Urteil des VG Düsseldorf vom 22.05.2009

VG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, geistige behinderung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, vollziehung, medizinisches gutachten, örtliche zuständigkeit, eltern

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 L 498/09
Datum:
22.05.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 L 498/09
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
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Das Rubrum war von Amts wegen dahingehend zu berichtigen, dass das Schulamt des
Kreises W richtiger Antragsgegner ist.
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der am 7. April 2009 erhobenen Klage
(18 K 2447/09) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. März 2009
wiederherzustellen,
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ist unbegründet.
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Die in dem angegriffenen Bescheid des Antragsgegners vorgenommene Anordnung der
sofortigen Vollziehung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner
hat diese Anordnung in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) genügenden Weise begründet. Danach ist in den
Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO
das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich
zu begründen.
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Dass der Antragsgegner nicht ausdrücklich auf ein besonderes öffentliches Interesse
verwiesen, sondern ausschließlich ausgeführt hat, das Interesse des Antragstellers
mache das sofortige Einsetzen der sonderpädagogischen Förderung mit dem
Förderschwerpunkt geistige Entwicklung erforderlich, begegnet keinen rechtlichen
Bedenken. Der gegenteiligen Auffassung des Antragstellers, wonach für die
Begründung der Vollziehungsanordnung der ausschließliche Rückgriff auf das private
Interesse formell fehlerhaft sei, vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Vielmehr
ist es ausreichend, zur Begründung der Anordnung des Sofortvollzuges ausschließlich
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auf ein Interesse des Antragstellers an einer angemessenen Schulausbildung zu
verweisen. Denn § 19 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG)
i.V.m. der Verordnung über die Sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht
und die Schule für Kranke (AO-SF) übertragen entsprechend dem Verfassungsauftrag in
Art. 6 Abs. 2 Satz 2, Art. 7 Grundgesetz, Art. 8, 10 Verfassung des Landes Nordrhein-
Westfalen der zuständigen Behörde gerade die Aufgabe, die Interessen des betroffenen
Schülers zu wahren, und diese nötigenfalls sogar gegen den Willen seiner
Erziehungsberechtigten durchzusetzen. Diese normative Regelung rechtfertigt es, die
objektiven Interessen des betroffenen Schülers für die Vollziehung einer subjektiv als
belastend empfundenen Maßnahme heranzuziehen,
vgl. bereits Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 18. September 2001
1 L 2407/01 -; siehe auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
(OVG NRW), Beschluss vom 22. Oktober 2001 - 19 B 1341/01 -.
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Gemessen daran ist es unvermeidbar und somit rechtlich nicht zu beanstanden, dass
sich hier die Begründung für den Verwaltungsakt sowie die Begründung für die
Anordnung der sofortigen Vollziehung (zumindest teilweise) sachlich decken und die
Interessen des betroffenen Schülers in den Vordergrund gestellt werden. Keinen
Bedenken begegnet daher der Umstand, dass der Antragsgegner im Rahmen der
Begründung des Sofortvollzuges ausgeführt hat, er sei zur Anordnung der sofortigen
Vollziehung verpflichtet. Unabhängig davon, dass dies einen Gesichtspunkt darstellen
dürfte, den das Gericht im Rahmen der eigenen Interessenabwägung berücksichtigt, ist
im Rahmen des § 80 Abs. 3 VwGO nicht fehlerhaft, wenn das Schulamt regelmäßig von
einem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung ausgeht und
gegenläufige Interessen der Eltern und des Schülers zurückstellt, sobald sie einen
konkreten sonderpädagogischen Förderbedarf festgestellt und eine Sonderschule als
Förderort bestimmt hat,
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vgl. ausdrücklich OVG NRW, Beschlüsse vom 27. August 2004 - 19 B 1516/04 - und -
19 E 876/04 - unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung; anderer Ansicht VG
Gelsenkirchen, Beschluss vom 14. Oktober 2005 - 4 L 1354/05 -.
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Im Einzelnen hat der Antragsgegner zur Begründung des Sofortvollzuges ausgeführt,
die zielgerichtete Förderung des Antragstellers als geistig behindertes Kind sei
unaufschiebbar notwendig, da die bestehenden Entwicklungsrückstände zwingend
einer sonderpädagogischen Förderung mit den Förderschwerpunkt geistige
Entwicklung bedürften. Die Fördermöglichkeiten an der derzeit besuchten Schule, der
Pschule, Städtische Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen, könnten dem
spezifischen Förderbedarf des Antragstellers keinesfalls gerecht werden. Die
bestehenden Defizite vergrößerten sich wesentlich, wenn die bedarfsgerechte
Förderung nicht unverzüglich eintrete. Beim Einsetzen dieser Förderung erst nach
Abschluss eines Gerichtsverfahrens entstünden Entwicklungsrückstände, die nicht
wieder auszugleichen seien. Vorstehende Erwägungen beziehen sich nicht nur auf die
Notwendigkeit, die angefochtene Entscheidung überhaupt umzusetzen, sondern
verhalten sich auch zu der zeitlichen Komponente einer solchen Umsetzung. Damit
gehen sie – zumindest insoweit – sowohl über allgemeine Erwägungen als auch über
die Begründung des Ausgangsbescheides hinaus und lassen die Beweggründe des
Antragsgegners für die Anordnung der sofortigen Vollziehung in hinreichender Weise
erkennen.
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Ob das seitens des Antragsgegners angenommene besondere Vollzugsinteresse
tatsächlich vorliegt, ist keine Frage der (formellen) Begründung der
Vollziehungsanordnung, sondern unterliegt der von dem Gericht eigenständig zu
treffenden Interessenabwägung. Diese Interessenabwägung geht zu Lasten des
Antragstellers aus. Weder ist die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig
noch überwiegt das Aussetzungsinteresse im Übrigen gegenüber dem öffentlichen
Vollziehungsinteresse.
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Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO hat das Gericht bei der Frage, ob die
Vollziehung ausgesetzt und die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer
Klage wiederhergestellt werden soll, den voraussichtlichen Erfolg des eingelegten
Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen. Erweisen sich der Widerspruch oder die Klage
bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen
Überprüfung als offensichtlich begründet, ist ein öffentliches Interesse an der sofortigen
Vollziehung zu verneinen. Ist der Rechtsbehelf dagegen offensichtlich unbegründet, ist
der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls dann
abzulehnen, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung
besteht. Können die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht mit der erforderlichen
Sicherheit beurteilt werden, erweist er sich also weder als offensichtlich begründet noch
als offensichtlich unbegründet, ist eine Interessenabwägung im weiteren Sinne
vorzunehmen. Führt die Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen
Vollziehung mit dem Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung
dazu, dass das öffentliche Interesse als schutzwürdiger anzuerkennen ist, ist die
Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt; anderenfalls ist die aufschiebende
Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs wiederherzustellen.
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Aussetzungsantrag des Antragstellers nicht
begründet und die aufschiebende Wirkung der Klage nicht wiederherzustellen. Der
Bescheid des Antragsgegners vom 30. März 2009, der seine Rechtsgrundlage in § 19
SchulG i.V.m. § 13 Abs. 1 AOSF findet, ist nicht offensichtlich rechtswidrig.
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Der Bescheid dürfte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als formell rechtmäßig erweisen.
Insbesondere dürfte ihm ein ordnungsgemäßes Verfahren vorangegangen sein.
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Hinsichtlich des Verfahrensablaufes kann im Rahmen der hier allein gebotenen
summarischen Prüfung offen bleiben, ob nach Ansicht des Antragsgegners die
Vorschrift des § 15 AO-SF oder – was hier näher liegender wäre – § 16 AO-SF als
maßgebliche Vorschrift zur Regelung des Verfahrensganges heranzuziehen ist.
Jedenfalls ist – wie hier – bei einem Wechsel des Förderschwerpunkts gemäß § 16 Abs.
4 AO-SF und bei einem Wechsel des Förderortes gemäß § 15 Abs. 3 AO-SF
vorgesehen, dass die Klassenkonferenz einen entsprechenden Bericht erstellt und
sodann die Schulaufsichtsbehörde gemäß § 13 dieser Vorschrift entscheidet. Hier hat
der Klassenlehrer des Antragstellers unter Mitwirkung des Lehrerkollegiums unter dem
23. März 2009 einen Bericht zum Ende der Probezeit erstellt, nachdem der Antragsteller
aufgrund des Bescheides des Antragsgegners vom 23. Juni 2008 auf der Pschule
probeweise beschult worden war. Derzeit ist weder vorgetragen noch sind sonstige
Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dieser Bericht nicht als Grundlage zur Beurteilung
des sonderpädagogischen Förderbedarfs dienen durfte.
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Die Frage, ob der Antragsgegner zusätzlich gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 SchulG ein
(erneutes) sonderpädagogisches Gutachten sowie ein medizinisches Gutachten der
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unteren Gesundheitsbehörde vor seiner Entscheidung gemäß § 13 Abs. 1 AO-SF hätte
einholen müssen oder ob insoweit der Bericht vom 23. März 2009 aufgrund der im
Schuljahr 2008/2009 lediglich probeweise erfolgten Beschulung mit dem
Förderschwerpunkt Lernen ausreichend war, kann im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes keine abschließende Klärung finden. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich,
dass ein solcher Verfahrensfehler jedenfalls gemäß § 46 Verwaltungsverfahrensgesetz
für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) unbeachtlich wäre. Nach dieser
Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 44 VwVfG NRW
nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von
Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zu Stande
gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der
Sache nicht beeinflusst hat. Diese Voraussetzungen dürften hier erfüllt sein. Die
genannten Vorschriften der AO-SF sind Verfahrensvorschriften i.S.d. § 46 VwVfG NRW.
Diese Bestimmung enthält keine Beschränkung auf Verfahrenshandlungen nach
Verwaltungsverfahrensgesetz und findet damit grundsätzlich auch auf solche
Verfahrenshandlungen Anwendung, die – wie hier – durch Verordnung geregelt sind. In
der Sache hätte keine andere Entscheidung getroffen werden können, wie sich aus den
weiteren Ausführungen ergibt. Insbesondere eröffnet § 13 Abs. 1 AO-SF der
zuständigen Behörde keinen Ermessensspielraum. Der Wortlaut enthält keinen Hinweis
auf einen Entscheidungsspielraum der Behörde. Ein solcher stünde auch im
Widerspruch zu dem Ziel dieser Regelungen, den betroffenen Schülerinnen und
Schülern eine ihrer Beeinträchtigung des Lernvermögens entsprechende Förderung
zukommen zu lassen. Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren, der Behörde die
Entscheidung zu überlassen, auf die gebotene Förderung möglicherweise doch zu
verzichten. Nichts anderes aber würde die Annahme eines Ermessensspielraums
bedeuten. Selbst wenn aber ein gegenständlich beschränktes Ermessen der Behörde
anzuerkennen wäre, trotz festgestellter Förderungsbedürftigkeit von der Feststellung des
Förderbedarfs bzw. von der Festsetzung des bestgeeigneten Förderorts abzusehen,
setzte seine Eröffnung atypische und hier nicht ersichtliche Fallkonstellationen voraus.
Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 3. September 2002 – 1 L 1250/02 -.
18
Der Bescheid ist auch nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand materiell nicht
offensichtlich rechtswidrig.
19
Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SchulG werden Schüler, die wegen körperlicher, seelischer
oder geistiger Behinderung oder wegen erheblicher Beeinträchtigung des
Lernvermögens nicht am Unterricht einer allgemeinen Schule teilnehmen können, ihrem
individuellen Förderbedarf entsprechend sonderpädagogisch gefördert. Die
Voraussetzungen und das Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen
Förderbedarfs und zur Festlegung des Förderortes wird gemäß § 19 Abs. 3 SchulG
durch Rechtsverordnung bestimmt.
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Hieran anknüpfend bestimmt § 4 Nummer 2 AO-SF, dass eine geistige Behinderung zu
den Behinderungen gehört, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf bedingen
können. In diesem Zusammenhang bestimmt § 6 AO-SF, dass eine geistige
Behinderung bei hochgradigen Beeinträchtigungen im Bereich der kognitiven
Funktionen und in der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit vorliegt und wenn
hinreichende Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Schüler zur selbstständigen
Lebensführung voraussichtlich auch nach dem Ende der Schulzeit auf Dauer Hilfe
benötigt. Liegt hiernach sonderpädagogischer Förderbedarf vor, stellt die zuständige
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Schulaufsichtsbehörde dies nach § 19 Abs. 2 SchulG, § 13 Abs. 1 AOSF fest und
entscheidet zugleich über den schulischen Förderort.
Die Feststellung, ob ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht und wenn ja,
welcher Art dieser Förderbedarf ist, beurteilt sich in der Regel nach dem bisherigen
schulischen Werdegang. Die Ergebnisse sonderpädagogischer Gutachten werden
ergänzend und unterstützend dazu herangezogen.
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OVG NRW, Beschluss vom 11. August 1993 - 19 A 2010/93 -; Verwaltungsgericht
Düsseldorf, Urteile vom 3. Juli 1998 - 1 K 10427/97 -, 25. Oktober 1999 1 K 10413/97
- und 10. März 2000 1 K 6931/99 ; Beschlüsse vom 14. August 2000 - 1 L 2378/00 -
und 18. September 2001 1 L 2407/01 -.
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Nach diesen Maßstäben spricht vieles dafür, dass der Antragsgegner zu recht
festgestellt hat, dass bei dem Antragsteller ein sonderpädagogischer Förderbedarf im
Sinne von § 6 AO-SF vorliegt.
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Nach dem Bericht des Klassenlehrers vom 23. März 2009 vermochte sich der
Antragsteller, der nach einem früheren Versuch im Jahr 2004 erneut probeweise auf der
Pschule beschult wird, nicht in seiner neuen Klasse einzuleben. Immer wieder sei es mit
den Mitschülern zu Auseinandersetzungen und Prügeleien gekommen, wobei er oft
Drohungen, Drohgebärden und Gewalt einsetze, um sich durchzusetzen. So sei das
Sozialverhalten des Antragstellers insgesamt als unbefriedigend zu bezeichnen. Er
könne nicht differenzieren, ob seine Mitschüler ihm positiv begegnen oder ihn zu Taten
animieren, die sie dann hinterrücks belächeln. Er zeige keine Einsicht in die
Konsequenz seines Handelns und habe kein Gespür dafür, ob andere ihn in seiner
Persönlichkeit und/oder Selbstwertgefühl verletzen. Er nehme nicht nur Konflikte wahr,
sondern provoziere diese vielfach, um in Kommunikation mit Mitschülern zu treten.
Hinsichtlich seines Arbeitsverhaltens wird in dem Bericht ausgeführt, der Antragsteller
könne gut und fleißig arbeiten, wenn die äußeren Umstände stimmten und seine
Tagesform gut sei, manchmal verweigere er jedoch auch die Mitarbeit und störe den
Unterrichtsablauf. Ihm falle selbständiges und schlussfolgerndes Denken in fast allen
Bereichen besonders schwer, wobei er überwiegend Einzelhilfe bei der Erledigung der
ihm übertragenen Aufgaben benötige. In der beurteilenden Gesamtschau heißt es, die
Fein- und Grobmotorik des Antragstellers sei nicht altersentsprechend. Er zeige die
Gestik und Mimik eines Dreijährigen und hospitalisiere, sobald er sich unbeobachtet
fühle. Er sei teilweise desorientiert. Der Antragsteller zeige kein Erkennen von
Sinnzusammenhängen. Sein Langzeitgedächtnis sei nur wenig entwickelt. Er habe kein
Selbstwertgefühl. Um den Antragsteller in seiner Entwicklung zu fördern, benötige er
"ganz viele lebenspraktische Dinge, viele Übungen zur Distanzentwicklung und zur
Entwicklung des sozialen Miteinanders, um später in seinem Leben alleine
zurechtzukommen". Er benötige unbedingt einen geschützten Freiraum, den nur eine
Schule für geistige Entwicklung bereitstellen und mit ihren Fördermöglichkeiten
gewährleisten könne. Im Übrigen sei der Antragsteller bei einem Verbleib auf der
Pschule voraussichtlich im kommenden Schuljahr 2009/2010 völlig überfordert, denn
der Lehrplan sehe für die Klasse des Antragstellers an erster Stelle die
Berufsvorbereitung vor. Allerdings sei bei dem während der Probezeit gezeigten
Gesamtbild seiner Person und seiner Fähigkeiten eine erfolgreiche Berufsausbildung
nicht vorstellbar. Aus pädagogischen Gründen und mit einem besonderen Augenmerk
auf einen unkomplizierten Übergang nach seiner Schulzeit in eine beschützte Werkstatt
werde daher die Schule für geistige Entwicklung als besserer Förderort empfohlen. Zu
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seinem eigenen Schutz sei es wichtig, erst einmal weitere Schlüsselvoraussetzungen
zu entwickeln bzw. zu erlernen, um in einer offenen Gesellschaft bestehen zu können.
Diese Schlussfolgerungen decken sich im Übrigen mit denen des Gutachtens zur
Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs vom 25. April 2001, woraufhin der
Antragsteller zu Beginn des Schuljahres 2001/2002 an der Schule für Geistigbehinderte
(heute: G-Schule, Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung)
eingeschult worden war. Eine inhaltlich übereinstimmende Bewertung findet sich zudem
in der Stellungnahme vom 15. Juni 2004, die seinerzeit die Grundlage für die
Beurteilung bildete, ob der Antragsteller nach einem probeweisen Beschulungsversuch
an der Pschule im Schuljahr 2003/2004 dort ausreichend gefördert werden konnte.
Bereits damals sprachen sich die Lehrer gegen den Verbleib an der Schule aus und
empfahlen eine Rückkehr zur G-Schule.
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Sämtliche Stellungnahmen der mit dem Antragsteller befassten Lehrer lassen nach
vorstehenden Ausführungen keinen Zweifel daran aufkommen, dass bei dem
Antragsteller eine hochgradige Beeinträchtigung im Bereich der kognitiven Funktionen
und in der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit vorliegt. Auch die weiteren
Voraussetzungen sind erfüllt, wie sich im Einzelnen aus vorstehendem Bericht des
Klassenlehrers ergibt. Denn der Umstand, dass der bei dem Antragsteller vorhandene
Entwicklungsrückstand trotz der bereits bisher erfolgten Förderung gerade auch bei für
eine selbstständige Lebensführung unentbehrlichen Grundfähigkeiten besonders
ausgeprägt ist, spricht zugleich dafür, dass dieser im Sinne von § 6 AO-SF
voraussichtlich auch nach dem Ende der Schulzeit auf Dauer Hilfe benötigen wird.
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Nach allem spricht vieles dafür, dass die Feststellung einer geistigen Behinderung im
Sinne des § 6 AO-SF nicht zu beanstanden ist. Dem stehen auch nicht die von dem
Antragsteller vorgebrachten Einwände entgegen. Diese sind bereits weitgehend
unsubstantiiert und schon von daher ungeeignet, die Ergebnisse der im schulischen
Alltag gewonnenen Erkenntnisse in Zweifel zu ziehen. Hier dürfte in erster Linie der
Wunsch der Eltern des Antragstellers im Vordergrund stehen, ihr Kind auf einer Schule
für Lernbehinderte beschulen zu lassen; an einer inhaltliche Auseinandersetzung mit
den gewonnenen Eindrücken der Lehrer fehlt es jedoch gänzlich.
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Weiterhin spricht bei summarischer Prüfung ausgehend davon, dass bei dem
Antragsteller eine geistige Behinderung vorliegt, alles für die Rechtmäßigkeit der von
dem Antragsgegner vorgenommenen Festlegung einer Förderschule mit dem
Förderschwerpunkt "geistige Entwicklung" (vgl. §§ 1 Abs. 2 Nr. 2, 13 Abs. 3 Satz 2 AO-
SF) als schulischen Förderort. Dass der von dem Antragsgegner bestimmte Förderort
nicht geeignet wäre, ist weder von den Antragstellern substantiiert geltend gemacht
noch sonst ersichtlich.
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Die Interessenabwägung im Übrigen geht auch zu Lasten des Antragstellers, denn ein
besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung liegt
ebenfalls vor. Es liegt im öffentlichen Interesse, die Interessen des betroffenen Schülers
an einer optimalen schulischen Förderung zu wahren. Diese können nötigenfalls sogar
gegen den Willen seiner Erziehungsberechtigten durchzusetzen sein, sodass es
gerechtfertigt ist, die objektiven Interessen des betroffenen Schülers auch als öffentliche
Interessen im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen.
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Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschlüsse vom 3. September 2002 - 1 L
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1250/02 -, und vom 30. Dezember 2002 - 1 L 4556/02 -.
Käme der Klage aufschiebende Wirkung zu, wäre mit der Durchsetzung der
angefochtenen Entscheidung nach der derzeitigen durchschnittlichen Dauer
verwaltungsgerichtlicher Klage- und Rechtsmittelverfahren voraussichtlich in Kürze
nicht zu rechnen. Dann aber würde der Antragsteller weiterhin auf nicht absehbare Zeit
auf einer Schule belassen, die ihn nicht in hinreichender Weise zu fördern vermag.
Damit wäre zu befürchten, dass sich Entwicklungsdefizite verstärken und vertiefen, die
nicht mehr behebbar sind. Es liegt im öffentlichen und darüber hinaus im eigenen
Interesse des Antragstellers an einer angemessenen Schulausbildung und einer
positiven Persönlichkeitsentwicklung, dass er ab sofort eine Schule besucht, die ihn in
seinen individuellen Fähigkeiten entsprechend fördern kann.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2001 - 19 B 1341/01 -; vgl. ebenfalls OVG
NRW, Beschlüsse vom 27. August 2004 - 19 B 1516/04 - und - 19 E 876/04 -.
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Es besteht hier im Ergebnis nach den vorliegenden Erkenntnissen kein Zweifel daran,
dass der Antragsteller aufgrund seines umfassenden Förderbedarfs, der ein hohes Maß
an individueller Zuwendung und eine Arbeit in sehr kleinen Lerngruppen erfordert, an
der derzeit besuchten Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen nicht
ausreichend gefördert werden kann. Gerade auch mit Blick auf die vom Klassenlehrer
geschilderten Schwierigkeiten im Sozialverhalten erscheint es um so dringlicher, dass
der Antragsteller unverzüglich seinen Fähigkeiten entsprechend und vor allem in einem
beschützten Umfeld gefördert wird, um ihm die geschilderten erniedrigenden
Situationen im Schulalltag zu ersparen. Dass die Eltern des Antragstellers dessen
ungeachtet die hier angefochtene Entscheidung dahingehend verstanden haben wollen,
eine Beschulung auf der GSchule sei lediglich für den restlichen Zeitraum des
Schuljahres 2008/2009 angedacht, während die Beschulung im Schuljahr 2009/2010
erneut auf der Pschule erfolgen solle, ist angesichts der eindeutigen Ausführungen in
dem angefochtenen Bescheid sowie im Zusammenhang mit dem Bericht des
Klassenlehrers nicht nachvollziehbar. Dieser Einwand kann daher im Rahmen der
Interessenabwägung nicht dazu führen, das Aussetzungsinteresse gegenüber dem
Vollzugsinteresse als höherwertig zu betrachten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
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