Urteil des VG Düsseldorf vom 16.11.2010

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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 14 K 3188/10
Datum:
16.11.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
14 K 3188/10
Schlagworte:
Alkoholabhängigkeit Arztbrief Schweigepflicht Verletzung Verwertbarkeit
Normen:
StVg § 3 FeV § 46 StGB § 201 Abs 1 Nr 1
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden wenn nicht der Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Mit Schreiben vom 06.04.2010 teilte der Chefarzt der Klinik für psychische
Erkrankungen des T-Klinikum O (Klinikum C GmbH) der Führerscheinstelle des
Beklagten mit, dass der Kläger aufgrund einer schweren chronischen
Alkoholanhängigkeit nicht kraftfahrgeeignet sei. Der Kläger sei in der Klinik fünf Tage
stationär behandelt worden, nachdem er zu einer stationären Rehabilitationsmaßnahme
verspätet mit dem Pkw bei einer Alkoholkonzentration von knapp 2 °/00 angereist sei.
Später sei eine Blutalkoholkonzentration von 2,8 °/00 gemessen worden. Der Kläger sei
ausdrücklich auf seine fehlende Kraftfahreignung aufgrund seiner Suchterkrankung
hingewiesen worden. Obwohl die Durchführung einer stationären Entzugsbehandlung
und anschließende Rückverlegung in die Rehabilitationsklinik verabredet worden sei,
habe der Kläger die Klinik nach fünf Tagen ohne Abmeldung verlassen; er sei nicht in
die Rehabilitationsklinik zurückgekehrt. Es müsse davon ausgegangen werden, dass er
die Heimreise mit dem Pkw angetreten habe und sich nicht an das ärztlicherseits
ausgesprochene Fahrverbot halte. Im Hinblick auf die unkritische Haltung des Klägers
gegenüber seiner Suchterkrankung und seinem Verhalten bestehe eine Gefahr für den
Straßenverkehr und deshalb Veranlassung zum Entzug der Fahrerlaubnis. Der Arzt
wies in seinem Schreiben ausdrücklich darauf hin, dass er durch den Kläger nicht von
seiner Schweigepflicht entbunden worden sei, sich aber wegen der überwiegenden
Interessen der Allgemeinheit an einem sicheren Straßenverkehr zu einer Hintanstellung
der Geheimhaltungsinteressen des Klägers veranlasst sehe.
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Mit Ordnungsverfügung vom 15.04.2010 entzog der Beklagte dem Kläger seine
Fahrerlaubnis und forderte ihn auf, seinen Führerschein innerhalb von drei Tagen nach
Bekanntgabe der Verfügung abzugeben. Er ordnete die sofortige Vollziehung der
Ordnungsverfügung an und drohte dem Kläger ein Zwangsgeld von 250,00 Euro sowie
Ersatzzwangshaft im Falle der Uneinbringlichkeit des Zwangsgeldes an, wenn er den
Führerschein nicht abgebe. Außerdem setzte er eine Verwaltungsgebühr von
95,00 Euro fest. Zur Begründung führte er aus, aufgrund der ärztlich festgestellten
Alkoholabhängigkeit sei der Kläger generell nicht kraftfahrgeeignet. Nach der Mitteilung
des diagnostizierenden Arztes gehe der Kläger mit seiner Erkrankung und dessen
Behandlungsbedürftigkeit nachlässig um und es bestehe der Verdacht, dass er
weiterhin am Straßenverkehr teilnehme. Wegen der Schwere der offenkundig
gewordenen Eignungsmängel sei die Angelegenheit eilbedürftig, weshalb gemäß § 28
Abs. 2 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) von einer Anhörung vor
Erlass der Entziehungsverfügung abgesehen worden sei. Die Ordnungsverfügung
wurde dem Kläger noch am 15.04.2010 zugestellt und sein Führerschein eingezogen.
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Der Kläger hat am 14.05.2010 Klage erhoben und zugleich die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes beantragt.
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Zur Begründung trägt er vor: Das Vorliegen chronischer Alkoholabhängigkeit werde
bestritten. Zudem sei er sehr wohl in der Lage, sich bei Bedarf medizinisch beraten und
behandeln zu lassen, sich etwa einer Entgiftung zu unterziehen. Entsprechende Schritte
habe er über die Rehabilitationsklinik veranlasst. Außerdem dürften die Angaben des
Chefarztes der Klinik für psychische Erkrankungen nicht verwertet werden, da sie ohne
seine Einwilligung und damit unter Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht
gemacht worden seien. Dies stelle einen massiven, nicht hinzunehmenden Eingriff in
seine Privatsphäre da. Außerdem reiche selbst Alkoholabhängigkeit zur Entziehung der
Fahrerlaubnis nicht aus, solange nicht festgestellt worden sei, dass der Abhängige am
Straßenverkehr teilnehme. Ein entsprechender Verdacht reiche nicht aus. Insofern sei
auch eine Eilbedürftigkeit, die ein Unterlassen der Anhörung rechtfertigen könne, nicht
zu erkennen.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 15.04.2010 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist er auf die Angaben in dem Schreiben des T-Klinikums vom
06.04.2010. Danach sei die Kraftfahreignung entfallen. Außerdem müsse aufgrund
dessen von einer besonderen Eilbedürftigkeit ausgegangen werden.
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Den einstweiligen Rechtsschutzantrag des Klägers hat das erkennende Gericht mit
Beschluss vom 16.06.2010 abgelehnt (14 L 782/10). Die Beschwerde des Klägers blieb
erfolglos (OVG NRW, Beschluss vom 24.08.2010 - 16 B 842/10).
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug
12
genommen.
Entscheidungsgründe:
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Das Gericht kann nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 84 Abs. 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung durch
Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
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Die Entziehungsverfügung des Beklagten vom 15.04.2010 einschließlich der
Gebührenfestsetzung ist rechtmäßig.
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Die Verfügung findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 des
Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 46 Abs. 1 FeV. Nach dieser
Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr
Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Davon ist
auszugehen, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 (zu den
§§ 11, 13 und 14 FeV) vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Dies ist gemäß Nr. 8.4 Anlage 4 zur FeV (Anl 4) bei
Alkoholabhängigkeit unabhängig davon der Fall, dass positive Erkenntnisse über das
Führen eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss vorliegen.
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So liegt der Fall hier. Nach den fachärztlichen Angaben und Einschätzungen in dem
Schreiben des Chefarztes des T-Klinikum O vom 06.04.2010 liegt beim Kläger eine
schwere chronische Alkoholabhängigkeit vor. Diese Einschätzung hat der Arzt nach
einer fünftägigen Behandlung des Klägers und aufgrund des Umstandes gewonnen,
dass sich der Kläger mit einem Alkoholgehalt von mehr als 2 °/00 bzw. 2,8 °/00 in der
Reha-Klinik vorgestellt hatte. Die Einschätzung wird auch durch das Verhalten des
Klägers, nämlich den Abbruch der Entzugs- und Alkoholentwöhnungsbehandlung
unterstützt.
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Das Gericht hat keine Veranlassung, an dieser fachärztlichen Einschätzung zu zweifeln.
Insbesondere hat der Kläger im Klageverfahren keine Unterlagen beigebracht, die eine
andere Einschätzung tragen könnten. Vielmehr hat der Kläger der medizinischen
Bewertung durch den Chefarzt des T-Klinikums O nicht einmal substantiiert
widersprochen.
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Einer Verwertung dieser medizinischen Angaben steht auch der Umstand nicht
entgegen, dass der Arzt diese Informationen ohne die vorherige Einwilligung des
Klägers an den Beklagten weitergegeben hat.
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Es erscheint schon zweifelhaft, ob darin – wie der Kläger meint – eine rechtswidrige
Verletzung der Schweigepflicht des Arztes zu sehen ist. Es ist in der
Strafrechtsrechtsprechung anerkannt, dass ein rechtswidriger Verstoß gegen § 203 Abs.
1 Nr. 1 des Strafgesetzbuches (StGB), der das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und
Patienten schützen soll, nicht vorliegt, wenn sich der Arzt nach Abwägung der
Geheimhaltungsinteressen seines Patienten mit der Geheimhaltung zuwiderlaufenden
Interessen zum Bruch seiner Schweigepflicht veranlasst sieht. Eine solche
Geheimnisoffenbarung wird insbesondere dann als gerechtfertigt angesehen, wenn der
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Patient aufgrund einer Erkrankung nicht mehr fähig ist, ein Kraftfahrzeug zu führen, aber
dennoch am Straßenverkehr teilnimmt.
Vgl. BGH, Urteil vom 08.10.1968 - VI ZR 168/67 -, NJW 1968, 2288; Leipziger
Kommentar zum StGB, Bd 5, § 203 Rn. 139f; Fischer, StGB, § 203, Rn 47; so auch
BVerwG, Beschluss vom 04.09.1970 – 1 B 50.69 –, DÖV 1972, 59; Bay VGH, Urteil vom
02.07.1986 – 11 B 85 A.3241 –, BayVBl 1987, 119; VG Braunschweig, Urteil vom
16.10.2000 – 6 A 222/00 –, juris.
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Dass hier die Gefahr einer Verkehrsteilnahme des Klägers nicht besteht, ist mit dessen
bloßer Behauptung, nicht Auto zu fahren, nicht ausreichend dargelegt. Vielmehr spricht
das uneinsichtige Verhalten des Klägers hinsichtlich der Entzugs- und
Entwöhnungsbehandlung dafür, dass er auch im Übrigen seiner Alkoholerkrankung
nicht hinreichend Rechnung trägt.
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Zudem dürfte der Beklagte die ihm zur Kenntnis gebrachten Angaben des Arztes selbst
dann nicht unbeachtet lassen, wenn der Arzt damit gegen seine Schweigepflicht
verstoßen hätte. Denn die Fahrerlaubnisbehörden sind immer dann zum Tätigwerden
verpflichtet, wenn ihnen Umstände bekannt werden, aus denen sich die fehlende
Kraftfahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers ergibt oder die zumindest Zweifel an der
Kraftfahreignung begründen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 04.09.1970 – 1 B 50.69 –, DÖV 1972, 59; Bay VGH, Urteil
vom 02.07.1986 – 11 B 85 A.3241 –, BayVBl 1987, 119; VG Braunschweig, Urteil vom
16.10.2000 – 6 A 222/00 –, juris.
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Zwar haben die Fahrerlaubnisbehörden zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des
Fahrerlaubnisinhabers und dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der
Sicherheit des Straßenverkehrs abzuwägen. Allerdings gebührt dabei im Hinblick auf
die drohenden Gefahren für Leib und Leben dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer
grundsätzlich der Vorrang.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.08.2010 – 16 B 842/10 –.
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Dass dies hier ausnahmsweise anders zu beurteilen wäre, hat der Kläger nicht
dargetan.
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Auch die Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins ist rechtmäßig. Sie findet ihre
Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV. Ebenso wenig bestehen
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Androhung eines Zwangsgeldes, ersatzweise
Zwangshaft, für den Fall, dass der Führerschein nicht abgegeben wird. Sie entspricht
den Vorgaben der §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 61, 63 des
Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VwVG). Zudem dürfte sich diese Androhung mit
der erfolgten Abgabe des Führerscheins erledigt haben.
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Die Erhebung der Gebühr von 95,00 Euro beruht auf § 6a Abs. 1 Nr. 1 a) StVG i.V.m. § 1
Abs. 1, Anlage Nr. 206 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr
(GebOSt). Danach sind für die Entziehung der Fahrerlaubnis Gebühren von 33,20 bis
256,00 Euro vorgesehen. Fehler bei der Ausübung des hiermit eingeräumten
Ermessens hinsichtlich der Höhe der Gebühr sind nicht erkennbar, zumal die Gebühr
den vorgegebenen Rahmen nicht einmal zur Hälfte ausschöpft. Rechtsgrundlage für die
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Erhebung der Auslagen für die Zustellung des Bescheides ist § 6a Abs. 1 Nr. 1 a) StVG
i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 1 Satz 1
VwGO, 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
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