Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 21.06.2005

VG Frankfurt: grundsatz der gleichbehandlung, pflicht zur duldung, entstehung der forderung, behörde, grundsteuer, zwangsvollstreckung, grundstück, erlass, zwangsverwaltung, gemeinschuldner

Gericht:
VG Frankfurt 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 E 3451/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Leitsatz
1. Über die Klage darf der Einzelrichter dann entscheiden, wenn die Kammer ihm die
Entscheidung in dieser Rechtssache übertragen hat. Voraussetzung für die
Übertragung ist u.a., dass die Rechtssache nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Der Umstand grundsätzlicher Bedeutung ist nicht nach der subjektiven Einschätzung
einzelner Verfahrensbeteiligter zu beurteilen, sondern bestimmt sich nach objektiver
Betrachtung. Allein die Tatsache, dass Fälle, die zum Erlass eines bestimmten
Verwaltungsakts führen, sich mehren und die Behörde der Beklagten ein Interesse an
der rechtlichen Qualifizierung der streitigen Maßnahme wegen der Auswirkungen auf
ihre Verwaltungspraxis hat, führt noch nicht zur Grundsätzlichkeit.
2. Für Klagen über die behauptete Rechtswidrigkeit von Duldungsbescheiden gegen die
Insolvenzverwalterin, um eine Absonderung von Grundstücken zu erreichen, sind nicht
die Insolvenzgerichte sondern die Verwaltungsgerichte zuständig, denn bei der
gebotenen Duldung handelt es sich nicht um eine Vollstreckungshandlung eines
Insolvenzgläubigers.
3. Eine Gemeinde kann eine Grundsteuerforderung sowohl (persönlich) verfolgen (und
ist insoweit - wenn die Voraussetzungen im übrigen vorliegen - Insolvenzgläubigerin) als
auch (dinglich), weil sie Berechtigte aus der auf dem Grundstück als öffentliche Last
ruhenden Steuerforderung ist (was zur Absonderung aus des Grundstücks aus ihrer
Stellung als "anderer" Gläubigerin führen kann).
4. Grundstücke und andere Gegenstände, die zum unbeweglichen Vermögen gehören,
kann die Gemeinde selbst durch Antrag auf Zwangsversteigerung oder
Zwangsverwaltung verwerten, falls sie daran durch eine öffentliche Last dinglich
gesichert ist.
5. Der Rechtsbegriff der öffentlichen Last ist allerdings gesetzlich nicht bestimmt. Dabei
muss es sich um eine Abgabenverpflichtung handeln, welche auf öffentlichem Recht
beruht, durch wiederkehrende oder einmalige Geldleistung zu erfüllen ist und nicht nur
die persönliche Haftung des Schuldners, sondern auch die dingliche Haftung des
Grundstücks voraussetzt. Aus der gesetzlichen Regelung des Grundsteuergesetzes
(Die Grundsteuer ruht auf dem Grundstück als öffentliche Last.) geht eindeutig hervor,
dass die Abgabenverpflichtung auf dem Grundstück lastet und nicht nur eine
persönliche Haftung des Abgabenschuldners besteht, sondern auch die dingliche
Haftung des Grundstücks.
6. Der Rechtssatz, wonach der Erlass eines dinglichen Titels (und damit die Möglichkeit,
die Individual-Vollstreckung zu beantragen) nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
nicht mehr zulässig ist, trifft nicht das Vorgehen aus der dinglichen Berechtigung aus
öffentlicher Last, weil zwar der Privatrechte sichernde dingliche Titel regelmäßig die
"private" Last erst schafft (Grundbucheintrag), die öffentliche Last aber bereits seit
Entstehung der Steuerforderung (ohne Eintragung im Grundbuch) vorhanden ist.
7. Zur Duldung verpflichtet ist derjenige, dessen Verfügungsrecht einer
Vollstreckungsmaßnahme entgegensteht - die materiell-rechtliche Verpflichtung zur
Duldung vorausgesetzt (ohne dass es z.B. beim Insolvenzverwalter auf die Frage einer
Rechtsnachfolge bzw. dem Rechtscharakter seiner Stellung ankommt).
1
2
3
4
5
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Durch Beschluss vom 14.05.2001 (9 a IN 8/01) eröffnet das Amtsgericht F. das
Insolvenzverfahren gegen Herrn A. B., C. Straße 68a, 65812 Bad D. und die Firma
A. B. GmbH, C. Straße 68a, Bad D. und bestellte die Klägerin zur
Insolvenzverwalterin. Teil der Insolvenzmasse über das Vermögen des
Gemeinschuldners persönlich ist Sondereigentum in der P-Straße 42 in E.
(Amtsgericht F., Wohnungsgrundbuch von E., Blätter 4381, 4382, 4337, 4388) und
der GmbH Sondereigentum an der Wohnung Nr. 7 in der M-Straße 23 in G.
(Amtsgericht F., Wohnungsgrundbuch von G., Band 116, Blatt 3687).
Bei der Klägerin meldete die Behörde der Beklagten unter Berufung auf § 174 Abs.
1 InsO Steuer-Forderungen an und berief sich darauf, dass sämtliche Forderungen
"tituliert (rechtskräftig)" seien und dass es sich um Aussonderungsansprüche
handele, die gem. § 52 InsO zur Tabelle nur als Ausfallbeträge geltend gemacht
würden. Sie beantragte die Feststellung der Forderungen.
Mit Duldungsbescheid vom 17.12.2002 verfügte die Behörde der Beklagten die
Duldung der Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin als Insolvenzverwalterin der
GmbH für das Grundstück M-Str. 23, WE 7 und T-Straße 37, Garage Nr. 10 in E.
wegen eines näher aufgeschlüsselten Gesamt-Betrages von 599,41 Euro für
Grundsteuer B für das Jahr 2000 und 2001. Mit einem weiteren Duldungsbescheid
vom gleichen Tage nahm die Behörde der Beklagten die Klägerin als
Insolvenzverwalterin des Steuerschuldners persönlich für das Grundstück P-Straße
42, WE 1, 2, 7 und TE 8 in E. wegen eines näher aufgeschlüsselten Gesamt-
Betrages von 501,33 Euro für Grundsteuer B für das Jahr 2000 und 2001 in
Anspruch.
Sie begründete die Bescheide im wesentlichen damit, dass die
Grundsteuerforderungen ihre Grundlage in der der GmbH und dem
Steuerschuldner persönlich zugegangenen Abgabenbescheide vom 15.01.2000
bzw. vom 01.02.2001 haben, denn gem. § 12 Grundsteuergesetz ruhe die
Grundsteuer auf den Grundstücken als öffentliche Last. Als Vermögensverwalterin
nach § 34 Abs. 3 der Abgabeordnung (AO) sei sie nach § 77 Abs. 1 AO verpflichtet,
die Zwangsvollstreckung in den von ihr verwalteten Grundbesitz zu dulden.
Deshalb könne sie auch nach § 191 Abs. 1 AO in Anspruch genommen werden.
Weiter führt die Behörde aus, die Verwirklichung der Steueransprüche durch
Inanspruchnahme des jeweiligen Steuerschuldners habe nicht zum Erfolg geführt.
Da die Behörde der Beklagten den gesetzlichen Auftrag habe, Steuerausfälle zu
verhindern und demzufolge ihre Forderungen vollständig und rechtzeitig
einzuziehen. Da dies infolge der Insolvenzverfahren gegen die Steuerschuldner
nicht verwirklicht werden konnte und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens allein
der Insolvenzverwalter die Verfügungsbefugnis inne habe, sei es
ermessensgerecht, die Klägerin als Insolvenzverwalterin vollem Umfang -
hinsichtlich der gesamten Steuerschuld - durch Duldungsbescheid in Anspruch zu
nehmen.
Dagegen richteten sich die Widersprüche, die die Klägerin damit begründete, dass
die angegriffenen Bescheide rechtswidrig seien. Im einzelnen führte sie aus:
Gemäß § 251 Abs. 2 AO blieben die Vorschriften der Insolvenzordnung in Hinblick
auf vollstreckbare Verwaltungsakte unberührt. Die Insolvenzordnung sehe in § 89
InsO vor, dass Zwangsvollstreckung eines Insolvenzgläubigers während der Dauer
des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige
Vermögen des Schuldners zulässig sind. Nach § 89 InsO sei ebenfalls unstatthaft
das Verwaltungsvollstreckungsverfahren wegen rückständiger Steuern oder
sonstiger öffentlich-rechtlicher Forderungen, wenn Forderungen den Status von
6
7
8
9
10
11
12
sonstiger öffentlich-rechtlicher Forderungen, wenn Forderungen den Status von
Insolvenzforderungen und nicht von so genannten Masseverbindlichkeiten hätten
(Breuer in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, § 89 Rn. 14). Bei den
rückständigen Grundsteuerforderungen handele es sich um Insolvenzforderungen.
Während sich die Frage der Entstehung der Steuerschuld genau wie deren Höhe
nach steuerrechtlichen Grundsätzen richtet (§ 38 AO), beurteile sich die Frage, ob
es sich bei den jeweiligen Forderungen um solche nach § 38 InsO handele, nach
insolvenzrechtlichen Wertungen (BFH ZIP 1993,1892; BFHE 115, 307; 114, 164).
Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO seien Forderungen, die zur Zeit der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Schuldner begründet gewesen
waren. Begründet sei eine Forderung, wenn der Rechtsgrund der Entstehung der
Forderung im Augenblick vor Verfahrenseröffnung bereits gelegt gewesen war, und
der anspruchsbegründende Tatbestand vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
materiell-rechtlich abgeschlossen war (BGHZ 72, 263). Eine Steuerforderung
könne daher im Sinne des § 38 AO schon begründet sein, obwohl sie im Sinne des
§ 218 AO noch nicht entstanden ist (BFH NJW 1956, 1775). Der Bundesfinanzhof
stellt für das Vorliegen als Insolvenzforderung regelmäßig darauf ab, ob der
Schuldrechtsorganismus, aus welchem sich der Anspruch ergebe, bereits vor
Verfahrenseröffnung geschaffen sei (BFH ZIP 1987, 1919, ZIP 1987, 723, ZIP 1993,
1892).
Die Grundsteuer wurde nach § 9 Abs. 1 Grundsteuergesetz nach den
Verhältnissen zu Beginn des Kalenderjahres festgesetzt. Die Steuer entstehe
daher mit dem Beginn des Kalenderjahres, für das die Steuer festzusetzen ist (§ 9
Abs. 2 Grundsteuergesetz). Grundlage der durch die Behörde erlassenen
Duldungsbescheide seien die Grundsteuerfestsetzungen aus dem Jahr 2000 und
2001. Die Insolvenzverfahren über das Vermögen des Gemeinschuldners und das
der GmbH seien aber mit Beschluss vom 14.05.2001 eröffnet worden. Damit seien
die den Duldungsbescheiden zu Grunde liegenden rückständigen Grundsteuern
bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Die Steuerforderungen
hätten damit den Status von Insolvenzforderungen. Die erlassenen
Duldungsbescheide seien Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung und deshalb
unstatthaft. Die rückständigen Grundsteuerforderungen könnten somit lediglich
zur Insolvenztabelle angemeldet werden, eine bevorrechtigte Befriedigung von
Steuerforderungen sehe die Insolvenzordnung nicht vor. Die Duldungsbescheide
vom 17.12.2002 seien damit als rechtswidrig aufzuheben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.06.2003 wies der Magistrat der Beklagten die
Widersprüche im wesentlichen unter Wiederholung der in den Duldungsbescheiden
ausgeführten Gründe als unbegründet zurück.
Mit am 18.7.2003 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Klage
erhoben. Sie will die Aufhebung der Bescheide erreichen und begründet die Klage
wie folgt:
Der Rechtsstreit müsse an das zuständige Insolvenzgericht verwiesen werden,
denn der Verwaltungsrechtsweg sei nicht eröffnet. Nach § 89 Abs. 3 InsO
entscheide das Insolvenzgericht über Einwendungen, die auf Grund des § 89 Abs. 1
und Abs. 2 InsO gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung (dazu gehöre
auch die Verwaltungsvollstreckung) erhoben werden. Die Verwaltungsvollstreckung
öffentlich-rechtlicher Forderungen in die Insolvenzmasse sei während der Dauer
des Insolvenzverfahrens unstatthaft (Breuer in Münchener Kommentar zur
Insolvenzordnung, 2002, § 89 Rn. 14).
Sollte sich dass Verwaltungsgericht trotzdem für zuständig erachten, hält die
Klägerin die vorliegende Klage für begründet. Die Duldungsbescheide in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides seien aufzuheben, da sie rechtswidrig seien
und die Klägerin in ihren Rechten verletzt sei.
1. Gemäß § 251 Abs. 2 AO blieben die Vorschriften der Insolvenzordnung im
Hinblick auf vollstreckbare Verwaltungsakte unberührt. Nach der Insolvenzordnung
sei die Zwangsvollstreckung für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer
des Insolvenzverfahrens in die Insolvenzmasse nicht zulässig (§ 89 Abs. 1 InsO).
Insolvenzgläubiger könnten ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das
Insolvenzverfahren verfolgen (§ 87 InsO). Der das Insolvenzverfahren
beherrschende Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger verbiete es, dass
sich einzelne Insolvenzgläubiger noch während des eröffneten Insolvenzverfahrens
durch einen Sonderzugriff auf das Vermögen des Schuldners ein besseres Recht
auf Befriedigung verschaffen als die übrigen. Da das Insolvenzverfahren die
13
14
15
16
auf Befriedigung verschaffen als die übrigen. Da das Insolvenzverfahren die
gemeinschaftliche, anteilsmäßige Befriedigung aller persönlichen Gläubiger des
Gemeinschuldners bezweckt, könne es einzelnen Gläubigern nicht gestattet
werden, neben der Gesamtvollstreckung für sich persönlich noch Vollstreckungen
in das Vermögen des Schuldners vorzunehmen (Uhlenbruck, Insolvenzordnung,
Kommentar 2003, § 89 Rn. 1). Eine Ausnahme bestehe lediglich, wenn Gläubiger
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam ein Aus- oder Absonderungsrecht
erlangt haben. Ein Absonderungsrecht gemäß § 49 InsO zu Gunsten der Beklagten
bestehe aber nicht.
Ein Recht zur abgesonderten Befriedigung wegen öffentlicher Grundstückslasten
werde nur dann im Rang nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG bedient, wenn es nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer Zwangsversteigerung oder
Zwangsverwaltung komme. Außerhalb der Zwangsverwaltung und des
Zwangsversteigerungsverfahrens seien öffentliche Lasten einfache
Insolvenzforderungen (OLG Hamm NJW-RR 1994, 469 (470); Ganter in Münchener
Kommentar, 2002, § 49 Rn. 4, 53). Es steht nicht im Einklang mit der
Insolvenzordnung dass Gläubiger, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens
keinen dinglichen Titel haben, diesen gegenüber dem Insolvenzverwalter durch
Hoheitsakt erlassen könnten. Würde man diese rechtliche Möglichkeit einräumen,
könnte der Gläubiger allein durch die Ankündigung, einen dinglichen Titel erlassen
zu wollen, den Insolvenzverwalter dazu drängen, die Forderung abzulösen. Denn
der dingliche Titel und damit das Recht, Antrag auf Anordnung der
Zwangsversteigerung zu stellen, könnte die für die Insolvenzmasse zumeist
erstrebenswertere freihändige Veräußerung verhindern. Das aber wolle die
Behörde der Beklagten durch ihre Aufforderung zur Ablösung und damit zur
vollständigen Befriedigung ihrer Forderung erreichen. Auf diese vollständige
Befriedigung habe die Behörde der Beklagten aber als Insolvenzgläubigerin keinen
Anspruch, denn es widerspräche den in § 1 InsO festgelegten Zielsetzungen, wenn
nicht durch dingliche Titel gesicherte Gläubiger auf Grund ihrer hoheitlichen
Befugnisse ihre rechtlichen Positionen noch nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens zum Nachteil der Gläubigergemeinschaft verbessern könnten.
Die in der Konkursordnung noch normierte Privilegierung einzelner öffentlich-
rechtlicher Forderungen (vgl. § 59 KO) hat in der Insolvenzordnung keinen
Niederschlag gefunden. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich davon Abstand
genommen öffentlich-rechtliche Forderungen zu bevorzugen. Die
Ungleichbehandlung, zu welcher die Einräumung eines Rechts auf Erlass eines
Duldungsbescheides nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens führen würde, zeige
sich, wenn man den bereits auf Grund dinglichen Titels im Grundbuch
eingetragenen Gläubiger mit der Beklagten vergleicht. Ist das Recht eines
Gläubigers auf der Grundlage eines dinglichen Titels einen Monat vor dem Antrag
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Grundbuch eingetragen worden, so ist
diese Sicherung mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 88 InsO
unwirksam. Es sind keine Gründe ersichtlich, die die Besserstellung der Beklagten
im Insolvenzverfahren im Verhältnis zu anderen Gläubigem rechtfertigten.
2. Wenn das Gericht die Statthaftigkeit des Duldungsbescheides bejahe, so wäre
der Duldungsbescheid rechtswidrig, weil die Grundverwaltungsakte jedenfalls nicht
gegenüber der Klägerin wirksamen geworden seien. Grundlage der
Duldungsbescheide vom 17.12.2002 seien die Abgabenbescheide vom 15.1.2000
und 01.02.2001, die gegenüber dem Gemeinschuldner und der GmbH ergangen
seien.
Gemäß § 10 Grundsteuergesetz sei Schuldner der Grundsteuer derjenige, dem der
Steuergegenstand bei Festsetzung des Einheitswertes zugerechnet ist. Schuldner
der Forderungen der Beklagten sind damit der Gemeinschuldner sowie die GmbH.
Da die Grundverwaltungsakte, die dem Duldungsbescheid zu Grunde lägen, sich
gegen den Gemeinschuldner und die GmbH richteten, sei die Steuerfestsetzung
nicht gegenüber der Klägerin wirksam. Das Ziel der Wirksamkeit könne auch nicht
durch die Konstruktion der Rechtsnachfolge erreicht werden. Nach der vom
Bundesgerichtshof vertretenen Auffassung übt der Insolvenzverwalter ein privates
Amt aus. Er ist Amtstreuhänder, der materiell wie prozessual im eigenem Namen,
mit Wirkung für und gegen die Masse handelt (Graeber in Münchener Kommentar
zur Insolvenzordnung, 2001, § 56 Rn. 107; BGH ZIP 1991, 324). Aus dieser Stellung
heraus könne ein gegenüber dem Gemeinschuldner erlassener Verwaltungsakt
nicht Grundlage für einen Duldungsbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter
sein.
Die Klägerin beantragt,
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
die Duldungsbescheide vom 17.12.2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 17.6.2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf ihre bisherigen Ausführungen in dem Verwaltungs- und
Vorverfahren.
Die Behördenakten haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden.
Die Kammer hat den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
Entscheidungsgründe
Über die Klage darf der Einzelrichter entscheiden, weil die Kammer ihm die
Entscheidung in dieser Rechtssache übertragen hat. Die Rechtssache ist entgegen
der Ansicht der Beklagten nicht von grundsätzlicher Bedeutung und bedarf
deshalb auch nicht der Entscheidung durch die Kammer. Der Umstand
grundsätzlicher Bedeutung ist nicht nach der subjektiven Einschätzung einzelner
Verfahrensbeteiligter zu beurteilen, sondern bestimmt sich nach objektiver
Betrachtung. Allein die Tatsache, dass sich Insolvenzen mehren und die Behörde
der Beklagten ein gewisses Interesse an der rechtlichen Qualifizierung der
Grundsteuerforderungen als absonderungsberechtigte Forderungen wegen ihrer
Eigenschaft als öffentlicher Last oder als bloße Insolvenzforderungen wegen der
Auswirkungen auf ihre Verwaltungspraxis hat, führt noch nicht zur Einschätzung
der Grundsätzlichkeit.
Auch der Rechtsweg zu dem Verwaltungsgericht ist gegeben. Gegenstand des
Klagebegehrens ist die behauptete Rechtswidrigkeit von Duldungsbescheiden, die
möglicherweise Voraussetzung für eine Vollstreckung sind, aber noch nicht eine
Maßnahme der Vollstreckung darstellen. Nur wenn dies der Fall wäre, wäre
möglicherweise das Insolvenzgericht für den Streit als Insolvenzsache zuständig
(Braun, InsO, Komm., 2002, § 2 Rn. 6). Die Klägerin geht rechtsirrigerweise von
einer Vollstreckungshandlung durch den Erlass der Duldungsbescheide aus und
hält §§ 87 und 89 Abs. 1 InsO folglich für gegeben. Sie argumentiert, nach der
Insolvenzordnung sei die Zwangsvollstreckung für einzelne Insolvenzgläubiger
während der Dauer des Insolvenzverfahrens in die Insolvenzmasse nicht zulässig
und der Erlass der Duldungsbescheide sei eine Vollstreckungshandlung, denn die
Duldungsbescheide stellten eine Maßnahme ähnlich der (Vollstreckungs-)
Klauselerteilung bei einem Vollstreckungstitel nach der ZPO dar. Die Vollstreckung
beginnt aber erst dann, wenn eine Maßnahme nach §§ 259 AO ff. oder §§ 18 ff.
HessVwVG eingeleitet wird. Das ist beim Erlass eines Duldungsbescheides nicht
der Fall. Sowohl § 254 AO (Die Vollstreckung darf erst beginnen, wenn der
Vollstreckungsschuldner zur Duldung aufgefordert ist) als auch § 20 HessVwVG
setzen die Pflicht zur Duldung bzw. deren bestandskräftiger Feststellung voraus
(vgl. auch Oberverwaltungsgericht Bremen, 24.03.1992 - 1 BA 33/91 - m.w.N.;
juris). Gegen den steuerrechtlichen Duldungsbescheid nach § 191 AO einer
Gemeinde ist daher der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO gegeben
(Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 18.05.1995 - 4 B 90.3395 -; juris).
Die Klage ist aber nicht begründet, weil die angegriffenen Bescheide nicht
rechtswidrig sind und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 113
Abs. 1 VwGO).
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird wegen der Einzelheiten der Begründung
auf die zutreffenden Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid verweisen (§ 117
Abs. 5 VwGO).
Gegenstand des Klagebegehrens ist im vorliegenden Verfahren die behauptete
Rechtswidrigkeit der Duldungsbescheide, weil die Individual-Vollstreckung durch die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens (als einer kollektiven Vollstreckung) verboten
sei. Das ist aber nicht richtig, wie sich allein bereits aus § 49 InsO (= Abgesonderte
Befriedigung aus unbeweglichen Gegenständen) ergibt. Danach sind Gläubiger,
denen ein Recht auf Befriedigung aus Gegenständen zusteht, die der
Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen (unbewegliche
Gegenstände), nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und
28
29
30
31
32
33
34
Gegenstände), nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und
die Zwangsverwaltung zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Hier wird die
Individual-Vollstreckung trotz des im übrigen bestehenden Insolvenzverfahrens -
wie im übrigen auch in einigen anderen Fällen - ausdrücklich zugelassen.
Diese Individual-Vollstreckung (in der Literatur auch häufig
Einzelzwangsvollstreckung genannt) wird auch nicht durch § 89 Abs. 1 InsO
gesperrt. Danach sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger
während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in
das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Nach dem Wortlaut der
Vorschrift sind damit aber nur die "Insolvenz"gläubiger gemeint und nicht die in §
49 InsO erwähnten anderen Gläubiger. Die von der Klägerin zur Stützung ihrer
Ansicht zitierte Entscheidung (des OLG Hamm NJW-RR 1994, 469) geht gerade von
dieser Unterscheidung aus. Die Beklagte kann nämlich "dinglich" als Berechtigte
aus der öffentlichen Last vorgehen (dies regelt § 49 InsO) wie auch als "persönlich"
Berechtigte, nämlich als Berechtigte aus der Steuer-Forderung. Wählte sie
letzteres, wäre sie Insolvenzgläubigerin (§ 89 InsO). Ein solches Vorgehen ist aber
nicht Gegenstand der angegriffenen Bescheide.
Die angegriffenen Bescheide gehen vielmehr von der dinglichen Berechtigung auf
Grund der als öffentlichen Last bestehenden Grundsteuer aus. Ob eine
Abgabenverpflichtung die Eigenschaft einer öffentlichen Last hat, beurteilt sich
nach der gesetzlichen Regelung, auf der die Verpflichtung beruht.
Der Rechtsbegriff der öffentlichen Last ist allerdings gesetzlich nicht bestimmt. Er
wird nach allgemeiner Ansicht dahin verstanden, dass es sich um eine
Abgabenverpflichtung handeln muss, welche auf öffentlichem Recht beruht, durch
wiederkehrende oder einmalige Geldleistung zu erfüllen ist und nicht nur die
persönliche Haftung des Schuldners, sondern auch die dingliche Haftung des
Grundstücks voraussetzt (so der BGH 27.11.1970, V ZR 52/68, LM § 10 ZVG Nr. 3
und die überwiegende Literatur zur früheren Konkursordnung). Grundlage dafür ist
das öffentliche Recht des Bundes, hier das Grundsteuergesetz. Aus der
gesetzlichen Regelung geht eindeutig hervor, dass die Abgabenverpflichtung auf
dem Grundstück lastet und nicht nur eine persönliche Haftung des
Abgabenschuldners besteht, sondern auch die dingliche Haftung des Grundstücks.
Die Behörde benötigt zur Vollstreckung keinen Titel i.S. einer amtlichen oder
gerichtlichen "Verbriefung" ihres Rechts, denn die öffentliche Last besteht seit ihrer
Entstehung als dingliche Belastung. Der von der Klägerin behauptete Rechtssatz,
der Erlass eines dinglichen Titels und damit die Möglichkeit, die
Zwangsvollstreckung zu beantragen, sei nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
nicht mehr zulässig, ist richtig. Er betrifft aber nicht den vorliegenden Fall, weil der
Privatrechte sichernde dingliche Titel regelmäßig die "private" Last erst schafft
(Grundbucheintrag), während die öffentliche Last ohne Eintragung im Grundbuch
seit ihrer Entstehung vorhanden ist. Aus diesem Grund ist § 89 Abs. 1 InsO nicht
einschlägig.
Deshalb geht der Fachverband der Kommunalkassenverwalter in seiner
Musterdienstanweisung zum Regelinsolvenzverfahren (überarbeitete Version v.
26.04.2002) zutreffend von folgendem aus: "Ist die Forderung der kommunalen
Körperschaft dinglich gesichert (§ 49), z.B. durch eine Grundschuld, ein
Pfändungspfandrecht oder Sicherungseigentum, so wird die kommunale
Körperschaft auf Antrag aus dem belasteten Gegenstand der Insolvenzmasse
gesondert befriedigt. Ein Absonderungsrecht gewähren auch kommunale
Forderungen, die als öffentliche Last auf einem Grundstück ruhen (z.B.
Grundsteuer und Erschließungsbeiträge). Daneben ist die kommunale
Körperschaft mit ihrer schuldrechtlichen Forderung Insolvenzgläubiger.
Grundstücke und andere Gegenstände, die zum unbeweglichen Vermögen
gehören, kann die Kommune selbst durch Antrag auf Zwangsversteigerung oder
Zwangsverwaltung verwerten, falls sie daran durch ein Grundpfandrecht oder eine
öffentliche Last dinglich gesichert ist. Gegen den Insolvenzverwalter ist zuvor ein
Duldungsbescheid zu erlassen oder ein Urteil zu erwirken."
Auch die Berufung auf das Argument, ein gegenüber dem Gemeinschuldner
erlassener Verwaltungsakt (Steuerbescheid) könnten nicht Grundlage für einen
Duldungsbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter sein, weil dieser
Amtstreuhänder und nicht Rechtsnachfolger sei, verfängt nicht. Zur Duldung
verpflichtet ist immer derjenige, dessen Verfügungsrecht einer
Vollstreckungsmaßnahme entgegensteht - die materiell-rechtliche Verpflichtung
35
36
Vollstreckungsmaßnahme entgegensteht - die materiell-rechtliche Verpflichtung
zur Duldung vorausgesetzt (beim Insolvenzverwalter § 77 AO i.V.m. §§ 34 AO und
80 InsO). Dabei kommt es auf die Fragen einer Rechtsnachfolge bzw. dem
Rechtscharakter der Stellung des Insolvenzverwalters nicht an. Ob eine
Duldungsverpflichtung besteht, ist allein dem materiellen Recht zu entnehmen (für
Dritte: in der Abgabenordnung z.B. § 287 Abs. 5 Satz 1, § 191 Abs. 1 S. 1, § 77
Abs. 1).
Da die Klägerin unterlegen ist, hat sie die Verfahrenskosten zu tragen (§ 154 Abs.
1 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten und die
Vollstreckungsabwehrbefugnis sind nach § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. den §§
708 Nr. 11 und 711 ZPO geboten.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.