Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 28.04.2008

VG Frankfurt: leistungsfähigkeit, europäisches recht, vorläufiger rechtsschutz, ärztliche untersuchung, widerspruchsverfahren, insolvenz, hauptsache, verfügung, auflage, sicherheit

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Gericht:
VG Frankfurt 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 G 4007/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 10 RettDG HE 1998, § 123
VwGO
Genehmigungsfähigkeit eines Betriebes; Krankentransport
Leitsatz
Genehmigungsvoraussetzung § 10 Abs. 1 Nr. 1 Hessisches Rettungsdienstgesetz
(HRDG), Leistungsfähigkeit eines Betriebes
Tenor
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin eine vorläufige
Verlängerung der Genehmigung zur Erbringung von Leistungen im
Krankentransport vom 10. Februar 2004, gültig bis zur Zustellung des
Widerspruchsbescheides über den Widerspruch vom 10. Dezember 2007 gegen
den Bescheid vom 30. November 2007, zu erteilen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 7.500,-- € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die
vorläufige Verlängerung ihrer Genehmigung zur Erbringung von Leistungen im
Kranktransport vom 10. Februar 2004 bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Hauptsacheverfahrens.
Die Antragstellerin ist ein privates Unternehmen, welches seit dem Jahr 2001 auch
Krankentransporte nach dem Hessischen Rettungsdienstgesetz (HRDG) erbringt.
Ausweislich Anlage I der Genehmigungsurkunde zur Erbringung von Leistungen
des Krankentransports vom 9. August 2007 setzt die Antragstellerin dabei neun
Krankenkraftwagen ein. Daneben führt die Antragstellerin auch Krankenfahrten,
Rollstuhlfahrten und Materialfahrten durch, die keine Krankentransporte nach dem
Hessischen Rettungsdienstgesetz sind. Bei der Durchführung dieser Fahrten
benutzt die Antragstellerin zum einen die von der Antragsgegnerin für die
Durchführung von Krankentransporten zugelassenen Krankentransportwagen,
aber auch andere Fahrzeuge. Von dem Gesamtumsatz im Jahr 2007 von rund 1,4
Mio. Euro entfielen auf die Krankentransporte nach dem Hessischen
Rettungsdienstgesetz ein Umsatz von etwa 760.000,-- € (Anlage 20 Blatt 293 des
Anlagenbandes II).
Die Antragstellerin beantragte am 20. Juli 2007 die Verlängerung der
Genehmigung zur Durchführung von Leistungen im Krankentransport. Die
Antragsgegnerin verlängerte die am 31. August 2007 regulär endende
Genehmigung vorläufig bis zum 30. November 2007.
Die Antragstellerin hat am 26. November 2007 einen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO gestellt. Die Voraussetzungen für eine
Genehmigung nach § 9 HRDG lägen für den Betrieb der Antragstellerin vor. Die
Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Betriebes der Antragstellerin sei
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Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Betriebes der Antragstellerin sei
gewährleistet und der Geschäftsführer der Antragstellerin auch zuverlässig. Mit
Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Betriebes im Sinne des 10 Abs.1 Nr.1 HRDG
HHh sei die Eignung und die fachliche Anforderung an den Betrieb gemeint, nicht
dessen finanzielle Leistungsfähigkeit. Die Antragstellerin habe in den letzten sechs
Jahren gezeigt, dass sie alle Krankentransporte ordnungsgemäß durchführe und
die Sicherheitsstandards einhalte. Die eingesetzten Mitarbeiter seien fachlich
qualifiziert, Beanstandungen habe es nicht gegeben. Die finanzielle Situation eines
Unternehmens sei kein Kriterium der Zuverlässigkeit. Dieses Kriterium gäbe es nur
im Personenbeförderungsgesetz, was sich dort aus § 2 der
Berufszugangsverordnung für den Straßenpersonenverkehr ergebe. Ausweislich
der Bilanzen und des Testats des Steuerberaters drohe bei der Antragstellerin
keine Insolvenz. Zweifel an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gesellschaft
seien unberechtigt. Die Antragstellerin habe auch die Genehmigung zum
Transport von Personen nach dem Personenbeförderungsgesetz am 29. August
2007 erhalten.
Der Geschäftsführer sei zuverlässig, zurzeit gebe es lediglich zwei
Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den Geschäftsführer. Die von der
Antragsgegnerin monierten Verstöße gegen die Fahrtenbuchauflage träfen
jedenfalls nicht in der Anzahl, wie sie die Antragsgegnerin behaupte zu. Die
Antragstellerin behauptet, niemals Personal eingesetzt zu haben, das nicht zuvor
durch eine Betriebsärztin untersucht worden sei.
Der Anordnungsgrund bestehe darin, dass der Antragstellerin mit Wegfall der
Genehmigung am 1. Dezember 2007 wesentliche, später beim Obsiegen in der
Hauptsache nicht mehr auszugleichende Nachteile drohe. Ohne diese
Genehmigung dürfe die Antragstellerin ausweislich der Produktaufstellung ab dem
1. Dezember 2007 zirka 50 Prozent ihres Geschäfts nicht weiterführen. Die
verbleibenden 50 Prozent am Umsatz (unqualifizierter Krankentransport über das
Personenbeförderungsgesetz und Materialfahrten) würden nicht ausreichen, um
den gesamten Betrieb weiterzuführen. Innerhalb kürzerer Zeit drohe der
Antragstellerin dann die Insolvenz. Sie müsse dann, um dieser drohenden
Insolvenz zu begegnen, ihr gesamtes Personal, das in diesem Bereich beschäftigt
sei, das seien 41 Mitarbeiter, fristlos entlassen. Dies sei nicht möglich und würde
die Antragstellerin später beim Wiederaufbau des Betriebes - wenn sie die
Genehmigung im Hauptsacheverfahren erstritten habe - vor praktisch kaum
lösbare Probleme stellen.
Nachdem die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 30. November 2007 den Antrag
auf Wiedererteilung der Genehmigung zur Erbringung von Leistungen des
Krankentransports für den Rettungsdienstbereich Frankfurt am Main abgelehnt
hatte, trug die Antragstellerin ergänzend vor, dass sich die Bilanz 2007 positiv
entwickelt habe. Die finanzielle Leistungsfähigkeit könne anderweitig nachgewiesen
werden. Eine aktuelle Eigenkapitalbescheinigung gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 der
Berufszugangsverordnung für den Straßenpersonenverkehr (Anlage 24,
Anlagenkonvolut Band II, Seite 321) ergebe einen positiven Betrag von 196.167,--
€. Eine Versagung der Genehmigung könne nur bei drohender Insolvenz begründet
werden. Eine Unzuverlässigkeit könne nicht daraus hergeleitet werden, dass die
Antragstellerin bei den im ablehnenden Bescheid aufgelisteten Personen die
erforderlichen Untersuchungen nicht rechtzeitig vorgenommen beziehungsweise
die Bescheinigung dem Gesundheitsamt nicht rechtzeitig vorgelegt habe, um von
diesem das erforderliche Testat zu erhalten. Alle Personen seien betriebsärztlich
untersucht worden, sodass im Ergebnis eine Gefahr für die Mitarbeiter sowie die
transportierten Patientinnen und Patienten nicht gegeben gewesen sei. Dass
solche Untersuchungen vor Aufnahme der Tätigkeit im Krankentransport
erforderlich seien und gegenüber dem Gesundheitsamt nachzuweisen, habe die
Antragstellerin begriffen und werde dies auch in Zukunft tun. Aus diesen
Verstößen ergebe sich jedenfalls kein allgemeiner Hang der Antragstellerin zur
Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften, wie von der Antragsgegnerin behauptet.
Die gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 6 HRDG erforderlichen Auskünfte aus dem
Verkehrszentralregister seien für die in dem ablehnenden Bescheid genannten
Personen xxx, xxx, xxx, xxx, xxx, xxx und xxx im Juni 2007 eingeholt und der
Antragsgegnerin übergeben worden.
Der in dem ablehnenden Bescheid gemachte Vorwurf der Antragsgegnerin, dass
die Fahrtenbücher nicht ordnungsgemäß geführt worden seien, träfe nicht zu. Die
Antragstellerin habe fehlende Eintragungen erklärt und versehentlich geschehene
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Antragstellerin habe fehlende Eintragungen erklärt und versehentlich geschehene
Verwechslungen aufgeklärt. Auch bei einer gewissenhaften Führung könne ein
falscher Eintrag nicht ausgeschlossen werden. Welche Vorwürfe die Behörde noch
aufrecht erhalte, lasse sich aus dem Bescheid nicht erkennen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs.1
Satz 2 VwGO zu verpflichten, der Antragstellerin eine vorläufige Verlängerung ihrer
Genehmigung zur Erbringung von Leistungen im Krankentransport vom 10.
Februar 2004, gültig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens
zu erteilen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich wesentlichen auf den Bescheid vom 30.
November 2007, in dem sie den Antrag auf Genehmigung zur Erbringung von
Leistungen im Krankentransport abgelehnt hat. Dem Anordnungsgrund stehe ein
vorwerfbares Verhalten der Antragstellerin entgegen, da sie durch ihr Verhalten
eine zeitnahe Antragsbearbeitung verzögert und verhindert habe. Mit Schriftsatz
vom 25. April 2008 trägt sie vor, es bestünden Zweifel an der ordnungsgemäßen
Durchführung der Fortbildung. Aus der Auswertung von Fahrtenbüchern im Februar
2008 ergebe sich, dass Mitarbeiter im Februar 2007 an 6-stündigen Fortbildungen
teilgenommen hätten, die teilweise schon bis zu 11,5 Stunden als Fahrer auf dem
KTW eingesetzt worden seien. Es habe auch ein ehemaliger Mitarbeiter am 22.
Februar 2008 bei der Antragsgegnerin zu Protokoll erklärt, dass die Fortbildungen
nicht wie bescheinigt sechs Stunden, sondern von 15 - 18 Uhr gedauert hätten
(Anlage 5 zum Schriftsatz vom 25. April 2008, Anlagenband II). Auch dies
rechtfertige die Beurteilung der Antragstellerin als unzuverlässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenbände (neun Aktenordner)
verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in dem tenorierten
Umfang Erfolg. Nach Maßgabe des § 123 Abs.1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur
Regelung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung
treffen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur
Verhinderung drohender Gewalt oder aus sonstigen Gründen notwendig erscheint.
Gemäß § 123 Abs.3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO sind für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung das Bestehen eines Anordnungsanspruches und eines
Anordnungsgrundes glaubhaft zu machen.
Die Antragstellerin hat einen die Vorwegnahme der Hauptsache in der Gestalt der
Erteilung einer vorläufigen Genehmigung rechtfertigenden Anordnungsgrund
glaubhaft gemacht.
Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist dann notwendig, wenn die soziale,
berufliche oder wirtschaftliche Existenzgrundlage des Antragstellers gefährdet ist
(Finkelnburg/Dombert/ Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im
Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage Rdnr. 198). Vorliegend hat die
Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass sie mit den Krankentransporten im Sinne
von § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Neuordnung des Rettungsdienstes in Hessen
(Hessisches Rettungsdienstgesetz 1998 - HRDG) vom 24. November 1998 fünfzig
Prozent ihres Jahresumsatzes im Jahr 2007 erzielt hat. Da die Antragstellerin nach
dem Vortrag der Beteiligten nur dann für die Durchführung von
Krankentransporten von den Krankenkassen ein Entgelt erhält, wenn sie hierfür
über eine Genehmigung nach § 9 HRDG verfügt, würde die Antragstellerin bei
Nichtverlängerung der Genehmigung in eine existenzielle Notlage geraten.
Die Antragstellerin beschäftigt allein 41 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der
Durchführung der Krankentransporte, für deren Tätigkeit die Antragstellerin dann
keine Einnahmen mehr erzielen könnte. Auch könnte sie ihre Kunden mit der
Leistung „Krankentransport“ nicht mehr versorgen und liefe Gefahr, diese an
Konkurrenzunternehmen zu verlieren. Da die Antragstellerin über keine Rücklagen
verfügt, drohte ihr binnen Monatsfrist deshalb Insolvenz.
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Ein Anordnungsanspruch ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Das Gericht hält es nach
dem derzeitigen Erkenntnisstand bei der im Eilverfahren gebotenen
summarischen Beurteilung für möglich, jedoch nicht hinreichend sicher, dass die
Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung nach § 9 HRDG
hat. Aufgrund des Umstandes, dass die Versagung der Genehmigung zur
Erbringung von Leistungen im Krankentransport die wirtschaftliche
Existenzgrundlage der Antragstellerin gefährdet und dies die Grundrechte der
Antragstellerin aus Art. 12 des Grundgesetzes (GG) und Art. 14 Abs. 1 GG berührt,
gebietet die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG in dieser Konstellation
eine Abwägung der Interessen der Beteiligten, obwohl das Gericht die
Vorausbeurteilung der Erfolgsaussichten der Hauptsache in beide Richtungen für
möglich hält. (vgl. Finkelnburg, a.a.O , Rdnr. 137)
Bei der gebotenen Interessensabwägung überwiegt das Interesse der
Antragstellerin, jedenfalls bis zur Zustellung des Widerspruchsbescheides über den
Widerspruch gegen die Versagung der Genehmigung vom 30. November 2007 mit
Krankentransportleistung am Markt zu bleiben. Das Widerspruchsverfahren
eröffnet die Möglichkeit, noch offene Sach- und Rechtsfragen zu klären. Dem
gegenüber tritt das öffentliche Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung
des Krankentransports nach dem Hessischen Rettungsdienstgesetz zurück. Zum
einen hat die Antragsgegnerin selbst zur Durchführung der weiteren Prüfung der
Genehmigungsvoraussetzungen die Genehmigung vorläufig bis zum 30.
November 2007 verlängert, obwohl sie bereits im August 2007 abgelaufen ist. Sie
hat die Entscheidung des Eilverfahrens, für dessen Durchführung sie der
Antragstellerin eine vorläufige Genehmigung erteilt hat, herausgezögert, indem sie
erst drei Monate nach Einreichung des Eilantrages auf den Antrag erwidert und die
Behördenvorgänge vorgelegt hat. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin die
Versagung in erster Linie mit der mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit der
Antragstellerin begründet und nicht mit etwaigen erheblichen Mängeln in der
Durchführung der Krankentransporte. Die Antragstellerin ist seit 2001 am Markt,
obwohl die Firma ausweislich der Bilanzen der Jahre 2003 bis 2007 in der Regel
keinen Gewinn gemacht hat. Einer Betriebsfortführung stand dies bislang nicht
entgegen und ein Leistungsversagen in den kommenden Monaten ist deshalb
auch nicht zu erwarten.
Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind offen. Es ist offen und im
Widerspruchsverfahren weiter zu klären, ob die Antragsstellerin nach § 10 HRDG
einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Genehmigung zur Erbringung von
Leistungen im Krankentransport hat. Dabei hält es das Gericht für offen und im
Widerspruchsverfahren zu klären, ob die als Anlage 24 mit Schriftsatz vom 11.
April 2008 eingereichte Zusatzbescheinigung zur Eigenkapitalbescheinigung nach
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 der Berufszugangsverordnung für den Straßenpersonenverkehr
(PBZugV) vom 15. Juni 2000, die zum Stichtag 31. Dezember 2006 eine Reserve in
Höhe von 196.167 Euro zum nachgewiesenen Eigenkapital in Höhe von -1.610,58
Euro bescheinigt, geeignet ist, die finanzielle Leistungsfähigkeit im Sinne des § 10
Abs. 1 Nr. 1 HRDG zu begründen.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin beurteilt sich die Leistungsfähigkeit
des Betriebes im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 HRDG nach seiner Finanzkraft.
Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 HRDG, der auch für die Wiedererteilung einer
Genehmigung gilt, darf diese nur erteilt werden, wenn die Sicherheit und
Leistungsfähigkeit des Betriebes des Leistungs-erbringers gewährleistet ist. Nach
Auffassung des Gerichtes verlangt das Hessische Rettungsdienstgesetz für die
Annahme der Leistungsfähigkeit des Betriebes im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1
HRDG dessen finanzielle Leistungsfähigkeit, den Betrieb einzurichten und während
der Geltungsdauer der Genehmigung entsprechend den Vorschriften des HRDG
und der hierzu ergangenen Verordnungen fortzuführen.
Dass die Leistungsfähigkeit des Betriebes auch nach dem HRDG nach dessen
finanzieller Leistungsfähigkeit zu beurteilen ist, ergibt sich aus den Materialien zu
dem Gesetzgebungsverfahren für ein Hessisches Rettungsdienstgesetz 1990
(Landtagsdrucksache 12/7214 vom 28. August 1990).
Grund der Neureglung des Hessischen Rettungsdienstgesetzes im Jahr 1990 war
der Wegfall des bisherigen Genehmigungsverfahrens für den Rettungsdienst nach
dem Personenbeförderungsgesetz durch das Sechste Gesetz zur Änderung des
Personenbeförderungsgesetzes vom 29. Juli 1989. Damit war unter anderem die
Beförderung „mit Krankenwagen, wenn damit kranke, verletzte oder sonstige
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Beförderung „mit Krankenwagen, wenn damit kranke, verletzte oder sonstige
hilfsbedürftige Personen befördert werden, die während der Fahrt einer medizinisch
fachlichen Betreuung oder der besonderen Einrichtungen des Krankenkraftwagens
bedürfen oder bei denen solches aufgrund ihres Zustandes zu erwarten ist“,
keiner Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz mehr unterworfen
(vgl. Landtagsdrucksache 12/7214 vom 28. August 1990 Abschnitt A Ziffer 1). Als
Lösung schlug der Hessische Gesetzgeber im Hessischen Rettungsdienstgesetz
deshalb vor: „Das seither im Personenbeförderungsgesetz geregelte
Einzelgenehmigungsverfahren werde im Wesentlichen beibehalten, d.h. die
seitherigen subjektiven Zugangsvoraussetzungen wie Zuverlässigkeit und
Leistungsfähigkeit landesgesetzlich festgeschrieben und die auch an den übrigen
Betrieb, das Personal und die Rettungsmittel zu stellenden fachlichen
Anforderungen verbindlich vorgegeben“ (vgl. Landtagsdrucksache 12/7214
Abschnitt B Ziffer 5).
Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Betriebes waren im
Personenbeförderungsgesetz seit 1934 Genehmigungsvoraussetzung. Das
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen stellte bereits mit einer
Entscheidung am 15. Juli 1965 (VBS 29, 388) klar, dass der Bewerber um eine
Verkehrsgenehmigung darzutun und zu belegen hat, dass ihm das für die
Betriebseinrichtung und die Betriebsfortführung erforderliche Kapital tatsächlich
zur Verfügung steht (Bidinger, Personenbeförderungsgesetz, Kommentar, § 13
PBefG Rdnr. 7). Da der Hessische Gesetzgeber bei der Neuregelung des HRDG
1990 die Genehmigungsvoraussetzungen des Personenbeförderungsgesetzes
übernahm, sollte der Begriff der Leistungsfähigkeit im HRDG so übernommen
werden wie er im Personenbeförderungsgesetz seit langem definiert wurde. Die
Leistungsfähigkeit beurteilt sich danach nach den finanziellen Mitteln des
Betriebes.
Auch bei der Überarbeitung des Hessischen Rettungsdienstgesetzes im Jahr 1998,
das erstmals die Möglichkeit eröffnete, die Notfallversorgung und den
Krankentransport organisatorisch getrennt durchführen zu lassen, übernahm der
Gesetzgeber erneut die Regelungen des Personenbeförderungsgesetz. Er erwog
sogar die Möglichkeit, die Genehmigungspflicht und die Genehmigung des
Krankentransportes allein durch Verweis auf die einschlägigen Bestimmungen des
Personenbeförderungsgesetzes zu regeln, verwarf diese aber wegen der
seitherigen Verfahrensweise und der Lesbarkeit des Gesetzes (Gesetzentwurf der
Landesregierung für ein Gesetz zur Neuordnung des Rettungsdienstes in Hessen,
Landtagsdrucksache 14/4016 vom 23. Juni 1998 zu § 9 und 10).
Die Regelung des § 10 Abs.1 Nr. 1 HRDG ist zugleich eine gesetzliche Regelung,
die als Berufsausübungsregelung geeignet ist, Art 12 GG zu beschränken.
Der Auslegung des Begriffes Leistungsfähigkeit als finanzielle Leistungsfähigkeit
steht nicht entgegen, dass das Hessische Rettungsdienstgesetz eine der
Berufszugangsverordnung für den Straßenverkehr (PBZugV) vergleichbare
Regelung nicht kennt. Die auf § 57 Abs. 1 Nr. 4 PBefG basierende
Berufszugangsverordnung für den Straßenpersonenverkehr, die in § 2 normiert,
wann die finanzielle Leistungsfähigkeit im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 PBefG als
gewährleistet anzusehen ist, füllt den Begriff der Leistungsfähigkeit im Sinne des §
13 Abs. 1 Nr. 1 PBefG lediglich aus. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin
begründet die Berufszugangsverordnung keinen anderen oder engeren
Leistungsbegriff eines Betriebes, dessen Genehmigungspflicht sich nach dem
Personenbeförderungsgesetzes beurteilt als das Gesetz selbst.
Es ist offen und im Widerspruchsverfahren zu klären, welche Anforderungen an die
Nachweise der finanziellen Leistungsfähigkeit zu stellen sind und ob die von der
Antragstellerin vorgelegte Bescheinigung als Nachweis geeignet ist.
Das Gericht ist der Auffassung, dass an die Gewährleistung der finanziellen
Leistungsfähigkeit eines Krankentransportbetriebes jedenfalls keine niedrigeren
Anforderungen gestellt werden dürfen als an vergleichbaren Betrieb, der eine
Genehmigung zur Beförderung von Personen nach dem
Personenbeförderungsgesetz anstrebt.
Einen Verweis auf die Berufszugangsverordnung für den Straßenpersonenverkehr,
mit der Möglichkeit der unmittelbaren Anwendung des § 2 PBZugV enthält das
HRDG nicht. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin verstößt die
Nichtanwendung auch nicht gegen europäisches Recht. Die
Berufszugangverordnung dient der Umsetzung der Richtlinien des Rates 96/26 EG
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Berufszugangverordnung dient der Umsetzung der Richtlinien des Rates 96/26 EG
vom 29. April 1996 und 98/76 EG vom 1. Oktober 1998. Die Richtlinien betreffen
die Beförderung einzelner Personen, wie sie beim Krankentransport üblicherweise
vorkommt, nicht.
Die Notwendigkeit, jedenfalls keine niedrigeren Anforderungen an das
Unternehmen zu stellen als das die Berufszugangsverordnung für den
Straßenpersonenverkehr gebietet, ergibt sich aus den zu schützenden
Rechtsgütern. Ausweislich der Beurteilung des Gesetzgebers ist der
Krankentransport dem Funktionszusammenhang „gesundheitliche
Daseinsvorsorge“ zuzurechnen (Gesetzentwurf der Landesregierung für ein
Gesetz zur Neuordnung des Rettungsdienstes, Landtagsdrucksache 14/4016 vom
23. Juni 1998). Auch in der Literatur wird vertreten, die in § 2 PBZugV normierten
Kriterien im Genehmigungsverfahren anzuwenden (vgl. Ufer, Niedersächsisches
Rettungsdienstgesetz, Kommentar, § 22 Ziffer1.1).
Davon ist allerdings die Frage zu unterscheiden, welche Nachweise die Behörde
von dem Betrieb hierfür verlangen kann und ob § 2 Abs. 3 und Abs. 4 PBZuGV die
Prüfungstiefe der Behörde begrenzt. Dies dürfte nicht der Fall sein, weil die
PBZugV keine unmittelbare Anwendung findet.
Offen und weiterhin aufzuklären wird die Frage der Zuverlässigkeit der
Antragstellerin gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 HRDG sein. Dies gilt auch für den erstmals
am 25. April 2008 aufgestellte Behauptung der Antragsgegnerin, die Durchführung
der Fortbildung sei bei der Antragstellerin nicht ordnungsgemäß. Soweit hierfür ein
Zeuge zur Verfügung steht, wird im Widerspruchsverfahren die Möglichkeit zur
Verfügung stehen, diesen zu vernehmen.
Zu Recht weist die Antragsgegnerin in der Verfügung vom 30. November 2007
darauf hin, dass eine Unzuverlässigkeit auch daraus hergeleitet werden kann, dass
Gesetzesverstöße begangen werden, die für sich genommen keine
Unzuverlässigkeit begründen können, jedoch in der Gesamtschau befürchten
lassen, dass ein Hang zur Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften besteht.
Ausweislich der Behördenakten hat die Antragstellerin Personal beim
Krankentransport eingesetzt, dass nicht vor der Arbeitsaufnahme gemäß § 3
Abs.1 der Verordnung zur Ausführung des Hessischen Rettungsdienstgesetzes
1998 (Rettungdienst-Betriebsverordnung) vom 3. Mai 2000 durch die
Betriebsärztin der Antragstellerin untersucht wurde. Auf die Auflistung auf Seite 6
des Bescheides wird verwiesen. Allerdings hat die Antragstellerin dies eingeräumt
und weist seitdem regelmäßig die ärztliche Untersuchung vor Beginn der
Arbeitstätigkeit im Krankentransport nach. Ein Hang zur Nichtbeachtung
gesetzlicher Vorschriften lässt sich hieraus schwerlich herleiten.
Die gilt auch für den Streit, ob und wann für das Personal gemäß § 3 Abs. 2
Rettungsdienst-Betriebsverordnung ein Tuberkulintest nachzuweisen ist.
Ausweislich des Erlasses des Hessischen Sozialministeriums vom 21. August 2007
(Anlage 19, Beiaktenband 2) gehört Tuberkulose nicht zum routinemäßigen
Untersuchungsumfang durch den Betriebsarzt, der durch die Bescheinigung des
Gesundheitsamtes zu bestätigen ist, so dass aus den Verstößen in der
Vergangenheit hieraus ebenfalls kein Hang zur Nichtbeachtung gesetzlicher
Vorschriften herleiten lässt.
Soweit die Antragsgegnerin der Auffassung ist, die Unzuverlässigkeit der
Antragstellerin lasse sich daraus herleiten, dass die Antragstellerin die
Fahrtenbücher, die sie gemäß Auflage 13 zur Genehmigung vom 2. Februar 2004
zu führen hat, nicht immer vollständig und sorgfältig geführt habe, teilt das Gericht
die Beurteilung, die Antragstellerin sei unzuverlässig im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr.
2 HRDG, nicht. Die Auflage, ein Fahrtenbuch zu führen ist so, wie die Auflage von
der Antragsgegnerin ausgestaltet wurde, ungeeignet. Aus dem Fahrtenbuch lässt
sich nicht entnehmen, ob überhaupt ein Krankentransport vorliegt und welches
Personal zur Begleitung eingesetzt wird. Damit kann auch nicht festgestellt
werden, ob das Begleitpersonal die Voraussetzung des § 2 Abs. 1 der
Rettungsdienst-Betriebsverordnung erfüllt. Mit den Krankentransportwagen, für die
eine Fahrtenbuchauflage angeordnet wurde, werden auch Fahrten durchgeführt,
die keine Krankentransporte im Sinne des § 2 Abs. 2 HRDG sind. Dies ist nach
Auffassung der Antragsgegnerin ausweislich des Schreibens des Magistrats an die
Antragstellerin vom 12. Dezember 2006 mit dem Inhalt der Auflage 14 zur
Genehmigungsurkunde vom 2. Februar 2004 zu vereinbaren (Bl. 54 des Ordners D
der Behördenakten). Die Fahrtenbuchauflage in der Gestalt der Verfügung vom 2.
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der Behördenakten). Die Fahrtenbuchauflage in der Gestalt der Verfügung vom 2.
Februar 2004 ist deshalb ungeeignet, die Einhaltung der Vorschriften des HRDG
und der Rettungsdienst-Betriebsverordnung zu beurteilen, weil aus dem
Fahrtenbuch nicht festgestellt werden kann, ob überhaupt ein Krankentransport
vorgenommen wurde. Verstöße gegen die Fahrtenbuchauflage können deshalb
auch keine Unzuverlässigkeit nach dem Hessischen Rettungsdienstgesetz
begründen.
Da die Antragsgegnerin unterlegen ist, hat sie gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die
Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 u. 2. GKG. Zur
Berechnung des Streitwertes hat sich das Gericht an den Streitwerten für
Genehmigungen nach dem Personenbeförderungsgesetz orientiert, die im
Hauptsacheverfahren Streitwerte von 15.000,-- € für die Erteilung einer
Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz annehmen. Im Hinblick auf
die Vorläufigkeit der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz hat das Gericht die
Hälfte des Streitwertes, also 7.500,-- €, angesetzt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.