Urteil des VG Düsseldorf vom 23.09.2003

VG Düsseldorf: beförderung, fürsorgepflicht, bevorzugung, dienstalter, berufserfahrung, qualifikation, bewährung, lehrer, probezeit, benachrichtigung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 2 L 3061/03
Datum:
23.09.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 3061/03
Tenor:
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
untersagt, die Stelle eines Studiendirektors zur Koordinierung
schulfachlicher Aufgaben - Koordination der Mittelstufe und
konzeptionelle Weiterentwicklung der Sekundarstufe I innerhalb des
Schulprogramms - am I-Gymnasium in P1 (Besoldungsgruppe A 15
BBesO) mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis eine erneute
Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts getroffen worden ist.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme
außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen, die dieser selber trägt.
Der Streitwert wird auf 2.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
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Der am 09.08.2003 eingegangene Antrag ist in dem aus der Beschlussformel
ersichtlichen Umfang zulässig und begründet. Der weiter gehende Antrag hat
demgegenüber keinen Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines
Rechts des Antragstellers getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt
oder wesentlich erschwert werden könnte. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in
Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO das Bestehen eines zu sichernden Rechts
(Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft
zu machen.
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Soweit der Antragsteller das Begehren verfolgt, die Stellenbesetzung nicht nur bis zu
einer erneuten Entscheidung über seine Bewerbung, sondern so lange zu unterbinden,
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bis darüber rechtskräftig entschieden worden ist, hat der Antrag allerdings keinen Erfolg.
Insoweit fehlt dem Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis. Eine derart weit reichende
vorläufige Regelung ist zur Durchsetzung seines in Rede stehenden
Bewerbungsverfahrensanspruchs nicht erforderlich. Diesem wird vielmehr bereits
dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass die Wirkungsdauer der einstweiligen
Anordnung bis zur Neubescheidung der Bewerbung unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts reicht.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 28.01.2002 - 6 B 1275/01 - und vom 19.10.2001 - 1 B
581/01 -, NWVBL 2002, 236 = DVBl. 2002, 212 (LS).
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Mit dem letztgenannten Begehren hat der Eilantrag auch in der Sache Erfolg. Insoweit
besteht zunächst im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner die Absicht hat, die in
Streit stehende Stelle alsbald - nach Ablauf der Erprobungszeit gemäß § 25 Abs. 3 Satz
1 LBG ohne erneute Auswahlentscheidung - mit dem Beigeladenen zu besetzen, ein
Anordnungsgrund. Denn mit der Beförderung des Beigeladenen zum Studiendirektor
und dessen Einweisung in die freie Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 BBesO
würde das vom Antragsteller geltend gemachte Recht auf diese Stelle endgültig
vereitelt.
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Der Antragsteller hat - im Umfang des Entscheidungssatzes - auch einen
Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Beamter hat zwar keinen Anspruch auf
Übertragung eines Beförderungsamtes. Er hat aber ein Recht darauf, dass der
Dienstherr oder der für diesen handelnde Dienstvorgesetzte eine rechts-, insbesondere
ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Vergabe des Beförderungsamtes trifft.
Materiell-rechtlich hat der Dienstherr bei seiner Entscheidung darüber, wem von
mehreren Beförderungsbewerbern er die Stelle übertragen will, das Prinzip der
Bestenauslese zu beachten und Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der
Konkurrenten zu bewerten und zu vergleichen (Art. 33 Abs. 2 GG, §§ 7 Abs. 1, 25 Abs. 6
Satz 1 LBG). Ist ein Bewerber besser qualifiziert, so ist er zu befördern. Im Übrigen ist
die Entscheidung in das pflichtgemäße Ermessen des Dienstherrn gestellt. Der
Anspruch auf Beachtung dieser Grundsätze ist nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO
sicherungsfähig. Soll hiernach die vorläufige Nichtbesetzung einer Beförderungsstelle
erreicht werden, so muss glaubhaft gemacht werden, dass deren Vergabe an den
Mitbewerber sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zu Lasten des
Antragstellers rechtsfehlerhaft erweist und dass im Falle der fehlerfreien Durchführung
des Auswahlverfahrens die Beförderung des Antragstellers jedenfalls möglich erscheint.
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Diese Voraussetzungen sind auf der Grundlage der in einem einstweiligen
Rechtsschutzverfahren gegebenen Erkenntnismöglichkeiten vorliegend als erfüllt
anzusehen. Über die Auswahlkriterien des § 7 Abs. 1 LBG verlässlich Auskunft zu
geben, ist in erster Linie Sache einer aktuellen dienstlichen Beurteilung. Die hier
herangezogenen dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen
vom 28.03.2003 bzw. 15.05.2003 bilden ausreichende Entscheidungsgrundlagen in
diesem Sinne. Sie sind aus Anlass des vorliegenden Besetzungsverfahrens auf der
Grundlage der neuen Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Lehrkräfte sowie der
Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und Studienseminaren (Runderlass des
Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom 02.01.2003, ABl. NRW 2003, 7 -
nachfolgend: Beurteilungsrichtlinien -) erstellt worden und somit hinreichend aktuell und
aussagekräftig. Antragsteller und Beigeladener sind hierbei gleichermaßen mit der
zweitbesten Note „Die Leistungen übertreffen die Anforderungen" beurteilt worden. Eine
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„Binnendifferenzierung" des Gesamturteils oder eine „qualitative Ausschärfung" anhand
des übrigen Inhalts der Beurteilung hat der Antragsgegner nicht vorgenommen.
Sind die Bewerber somit auf Grund der letzten dienstlichen Beurteilung als im
Wesentlichen gleich qualifiziert anzusehen, wird allerdings für die
Auswahlentscheidung häufig auch auf ältere Beurteilungen als zusätzliche
Erkenntnismittel zurückzugreifen sein. Denn bei ihnen handelt es sich ebenfalls um
Erkenntnisse, die über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beurteilten
Aufschluss geben können und die in diesem Falle gegenüber Hilfskriterien vorrangig
heranzuziehen sind. Zwar verhalten sie sich nicht zu dem aktuellen Leistungsstand,
gleichwohl können sie bei einem Vergleich von Bewerbern bedeutsame Rückschlüsse
und Prognosen auch über die künftige Bewährung in einem Beförderungsamt
ermöglichen. Ihre zusätzliche Berücksichtigung kann deswegen mit Blick auf Art. 33
Abs. 2 GG geboten sein, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr aktuell im
Wesentlichen gleich beurteilten Beamten zu treffen ist.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 19.12.2002 - 2 C 31/01 -, DokBer. B 2003, 155, und vom
27.02.2003 - 2 C 16/02 -, IÖD 2003, 170.
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Dies gilt jedoch nicht stets. Insbesondere in den Verwaltungen, in denen keine
Regelbeurteilungen vorgeschrieben sind, dienstliche Beurteilungen also lediglich aus
bestimmten, zumal häufig vom Beamten - durch Bewerbung um eine
Beförderungsstelle, Versetzungantrag, u.ä. - bestimmten Anlässen erstellt werden,
erweisen sich etwaige ältere Beurteilungen im Rahmen einer konkreten
Auswahlentscheidung häufig als nicht aussagekräftig, weil es an einer hinreichenden
Vergleichbarkeit fehlt. So verhält es sich auch hier. Nach Nr. 3.1 der neuen
Beurteilungsrichtlinien und auch nach den Bestimmungen der früheren
Beurteilungsrichtlinien werden und wurden Lehrer nur aus bestimmten Anlässen
beurteilt. Dies hatte hier zur Folge, dass der Antragsteller bislang nie förmlich durch den
hierfür zuständigen schulfachlichen Dezernenten der Bezirksregierung dienstlich
beurteilt wurde. Über ihn wurden lediglich während der Probezeit in den Jahren 1975
und 1976, vor der Beförderung zum Oberstudienrat im Jahre 1978 und anlässlich einer
Bewerbung um eine A 15-Stelle im Jahre 1982 durch den damaligen Schulleiter
Leistungsberichte erstellt. Da der Antragsteller sich in der Folgezeit nicht mehr um eine
Beförderungsstelle bewarb und demgemäß auch nicht mehr beurteilt wurde, fehlt es an
verlässlichen Erkenntnissen darüber, wie sich sein Leistungsstand in der Zeit nach
1982 dargestellt hat. Demnach sind die dienstlichen Beurteilungen des Beigeladenen,
die dieser anlässlich seiner Bewerbungen um A 15-Stellen in den Jahren 1990 und
1992 erhielt und die mit der damaligen Bestnote „Die Leistungen entsprechen den
Anforderungen in besonderem Maße" schlossen, nicht geeignet, diesem unter dem
Gesichtspunkt der Leistungskonstanz einen Qualifikationsvorsprung zu vermitteln.
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Ist daher ausweislich des Gesamturteils der im Jahre 2003 erstellten dienstlichen
Beurteilungen von einer im Wesentlichen gleichen Qualifikation beider Bewerber
auszugehen, erweist sich die Auswahlentscheidung zu Gunsten des Beigeladenen als
rechtsfehlerhaft. Zwar ist der Dienstherr bei gleicher Qualifikation der Bewerber
grundsätzlich darin frei, welchen zusätzlichen (sachlichen) Kriterien - den sog.
Hilfskriterien - er im Rahmen seiner Ermessensausübung das größere bzw.
ausschlaggebende Gewicht beimisst. Er ist auch nicht an eine starre, etwa durch die
größere Leistungsnähe bestimmte Rangfolge der Hilfskriterien gebunden. Durch das
Auswahlkriterium darf allerdings der zwingend zu beachtende Grundsatz der
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Bestenauslese nicht in Frage gestellt werden. Zudem muss der Dienstherr bei der
Verwendung der Hilfskriterien auf eine „einheitliche Linie" achten, darf von diesen also
nicht „nach Belieben", d.h. ohne erkennbares System, alternativ Gebrauch machen.
Ständige Rechtsprechung der beschließenden Kammer, vgl. etwa Beschluss vom
03.07.1998 - 2 L 5720/97 -, und des OVG NRW, vgl. Beschlüsse vom 04.08.1994 - 12 B
1559/94 -, vom 04.01.1999 - 6 B 2096/98 -, ZBR 1999, 316, und vom 19.10.2001 - 1 B
581/01 -.
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Die vom Antragsgegner insoweit getroffene Entscheidung erscheint
ermessensfehlerhaft. Dieser hat ausweislich seines Schreibens vom 14.07.2003 an den
Personalrat, der Benachrichtigung des Antragstellers über seine Auswahlentscheidung
vom 04.08.2003 und seiner Schriftsätze im vorliegenden Eilverfahren die zugunsten des
Beigeladenen getroffene Entscheidung ausschließlich mit dessen Schwerbehinderung
begründet. In seinem Schriftsatz vom 18.09.2003 hat er darüber hinaus klargestellt, dass
das bei einer Auswahl zwischen nicht behinderten Bewerbern regelmäßig
herangezogene Hilfskriterium der längeren Verweildauer im derzeitigen
statusrechtlichen Amt (sog. Beförderungsdienstalter) bei einem Aufeinandertreffen eines
schwerbehinderten und eines nicht schwerbehinderten Bewerbers keine
Berücksichtigung findet, weil nach Abschnitt I Nr. 12.3 der Richtlinien zur Durchführung
des Schwerbehindertengesetzes (jetzt: Sozialgesetzbuch IX) im öffentlichen Dienst im
Lande Nordrhein-Westfalen (Runderlass des Kultusministeriums vom 31.05.1989, GABl.
NRW S. 300 = BASS 01 - 06 Nr. 1) die Schwerbehinderung den sonstigen Hilfskriterien
vorgehe. Der Antragsgegner hat deshalb unberücksichtigt gelassen, dass der bereits im
Februar 1979 zum Oberstudienrat beförderte Antragsteller ein deutlich höheres
Beförderungsdienstalter aufweist als der Beigeladene, dessen letzte Beförderung erst
im Februar 1985 erfolgte. Eine derartige absolute Bevorzugung Schwerbehinderter ist
aber mit dem Leistungsgrundsatz und der Fürsorgepflicht nicht zu vereinbaren. Es ist
zwar nicht ausgeschlossen, dass die Schwerbehinderteneigenschaft in Konkurrenz zu
anderen beachtenswerten Hilfskriterien als ein zulässiges Zusatzkriterium
herangezogen wird, es ist aber nicht gerechtfertigt, eine starre Reihenfolge der
Hilfskriterien dergestalt aufzustellen, dass sich die Schwerbehinderteneigenschaft stets
durchsetzt.
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Ständige Rechtsprechung des OVG NRW, vgl. Beschlüsse vom 23.02.1990 - 6 B
3586/89 -, 08.08.1990 - 6 B 872/90 -, 21.09.1994 - 12 B 1760/94 -, DVBl. 1995, 207, und
07.03.2003 - 6 B 163/03 -.
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In seinem Beschluss vom 07.03.2003 (a.a.O.) führt das OVG NRW zum Verhältnis der
Hilfskriterien Schwerbehinderung und Beförderungsdienstalter u.a. Folgendes aus:
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Das Beförderungsdienstalter gehört zu den mit dem Leistungsprinzip zu vereinbarenden
Hilfskriterien. Damit wird die bei einem höheren Dienstalter typischerweise mitgebrachte
umfassendere praktische Berufserfahrung für die im Beförderungsamt zu erfüllenden
Aufgaben sachgerecht berücksichtigt. (...) Es verbleibt (...) jedenfalls der Ordnungsfaktor
bei sonst kaum mit objektiven Maßstäben zu bewältigenden
Beförderungsentscheidungen, wenn die Behörde, wie es hier der Fall ist, das
Beförderungsdienstalter in ständiger Praxis als erstes Hilfskriterium (abgesehen von
den Fällen, in denen die Frauenförderung, § 25 Abs. 6 Satz 2 LBG NRW, zu beachten
ist) anwendet. (...)
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Der für das Hilfskriterium der Frauenförderung geltende Prüfungsrahmen ist (...) auf das
Hilfskriterium der Schwerbehinderung nicht zu übertragen. Dieses ist zwar, obwohl es
soziale Belange ohne Qualifikationsbezug betrifft, noch mit dem Leistungsgrundsatz
vereinbar.(...) Ihm kommt jedoch eine gesetzlich herausgehobene Bedeutung wie dem
Hilfskriterium der Frauenförderung nicht zu.(...)
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Etwas anderes lässt sich (...) auch nicht aus § 128 Abs. 1 SGB IX entnehmen. Nach
dieser Vorschrift sind die besonderen Vorschriften und Grundsätze für die Besetzung
der Beamtenstellen unbeschadet der Geltung des Teils 2 auch für schwerbehinderte
Beamte und Beamtinnen so zu gestalten, dass die Einstellung und Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen unter den Beamten und Beamtinnen erreicht wird.
Danach ist die Einstellung und Beschäftigung Schwerbehinderter zu fördern. Der
Anspruch darauf schließt jedoch nicht eine Bevorzugung bei Beförderungen ein.
Allerdings bestimmt Nr. 12.3 der Richtlinien zur Durchführung des
Schwerbehindertengesetzes im öffentlichen Dienst im Landes Nordrhein-Westfalen vom
11. November 1994, MBl. NRW. S. 1522, dass bei Beförderungen und bei der
Übertragung höherwertiger Aufgaben - vorbehaltlich anderer gesetzlicher Regelungen -
bei sonst gleichen Voraussetzungen (Eignung, Befähigung und fachliche Leistung)
Schwerbehinderten der Vorzug zu geben ist. Falls dies im Sinne einer zwingenden
Berücksichtigung des Hilfskriteriums „Schwerbehinderung" zu verstehen sein sollte,
wären diese Richtlinien jedoch durch das Gesetz nicht gedeckt und würden auch gegen
die Fürsorgepflicht des Dienstherrn verstoßen.
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Ergänzend hierzu ist im Beschluss des OVG NRW vom 21.09.1994 (a.a.O.), auch im
Hinblick auf die inhaltsgleichen Bestimmungen des Runderlasses des
Kultusministeriums vom 31.05.1989 (a.a.O.), u.a. ausgeführt:
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Wie aus (...) Verfahren aus dem Bereich des Kultusministeriums zu ersehen ist, wendet
der Antragsgegner jedenfalls im Bereich des Kultusministeriums die Richtlinien auch
nicht so ausschließlich an, wie ihr Wortlaut vermuten lässt. Ob im Bereich der
Justizministeriums die Richtlinie durchgängig derart strikt angewendet wird, braucht der
Senat nicht zu prüfen, weil er eine solche Handhabung auch bei nicht nur summarischer
Prüfung jedenfalls für rechtswidrig und daher unbeachtlich hält. § 14 Abs 2 SchwG
verlangt eine derartige Bevorzugung von Schwerbehinderten nicht. (...) Das
Schwerbehindertengesetz soll in erster Linie die Nachteile ausgleichen, die
Arbeitnehmern aus der Schwerbehinderung erwachsen. Wie die übrigen in § 14 SchwG
normierten Pflichten des Arbeitgebers ist auch der Anspruch des Schwerbehinderten auf
Förderung des beruflichen Fortkommens in diesem Zusammenhang zu sehen. Die
Regelung in Abschnitt I Nr. 12 Abs. 3 der Richtlinien, so sie denn als unbedingte
Bevorzugung des Hilfskriteriums „Schwerbehinderung" gemeint sein sollte, ist daher
vom Gesetz nicht geboten; sie verstieße nach Auffassung des Senats gegen die
Fürsorgepflicht des Dienstherrn. (...) Der Senat hält es mit der Fürsorgepflicht für nicht
vereinbar, wenn Beamte nur aufgrund ihrer Schwerbehinderung, deren Folgen es
lediglich auszugleichen gilt, allen anderen Bewerbern unabhängig von sonstigen
Hilfskriterien vorgezogen werden. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass
Hilfskriterien wie Leistungsentwicklung und Dienstalter (wegen der erworbenen
Berufserfahrung) sogar noch einen gewissen Leistungs- und Eignungsbezug haben.
Der nicht schwerbehinderte Beamte hat bei der Praxis des Antragsgegners sehr viel
geringere Beförderungschancen als der schwerbehinderte Beamte. (...)
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Das beschließende Gericht folgt dieser Rechtsprechung.
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Der Antragsgegner hat diese rechtlichen Maßstäbe bei der unter dem 04.08.2003
getroffenen Auswahlentscheidung nicht hinreichend beachtet, indem er dem
Hilfskriterium der Schwerbehinderung - zudem abweichend von der im Beschluss vom
21.09.1994 (a.a.O.) dargestellten flexiblen Praxis im Bereich des Kultusministeriums -
den absoluten Vorrang eingeräumt hat. Er wird daher bei seiner erneuten Befassung mit
den Bewerbungen des Antragstellers und des Beigeladenen eine Abwägung zwischen
den widerstreitenden Hilfskriterien des höheren Beförderungsdienstalters (und
möglicherweise des höheren allgemeinen Dienstalters) auf der einen und der
Schwerbehinderung auf der anderen Seite vorzunehmen haben.
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Im Übrigen hält es das Gericht nicht für ausgeschlossen, dass der Antragsgegner sich
bereits auf der Leistungsebene - also vor der Befassung mit den genannten Hilfskriterien
- über das von ihm in einschlägigen Fällen berücksichtigte Kriterium der „qualitativen
Ausschärfung" für den Antragsteller entscheiden könnte. Bestimmte Formulierungen der
dienstlichen Beurteilungen bei der Bewertung der „Leitungs- und
Koordinationstätigkeiten" könnten darauf hindeuten, dass sich der Antragsteller - wohl
auch wegen seiner einschlägigen Erfahrungen als Mittelstufenkoordinator seit April
2002 - für die mit der Funktionsstelle verbundenen Aufgaben als (noch) besser
qualifiziert erwiesen hat als der Beigeladene. Auch diese wertende Entscheidung
obliegt aber dem Antragsgegner.
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Dem Antrag ist auch nicht etwa deshalb der Erfolg zu versagen, weil sich mit
Oberstudienrätin N eine weitere Beamtin beworben hatte, welche ebenfalls mit der Note
„Die Leistungen übertreffen die Anforderungen" aktuell beurteilt worden ist und die
möglicherweise im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Frauenförderung dem
Antragsteller vorgezogen werden könnte. Das gilt bereits deshalb, weil diese
Bewerberin nach Mitteilung des Antragsgegners wegen des Erfolgs einer anderen
Bewerbung zwischenzeitlich aus dem vorliegenden Auswahlverfahren faktisch
ausgeschieden ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Soweit der Antrag
nicht erfolgreich war, sieht das Gericht hierin nur ein geringfügiges Unterliegen im Sinne
des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Dem Beigeladenen konnten Kosten nicht auferlegt
werden, da er keinen Antrag gestellt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO); aus diesem Grunde
und weil ein Abweisungsantrag im Wesentlichen auch nicht zu einem Erfolg geführt
hätte, entspricht es zugleich der Billigkeit, dass er etwaige eigene außergerichtliche
Kosten selber trägt.
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Die Streitwertbemessung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
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