelt um
34.433.000 EUR höher wäre.
95
Dies kann aber nicht dazu dienen, den Ausgleich einer Überdeckung zu rechtfertigen.
Das Betriebsführungsentgelt beruht auf einer Vereinbarung, die nicht wirksam ist, wenn
das Entgelt den preisprüfungsrechtlich zulässigen Rahmen übersteigt.
96
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 1999 - 9 A 6065/96 - S. 12 des
Urteilsabdrucks.
97
Bleibt es unter dem nach diesen Vorschriften zulässigen Entgelt, ist es wirksam
vereinbart und muss in dieser Höhe als Fremdentgelt in die Gebührenkalkulation
eingehen. Der Beklagte darf zum Ausgleich nur das in Rechnung gestellte Entgelt
ansetzen.
98
Im Übrigen sind die Angaben des Beklagten auch nicht nachvollziehbar. Die
ergänzenden Berechnungen legen als Zinsbasis den Anschaffungsrestwert der E
GmbH zugrunde. Vereinbart war als Zinsbasis der historische Anschaffungsrestwert der
Stadt. Der unterlassene Ansatz der Gewerbeertragssteuer und der
Sonderabschreibungen mag nach dem Vertrag möglich sein. Es bleibt aber offen, ob die
Gewerbeertragssteuer nicht allein durch unzulässige Gewinnansätze bedingt ist. Die
Sonderabschreibungen sind nach dem überhöhten Übertragungswert berechnet.
99
2. Abfallgebühren
100
Hinsichtlich der festgesetzten Abfallgebühren ist der angefochtene
101
Grundbesitzabgabenbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheids nicht
rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Rechtsgrundlage ist die Satzung der Stadt über die Erhebung von Gebühren für
abfallwirtschaftliche Leistungen (Abfallgebührensatzung - AbfgS) vom 11. Dezember
1997 (Amtsblatt der Stadt Nr. 51 vom 19. Dezember 1997) in der Fassung der
Änderungssatzung vom 2. Dezember 1999 (Amtsblatt der Stadt Nr. 49 vom 10.
Dezember 1999).
102
Die Satzung sieht einheitliche Gebühren nach dem Volumen der Restmüllgefäße vor.
Für Eigenkompostierer sind in § 4 Abs. 1 Satz 2 ermäßigte Beträge festgesetzt. 25 % der
Kosten für die Bioabfallentsorgung sind danach aber auch von den Eigenkompostierern
zu tragen.
103
Die in dem genannten Satzungsrecht gewählte Verteilungsregelung ist rechtmäßig. Das
Satzungsrecht sieht die Erhebung einer einheitlichen Abfallgebühr vor, die im Sinne von
§ 9 Abs. 2 Satz 5, 2. Halbsatz, 1. Alternative des Landesabfallgesetzes NRW (LAbfG
NRW) auf das Restmüllgefäß bezogen ist. Eigenkompostierern ist gemäß § 9 Abs. 2
Satz 5 LAbfG ein gesonderter Abschlag gewährt worden. Das ist dadurch geschehen,
dass in § 4 Abs. 1 Satz 2 der Satzung für Eigenkompostierer ermäßigte Beträge für die
einzelnen Gefäßgrößen der Restmüllgefäße festgesetzt worden sind. Diese
Ermäßigungen sind jedoch geringer als die Kosten der Bioabfallentsorgung, so dass
auch Eigenkompostierer über die verleibende Restmüllgebühr etwa 25 % der
Bioabfallentsorgung finanzieren müssen.
104
Eine solche Quersubventionierung wird nach der Rechtsprechung des OVG NRW, der
sich die Kammer insofern anschließt, für zulässig gehalten.
105
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Dezember 2003 - 9 A 1768/02 - NVwZ-RR 2004,
250.
106
Bei den Kostenansätzen in der Gebührenkalkulation sind zwar Fehler festzustellen, die
insgesamt jedoch unerheblich bleiben, weil kein Anlass für die Annahme besteht, dass
sie zu einer Überschreitung der Toleranzgrenze von 3 % der zulässigen Kosten führen.
107
Bei der Übertragung der Fahrzeuge und Geräte auf die EBE zum Sachzeitwert kann
zwar ebenfalls - wie bei den Entwässerungsgebühren dargestellt - ein
Veräußerungsgewinn entstanden sein, der nachfolgend über die Entgelte der EBE, die
auch Abschreibungen und kalkulatorische Zinsen aufgrund des Übernahmewertes
enthalten, durch die Gebührenzahler refinanziert wird. Erfahrungsgemäß ist bei den im
Rahmen der Müllabfuhr verwandten Fahrzeugen und Geräten aber kein so deutlicher
Unterschied zwischen Anschaffungsrestwerten und Sachzeitwerten festzustellen wie
bei Kanalleitungen mit wesentlich längerer Nutzungszeit. Dieser Unterschied kann
daher vernachlässigt werden.
108
Bei den mehr ins Gewicht fallenden Kosten der Müllverbrennung wird das
Veraschungsrecht ohnehin nur nach dem Anschaffungswert abgeschrieben und
verzinst. Die beteiligten Städte, die wie die Stadt Müll über das MHKW entsorgen
lassen, entrichten aufgrund eines umfangreichen Vertragssystems jährlich ein Entgelt
für die Betriebskosten, die jeweils als Kosten in die Gebührenkalkulation eingestellt
werden. Zusätzlich haben sie Baukostenzuschüsse gezahlt und dabei ein
109
Veraschungsrecht für die Nutzungsdauer der Anlage (28 Jahre) erworben, das in der
Gebührenkalkulation über Abschreibungen berücksichtigt wird. Dazu haben sie auch
Landeszuwendungen erhalten. Nach der Rechtsprechung dürfen die
Landeszuwendungen bei der Abschreibung des Veraschungsrechts gar nicht und der
Stadtanteil nur nach dem Anschaffungswert abgeschrieben werden.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. Juli 1995 - 9 A 2474/94 - S. 7 f des Urteilsabdrucks, wie
zuvor zitiert.
110
In dem in Rechnung gestellten Entgelt der EBE war ein kalkulatorischer
Gewinnzuschlag enthalten, der den Gebührenpflichtigen nicht voll als Kostenlast
auferlegt werden dar Der Ansatz eines kalkulatorischen Unternehmerwagnisses
entspricht zwar den Vorschriften der Nr. 51 und 52 LSP und ist preisprüfungsrechtlich
nicht zu bemängeln. Nicht zu rechtfertigen ist jedoch, dass der Stadt als
Alleingesellschafterin der EBE dieser Gewinnzuschlag als Teil eines ausgeschütteten
Gewinns oder als Wertsteigerung ihrer Gesellschafteranteile zugute kommt. Die Stadt
hat, auch soweit sie eine privatrechtliche Organisation wählt, die öffentliche Aufgabe der
Abfallbeseitigung uneigennützig im Interesse ihrer Bürger zu erfüllen. Lediglich den
beteiligten Privatunternehmen kann ein Gewinnanteil in Gestalt des kalkulatorischen
Wagniszuschlags nicht verwehrt werden. Die Kammer folgt insofern der
Rechtsprechung des OVG Mecklenburg-Vorpommern, wonach beim Ansatz des
Betriebsführungsentgelts als Fremdkostenposition in der Gebührenkalkulation der auf
die Stadt entfallenden Anteil von knapp über 50 % des Wagniszuschlages abzuziehen
ist.
111
Vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 7. November 1996 - 4 K 11/96 - DVBl
1997, 1072 und Urteil vom 25. Februar 1998 - 4 K 8/97- NVwZ-RR 1999, 144 = KStZ
2000, 12; vgl. auch Schulte/Wiesemann in Driehaus, a. a. O., zu § 6 Rn. 141e und
BayVGH, Urteil vom 25. April 1995- 4 N 94.1282 - u. - 4 N 94. 2947 - zu einem Fall, in
dem die Beteiligten von sich aus diesen Abzug der Gewinnanteile vorgenommen hatten;
vgl. auch Urteil der Kammer vom 31. Mai 2001 - 13 K 543/97 - S. 12 des
Urteilsabdrucks.
112
Auch nach der Rechtsprechung des OVG NRW,
113
vgl. Urteil vom 4. Oktober 2001 - 9 A 2737/00 - KStZ 2003, 13,
114
zu einem Selbstkostenerstattungspreis bei einer vom Kreis beherrschten
Abfallentsorgungsgesellschaft dürfen nur 1 % des Umsatzes als Gewinnzuschlag
angesetzt werden, weil das Risiko der Gesellschaft bei dieser Vertragsgestaltung gering
ist.
115
Die überhöhten Kostenansätze bleiben aber ersichtlich unterhalb der Toleranzgrenze
von 3 % der gerechtfertigten Kosten. Das Entgelt der EBE ist insgesamt ohnehin nur ein
Teil der Gesamtkosten.
116
Zu beachten ist auch, dass sich nach der Betriebsabrechnung im Ergebnis eine
Unterdeckung ergeben hat. Nach der herrschenden Ergebnisrechtsprechung könnte
selbst eine Überdeckung über der Toleranzgrenze damit durch eine tatsächliche
Unterdeckung ausgeglichen sein.
117
Der Ansatz von Kosten für die Beseitigung verbotswidriger Abfallablagerungen von den
der Allgemeinheit zugänglichen Grundstücken durch Leistungen des ehemaligen
Grünflächenamtes und vertraglich vereinbarte Leistungen der EBE ist durch § 9 Abs. 2
Satz 2, dritter Spiegelstrich LAbfG NRW gerechtfertigt.
118
Zur Auslegung dieser Bestimmung: Schulte/Wiesemann in Driehaus, a. a. O., § 6 Rn.
322.
119
Nach den Darlegungen des Beklagten fallen diese Kosten nur für die Entsorgung von
Abfällen von Grundstücken an, die der Allgemeinheit insgesamt und unentgeltlich
zugänglich sind. Abfälle aus dem Bereich der G. gehören nicht dazu. Auch reine
Grünflächenkosten für die Pflege der Grünanlagen sind ausgesondert. Es gibt auch
keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich darunter nicht betriebsbedingte Kosten verbergen
oder dass ein unzulässiger Gewinnaufschlag eingerechnet worden ist.
120
Im Übrigen sind alle Kosten ansatzfähig, die durch den Betrieb der Abfallentsorgung
bedingt sind. Dazu gehören auch die Kosten des Steueramtes für die Bearbeitung der
Widerspruchsverfahren und anteilige Kosten des Rechtsamtes.
121
Zu den betriebsbedingten Personalkosten sind auch die Kosten der Beamten der Stadt
zu rechnen, die bei den EBE eingesetzt worden sind. Der Beklagte hat versichert, dass
unter den Kosten keine Pensionsleistungen für nicht mehr tätige Beamte enthalten sind,
sondern allenfalls Rückstellungen für die Pension tätiger Beamter.
122
Es mag problematisch sein, ob die Kosten für den Erlass der Satzungen bei der
Abfallentsorgung ansatzfähig sind oder eher zu den allgemeinen Verwaltungskosten
gehören, die durch Steuern zu decken sind. Das mag jedoch dahingestellt bleiben, da
diese Kosten im Verhältnis zu den Gesamtkosten nicht ins Gewicht fallen dürften.
123
Im Ergebnis ist damit bei der Kalkulation der Abfallgebühren keine unzulässige
Überdeckung festzustellen.
124
Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der Straßenreinigungsgebühren aus § 161
Abs. 2 Satz 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Beklagten die Kosten des
Verfahrens aufzuerlegen, da erst nach Änderung durch die Satzung vom 27. Juni 2005
während des Verfahrens eine Rechtsgrundlage für die Erhebung der strittigen
Straßenreinigungsgebühren durch differenzierte Winterdienstregelungen geschaffen
worden ist und damit die Klage bei Klageerhebung begründet war.
125
Die Kostenentscheidung folgt im Übrigen aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie entspricht
dem Verhältnis von Obsiegen der Klägerseite hinsichtlich der Schmutz- und
Niederschlagswassergebühren und dem Unterliegen hinsichtlich der Abfallgebühren.
126
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich
aus § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
127
Die Kammer lässt die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
zu (§ 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
128
129