Urteil des VG Düsseldorf vom 24.01.2007

VG Düsseldorf: beihilfe, private krankenversicherung, fürsorgepflicht, entlastung, vollstreckung, ergänzung, dauerbehandlung, ermessen, vollstreckbarkeit, belastungsgrenze

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 13 K 8322/04
Datum:
24.01.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 8322/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger wendet sich gegen die Nichterstattung der sog. „Praxisgebühr" bei der
Gewährung von Beihilfen für ärztliche, zahnärztliche oder psychotherapeutische
Leistungen nach § 12 Abs. 1 BhV.
2
Durch Bescheid vom 18. Mai 2004 setzte die Oberfinanzdirektion L1 als Beihilfestelle
auf den Antrag des Klägers vom 5. Mai 2004, mit dem u.a. Ausgaben für ärztliche
Leistungen im ersten Quartal 2004 in Höhe von 85,61 Euro geltend gemacht wurden,
Beihilfe fest. Von der Summe der zu gewährenden Beihilfe wurden 10,- Euro
„Praxisgebühr" abgezogen.
3
Durch Schreiben vom 24. Mai 2004 erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung
führte er aus, die einbehaltene „Praxisgebühr" führe - anders als bei gesetzlich
Krankenversichten - zu keiner Entlastung der privaten Krankenversicherungen. Damit
stelle die Praxisgebühr für Beamte eine einseitige und unzumutbare Belastung dar.
Dabei würden bestimmte Beamtengruppen wie chronisch Kranke, Behinderte,
Schwangere und solche mit Kindern in besonderer Weise benachteiligt. Zudem diene
die „Praxisgebühr" allein der Entlastung des Haushalts des Dienstherrn. Im Übrigen sei
angesichts dessen, dass die Beihilfe nur einen Teil der Gesundheitskosten trage, nur
eine anteilige Übertragung und Einbehaltung gerechtfertigt. Insgesamt verletze die
Regelung die Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Es handele sich um eine Verletzung der
Alimentationspflicht, da eine Erstattungsschwelle eingeführt werde, die dem
4
Beihilferecht wesenfremd sei. Aus diesem Grund seien die hergebrachten Grundsätze
des Berufsbeamtentums aus Art. 33 Abs. 5 GG verletzt.
Durch weiteren Bescheid vom 16. September 2004 setzte die Beklagte auf den Antrag
des Klägers vom 2. September 2004, mit dem u.a. Kosten für ärztliche Leistungen im 2.
Quartal von 16,69 Euro und im 3. Quartal von 50,- Euro geltend gemachte wurde,
Beihilfe fest und minderte die gewährte Beihilfe um 20,- Euro.
5
Auch gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 22. September 2004
Widerspruch.
6
Durch Widerspruchsbescheid vom 29. November 2004 wies die Oberfinanzdirektion L1
die Widersprüche zurück. Für den Kläger sein kein Befreiungstatbestand gegeben. Der
Abzug der „Praxisgebühr" bei der Erstattung sei rechtmäßig, da der Beamte keinen
Anspruch auf eine Unveränderbarkeit des Beihilfesystem habe.
7
Der Kläger hat am 28. Dezember 2004 unter Wiederholung und Vertiefung seines
Vorbringens im Vorverfahren Klage erhoben.
8
§ 12 BhV verstoße gegen höherrangiges Recht und sei daher nichtig. Die
wirkungsgleiche Übertragung der „Praxisgebühr" aus dem Bereich der gesetzlichen
Krankenversicherung in den Bereich der Beihilfe sei rechtswidrig. Bei den gesetzlich
Versicherten führe diese letztlich zur Stabilisierung bzw. Senkung der
Krankenkassenbeiträge. Für die Beihilfeberechtigten ergebe sich keine Entlastung, da
die privaten Krankenversicherungen an der Kürzung nicht partizipierten.
9
Zudem werde gegen Art. 3 GG verstoßen, da die Praxisgebühr für alle
Besoldungsgruppen in gleicher Höhe erhoben werde. Wegen des Fehlens einer
sachgerechten Differenzierung nach Einkommenshöhe und vorhandenen Belastungen
liege ein Verstoß vor.
10
Es sei ebenfalls zu berücksichtigen, dass die private Krankenversicherung keine
einkommensabhängigen Beiträge erhebe.
11
Im Übrigen widerspreche es der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, wenn er
Lenkungsmaßnahmen dafür schaffe, dass Beamte von Vorsorgeuntersuchungen und
medizinische Behandlungen aus finanziellen Gründen absehen.
12
Der Kläger beantragt sinngemäß,
13
die Beklagte zu verpflichten, ihm unter teilweiser Aufhebung der Beihilfebescheide vom
18. Mai und 16. September 2004 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides
der Oberfinanzdirektion L1 vom 29. November 2004 auf seine Beihilfeanträge vom 15.
Mai 2004 und 2. September 2004 weitere Beihilfe in Höhe von insgesamt 30,-- Euro zu
bewilligen.
14
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Begründung des
Widerspruchsbescheides,
15
die Klage abzuweisen.
16
Die Einführung der „Praxisgebühr" verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Die
Fürsorgepflicht werde durch die Beihilfevorschriften konkretisiert. Diese gebiete nicht
die Erstattung sämtlicher Aufwendungen. Eine unzumutbare Belastung im Sinne einer
nicht mehr amtsangemessenen Alimentation werde hierdurch nicht verursacht. Im
Übrigen würden durch § 12 Abs. 2 und Abs. 3 BhV Belastungsgrenzen eingeführt, die
sozialen Gesichtspunkten Rechnung trügen.
17
Durch Schreiben vom 21. Dezember 2006 und 3. Januar 2007 haben die Beteiligten auf
die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug
genommen.
19
Entscheidungsgründe:
20
Die Einzelrichterin entscheidet gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche
Verhandlung, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
21
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.
22
Die Bescheide vom 18. Mai 2004 und 16. September 2004 und der
Widerspruchbescheid vom 29. November 2004 sind rechtmäßig und verletzen den
Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen
Anspruch darauf, dass die Beklagte verpflichtet wird, ihm unter teilweiser Aufhebung der
Bescheide die begehrte weitere Beihilfe in Höhe der einbehaltenen „Praxisgebühr" von
30,- Euro zu gewähren.
23
Der weitergehend geltend gemachte Anspruch des Klägers scheidet aus, weil § 12 Abs.
1 Satz 2 BhV eine wirksame Minderung seines Beihilfeanspruchs aus § 5 BhV vorsieht.
24
Damit kann der Anspruch des Klägers nicht aus den Allgemeinen
Verwaltungsvorschriften für Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen
(Beihilfevorschriften - BhV) in der im Zeitpunkt der Entstehung der Aufwendungen
geltenden Fassung vom 1. November 2001 - GMBl. 2001, S. 918 - zuletzt geändert
durch Verwaltungsvorschrift vom 30. Januar 2004 - GMBl. 2004, S 379 - abgeleitet
werden. Denn diese Vorschriften konkretisieren die Generalklausel des § 79 BBG in
wirksamer Weise.
25
Die BhV können trotz des fehlenden Gesetzescharakters derzeit als
Anspruchsgrundlage herangezogen werden.
26
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 -, BVerwGE 121, 103
und Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. März
2006 - 1 A 1142/04 - veröffentlicht in NRWE.
27
Ein Anspruch auf Erstattung der einbehaltenen „Praxisgebühr" besteht jedoch nicht.
28
Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV mindert sich die Beihilfe um einen Betrag von 10,- Euro je
Kalendervierteljahr je Beihilfeberechtigten und je berücksichtigungsfähigen
Angehörigen für jede erste Inanspruchnahme von ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen
29
oder psychotherapeutischen Leistungen; dies gilt nicht für Aufwendungen nach Satz 3.
Weiterhin regelt § 12 Abs. 1 Satz 3 BhV, dass Beträge nach Satz 1 und Satz 2 nicht
abzuziehen sind bei Aufwendungen für a) Kinder bis zur Vollendung des 18.
Lebensjahres, ausgenommen Fahrten nach § 6 Abs. 1 Nr. 9, b) Schwangere im
Zusammenhang mit Schwangerschaftsbeschwerden oder der Entbindung, c) ambulante
ärztliche und zahnärztliche Vorsorgeleistungen sowie Leistungen zur Früherkennung
von Krankheiten, d) Leistungen, soweit nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 und 4 vom
Bundesministerium des Inneren beihilfefähige Höchstbeträge festgesetzt worden sind.
Weiterhin sieht Abs. 2 unter anderem vor, dass Beträge nach Absatz 1 innerhalb eines
Kalenderjahres auf Antrag nicht mehr abzuziehen sind, soweit sie für den
Beihilfeberechtigten und seine berücksichtigungsfähigen Angehörigen zusammen die
Belastungsgrenze überschreiten. Diese beträgt a) zwei vom Hundert des jährlichen
Einkommens im Sinne von § 9 Abs. 7 Satz 5; b) für chronisch Kranke, die wegen
derselben Krankheit in Dauerbehandlung sind, eins vom Hundert des jährlichen
Einkommens im Sinne von § 9 Abs. 7 Satz 5. Verminderungen des zu
berücksichtigenden Einkommens werden unter anderem für verheiratete
Beihilfeberechtigte und für jedes Kind bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs
vorgenommen.
30
Diese Regelungen, die den Erstattungsanspruch des Beihilfeberechtigten um den
Abzug der „Praxisgebühr" mindern, sind nicht wegen Verstoßes gegen höherrangiges
Recht unwirksam.
31
Zunächst besteht kein Verstoß gegen die verfassungsrechtlich geschützten
hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG, denn die
Beihilfe gehört einschließlich ihrer konkrete Ausformung nicht zu diesen. Denn der
Schutz erstreckt sich nur auf jenen Kernbestand von Strukturprinzipien der Institution
des Berufsbeamtentums, die allgemein oder doch überwiegend und während eines
längeren, traditionsbildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von
Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind. Das gegenwärtige System
der Beihilfegewährung hat sich demgegenüber erst in jüngerer Zeit herausgebildet.
32
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. November 1990 - 2 BvF 3/88 -, BVerfGE
83, 89.
33
In Bezug auf die Fürsorgepflicht des Dienstherren, die ihre Verankerung in Art. 33 Abs. 5
GG findet, und die ihrerseits die Grundlage der Beihilfe ist, liegt ebenfalls noch kein
Verstoß vor.
34
Kraft seiner Fürsorgepflicht muss der Dienstherr Vorkehrungen treffen, dass der
amtsangemessene Lebensunterhalt des Beamten bei Eintritt besonderer finanzieller
Belastungen durch Krankheits-, Geburts- und Todesfälle nicht gefährdet wird.
35
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. November 1990 - 2 BvF 3/88 -, BVerfGE
83, 89.
36
Das Gericht teilt die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Rheinland-
Pfalz,
37
im Urteil vom 23. September 2005 - 10 A 10534/05- (veröffentlicht in JURIS),
38
und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs,
39
im Urteil vom 12. Oktober 2005 (veröffentlicht in JURIS),
40
wonach auch bei Einführung der „Praxisgebühr" der Dienstherr noch ausreichende
Vorkehrungen dafür getroffen hat, dass der amtsangemessene Lebensunterhalt des
Beamten bei besonderen finanziellen Belastungen durch Krankheitsfälle nicht gefährdet
wird.
41
Denn eine in Ergänzung der zumutbaren Eigenvorsorge lückenlose Erstattung jeglicher
Aufwendungen verlangt die Fürsorgepflicht nicht.
42
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. November 1990 - 2 BvF 3/88 -, BVerfGE
83, 89.
43
Damit sind die Grenzen des weiten Ermessens eingehalten, das dem Dienstherrn bei
der Ausgestaltung der Alimentation und der Fürsorge im Krankheitsfall zusteht. Dieses
Ergebnis entspricht der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
44
vom 3. Juli 2003 - 2 C 24/02 - , DÖD 2004, 82;
45
die ebenfalls die Rechtmäßigkeit einer Beihilferegelung zum Gegenstand hat, die dem
Beihilfeberechtigten die Tragung eines Teil der Auslagen für die
Gesundheitsversorgung auferlegt. Dort wird die (landesrechtliche) Einführung einer
Kostendämpfungspauschale jedenfalls insoweit als unbedenklich angesehen, als ein
amtsangemessener Lebensunterhalt noch sichergestellt bleibt. Insoweit bestehen keine
starren Grenzen, d.h. die Bezüge enthalten keinen exakt bestimmbaren Anteil, mit dem
der Beamten seine Eigenvorsorge betreiben kann und soll. Verfassungsrechtlich ist die
Grenze der dem Beamten zumutbaren Belastungen erst erreicht, wenn dieser
Lebensunterhalt nicht mehr gewährleistet ist.
46
Vgl. auch Oberverwaltungsgericht für das Land Rheinland-Pfalz, a.a.O.,
Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 15. März 2006 - 3 K 4681/04 - (veröffentlicht in
NRWE) und Verwaltungsgericht Arnsberg, Urteil vom 31. Januar 2006 - 13 K 86/05 -
(veröffentlicht in NRWE).
47
Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, das die Praxisgebühr in Höhe von 10,--
Euro pro Quartal den amtsangemessenen Lebensunterhalt des Klägers berührt.
48
Auch im Übrigen ist durch § 12 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 BhV eine angemessene
Berücksichtigung besonderer Belastungen - insbesondere - familiärer Art gegeben. Aus
diesem Grunde ist auch nicht ersichtlich, dass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG im
Hinblick auf eine fehlende Abstufung im Verhältnis der Besoldungsgruppen vorliegt.
Durch die genannten Vorschriften ist gewährleistet, dass ungleiche Sachverhalte nicht
in verfassungswidriger Weise gleich behandelt werden.
49
Vor diesem Hintergrund kommt es auf das Verhältnis von gesetzlicher und privater
Krankenversicherung, bzw. auf die Tatsache, dass nur der erstgenannten die
„Praxisgebühr" zufließt und damit mittelbar die Belastungen der Versicherten absenkt
nicht an. Die Ausgestaltung der Beihilfe unterliegt nur den dargestellten Grenzen und
50
obliegt im übrigen der (gesetzgeberischen) Ausgestaltung mit einem weiten
gesetzgeberischen Ermessen.
Damit besteht der Beihilfeanspruch des Klägers bezüglich seiner Anträge vom 5. Mai
und 2. September 2004 nur gemindert um die von der Beklagten zu Recht nicht
erstattete „Praxisgebühr".
51
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
52
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
53
54