Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 16.08.2005

VG Frankfurt: widerspruchsverfahren, vorverfahren, selbsthilfe, wiederholung, handelsregister, zuwendung, zuschuss, sicherheitsleistung, vollstreckung, dokumentation

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Gericht:
VG Frankfurt 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 E 1350/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 162 Abs 2 VwGO, § 80 Abs 2
VwVfG
(Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren)
Leitsatz
Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren ist notwendig, wenn dem
Widerspruch wegen eines Vorbringens abgeholfen wurde, das der Widerspruchsführer
bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragen hatte, ohne dass in dem dieses Verfahren
abschließenden ablehnenden Bescheides darauf eingegangen worden ist. In einem
solchen Fall ist auch dem verständigen Bürger nicht ersichtlich, dass die bloße
Wiederholung dieses Vorbringens im Widerspruchsverfahren erfolgreich sein wird.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 29.11.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.03.2005 wird aufgehoben. Die Beklagte wird
verpflichtet, festzustellen, dass in dem Widerspruchsverfahren mit dem
Aktenzeichen 412/10159925 die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes notwendig
war.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Die Hinzuziehung eines
Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten
abwenden, wenn die Beklagte nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin stellte am 06.10.2003 über die zuständige Leitstelle bei der Beklagten
einen Antrag für einen Zuschuss zu einer Unternehmensberatung. Die Leitstelle
kam insbesondere aufgrund der Angabe des Gesellschaftszwecks der Klägerin, wie
er im Handelsregister formuliert ist, zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nicht
förderfähig sei, weil sie selbst Unternehmensberatungen durchführe und daher
einer diesbezüglichen Hilfe zur Selbsthilfe nicht bedürfe. Hierzu gab sie der
Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme. Darauf teilte der für die Klägerin tätig
gewesene Unternehmensberater mit, die Klägerin organisiere nur Seminare und
Workshops zur Beratung der ihr angeschlossenen Unternehmen, führe diese aber
nicht selbst durch. Die beratende Tätigkeit werde von Spezialisten durchgeführt,
die sie nur vermittle.
Mit Bescheid vom 21.06.2004 lehnte die Beklagte die beantragte Zuwendung ab.
In den Gründen ist ausgeführt, dass die Klägerin ausweislich des aus dem
Gesellschaftsvertrag und dem Handelsregister ersichtlichen Gesellschaftszwecks
selbst beratend tätig sei und deshalb keiner Hilfe zur Selbsthilfe bedürfe.
Darauf ließ die Klägerin durch einen Rechtsanwalt Widerspruch erheben. Der
Rechtsanwalt begründete den Widerspruch damit, dass die Klägerin nicht selbst
Beratungen vornehme, sondern diese nur vermittle. Sie habe selbst gar nicht das
qualifizierte Personal, um Beratungen selbst vorzunehmen. Darauf half die
Beklagte dem Widerspruch mit Zuwendungsbescheid vom 01.09.2004 ab und
bewilligte eine Zuwendung in Höhe von 1.400,-- EUR. In dem
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bewilligte eine Zuwendung in Höhe von 1.400,-- EUR. In dem
Widerspruchsbescheid wird auf die vorgetragenen "Argumente bzw.
nachgereichten Unterlagen" Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 09.09.2004 ließ die Klägerin darauf beantragen, die
notwendigen Aufwendungen, nämlich die Anwaltsgebühr, in Höhe von 145,00 EUR
zu erstatten. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.11.2004 ab, weil die
Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes nicht notwendig gewesen sei. Es sei nicht um
Rechtsfragen gegangen, sondern nur "um Erklärungen". Daher sei es der Klägerin
zumutbar gewesen, das Widerspruchsverfahren selbst zu betreiben. Den
hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 22.03.2005 zurück. Am 25.04.2005 hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie trägt vor, es sei der Klägerin nicht zumutbar gewesen, das
Widerspruchsverfahren selbst zu betreiben. Eine qualifizierte Stellungnahme sei
von Rechtsfragen abhängig gewesen, insbesondere von der Überprüfung des
Gesellschaftsvertrages. Die Gesichtspunkte, die letztlich zur Abhilfe geführt hätten,
habe die Klägerin bereits im Bewilligungsverfahren vorgetragen. Nachdem sie
gleichwohl einen ablehnenden Bescheid erhalten hätte, sei es geboten gewesen,
professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29.11.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.03.2005 aufzuheben und festzustellen, dass die
Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren notwendig war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich zur Begründung im wesentlichen auf die Gründe der
angefochtenen Bescheide.
Die Parteien haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet und
sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt. Dem
Gericht lag ein Hefter Behördenakten zur Entscheidung vor.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. Die dem Wortlaut
nach erhobene Feststellungsklage ist entsprechend umzudeuten, weil allein dies
dem klägerischen Begehren entspricht.
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und
verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die
durch Verwaltungsakt vorzunehmende Feststellung der Beklagten (§ 80 Abs. 3
Satz 2 VwVfG), dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes für das
Widerspruchsverfahren notwendig war (§ 80 Abs. 2 VwVfG). Maßgeblich sind
insoweit die selben Grundsätze, die die Rechtsprechung zu § 162 Abs. 2 Satz 2
VwGO entwickelt hat. Danach ist die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im
Vorverfahren notwendig, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen
nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen, wobei Erkenntnis- und
Urteilsfähigkeit des Bürgers nicht überschätzt werden dürfen. Dies ist nicht nur in
schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der
Regel, da der Bürger nur in Ausnahmefällen in der Lage ist, seine Rechte im
Widerspruchsverfahren ausreichend zu wahren (BVerwGE 55, 299; Kopp/Ramsauer,
VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 80 Rn 45 m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten etwa dann
nicht notwendig, wenn der Bürger aus den Gründen des ablehnenden Bescheides
entnehmen kann, dass sein Antrag nur deshalb abgelehnt worden ist, weil er es
versäumt hat, bestimmte Unterlagen vorzulegen. In einem solchen Falle weiß der
Bürger auch ohne Hinzuziehung eines Bevollmächtigten, wie er dem Widerspruch
zum Erfolg verhelfen kann. Eine solche Situation war im vorliegenden Falle jedoch
nicht gegeben. Die Klägerin hatte bereits im Vorverfahren die Umstände
vorgetragen, die letztlich zur Abhilfe geführt haben. Aus ihrer Sicht konnte sie
deshalb nicht davon ausgehen, dass allein die Wiederholung dieses Vortrages
einschließlich weiterer Erläuterungen dem Widerspruch zum Erfolg verhelfen würde.
Dies war ihr schon deshalb nicht möglich, weil in den Gründen des ablehnenden
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Dies war ihr schon deshalb nicht möglich, weil in den Gründen des ablehnenden
Bescheides mit keinem Wort auf ihr Vorbringen eingegangen worden ist, so dass
die Klägerin einerseits den Eindruck gewinnen konnte, dass dieses Vorbringen
unerheblich ist, andererseits aber keine Vorstellung gewinnen konnte, was im
Widerspruchsverfahren vorgetragen werden muss. Ihr konnte deshalb nicht
zugemutet werden, auf die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zu verzichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO,
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Berufungszulassungsgründe des § 124
Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124a Abs. 1 S. 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.