Urteil des VG Cottbus vom 13.03.2017

VG Cottbus: aufschiebende wirkung, entziehung, öffentliches interesse, vollziehung, rückstufung, verwarnung, form, rechtskraft, verwaltungsakt, ordnungswidrigkeit

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Gericht:
VG Cottbus 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 L 344/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 5 StVG, § 4 Abs 3 StVG
(Dauerhafte Punktereduzierung durch Punkteabzug nach § 4
Abs. 5 StVG)
Leitsatz
1. Der Punkteabzug nach § 4 Abs. 5 StVG führt zu einer dauerhaften Punktereduzierung.
Nachfolgende Tilgungen werden mit dem Punkteabzug nicht in der Weise verrechnet, dass
sich Tilgungen auf den Punktestand erst dann wieder auswirken, wenn sie den zuvor nach § 4
Abs. 5 StVG vorgenommenen Punkteabzug gleichsam aufgezehrt haben.
Der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein Westfalen (Beschluss vom 17. Juni 2005 -
16 B 2710/04-) ist insoweit zu folgen. Die Gegenansicht (VG Potsdam, Beschluss vom 25. Juli
2006 -10 L 146/06-) überzeugt nicht. Bei Anwendung der Punktereduzierung nach § 4 Abs. 5
StVG kann es auch bei nachfolgenden Tilgungen nicht zu einem negativen Punktestand
kommen.
2. Bei der Ermittlung des Punktestandes nach § 4 Abs. 3 StVG ist sowohl unter
grundsätzlicher Geltung des sog. Tattagprinzip als auch des sog. Rechtskraftprinzip auf den
Tattag abzustellen.
3. Die Aufforderung, den Führerschein abzugeben, ist nicht von Gesetzes wegen sofort
vollziehbar.
Tenor
1. Das Verfahren wird, soweit der Antragsteller seinen Antrag zurückgenommen hat,
eingestellt.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 03. September
2007 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. August 2007 wird hinsichtlich
der ausgesprochenen Entziehung der Fahrerlaubnis und der Zwangsmittelandrohung
angeordnet und hinsichtlich der Verpflichtung, den Führerschein abzugeben oder zu
übersenden, wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller zu 1/3 und der Antragsgegner zu 2/3.
2. Der Streitwert wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.
Gründe
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 27. September 2007 hat der
Antragsteller seinen -bereits mangels einer besonderen Eilbedürftigkeit nicht Erfolg
versprechenden- Antrag auf Feststellung, dass ihm ein Punkterabatt aufgrund der
Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung zu gewähren sei,
zurückgenommen. Daher ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) insoweit einzustellen.
Der gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat Erfolg. Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines
Rechtsbehelfs in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes
gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet worden ist, wiederherstellen und in
den Fällen, in denen einem Rechtsbehelf die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 bis 3 und Satz 2 VwGO von vornherein nicht zukommt, anordnen, wenn das
private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Das ist jedenfalls dann der Fall,
wenn der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, da nach dem
Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG an der sofortigen Vollziehung eines noch nicht
bestandskräftigen, offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes ein öffentliches
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bestandskräftigen, offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes ein öffentliches
Interesse nicht bestehen kann. Dagegen überwiegt das öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts das private Interesse des Antragstellers, von
der Vollziehung vorläufig verschont zu bleiben, regelmäßig dann, wenn sich der
Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist und – in den Fällen des § 80 Abs. 2
Satz 1 Nr. 4 VwGO – zusätzlich ein besonderes Vollzugsinteresse hinzutritt. Angesichts
der Wertung des Gesetzgebers in § 4 Abs. 7 Satz 2 des Straßenverkehrsgesetzes
(StVG), wonach ein Fahrerlaubnisentzug nach dem Punktesystem bereits von Gesetzes
wegen sofort vollziehbar ist, ist die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung
grundsätzlich nur dann geboten, wenn sich der von Gesetzes wegen sofort vollziehbare
Verwaltungsakt bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung als
offensichtlich rechtswidrig erweist oder doch zumindest die Hauptsache mit hoher
Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird.
Hiervon ausgehend fällt die Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers aus. Die
auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis erweist sich als
offensichtlich rechtswidrig. Nach dieser Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde die
Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich für den Fahrerlaubnisinhaber 18 oder mehr
Punkte ergeben, der Betroffene gilt dann als ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen. Die Voraussetzungen für eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach dieser
Vorschrift liegen indes nicht vor. Zwar ist der Antragsteller derzeit mit insgesamt 9
Zuwiderhandlungen im Verkehrszentralregister eingetragen, die für sich betrachtet den
vom Antragsgegner angenommenen Punktestand von 19 Punkten ergeben würden; auf
die Aufstellung der Zuwiderhandlungen in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners
vom 29. August 2007 wird Bezug genommen.
Der Punktestand des Antragstellers ist indes gemäß § 4 Abs. 5 StVG zu reduzieren.
Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG wird der Punktestand auf 13 Punkte reduziert, erreicht oder
überschreitet der Betroffene 14 oder 18 Punkte, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde die
Maßnahmen nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 (Verwarnung nach dem Punktesystem) ergriffen
hat. Sein Punktestand wird gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 Punkte reduziert, wenn
der Betroffene 18 Punkte erreicht oder überschreitet, ohne dass die
Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahmen nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 StVG (Anordnung
eines Aufbauseminars) ergriffen hat.
Hiervon ausgehend war der Punktestand des Antragstellers zum einen deshalb zu
reduzieren, weil der Antragsgegner die Verwarnung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG zu
einem Zeitpunkt ausgesprochen hat, als der Antragsteller bereits 14 Punkte erreicht
hatte. Der Antragsgegner hat den Antragsteller unter dem 10. März 2004 verwarnt. Zu
diesem Zeitpunkt hatte der Antragsteller bereits 6 Zuwiderhandlungen in Form von
Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit begangen und zwar am
23. Dezember 2001 (3 Punkte), 14. Februar 2003 (1 Punkt), 28. August 2003 (3 Punkte),
28. Oktober 2003 (1 Punkt), 11. Dezember 2003 (3 Punkte) und 05. März 2004 (3
Punkte). Ausgehend von den genannten Tattagen ergab sich damit ein Punktestand von
14 Punkten, der auf 13 Punkte zu reduzieren war. Hiervon geht ersichtlich auch der
Antragsgegner aus, der ausweislich eines gefertigten Vermerks (Blatt 19 des
Verwaltungsvorgangs) eine Reduzierung der Punktezahl von 14 auf 13 Punkte
vorgenommen hat. Ferner hat der Antragsgegner unter dem 21. Dezember 2004 die
Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen und gegenüber dem
Antragsteller die Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet. Zu diesem Zeitpunkt
hatte der Antragsteller zwei weitere Zuwiderhandlungen (Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit am 28. Juli 2004 und 01. Oktober 2004) begangen, die jeweils mit
drei Punkten zu bewerten sind. Ausgehend von den bis zu diesem Zeitpunkt
verwirklichten Verkehrszuwiderhandlungen ergaben sich für den Antragsteller damit
bereits 20 Punkte bzw. unter Berücksichtigung der Punktereduzierung aufgrund der
verspätet erfolgten Verwarnung (Reduzierung auf 13 Punkte) 19 Punkte. Gemäß § 4 Abs.
5 Satz 2 StVG ist der Punktestand deshalb auf 17 Punkte zu reduzieren.
War damit der Punktestand des Antragstellers aufgrund der Regelung des § 4 Abs. 5
StVG um insgesamt 3 Punkte zu reduzieren, so kommt dem Antragsteller diese
Reduzierung auch noch derzeit und zwar auch mit Blick auf die Tilgung der mit 3 Punkten
zu bewertenden Zuwiderhandlung vom 23. Dezember 2001 (Rechtskraft des
Bußgeldbescheides: 04. April 2002) zu Gute. Denn der Punkteabzug nach § 4 Abs. 5
StVG wirkt sich nicht nur im Hinblick auf die jeweils anstehende Maßnahme nach § 4 Abs.
3 Satz 1 StVG aus, sondern führt zu einer dauerhaften Punktereduzierung. Der
Punkteabzug wird auch nicht mit nachfolgenden Tilgungen in der Weise verrechnet, dass
sich Tilgungen auf den Punktestand erst dann wieder auswirken, wenn sie den zuvor
nach § 4 Abs. 5 StVG vorgenommen Punkteabzug gleichsam aufgezehrt haben. Die
Kammer schließt sich insoweit der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
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Kammer schließt sich insoweit der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 17. Juni 2005 -16 B 2710/04-, zitiert nach Juris) an.
Dabei ist der von dem Oberverwaltungsgericht anhand des in der Gesetzesbegründung
(BT-Drucks. 14, 4304, Seite 10) aufgeführten Fallbeispiels
"Begeht dieselbe Person [d.h. ein Fahrerlaubnisinhaber, der bereits verwarnt worden
ist und bislang 13 Punkte erreicht hatte] eine Straftat, erreicht sie auf einen Schlag
mindestens 18 Punkte, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde Maßnahmen nach § 4 Abs.
3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergreifen konnte. Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 StVG ist der
Betroffene jetzt [auf der Grundlage der bis dahin geltenden Gesetzesfassung] so zu
behandeln, als hätte er 14 Punkte. Er kann also sogar eine weitere Ordnungswidrigkeit
begehen, die mit drei Punkten bewertet wird, ohne die Fahrerlaubnis zu verlieren."
gezogene Schluss
„Anhand dieses Fallbeispiels wird deutlich, dass sich schon auf der Grundlage des bis
zum 26. März 2001 geltenden Rechts die Punktereduzierung nicht nur auf die gerade
anstehende Maßnahme nach § 4 Abs. 3 StVG beziehen, sondern auch noch nach
zukünftigen Änderungen des Punktestandes rechnerisch weiterwirken und bei dann zu
prüfenden Maßnahmen zu berücksichtigen sein sollte. Denn anderenfalls hätte in dem
genannten Beispiel die weitere Ordnungswidrigkeit zwingend zu einem Punktestand von
21 und damit zur Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG) führen
müssen ...“
zwar in dieser Form nicht nachvollziehbar. Denn selbst, wenn § 4 Abs. 5 StVG in seiner
bis zum 26. März 2001gültigen Fassung, wonach der Fahrerlaubnisinhaber so zu stellen
war, als ob er 9 oder 14 Punkte hätte, dahingehend auszulegen war, dass lediglich eine
fiktive Rückstufung des Punktestandes erfolgte, wäre für weitere Maßnahmen der
Fahrerlaubnisbehörde von diesem fiktiven Punktestand auszugehen gewesen. Dies folgt
schon daraus, dass die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StVG nicht
für sich allein stehen, sondern zugleich Voraussetzung für das Erreichen der nächsten
Stufe des Punktesystems sind und sie die nachfolgenden Maßnahmen und namentlich
den Fahrerlaubnisentzug in diesem Sinne vorbereiten und zwar unabhängig davon, ob
dem Betroffenen ein tatsächlicher oder nur fiktiver Punktestand vorzuwerfen wäre. Die
Regelung des § 4 Abs. 5 StVG a.F. wäre andernfalls zudem weitgehend gegenstandslos.
Die übrigen Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts, denen sich die Kammer
anschließt, in dem genannten Beschluss sind hingegen überzeugend:
„Ausschlaggebend für diese Bewertung ist, dass § 4 Abs. 5 StVG einen "echten"
Punkteabzug gewährt und nicht etwa den Fahrerlaubnisinhaber lediglich im Hinblick auf
die jeweils anstehende Maßnahme nach § 4 Abs. 3 StVG (vorübergehend) besserstellt.
So auch VG Gießen, Beschluss vom 26. Februar 2003 - 6 G 368/03 -, Juris.
Für diese Sichtweise spricht bereits der Wortlaut des § 4 Abs. 5 StVG, insbesondere
bei der Gegenüberstellung mit dem Wortlaut der Bestimmung in der Gesetzesfassung
vom 24. April 1998 (BGBl. I S. 747), wie sie bis zum 26. März 2001 gegolten hat. Nach §
4 Abs. 5 StVG a.F. wurde der Fahrerlaubnisinhaber nach einer zuvor iSv § 4 Abs. 3 StVG
unzureichend sanktionierten Erhöhung seines Punktestandes lediglich "so gestellt, als ob
er neun bzw. 14 Punkte hätte". Die seinerzeitige Gesetzesformulierung sprach somit für
eine lediglich fiktive, im Hinblick auf die jeweils aktuell ins Auge gefasste Sanktion nach §
4 Abs. 3 StVG gewährte bzw. auf diese beschränkte Besserstellung des
Fahrerlaubnisinhabers. Demgegenüber hat § 4 Abs. 5 StVG seit der Gesetzesänderung
vom 19. März 2001 (BGBl. I S. 386) ausdrücklich eine "Reduzierung" des Punktestandes
auf 13 (Satz 1) bzw. auf 17 Punkte (Satz 2) zum Inhalt. Für eine lediglich anlassbezogene
bzw. zeitlich beschränkte Minderung der Punktezahl gibt der nunmehr geltende Wortlaut
des § 4 Abs. 5 StVG nichts mehr her.
Die Gesetzesmaterialien unterstreichen diesen Befund. Dem Gesetzgeber stand, wie
aus der Gesetzesbegründung hervorgeht, bei der Änderung des § 4 Abs. 5 StVG der
Unterschied zwischen einer bloßen "Als-Ob-Regelung" und einer "tatsächlichen"
Punktereduzierung deutlich vor Augen. Die geänderte Gesetzesformulierung sollte
ausdrücklich der Klarstellung dienen, dass sowohl bei der Bewertung durch die örtliche
Fahrerlaubnisbehörde als auch bei der Registrierung im Verkehrszentralregister die
Rückstufung tatsächlich erfolgt.
BT-Drs. 14/4304, S. 10 (zu Nummer 3, Buchst. b). „
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„Weder dem Gesetzeswortlaut noch den Äußerungen des Gesetzgebers und dem
objektiven Sinn und Zweck des Punktsystems kann darüber hinaus entnommen werden,
dass einem Fahrerlaubnisinhaber, dem ein Punkteabzug nach § 4 Abs. 5 StVG gewährt
worden ist, nachfolgende Tilgungen nach § 29 StVG so lange nicht zugute kommen, bis
der Punkteabzug durch die nachfolgenden Tilgungen gleichsam aufgezehrt worden ist.
So aber VG Potsdam, Beschluss vom 16. September 2002 - 10 L 580/02 -,
veröffentlicht unter www. fahrerlaubnisrecht.de/Urteile.
Dem Gesetz ist schon nicht zu entnehmen, dass der Punkteabzug nach § 4 Abs. 5
StVG überhaupt bestimmten konkreten Verkehrsverstößen zugeordnet werden kann
oder soll. Erst recht fehlt jeder Hinweis darauf, dass sich der Punkteabzug - und auf diese
Sicht der Dinge liefe die soeben angeführte Rechtsprechung hinaus - speziell auf die als
nächstes zur Tilgung anstehenden Verkehrsverstöße beziehen soll. Soweit es in der
Gesetzesbegründung heißt, es werde "auch klargestellt, dass jede weitere
Verkehrszuwiderhandlung zum Erreichen des nächsten Schwellenwertes führt", kann das
ohne eine nähere Verdeutlichung einer dahingehenden gesetzgeberischen Absicht nicht
unbesehen dahin verstanden werden, dass die Bestimmungen über die Tilgung von
Verstößen oder sonstigen relevanten Eintragungen im Verkehrszentralregister
modifiziert werden sollten. Vielmehr bezieht sich diese Klarstellung offenkundig allein auf
die Folgen der Anhebung der Punktezahl, auf die gemäß § 4 Abs. 5 StVG zurückgestuft
wird. Schließlich kann auch nicht davon die Rede sein, der Fahrerlaubnisinhaber werde
durch die Gewährung des Punkteabzugs nach § 4 Abs. 5 StVG und durch eine hiervon
unbeeinflusste Tilgung von Verstößen nach § 29 StVG in unangemessener Weise doppelt
begünstigt. In Wahrheit verhält es sich vielmehr so, dass der Punkteabzug nach § 4 Abs.
5 StVG und die Tilgung nach § 29 StVG auf jeweils unterschiedlichen Sachverhalten
beruhen. Liegen zu einem bestimmten Zeitpunkt - namentlich anlässlich der Prüfung
durch die Fahrerlaubnisbehörde, ob eine Maßnahme nach § 4 Abs. 3 StVG zu ergreifen
ist - die jeweils eigenständigen tatbestandlichen Voraussetzungen beider
Begünstigungen vor, widerspricht es weder den Intentionen des Punktsystems noch
allgemein dem Gerechtigkeitsempfinden, wenn dann auch beide Begünstigungen
nebeneinander angewandt und nicht ohne eine hinreichende gesetzliche Grundlage
miteinander verrechnet werden.“
Der gegenteiligen Ansicht (VG Potsdam, Beschluss vom 25. Juli 2006 -10 L 146/06-,
zitiert nach Juris), wonach spätere Tilgungen einen Punkteabzug erst dann zur Folge
haben, wenn die Summe der auf die getilgten Eintragungen entfallenden Punkte die
Summe der zuvor bereits nach § 4 Abs. 5 StVG abzuziehenden Punkte übersteigt,
vermag die Kammer nicht zu folgen. Gegen die Ansicht spricht namentlich schon die
Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14, 4304, Seite 10), wonach mit der Formulierung in § 4
Abs. 5 StVG klargestellt werden sollte, dass eine Rückstufung tatsächlich und nicht nur in
Form einer „Als-Ob-Regelung“ erfolgt. Die tatsächliche Rückstufung nach § 4 Abs. 5
StVG betrifft aber nicht bloß die einzelnen, zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits
begangene Zuwiderhandlungen, sondern bezieht sich auf die Gesamtzahl der Punkte für
die jeweiligen Zuwiderhandlungen. Dies folgt unmittelbar aus dem Wortlaut von § 4 Abs.
5 StVG. Hiernach wird nämlich der bereits erreichte Punktestand, und damit die Summe
der Punkte, auf 13 bzw. 17 Punkte reduziert. Der Einwand, dass der Punktestand auf
„unter Null“ absinken könne, überzeugt nicht, da ein solcher Fall im Rahmen der
Anwendung von § 4 Abs. 5 StVG nicht auftreten kann. Denn die Punktereduzierung nach
§ 4 Abs. 5 StVG bezieht sich ausschließlich auf den im Zeitpunkt der Maßnahmen nach §
4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StVG vorhandenen Punktestand als Summe der Punkte
der einzelnen bereits begangenen Zuwiderhandlungen. Ihre Wirkung beschränkt sich
damit auch auf diese Zuwiderhandlungen sowie die sich daraus ergebende Punktezahl
und wirkt nicht darüber hinaus. Hat etwa ein Betroffener im Zeitpunkt der Verwarnung
nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG bereits 14 Punkte erreicht oder überschritten und wird
sein Punktestand dann nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG auf 13 Punkte reduziert, wird die
Punktebewertung für zeitlich nachfolgende Zuwiderhandlungen von der Reduzierung
nicht berührt mit der Folge, dass der Punktestand für letztere „positiv“ bleibt. Mit der
Tilgung sämtlicher Eintragungen im Verkehrszentralregister, die zu einem Erreichen bzw.
Überschreiten der Zahl an 14 oder 17 Punkten geführt und zu Gunsten des
Fahrerlaubnisinhabers eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 5 StVG bewirkt haben, wird
dann auch die Punktereduzierung gegenstandslos. Soweit des Weiteren ein
Systemwiderspruch darin gesehen wird, dass sich der für § 4 Abs. 3 StVG zugrunde zu
legende Gesamtpunktestand nicht mit der Summe der Einzelbewertungen nach § 4 Abs.
2 Satz 1 StVG decke, so ist diese Folge im Punktesystem selbst angelegt, wie auch die
Regelungen in § 4 Abs. 4 StVG zeigen.
Hatte nach alledem im Zeitpunkt der Anordnung eines Aufbauseminars eine
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Hatte nach alledem im Zeitpunkt der Anordnung eines Aufbauseminars eine
Reduzierung der Punktezahl um insgesamt 3 Punkte auf 17 Punkte zu erfolgen, so ergibt
sich unter Berücksichtigung der späteren Tilgung der Zuwiderhandlung vom 23.
Dezember 2001 (3 Punkte) ein Punktestand von 14 Punkten. Zuzüglich der Punkte für
die Zuwiderhandlungen vom 10. August 2006 und 02. März 2007, die mit jeweils einem
Punkt zu berücksichtigen sind, ergibt sich damit eine Gesamtpunktzahl von derzeit
höchstens 16 Punkten. Einer Entscheidung, ob bei der Anwendung des Punktesystems
grundsätzlich vom Tattag der zugrundeliegenden Zuwiderhandlungen auszugehen ist
(vgl. zum Tattagprinzip: OVG Thüringen, Beschluss vom 12. März 2003 -2 EO 688/02-,
NJW 2003, 2770; OVG Sachsen, Beschluss vom 15. August 2006 -3 Bs 241/05-, zitiert
nach Juris; VGH Bayern, Beschlüsse vom 14. Dezember 2005 -11 CS 05.1677- und vom
11. August 2006 -11 CS 05.2735-, jeweils zitiert nach Juris) oder im Rahmen des
Punktesystems regelmäßig auf den Tag der Rechtskraft (zum sog. Rechtskraftprinzip vgl.
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09. Februar 2007 -16 B 2174/06-, zitiert nach
Juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. Februar 2007 -1 M 8/07-, zitiert nach Juris;
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 21. Januar 2003 -12 ME 810/02-, NJW 2003, 1472)
abzustellen ist, bedarf es vorliegend nicht. Auch unter Geltung des sog.
Rechtkraftprinzips, wonach für das Ermitteln von Punkteständen grundsätzlich die
Rechtskraft der jeweiligen Entscheidungen maßgeblich sei, ist für die Frage, ob die
Behörde die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StVG rechtzeitig
ergriffen hat, (dann ausnahmsweise) auf den Tattag der Zuwiderhandlung abzustellen.
Sinn und Zweck des Punktesystems erfordern es, dass die von der
Fahrerlaubnisbehörde zu treffenden Maßnahmen den Fahrerlaubnisinhaber rechtzeitig
erreichen und dieser sein Verhalten vor Erreichen der nächsten Stufe des
Maßnahmekatalogs noch entsprechend ausrichten kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 09. Februar 2007, a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt, a.a.O.; auf den Tattag
auch abstellend: VG Cottbus, Urteil vom 21. September 2005 -2 K 1161/04-). Die
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen unwiderlegbar vermuteter Nichteignung ist nur
gerechtfertigt, wenn der Betroffene trotz der mit den vorhergehenden Stufen des
Maßnahmekatalogs nach § 4 Abs. 3 StVG vorgesehenen Hilfestellungen und Warnungen
sowie der angebotenen Reduzierungsmöglichkeiten (§ 4 Abs. 4 StVG) 18 Punkte oder
mehr erreicht. Wenn die zu einem Punktestand von 18 Punkten führende Verfehlung
zuvor schon begangen wurde, verfehlt die Maßnahme, da der Betroffene sein Verhalten
nicht mehr ändern kann, aber ihren Zweck (vgl. hierzu auch OVG für das Land
Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2005 -5 B 211/04- und Beschluss vom 16. Juli
2003 -4 B 145/03-, jeweils veröffentlicht in Juris; Beschluss der Kammer vom 06. Mai
2003 -2 L 602/02-).
Ist mithin nur von einem Punktestand von 16 Punkten auszugehen, so liegen die
Voraussetzungen für eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
StVG nicht vor. Dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist mithin
stattzugeben, ohne dass es auf die Frage noch ankommt, ob dem Antragsteller
aufgrund der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung in der Zeit vom 24.
Oktober 2006 bis 15. November 2006 ein Punkteabzug nach § 4 Abs. 4 Satz 2 StVG zu
Gute kommt. Mangels eines rechtmäßigen und vollziehbaren Fahrerlaubnisentzugs ist
auch der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins die Grundlage genommen. Da
diese auch mit Blick auf § 47 Abs. 1 Satz 2 Fahrerlaubnisverordnung nicht von Gesetzes
wegen sofort vollziehbar ist (ständige Rechtsprechung der Kammer; vgl. nur Beschlüsse
der Kammer vom 26. April 2002 - 2 L 216/02- und 05. Februar 2006 -2 L 338/06-; OVG B-
Stadt-Brandenburg, Beschluss vom 30. März 2007 -OVG 1 S 31.07-, veröffentlicht in
Juris; a.A. Bayerische VGH, Beschluss vom 09. Juni 2005 -11 Cs 05.478-, VRS 109, 141) -
§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO verlangt ein Gesetz im formellen Sinne, der
Fahrerlaubnisverordnung kommt als bundesrechtliche Verordnung ein solche Qualität
aber nicht zu-, ist die aufschiebende Wirkung insoweit wiederherzustellen. In Bezug auf
die Zwangsmittelandrohung ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt, soweit der Antragsteller seinen Antrag zurückgenommen
hat, aus § 155 Abs. 2 VwGO. Soweit das Eilrechtschutzbegehren Erfolg hat, sind die
Kosten dem Antragsgegner aufzuerlegen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die tenorierte
Kostenentscheidung trägt dem Rechnung (§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 des
Gerichtskostengesetzes (GKG). Das Interesse des Antragstellers in Bezug auf den
Behalt seiner Fahrerlaubnis der Klasse B ist mit dem Auffangwert (5.000,- Euro)
angemessen bewertet. Soweit der Antragsteller die Feststellung eines Punkterabattes
begehrt hat, erachtet die Kammer die Hälfte des Streitwerts für die Entziehung der
Fahrerlaubnis als angemessen. Der sich hieraus ergebende Betrag (7.500 Euro) ist mit
Blick auf die Vorläufigkeit einer Regelung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes
zu halbieren.
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