Urteil des VG Freiburg vom 14.11.2007

VG Freiburg (kläger, stadt hamburg, hamburg, einbürgerung, anspruch auf einbürgerung, rücknahme, arglistige täuschung, bundesrepublik deutschland, gleichberechtigung von mann und frau, aufenthalt)

VG Freiburg Urteil vom 14.11.2007, 7 K 1854/05
Rücknahme einer durch arglistige Täuschung erschlichenen Einbürgerung
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung. Der am … in der Türkei geborene Kläger
ist kurdischer Volks- und moslemischer Glaubenszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am
13.07.1992 mit seiner Ehefrau (F.) und einem der gemeinsamen Kinder auf dem Luftweg in die Bundesrepublik
Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Drei weitere aus der Ehe
hervorgegangene Kinder reisten im Sommer 1993 in die Bundesrepublik Deutschland ein. 1994/1995 reiste die
„Zweitfrau“ des Klägers (Y.), mit der er nach eigenen Angaben nach muslimischem Ritus verheiratet ist, mit
sechs Kindern nach Deutschland ein, die aus der Verbindung mit ihr und dem Kläger hervorgegangen sind. Mit
Bescheid vom 23.03.1998 erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger
als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Am
23.04.1998 erteilte das Landratsamt Emmendingen dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
2
Der zu diesem Zeitpunkt mit seiner Ehefrau, seiner „Zweitfrau“ und 12 seiner 17 Kinder in W. (K.), wohnhafte
Kläger stellte am 18.09.2000 beim Landratsamt Emmendingen einen Antrag auf Einbürgerung nach § 85
AuslG. Aufgrund eines am 05.06.2001 durchgeführten Sprachtests kam das Landratsamt Emmendingen zu der
Beurteilung, die Sprachkenntnisse des Klägers seien eher schlecht und ein weiterer Test sei erforderlich. Mit
an den Kläger gerichtetem Schreiben vom 16.11.2001 führte das Landratsamt Emmendingen aus, anlässlich
seiner Sprachprüfungen habe festgestellt werden müssen, dass er der deutschen Sprache nicht ausreichend
mächtig sei. Auch setze die Einbürgerung voraus, dass der Einbürgerungsbewerber für sich und seine
unterhaltsberechtigten Angehörigen den Unterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten könne. Der Kläger beziehe
bereits seit Jahren Sozialhilfe und lebe in einer Obdachlosenunterkunft. Darüber hinaus widerspreche das
Führen einer Doppelehe der hiesigen Rechts- und Wertordnung. In einem Aktenvermerk des Landratsamts
Emmendingen vom 03.12.2001 heißt es, der Kläger habe gebeten, keinen Ablehnungsbescheid zu erlassen. Er
bemühe sich um die Teilnahme an einem Sprachkurs und wolle den Sprachtest wiederholen. Ihm sei erklärt
worden, dass es nicht dem deutschen Rechtswesen entspreche, zwei Ehefrauen zu haben. Der Kläger habe
erwidert, die zweite Frau sei nur seine Freundin. Unter dem 06.06.2002 teilte das Landratsamt Emmendingen
dem Kläger mit, leider habe er die Sprachprüfung am 15.05.2002 nicht bestanden. Nachdem dies nun bereits
die dritte Sprachprüfung gewesen sei, sei man nicht mehr bereit, den Antrag zurückzustellen. Daraufhin nahm
der Kläger mit Schreiben vom 10.06.2002 den Einbürgerungsantrag zurück.
3
Ab 05.09.2002 war der Kläger mit Hauptwohnung in Hamburg und mit Nebenwohnung in W. gemeldet. Er stellte
bei der Freien und Hansestadt Hamburg einen Einbürgerungsantrag. Er erklärte, er lebe seit 05.09.2002
getrennt. Mit Einbürgerungsverfügung vom 25.03.2003 stellte die Stadt Hamburg fest, die Erfordernisse für die
Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit seien erfüllt. Am 26.03.2003 unterzeichnete der Kläger ein
„Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung - Loyalitätserklärung -„. Zugleich erhielt er die am
25.03.2003 ausgefertigte Einbürgerungsurkunde. Am 05.05.2003 beantragte der Kläger bei der Stadt F. die
Gewährung von Sozialhilfe. Er erklärte, er sei am 01.05.2003 von Hamburg nach F. gezogen. In
Aktenvermerken des Landratsamts Emmendingen vom 09.10.2003 und vom 04.05.2004 heißt es, der Kläger
habe sich ab 29.08.2003 mit alleinigem Wohnsitz in F., und ab 23.10.2003 mit alleinigem Wohnsitz in W.
angemeldet. Am 23.10.2003 erklärten der Kläger und seine Ehefrau, sie lebten seit 23.10.2003 nicht mehr
dauernd getrennt.
4
Mit Schreiben vom 30.03.2005 teilte das Landratsamt Emmendingen dem Kläger mit, es sei beabsichtigt, die
Einbürgerung wegen Unzuständigkeit der Behörde, wegen arglistiger Täuschung und wegen Unwirksamkeit des
Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zurückzunehmen. Der Kläger habe sich in
Hamburg nur angemeldet, um sich einbürgern zu lassen. In Wirklichkeit habe er seinen dauernden Aufenthalt
immer in W. gehabt. In seinem Einbürgerungsantrag habe er wahrheitswidrig angegeben, es handle sich um
seinen „Erstantrag“, um so eine Nachfrage der Hamburger Behörde beim Landratsamt Emmendingen zu
verhindern. Außerdem habe er bewusst über sein Getrenntleben von seiner Ehefrau getäuscht. Schließlich
habe er ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegeben, obwohl er mit zwei Frauen
verheiratet sei und gewusst habe, dass dies einer Einbürgerung entgegenstehe. Das Bekenntnis sei somit
unwirksam, so dass es an einer wesentlichen Einbürgerungsvoraussetzung fehle. Der Einwand, Y. sei nur eine
Freundin, werde als Schutzbehauptung gewertet. Es sei unglaubwürdig, dass ein Muslim mit seiner Freundin
acht Kinder zeuge und mit ihnen und seiner ersten Frau unter einem Dach zusammenlebe. Der Kläger
erwiderte: Er sei in Hamburg wohnhaft gewesen. Der zeitweilige Umzug habe familiäre Gründe gehabt. Er habe
angegeben, dass es sich um einen Erstantrag handle, weil er der Auffassung gewesen sei, dass es sich erst
dann um ein anzugebendes Verfahren handle, wenn es zu einer Entscheidung gekommen sei. Auch über das
Getrenntleben von seiner Ehefrau habe er nicht getäuscht. Es bestehe kein Anlass, an seinem Bekenntnis zur
freiheitlich demokratischen Grundordnung zu zweifeln. Standesamtlich habe er lediglich F. geheiratet. Y. gelte
nach deutschem Recht nicht als Ehefrau. Entsprechend habe sie auch im Asylverfahren kein Familienasyl
erhalten.
5
Mit Bescheid vom 22.04.2005 nahm das Landratsamt Emmendingen die Einbürgerung des Klägers in den
deutschen Staatsverband mit Wirkung zum 26.03.2003 zurück. Der Kläger wurde aufgefordert, umgehend die
Einbürgerungsurkunde, seinen deutschen Reisepass und seinen Bundespersonalausweis dem Landratsamt
Emmendingen auszuhändigen. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Einbürgerung durch die Freie und
Hansestadt Hamburg sei rechtswidrig gewesen. Die Behörde sei nicht zuständig gewesen. Die Einbürgerung
sei durch arglistige Täuschung erschlichen worden. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen
Grundordnung sei unwirksam. Es gebe mehrere Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger während des in
Hamburg laufenden Verfahrens überwiegend in W. aufgehalten habe. Beide Frauen und sämtliche Kinder seien
weiterhin in W. wohnhaft gewesen, der Kläger sei mit Nebenwohnsitz in W. gemeldet gewesen, ein Mietvertrag
für die Wohnung in Hamburg sei nicht vorgelegt worden, die Getrenntlebend-Erklärung sei erst zwei Tage vor
der Einbürgerung in W. abgegeben worden. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, dass der Kläger von
Hamburg nach W. gefahren sei, um dort eine solche Erklärung abzugeben. Als Wohnung sei in der Erklärung
über das Getrenntleben weiterhin W. angegeben. In den Akten befinde sich eine ärztliche Bescheinigung eines
Arztes aus W. vom 14.03.2003. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, dass ein Mensch, der in Hamburg
wohne, einen Arzt in W. konsultiere, selbst wenn er bei diesem früher in Behandlung gewesen sei. Die Frist
nach § 48 Abs. 4 LVwVfG sei gewahrt. Die Jahresfrist gelte nicht im Fall arglistiger Täuschung nach § 48 Abs.
2 Satz 3 Nr. 1 LVwVfG. Das Landratsamt Emmendingen habe bereits im November 2003 erfahren, dass er
eingebürgert worden sei. Die mit Schreiben vom 25.11.2003 angeforderten Akten der Stadt Hamburg seien aber
erst nach Intervention des Innenministeriums Baden-Württemberg am 26.04.2004 beim Landratsamt
Emmendingen eingegangen. Die Rücknahme unterliege dem Ermessen der Behörde. Hier seien jedoch keine
Gesichtspunkte erkennbar, die zugunsten des Klägers angeführt werden könnten.
6
Der Kläger erhob am 27.04.2005 Widerspruch. Zur Begründung verwies er auf den Vortrag im Schreiben vom
11.04.2005.
7
Der Kläger beantragte am 10.05.2005 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und trug u. a. vor, die
Tatsache, dass er mit seiner Ehefrau und mit der nach islamischem Recht angetrauten zweiten Frau
zusammen 17 Kinder habe und zeitweilig auch mit beiden Frau zusammengelebt habe, verstoße keineswegs
gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung. Der Umstand, dass nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts Lebensgemeinschaften ehelicher und familiärer Art, die wie die Mehrehe nach
Maßgabe ausländischen Rechts eingegangen worden seien, nicht ohne weiteres dem Schutzbereich des Art. 6
Abs. 1 GG unterlägen, sage nichts über die Frage, ob ein Ausländer, der in einer solchen Lebensgemeinschaft
lebe, eingebürgert werden könne. Eine solche moralische Bedingung kenne das Einbürgerungsrecht nicht. Es
wäre auch schwer mit der Tatsache zu vereinbaren, dass deutsche Staatsbürger in allen möglichen
Lebensgemeinschaften zusammenlebten. Dem Sachbearbeiter in Hamburg habe er alles gesagt, was dieser
habe wissen wollen. Der habe auch gesagt, dass zunächst seine Akte in Emmendingen angefordert werde.
Seine Lebensumstände und die Zahl seiner Kinder, die in W. lebten, habe er dem Sachbearbeiter gesagt und
der habe es eingetragen. Er habe auch erklärt, dass ein Teil seiner Kinder ehelich sei, ein anderer Teil
nichtehelich. Darüber hinaus sei er nichts gefragt worden, insbesondere nicht, ob er mit der Mutter seiner
nichtehelichen Kinder zusammenlebe.
8
Die erkennende Kammer hat mit Beschluss vom 09.06.2005 - 7 K 1006/05 - die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs gegen die Verfügung des Landratsamts Emmendingen vom 22.04.2005 wiederhergestellt.
9
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2005 wies das Regierungspräsidium Freiburg den Widerspruch bezüglich
der Nrn. I bis III, V und VI der Entscheidung des Landratsamts mit der Maßgabe zurück, dass die Ziff. III Satz
1 die Fassung erhalte, der Kläger werde aufgefordert, dem Landratsamt Emmendingen nach Bestands- bzw.
Rechtskraft dieser Entscheidung die genannten Unterlagen auszuhändigen. Zur Begründung wurde ergänzend
ausgeführt: Für die Zuständigkeit im Einbürgerungsverfahren komme es nicht auf den melderechtlichen Status,
sondern auf den dauernden, also tatsächlichen Aufenthalt an. Bei der Rücknahme seines
Einbürgerungsantrags beim Landratsamt Emmendingen am 10.06.2002 habe der Kläger die
Einbürgerungsbehörde der Stadt Hamburg erwähnt, von der bekannt sei, dass sie solche „Schwierigkeiten wie
in Emmendingen nicht mache“. Nicht einmal drei Monate später habe sich der Kläger ohne seine Familie in
Hamburg angemeldet. Die Behauptung, der Kläger sei zweimal innerhalb von zehn Tagen (am 14.03.2003 und
am 24.03.2003) nach W. gefahren, um einmal seinen Arzt zu besuchen und zum anderen die Getrenntlebend-
Erklärung in W. abzugeben, obwohl er beides bei einem tatsächlichen dauernden Aufenthalt in Hamburg hätte
dort bewerkstelligen können, sei unglaubwürdig. Dies gelte auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Kläger
kein Einkommen habe, sondern Sozialhilfeempfänger sei. Der Kläger habe weder angeführt, welche familiären
Probleme bestanden haben sollten, noch worin die gute Möglichkeit gelegen habe, in Hamburg zu wohnen bzw.
zu leben.
10 Der Kläger hat am 07.10.2005 Klage erhoben. Ergänzend trägt er vor: Gemäß Art. 16 GG dürfe die deutsche
Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden. Jedenfalls nur in schwerwiegenden Fällen von Täuschung sei der
Staat berechtigt, eine einmal erteilte Einbürgerung zurückzunehmen. Er habe in Hamburg Wohnsitz
genommen, um Abstand zu gewinnen von der familiären Situation. In Hamburg habe er einen Landsmann (B.)
gekannt, der ihm ein Zimmer habe vermieten können. Auch nach seinem Umzug habe er weiterhin seinen Arzt
in W. gehabt, der ihn seit langen Jahren kenne und auf dessen Behandlung er im Hinblick auf seine
Herzinfarkte und andere schwerwiegende Erkrankungen großen Wert lege. Er sei dahingehend informiert
worden, dass für die Getrenntlebend-Erklärung W. zuständig sei, weil die Ehe bzw. der letzte
gemeinschaftliche Wohnsitz der Ehepartner in W. gewesen sei. Er (der Kläger) sei ganz selbstverständlich
davon ausgegangen, dass die Hamburger Behörde mit der Anforderung der Akte in Emmendingen über
sämtliche Vorgänge informiert sei. Die Frist des § 48 Abs. 4 LVwVfG sei nicht gewahrt. Der Beklagte sei
unabhängig von der Kenntnis der Hamburger Akte in der Lage gewesen, nachzuprüfen, ob der Kläger die
Einbürgerung durch arglistige Täuschung erlangt habe. Insbesondere habe er überprüfen können, ob der Kläger
seinen dauernden Aufenthalt weiterhin in W. gehabt habe. Im Übrigen habe das Innenministerium Baden-
Württemberg bereits Anfang April 2004 über die Akte verfügt.
11 Der Kläger beantragt,
12
den Bescheid des Landratsamts Emmendingen vom 22.04.2005 und den Widerspruchsbescheid des
Regierungspräsidiums Freiburg vom 27.09.2005 aufzuheben.
13 Der Beklagte beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15 Ergänzend führt er aus: Hamburg biete sich für einen in W. ansässigen Menschen nicht für einen
Wohnsitzwechsel an, wenn er weiterhin mit seiner Familie und mit seinem Arzt in regelmäßiger Verbindung
bleiben möchte. Die vom Kläger geführte Doppelehe verstoße nach wohl überwiegender Auffassung nicht
gegen den ordre public des Art. 6 EGBGB, so dass es durchaus möglich sei, als Ausländer in Deutschland
gemeinsam mit beiden Frauen und sämtlichen Kindern zu leben. Einer Einbürgerung stehe das insoweit
entgegen, als hierin ein Verstoß gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu sehen sei. Dieses
Prinzip werde insoweit durch die islamische Mehrehe verletzt, als diese nur dem Mann nicht aber der Frau
gestattet sei. Daher sei offensichtlich, dass der Kläger keine innere Hinwendung zur Bundesrepublik
Deutschland dokumentiert habe.
16 In der mündlichen Verhandlung am 14.11.2007 hat die Kammer den Kläger angehört und zu der Frage, wo hielt
sich der Kläger in den Jahren 2002 und 2003 auf, die Zeugen B., F. und Y. vernommen. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
17 Dem Gericht liegen die einschlägigen Akten des Landratsamts Emmendingen (zwei Bände), des
Regierungspräsidiums Freiburg (ein Heft), die Sozialhilfeakten des Landratsamts Emmendingen (Bände V und
VI), ein Heft Akten der Arbeitsgemeinschaft Emmendingen, ein Heft Sozialhilfeakten der Stadt F., ein Heft
Akten der Arbeitsgemeinschaft F. sowie die Gerichtsakten 7 K 1006/05 und A 7 K 11984/95 vor. Diese Akten
waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
18 Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Landratsamts Emmendingen vom 22.04.2005 in der
Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 27.09.2005 ist rechtmäßig und
verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
19 Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung kann grundsätzlich § 48 Abs. 1
LVwVfG sein (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.05.2006, DVBl 2006, 910; BVerwG, Beschl. v. 13.06.2007 - 5 B 132/07 -,
in juris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.09.2007 - 13 S 2794/06 - u. v. 09.08.2007 - 13 S 2885/06 -, in juris). Der
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (a. a. O.) hat hierzu ausgeführt, die im Staatsangehörigkeitsrecht
vorhandenen punktuellen Regelungen über Rücknahme und Verlust der Staatsangehörigkeit stellten kein
abgeschlossenes Regelungssystem dar, durch das der Gesetzgeber zu erkennen gegeben hätte, dass es sich
um eine umfassende und abschließende Regelung der Materie mit der Folge handeln solle, dass die
allgemeinen Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes von vornherein nicht mehr zur Anwendung
kämen. Das Staatsangehörigkeitsgesetz enthalte nur Regelungen über den Verlust der Staatsangehörigkeit
aufgrund von nach ihrem Erwerb eingetretenen Umständen, während die Konsequenzen einer von Anfang an
rechtswidrigen Einbürgerung nicht spezialgesetzlich geregelt seien. Die Bestimmungen der §§ 85 ff. AuslG, auf
deren Grundlage der Kläger eingebürgert wurde, enthielten ebenfalls keine spezialgesetzliche Regelung über
die Rücknahme einer von Anfang an rechtswidrigen Einbürgerung. § 24 StAngRegG sei nicht auf rechtswidrige
Einbürgerungen nach § 85 ff. AuslG anwendbar.
20 Der Beklagte ist für die Rücknahme der von der Freien und Hansestadt Hamburg vorgenommenen
Einbürgerung zuständig. Gemäß § 45 Abs. 5 LVwVfG entscheidet über die Rücknahme nach Unanfechtbarkeit
des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende
Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist (BVerwG, Beschl. v. 25.08.1995, DÖV 1995,
1046). Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 a LVwVfG ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die
Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt
hatte. Der Kläger hatte am 22.04.2005 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in W. Nach einem Aktenvermerk des
Beklagten vom 04.05.2004 zog der Kläger am 23.10.2003 nach W. (alleiniger Wohnsitz). Der Kläger und seine
Ehefrau erklärten am 23.10.2003, sie lebten seit 23.10.2003 nicht mehr dauernd getrennt, W. verfügte, der
Kläger werde rückwirkend zum 23.10.2003 wieder in die Obdachlosenunterkunft in W. eingewiesen, er habe
sich am 23.10.2003 wieder in W. mit alleinigem Wohnsitz angemeldet. Im Widerspruchsschreiben des
Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 26.04.2005 ist die Anschrift des Klägers in W. angegeben.
21 Der Beklagte hat die Einbürgerung auch innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG
zurückgenommen. Nach dieser Vorschrift ist, wenn die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die
Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres
seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Erst die positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im
weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können
einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung u. U. relevanten Tatsachen, setzt die Frist in
Lauf (vgl. Kopp/Ramsauer, 9. Aufl, VwVfG, § 48 RdNr. 152 ff.). Die erforderliche Kenntnis hatte das
Landratsamt Emmendingen erst, nachdem der Kläger mit Schreiben vom 30.03.2005 zur beabsichtigten
Rücknahme der Einbürgerung angehört worden war. Zudem lagen die Akten der Freien und Hansestadt
Hamburg dem Landratsamt Emmendingen erst am 26.04.2004 vor. Dass die Akten schon früher beim
Innenministerium Baden-Württemberg eingegangen waren, ist unerheblich, denn die Kenntnis einer anderen
Behörde genügt nicht. Vielmehr ist die Kenntnis des für die Entscheidung über die Rücknahme zuständigen
Amtswalters erforderlich. Dieser muss die die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen kennen. Die Tatsachen
müssen vollständig, uneingeschränkt und zweifelsfrei ermittelt sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.07.1985, NVwZ
1986, 119; Urt. v. 24.01.2001, BVerwGE 112, 360; Kopp/Ramsauer, a. a. O., RdNr. 158).
22 Die allgemeine Bestimmung des § 48 LVwVfG ist auf die Rücknahme von Einbürgerungen nur anwendbar unter
den Einschränkungen, die sich aus Art. 16 Abs. 1 GG ergeben. Die Vorschrift bedarf verfassungskonformer
Anwendung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 16 Abs. 1 GG. Hieraus
ergibt sich, dass die Rücknahme einer Einbürgerung nur zulässig ist, wenn sie zeitnah erfolgt und die
Einbürgerung vom Betroffenen durch arglistige Täuschung oder auf vergleichbare Weise erwirkt worden ist.
23 Die mit Bescheid vom 22.04.2005 verfügte Rücknahme der Einbürgerung ist „zeitnah“ im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfolgt. Der Begriff „zeitnah“ bezieht sich auf den von der
Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichenen Zeitraum, nicht auf eine Entschließungsfrist der Behörde
ab Kenntniserlangung der rücknahmebegründenden Umstände (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 09.08.2007, a. a.
O.). Wo eine exakte zeitliche Grenze zwischen der zeitnahen und der nicht mehr zeitnahen Rücknahme der
Einbürgerung verläuft, ist offen. In seinem Urteil vom 09.08.2007 (a. a. O.) hat der Verwaltungsgerichtshof
Baden-Württemberg entschieden, bei einem Zeitraum von über 10 Jahren könne jedenfalls nicht mehr von einer
zeitnahen Rücknahme gesprochen werden. In seinem Urteil vom 17.09.2007 (a. a. O.) hat der
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ausgeführt, es spreche einiges dafür, dass bei einem zwischen
Einbürgerung und deren Rücknahme liegenden Zeitraum von unter fünf Jahren von einer zeitnahen Rücknahme
auszugehen sei und dass es sich bei dem Zeitraum vom 22.05.2003 bis 31.08.2005 (knapp über zwei Jahre)
noch um eine zeitnahe Rücknahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt. In
dem vom Bundesverfassungsgericht (a. a. O.) zu entscheidenden Fall lag zwischen der Einbürgerung und der
Rücknahme ein Zeitraum von weniger als 25 Monaten (02.02.2000 - 27.02.2002). Im vorliegenden Fall beträgt
der Zeitraum ebenfalls weniger als 25 Monate (25.03.2003 - 22.04.2005). Damit ist die gebotene
Rechtssicherheit auch im vorliegenden Fall noch gewährleistet ist.
24 Die nach § 85 AuslG vorgenommene Einbürgerung des Klägers war rechtswidrig. Denn sie ist von der örtlich
unzuständigen Behörde vorgenommen worden (vgl. Kopp/Schenke, a. a. O., § 48 RdNr. 52). Gemäß § 91 Satz
2 AuslG in der ab 01.01.2000 gültigen Fassung gelten für das Verfahren bei der Einbürgerung einschließlich der
Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit die Vorschriften des Staatsangehörigkeitsrechts. Nach §§ 17 Abs. 1,
27 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - StAngRegG - in der ab 01.01.2000
gültigen Fassung ist zuständig zur Einbürgerung die Einbürgerungsbehörde, in deren Bereich der Erklärende
oder der Antragsteller seinen dauernden Aufenthalt hat. Der Begriff des dauernden Aufenthalts stimmt mit dem
Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Wesentlichen überein (Renner, Ausländerrecht, 7. Auflage, § 91 RdNr.
4). Unter gewöhnlichem Aufenthalt ist das längere Verweilen mit der Absicht des Verbleibens zu verstehen.
Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich u. U. aufhält, die erkennen lassen, dass er dort nicht
nur vorübergehend verweilt. Der Lebensmittelpunkt muss auf absehbare Dauer an diesem Ort bestehen (vgl.
Renner, a. a. O., § 85 RdNr. 11).
25 Die Kammer hat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger in der Zeit vom 05.09.2002 (Antragstellung) bis
zur Einbürgerung (März 2003) seinen Lebensmittelpunkt nicht in Hamburg hatte.
26 Die Behauptung des Klägers, er habe zur Zeit der Einbürgerung seinen dauernden Aufenthalt in Hamburg
gehabt, ist widerlegt. Zwar hat der Kläger angegeben, er sei im Juni oder Juli 2002 nach Hamburg gegangen.
Auch war er ab 05.09.2002 mit Hauptwohnsitz in Hamburg gemeldet. Der Kläger war aber am 09.09.2002
persönlich beim Landratsamt Emmendingen. In einem Aktenvermerk des Sozialamts vom 09.09.2002 heißt es,
der Kläger habe am 09.09.2002 vorgesprochen und mitgeteilt, dass die Hilfegewährung für ihn ab Oktober 2002
eingestellt werden könne; er beabsichtigte, zu einem seiner Neffen zu ziehen. Auf Frage, wohin er verziehen
werde, habe der Kläger noch keine konkrete Auskunft geben können; er habe gemeint, entweder Köln oder
Hamburg; er habe in Deutschland neun Neffen (u. a. in Köln und Hamburg). In der mündlichen Verhandlung hat
der Kläger auf Vorhalt erklärt, das habe er nie gesagt; ob er im September 2002 beim Sozialamt in
Emmendingen gewesen sei, daran könne er sich nicht erinnern. Das unsubstantiierte Bestreiten des Klägers
führt nicht zu Zweifeln an der Richtigkeit des Aktenvermerks. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die
Mitarbeiterin des Sozialamts den Sachverhalt erfunden haben könnte. Daher kann dem Kläger nicht geglaubt
werden, dass er bereits im Juni oder Juli 2002 in Hamburg auf Wohnungssuche war und ab 05.09.2002 dort
wohnte. Die Kammer hat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt
- vor Aushändigung der Einbürgerungsurkunde - dauernden Aufenthalt in Hamburg genommen hat. Vielmehr
bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass er sich lediglich in Hamburg angemeldet hat, - ohne auf Dauer
dort zu leben - um dort seine Einbürgerung zu erreichen.
27 Im Widerspruchsbescheid heißt es, bei der Rücknahme seines Einbürgerungsantrags beim Landratsamt
Emmendingen habe der Kläger die Einbürgerungsbehörde der Stadt Hamburg erwähnt, von der bekannt sei,
dass sie solche „Schwierigkeiten wie in Emmendingen nicht mache“. In der mündlichen Verhandlung hat der
Vertreter des Beklagten erklärt, diese Äußerung sei tatsächlich gefallen. Auch hierzu hat der Kläger
angegeben, das habe er nicht gesagt. Hinweise darauf, dass ein Vertreter bzw. Mitarbeiter des Landratsamts
Emmendingen wahrheitswidrig angegeben haben könnte, der Kläger habe sich entsprechend geäußert,
bestehen nicht.
28 Des Weiteren fehlt es an einem widerspruchsfreien Vortrag zur angeblichen Unterkunft des Klägers in
Hamburg. Im Einbürgerungsantrag ist eingetragen, die Miete des Klägers betrage etwa 200,-- EUR
einschließlich Nebenkosten. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, in Hamburg habe er keine
Miete bezahlt; selbst wenn es in seinem Antrag auf Einbürgerung stehe, er habe nichts bezahlt; wie die
Angabe in den Antrag komme, wisse er nicht. Zutreffend ist, dass die Angabe wohl nicht vom Kläger sondern
vom Sachbearbeiter eingetragen wurde. Der Kläger hat den Antrag aber unterschrieben und bestätigt, er habe
ihn selbst gelesen und genehmigt. In seiner eidesstattlichen Versicherung vom 04.05.2005 im Verfahren 7 K
1006/05 hat der Kläger angegeben, die meisten Eintragungen seien vom Sachbearbeiter auf seine Angaben hin
eingetragen worden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Sachbearbeiter einen bestimmten
Mietzins eingetragen haben könnte, ohne dass der Kläger entsprechende Angaben gemacht hat. Zudem hat
der Kläger in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 04.05.2005 erklärt, in Hamburg habe er einen
Mietvertrag gehabt, den er bei der Anmeldung auch vorgelegt habe. In der mündlichen Verhandlung hat der
Kläger hingegen angegeben, von einem Mietvertrag wisse er nichts, er wisse auch nichts davon, dass er einen
solchen Mietvertrag der Behörde vorgelegt habe. Nach Auffassung der Kammer sind diese Widersprüche ein
weiteres Indiz dafür, dass der Kläger nicht in Hamburg gelebt hat und dass seine Angaben zur Unterkunft nicht
der Wahrheit entsprechen.
29 Gegen einen längeren Aufenthalt des Klägers in Hamburg spricht weiter, dass er u. a. am 14.03.2003 - wie er in
seiner eidesstattlichen Versicherung vom 04.05.2005 angegeben hat - seinen Arzt in W. aufsuchte - auf
dessen Behandlung er nach den Ausführungen in der Klagebegründung großen Wert legt - und am 24.03.2003
die Erklärung, dass er von seiner Ehefrau getrennt lebe, in W. abgab. In der mündlichen Verhandlung hat der
Kläger angegeben, es sei richtig, dass er die Erklärung abgegeben habe, er sei mit dem Schnellzug
hergefahren und gleich wieder zurück. Allerdings ist der Akte der Stadt Hamburg zu entnehmen, dass der
Kläger die Erklärung dort nicht persönlich vorlegte. Vielmehr ging die Erklärung noch am 24.03.2003 per
Telefax bei der Stadt Hamburg ein. Die Erklärung wurde - soweit ersichtlich - 08.45 Uhr an die B. GmbH
Hamburg geschickt und von dieser 11.45 Uhr an die Stadt Hamburg weitergeleitet. Dass die Erklärung an die
Stadt Hamburg geschickt wurde, erwähnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung allerdings nicht.
30 Unklar geblieben ist zudem, wie der Kläger seinen angeblichen Aufenthalt in Hamburg und die zahlreichen
Fahrten nach F. bzw. W. finanziert haben will. In der Sozialhilfeakte der Stadt F. heißt es in einem
Aktenvermerk vom 12.05.2003 unter „Lebensunterhalt in Hamburg“, der Neffe des Klägers habe sämtliche
Kosten bezahlt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, er sei von B. versorgt worden, auch A.
habe ihm Geld gegeben; manchmal hätten ihn auch seine Kinder mit Geld unterstützt; daran, ob ihm B. auch
Geld gegeben habe, könne er sich nicht mehr erinnern; immer wenn er Geld gebraucht habe, habe ihm einer
von beiden Geld gegeben; er nehme von jedem Geld und verzichte auf Sozialhilfe. Dieser Vortrag ist im
Hinblick darauf, dass der Kläger bis einschließlich September 2002 vom Landkreis Emmendingen und ab
05.05.2003 von der Stadt F. Sozialhilfe erhielt, nicht nachvollziehbar.
31 Weitere Umstände sprechen dafür, dass der Kläger seinen dauernden Aufenthalt nicht in Hamburg hatte: Er
war weiterhin mit Nebenwohnsitz in W. gemeldet, obwohl er angeblich nie dort übernachtete und nicht mit
seinen Frauen sprach. Mit Verfügung vom 09.10.2001 war der Kläger in die gemeindliche
Obdachlosenunterkunft in W. eingewiesen worden, diese Verfügung wurde erst zum 29.08.2003 aufgehoben.
Nicht plausibel ist des weiteren, warum der mittellose Kläger gerade nach Hamburg gezogen sein sollte, obwohl
seine Kinder in F. und W. wohnten, so dass der kranke Kläger lange Fahrten und hohe Kosten hätte in Kauf
nehmen müssen, um seine Kinder - wie angeblich geschehen - zu besuchen. Mit welchen Zügen und mit
welchen Fahrkarten und wie oft der Kläger angeblich in den Raum F. fuhr, konnte er nicht plausibel darlegen.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, er könne sich nicht mehr erinnern, ob er (bei
Besuchen) am selben Tag zurückgefahren sei; wie oft er von Hamburg nach F. gefahren sei, wisse er nicht; er
wisse auch nicht, ob es jede Woche oder jeden Monat gewesen sei; er sei manchmal drei oder vier Tage bei
seinen Kindern gewesen; es sei nicht so, dass er am Samstag gekommen und am Sonntag schon wieder
gefahren sei. In der eidesstattlichen Versicherung vom 04.05.2005 hat der Kläger erklärt, in Hamburg habe er
eine gute Möglichkeit gehabt, zu wohnen und zu leben. In der mündlichen Verhandlung hat er hingegen
angegeben, er habe eine Wohnung gesucht, aber keine gefunden; Anfang des neunten Monats habe er sich
dann wegen einer Wohnung an B. gewandt. Auch das Argument, er sei nach Hamburg gezogen, um Abstand
zu gewinnen bzw. um möglichst weit weg zu sein, überzeugt angesichts der angeblich wiederholten Besuche
des Klägers bei seinen Kindern nicht. Auch nach seinen eigenen Angaben hat der Kläger kurze Zeit nach
Erhalt der Einbürgerungsurkunde nicht (mehr) in Hamburg gelebt. In der mündlichen Verhandlung hat er erklärt,
er meine, er sei im Jahre 2003 im fünften oder sechsten oder vierten Monat von Hamburg wieder
zurückgekehrt. Gegenüber dem Sozialamt F. hat der Kläger angegeben, er habe ab 01.05.2003 eine Wohnung
in F. gemietet. Unter dem am 05.05.2003 gestellten Sozialhilfeantrag steht „K., 03.05.03“. Auf Vorhalt hat der
Kläger in der mündlichen Verhandlung erklärt, es sei nicht richtig, dass K. als Ausstellungsort angegeben sei;
wer das Wort K. eingetragen habe, wisse er nicht; in dem Antrag stamme nur die Unterschrift von ihm, er sei
doch nicht verrückt, er schreibe doch nicht K., wenn er in F. einen Antrag stelle. Der Umstand, dass der Antrag
offenbar in W., Ortsteil K., ausgefüllt wurde, spricht dafür, dass der Kläger damals bei seinen Frauen in W.
lebte und nicht von Hamburg nach F. zog.
32 Auch aufgrund der Angaben des Zeugen B. hat die Kammer nicht die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger
zur Zeit der Einbürgerung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Hamburg hatte. Der Aussage des Zeugen ist nicht
eindeutig zu entnehmen, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt auf absehbare Dauer in Hamburg hatte.
Zwar hat der Zeuge angegeben, der Kläger sei auch sehr oft eine ganze Woche in Hamburg gewesen; er habe
ja auch noch andere Verwandte in Hamburg gehabt. Der Zeuge hat aber auch erklärt, der Kläger sei ab und zu
von Hamburg weggefahren, er sei in F. oder Lübeck gewesen, manchmal sei er auch eine ganze Woche
weggewesen. Zudem bestehen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Er hat angegeben, er habe dem
Kläger jede Woche etwa 50,-- EUR Taschengeld gegeben. Hingegen hat der Kläger in der mündlichen
Verhandlung u. a. ausgeführt, ob ihm der Zeuge auch Geld gegeben habe, daran könne er sich nicht erinnern.
Es liegt aber nahe, dass sich der Kläger erinnern würde, wenn der Zeuge ihm jede Woche etwa 50,-- EUR
Taschengeld gegeben hätte.
33 Die Zeugin F. konnte nicht bestätigen, dass der Kläger zur Zeit der Einbürgerung seinen dauernden Aufenthalt
in Hamburg hatte. Sie hat angegeben, sie wisse nichts darüber, ob er in Hamburg gewesen sei. Der Zeugin
kann aber auch nicht geglaubt werden, dass der Kläger nach einem Streit um Geld weggegangen und nicht
wieder in die eheliche Wohnung in W. zurückgekommen ist bzw. nicht mehr dort übernachtet hat. Die
Erklärung, der Kläger lebe von seiner Ehefrau seit 05.09.2002 dauernd getrennt, wurde am 24.03.2003 in W.
von der Zeugin F. und vom Kläger unterzeichnet. Der Kläger muss also mit der Zeugin gesprochen und mit ihr
beim Amt für öffentliche Ordnung gewesen sein. Am 23.10.2003 haben F. und der Kläger bei W. eine Erklärung
unterzeichnet, in der es heißt, sie lebten seit 23.10.2003 nicht mehr getrennt. Ab diesem Tag wurde der Kläger
auch wieder in die Obdachlosenunterkunft W. eingewiesen. Vom Sozialamt des Landkreises Emmendingen
erhielten die Zeugin, der Kläger und ihre Kinder ab Oktober 2003 wieder als Bedarfsgemeinschaft Sozialhilfe.
Der Kläger beantragte am 15.04.2004 und am 24.09.2004 für die Bedarfsgemeinschaft die Gewährung von
Bekleidungsgeld. In einem Aktenvermerk des Sozialamts des Landkreises Emmendingen heißt es, bei einem
Hausbesuch am 02.11.2004 habe der Kläger angegeben, er habe zwei Ehefrauen und besitze in jedem
Stockwerk ein Schlafzimmer mit Doppelbett. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger auf Frage erklärt,
im Oktober 2003 habe er eine Erklärung abgegeben, dass er nicht mehr von seiner Frau F. getrennt lebe, er
habe sie um Verzeihung gebeten, sie hätten sich kurz vertragen, er habe sich damals auch in W. angemeldet;
als es um das Geld gegangen sei, hätten sie sich erneut gestritten. Somit ist aufgrund der Aussage der Zeugin
F. auch nicht bewiesen, dass der Kläger seit 2002 nicht in W. gelebt hat.
34 Auch die Zeugin Y. hat nicht bestätigt, dass der Kläger im Zeitpunkt der Einbürgerung in Hamburg gelebt hat.
Zwar hat sie angegeben, er sei seit etwa fünf Jahren weg, sie hat aber zugleich ausgeführt, sie wüsste nicht,
wo er hingegangen sei. Die Angabe der Zeugin, sie und der Kläger hätten seit fünf Jahren ununterbrochen
getrennt gelebt, ist zudem unglaubwürdig. Wie oben ausgeführt, bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür,
dass der Kläger jedenfalls von Oktober 2003 bis April 2005 in häuslicher Gemeinschaft mit F. und Y. in W.
gelebt hat. Zudem hat der Kläger in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 04.05.2005 angegeben, er wohne
mit seiner Frau Y. in Freiburg. In einem von Y. unterzeichneten Antrag auf Gewährung von Leistungen nach
dem SGB II vom 18.04.2005 wird der Kläger als Partner in eheähnlicher Lebensgemeinschaft bezeichnet.
Entsprechend bewilligte die Arbeitsgemeinschaft Freiburg mit an Y. adressiertem Bescheid vom 18.05.2005
Leistungen auch für den Kläger als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Die Einlassung des Klägers, er habe
sich ohne Zustimmung von Y. unter deren Anschrift angemeldet, ist nicht nachvollziehbar. Nach Auskunft des
Einwohnermeldeamts W. hatte der Kläger zudem am 18.10.2007 seinen Zweitwohnsitz unter der Anschrift von
Y. in W. Auch dies spricht gegen ein dauerndes Getrenntleben seit 2002.
35 Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger selbst durch bewusste Täuschung die
Einbürgerung herbeigeführt hat, dass es sich also um eine „erschlichene“ Einbürgerung handelt. Denn der
Kläger hat wahrheitswidrig behauptet, er wohne in Hamburg, um die Einbürgerung durch die dortige Behörde zu
erwirken. Die falsche Angabe zum Wohnsitz war kausal dafür, dass die Stadt Hamburg den Kläger eingebürgert
hat. Es handelt sich daher bei der Rücknahme der Einbürgerung um einen vom Bundesverfassungsgericht so
bezeichneten „Regelfall der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände“, der sich unter dem Gesichtspunkt der
Vorhersehbarkeit und des Vertrauensschutzes sowie unter den Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie
„rechtsstaatlich wie demokratisch unbedenklich durch Anwendung des § 48 LVwVfG“ lösen lässt (vgl. BVerfG,
a. a. O.).
36 Da aufgrund der Täuschung über den Aufenthalt des Klägers in Hamburg die Rücknahmemöglichkeit nach § 48
LVwVfG eröffnet ist, kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen für die Rücknahme auch aufgrund anderer
vom Beklagten genannter Gesichtspunkte gegeben sind.
37 Der Beklagte hat das ihm gemäß § 48 LVwVfG eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Das Landratsamt
Emmendingen hat erkannt, dass die Rücknahme im Ermessen der zuständigen Behörde liegt. Es hat
ausgeführt, der Kläger werde durch die Einbürgerung nicht staatenlos, seine Integration habe nicht einen Stand
erreicht, der es als unzumutbare Härte erscheinen ließe, in Deutschland wieder als Ausländer zu leben.
Vielmehr seien seine Sprachkenntnisse so gewesen, dass ein Ausschlussgrund nach § 86 Nr. 1 AuslG zu
bejahen gewesen wäre. Auf Vertrauensschutz könne er sich nicht berufen, da er alle Gründe für die
Rücknahme seiner Einbürgerung selbst gesetzt und dabei keineswegs aus Unwissenheit gehandelt habe. Im
Hinblick darauf, dass die Einbürgerung erst vor gut zwei Jahren erfolgt sei, sei es auch gerechtfertigt, die
Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit zu erklären. Im Widerspruchsbescheid wird weiter ausgeführt:
Der Kläger erfülle weder aktuell noch nach der Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes in der Fassung seit
dem 01.01.2005 die Einbürgerungsvoraussetzungen, da er weiterhin die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr.
2 StAG erfülle und daher weder eine Einbürgerung nach § 8 noch nach § 10 StAG möglich wäre. Es werde
nicht verkannt, dass der Kläger sich seit 1993 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Eine Ausweisung habe
der Kläger als Asylberechtigter auch nach Rücknahme der Einbürgerung nicht zu fürchten, so dass ein
Aufenthalt in Deutschland unabhängig von der deutschen Staatsangehörigkeit gesichert sei. Von den übrigen
Mitgliedern der Familie besitze nach Aktenlage keines die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Frage des
Grundsatzes der einheitlichen Staatsangehörigkeit zugunsten der deutschen Staatsangehörigkeit innerhalb der
Familie sei daher nicht zu prüfen.
38 Es ist nicht erkennbar, dass der Beklagte schutzwürdige Belange des Klägers verkannt hat (vgl. VGH Bad.-
Württ., Urt. v. 09.08.2007, a. a. O.; Hamb. OVG, Beschl. v. 28.08.2001, NVwZ 2002, 885; Nieders. OVG, Urt.
v. 13.07.2007, a. a. O.; Engst, Die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte am Beispiel der Einbürgerung,
JuS 2007, 225).
39 Insbesondere ist die Ermessensentscheidung nicht deshalb fehlerhaft, weil im Zeitpunkt der
Rücknahmeentscheidung eine Einbürgerung rechtlich möglich gewesen wäre. Es kann offen bleiben, ob ein zu
diesem Zeitpunkt bestehender Anspruch auf Einbürgerung der Rücknahme überhaupt entgegenstünde (vgl.
Hamb. OVG, a. a. O.; Nieders. OVG, Urt. v. 22.10.1996, NdsRpfl. 1997, 85; Nieders. OVG, Urt. v. 13.07.2007,
a. a. O.). Jedenfalls hatte der Kläger im Zeitpunkt der Rücknahme wohl keinen Anspruch auf Einbürgerung,
weil er nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügte. Nach § 10 StAG in der vom
18.03.2005 bis 27.08.2007 gültigen Fassung ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen
gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern. Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10
besteht aber nicht, wenn der Ausländer nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt (§
11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Der Kläger war bei mehreren Sprachtests gescheitert. In einem Aktenvermerk des
Sozial- und Jugendamts F. vom 12.05.2005 heißt es, die Verständigung sei äußerst schwierig, da die
Deutschkenntnisse des Klägers sehr schlecht seien; in einem Aktenvermerk vom 20.05.2003 wird ausgeführt,
der Kläger habe am 20.05.2003 zusammen mit Herrn D. vorgesprochen; Herr D. helfe bei der Übersetzung, da
der Kläger sehr schlecht Deutsch spreche. In einem Aktenvermerk der Arbeitsgemeinschaft F. über eine
persönliche Vorsprache am 13.11.2006 heißt es: Der Kläger spreche sehr schlecht Deutsch. Daher sei sein
Sohn als Übersetzer mitgekommen. In der mündlichen Verhandlung am 14.11.2007 wurde die Anhörung des
Klägers zunächst in deutscher Sprache durchgeführt. Die Verständigung mit dem Kläger war sehr mühsam. Es
war nur sehr schwer möglich, seine Ausführungen zu verstehen. Daher wurden nach einer gewissen Zeit die
Fragen des Gerichts von der Dolmetscherin in die kurdische Sprache übersetzt und der Kläger antwortete auf
Kurdisch. Zur Überzeugung der Kammer hat sich ergeben, dass der Kläger nicht zu ausreichender
Kommunikation in deutscher Sprache fähig ist und dass er sich im täglichen Leben, aber auch im Rahmen der
üblichen Kontakte mit Behörden in seiner deutschen Umgebung sprachlich nicht zurechtfinden und dass mit
ihm ein seinem Alter und Bildungsstand entsprechendes Gespräch nicht geführt werden kann (vgl. hierzu VGH
Bad.-Württ., Urt. v. 12.01.2005, VBlBW 2006, 70; BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, DVBl 2006, 922).
40 Die Aufforderung an den Kläger, dem Landratsamt Emmendingen nach Bestands- bzw. Rechtskraft der
Entscheidung die Einbürgerungsurkunde, seinen deutschen Reisepass und seinen Bundespersonalausweis
auszuhändigen, ist ebenfalls rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die Aufforderung ist § 52 Satz 1 LVwVfG.
Hiernach kann die Behörde, wenn ein Verwaltungsakt unanfechtbar widerrufen oder zurückgenommen oder
seine Wirksamkeit aus einem anderen Grund nicht oder nicht mehr gegeben ist, die aufgrund dieses
Verwaltungsaktes erteilten Urkunden oder Sachen, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt
oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückfordern. Diese Voraussetzungen liegen - nach der Änderung der
Rückgabeaufforderung im Widerspruchsbescheid - vor.
41 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.