Urteil des VG Berlin vom 05.10.2010

VG Berlin: ordre public, besondere härte, elterliche sorge, gütliche einigung, europäisches sorgerechtsübereinkommen, kosovo, anerkennung, visum, botschaft, sorgerechtsentscheidung

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Gericht:
VG Berlin 29.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
29 K 169.09 V
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 32 Abs 3 AufenthG
Familiennachzug und Anerkennung einer ausländischen
Sorgerechtsentscheidung
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der Deutschen Botschaft Pristina
vom 10. September 2009 verpflichtet, dem Kläger ein Visum zum Familiennachzug zu
seinem Vater zu erteilen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen
die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der am 4. September 1993 im Kosovo geborene Kläger besitzt die Staatsangehörigkeit
dieses Landes und begehrt ein Visum zum Nachzug zu seinem Vater.
Der Vater lebt seit 1994 in Deutschland. Seine 1976 geschlossene Ehe mit der
Kindesmutter wurde 1996 einvernehmlich geschieden. Der Vater ist mit einer deutschen
Staatsbürgerin verheiratet und besitzt seit dem Jahre 2000 eine unbefristete
Aufenthaltserlaubnis. Er befindet sich seit Februar 2001 in einem – vom
Betriebsübergang per 1. August 2007 abgesehen – ununterbrochenen und unbefristeten
Arbeitsverhältnis als Küchenkraft. Seine Nettoeinkünfte liegen durchgehend bei ca.
1.255,00 Euro. Im November 2003 übertrug die Ehefrau dem Vater die Hälfte der ihr bis
dahin allein gehörenden, von den Eheleuten gemeinsamen bewohnten
Eigentumswohnung mit einer Größe von 50 m². Seine Ehefrau bezieht eine Rente wegen
Erwerbsminderung in Höhe von derzeit 673,09 Euro.
Der Kläger lebte bei seiner nicht erwerbstätigen Mutter im Kosovo und besuchte dort bis
zum Ende des Schuljahres 2008 die Schule, die er mit der 9. Klasse beendete.
Mit Beschluss vom 12. März 2009 gab das Amtsgericht in Podujevo mit Zustimmung der
Kindesmutter einem Antrag des Vaters statt, ihr das Sorgerecht für den Kläger zu
entziehen. Nach der vorliegenden Übersetzung hat die Prozessbevollmächtigte des
Vaters in dem Verfahren geltend gemacht, die Mutter habe die „Sorge und Erziehung
des Kindes ernsthaft vernachlässigt und der Antragsteller hat die finanzielle Möglichkeit
für sein Kind zu sorgen“. Die persönlich anwesende Mutter sei dem nicht entgegen
getreten, „weil der Antragsteller die bessere finanzielle Lage hat. In den Urteilsgründen
heißt es (nach der vorliegenden Übersetzung): „Weil der Antragsteller finanziell besser
gestellt ist und das Kind besser pflegen und erziehen kann als die Antragsgegnerin, die
ihre Pflichten als Mutter vernachlässigt hat, wurde entschieden, der Antragsgegnerin das
elterliche Sorge- und Erziehungsrecht zu entziehen.“
Das „Zentrum für Sozialarbeit-Fürsorgeorgan (Jugendamt)“ stimmte der
Sorgerechtsentziehung und der Ausreise des Kindes mit Schreiben vom 16. März 2009
zu. In der Begründung heißt es: Man habe mit der Kindesmutter Kontakt aufgenommen
und diese habe ausdrücklich ihr Einverständnis zu der Übersiedlung des Kindes erklärt.
Nach Auffassung dieser Behörde sei es im Interesse des Kindes, dass dieses zu seinem
Vater nach Deutschland reise und bei dem Elternteil lebe, dass mehr Interesse an dem
Kind zeige.
Am 26. März 2009 beantragte der Kläger das Visum und erklärte bei einer Befragung in
der Botschaft unter anderem noch: Er wolle nun zum Vater ziehen, da er ein besseres
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der Botschaft unter anderem noch: Er wolle nun zum Vater ziehen, da er ein besseres
Leben haben wollen, dass ihm die Mutter, die ja nicht arbeite, nicht bieten könne.
Im Remonstrationsverfahren gegen die Ablehnung des Antrags mit Bescheid vom 18.
Mai 2009 legte der Kläger unter anderem ein Attest vom 18. Juni 2009 vor, in dem ein
Neurologe der Universitätsklinik des Kosovo der Kindesmutter eine Depression, sowie
eine Herzerkrankung bescheinigt. Es werde „Sozialassistenz“ für die Patientin
angeordnet, die nur beschränkt arbeitsfähig sei. Mit Zweitbescheid vom 10. September
2009 lehnte die Deutsche Botschaft das Begehren des Klägers erneut ab. Zur
Begründung hieß es im Wesentlichen: Das Urteil des kosovarischen Gerichts vom 12.
März 2009 könne wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public nicht anerkannt
werden. Denn diese Entscheidung sei nicht mit dem zwingend zu beachtenden
Kindeswohl in Übereinstimmung zu bringen. Damit verbleibe es bei der Sorgerechtslage
nach kosovarischem Recht, die kein alleiniges Sorgerecht der Mutter im Sinne von § 32
Abs. 3 AufenthG beinhalte. Die Ermessensentscheidung nach §§ 20, 17 Abs. 1 AuslG in
Verbindung mit § 104 Abs. 3 AufenthG Falle zu Lasten des Klägers aus.
Mit der am 5. Oktober 2009 eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren
weiter. Er hat ein weiteres fachärztliches Attest vom 27. Juni 2009 bezüglich der Mutter
vorgelegt. Weiterhin sind „psychologische Berichte“ eines Psychologen und
Psychotherapeuten im Kosovo über den Kläger, seine Mutter und den Vater vom 29.
Dezember 2009 eingereicht worden, auf die Bezug genommen wird (Blatt 37 ff der
Gerichtsakte). Der Kläger weist darauf hin, dass nach diesen Berichten die Mutter
aufgrund ihres psychischen Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage sei, Kinder zu
betreuen und dass der Kläger selbst andererseits Defizite zeige, die auf Mängel der
Betreuung hinweisen würden. Im Kindeswohlinteresse sei daher das Ermessen zu
Gunsten des Klägers auszuüben. Da er darüber hinaus seit einigen Wochen nicht mehr
zu Hause, sondern in Pristina bei Bekannten lebe, die Mutter nicht mehr bereit und in
der Lage sei ihn zu betreuen und auch seine noch im Kosovo lebenden älteren
Geschwister dies nicht dauerhaft leisten könnten, sei auch eine besondere Härte im
Sinne des Gesetzes gegeben.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Deutschen Botschaft in
Pristina vom 10. September 2009 zu verpflichten, ihm ein Visum zum Familiennachzug
zu seinem Vater zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Begehren im Wesentlichen wie folgt entgegen: Es liege ein konkreter
Verstoß gegen den materiell – rechtlichen ordre public vor. Allein die Tatsache, dass das
kosovarische Recht grundsätzlich die Beachtung des Kindeswohls voraussetze, reiche
nicht aus um einen solchen Verstoß auszuschließen. Das Urteil beruhe praktisch
ausschließlich auf materiellen Erwägungen. Das Kind selbst sei auch gar nicht gehört
worden. Bei unstreitigen Familienrechtsentscheidungen würden die kosovarischen
Gerichte erfahrungsgemäß nicht gründlich prüfen. Die angeblichen Verfehlungen der
Mutter seien im Urteil nicht aufgeführt. Bei Beantragung des Visums habe der Kläger
nach eigenen Angaben noch bei der Mutter gelebt und diese habe am Verfahren auch
mitgewirkt, so dass nicht davon auszugehen sei, dass sie sich nicht mehr um den Kläger
kümmern könne oder wolle. Auch die im kosovarischen Recht vorgesehene vorherige
Prüfung durch den Sozialdienst habe nicht vorgelegen. Eine finanzielle Unterstützung
des Klägers könne durch Überweisungen aus Deutschland erfolgen. Insgesamt enthalte
das Urteil keine zureichende Würdigung des Kindeswohls und müsse als
Gefälligkeitsurteil angesehen werden. Somit sei davon auszugehen, dass im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiterhin kein alleiniges Sorgerecht der
Mutter gegeben sei. Auch eine besondere Härte sei nicht nachgewiesen. Die
vorliegenden Atteste seien unzureichend und in sich widersprüchlich. Das Ermessen
werde weiterhin zu Lasten des Klägers ausgeübt. Der Vater sei schon kurz nach der
Geburt des Klägers nach Deutschland ausgereist und habe den Kläger nur einmal im
Jahr besucht. Der Kläger werde aus seinem gewohnten Lebensumfeld herausgerissen.
Der Beigeladene hat sich im Klageverfahren nicht geäußert und keinen Antrag
angekündigt.
Der Rechtsstreit ist mit Beschluss der Kammer vom 21. Juni 2010 auf den
Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.
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In der mündlichen Verhandlung ist der Vater des Kindes angehört worden. Insoweit wird
auf die Verhandlungsniederschrift Bezug genommen. Die vom Gericht angeregte
gütliche Einigung hat die Beklagte abgelehnt. Allein die Erwägung, dass ein älterer
Jugendlicher in Deutschland bessere Zukunftschancen habe als im Kosovo, sei keine
zulässige Kindeswohlerwägung.
Die Parteien haben sich mit schriftlicher Entscheidung einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird neben der
Verwaltungsstreitakte auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des Beigeladenen
verwiesen, die vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet, da der angegriffene Bescheid
rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Er hat einen Anspruch auf
Familiennachzug (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO) nach § 32 Abs. 3 AufenthG, da er das 16.
Lebensjahr im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht vollendet hatte, sein Vater über
eine Niederlassungserlaubnis verfügt und Inhaber des alleinigen Personensorgerechts
ist. Zu Unrecht meint die Beklagte, die Sorgerechtsentscheidung des Amtsgerichts
Podujevo vom 12. März 2009 sei unbeachtlich.
Zutreffend geht die Beklagte allerdings davon aus, dass die Anerkennung einer
ausländischen Entscheidung gem. § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, § 16a Nr. 4 FGG
ausgeschlossen ist, wenn dies zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen
Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die
Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist (vgl. Auch Artikel 10 Abs. 1 lit. a des
Europäisches Sorgerechtsübereinkommen/ESÜ, das vom Kosovo noch nicht
unterzeichnet ist), wobei der ordre-public-Vorbehalt jedoch hohe Anforderungen stellt.
Unerheblich ist, ob die fragliche Entscheidung mit dem jeweiligen ausländischen Recht in
Einklang steht, denn maßgeblich ist allein das an deutschem Recht zu messende
Ergebnis. Daher kommt es hier nicht darauf an, ob die Mutter tatsächlich ihr Elternrecht
missbraucht oder die Ausübung der elterlichen Pflichten grob vernachlässigt hat wie es §
149 Abs. 1 des kosovarischen Familiengesetzes vom 20. Januar 2006 für den Entzug des
Sorgerechts fordert, was in dem Urteil vom 12. März 2009 tatsächlich nur pauschal
behauptet wird. - Allerdings erscheint im Hinblick auf die vorliegenden ärztlichen Atteste
und den Umstand, dass der Kläger das jüngste von neun Kindern ist, auch nicht ganz
unwahrscheinlich, dass die Mutter ihren Aufgaben zuletzt nur noch unzureichend
nachkommen konnte. - Rechte der Mutter können durch das Gerichtsurteil nicht
übergangen sein, weil diese mehrfach ausdrücklich der Entscheidung zugestimmt hat.
Zwar scheint in der Tat der Kläger selbst in dem Verfahren vor dem kosovarischen
Gericht nicht gehört worden zu sein, was gegen Art. 140 Abs. 5 des Familiengesetzes
vom 20. Januar 2006 verstößt. Auch dies lässt die Entscheidung aber nicht als im
Ergebnis mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar erscheinen,
weil der Kläger offensichtlich und erklärtermaßen tatsächlich zu seinem Vater ziehen will.
Nach dem dargelegten Maßstab komm es auch nicht darauf an, dass das „Zentrum für
Sozialarbeit-Fürsorgeorgan (Jugendamt)“ hier sein – zustimmendes - Votum erst nach
Erlass des Urteils abgegeben hat.
Insbesondere verstößt die vom kosovarischen Gericht geschaffene Sorgerechtslage
nicht gegen das Kindeswohl, jedenfalls nicht in einem dem deutschen ordre public
widersprechenden Maß. Richtig ist allerdings, dass es sich dabei um den wesentlichen
und daher unverzichtbaren Grundsatz des deutschen Familien-und Kindschaftsrechts
handelt. Auch hier kann aber nur solchen Entscheidungen die Anerkennung versagt
werden, die zu einem mit dem Kindeswohl schlechthin unvereinbaren Ergebnis führen.
Hierzu hat die Kammer mit Urteil des Einzelrichters vom 20. Juli 2010 (VG 29 K 154/10 V
zu einem türkischen Jugendlichen; vgl. auch Urteil vom 10. Februar 2005 - VG 31 V
12.04, beide in juris) ausgeführt:
„Dabei kann unterstellt werden, dass die Entscheidung allein oder jedenfalls
entscheidend ausländerrechtlich motiviert bzw. von ökonomischen Gesichtspunkten
getragen ist, nämlich dem Zweck dient, dem Kläger den Zuzug nach Deutschland zu
ermöglichen, weil die Ausbildungssituation und die daran anknüpfenden
Berufsaussichten hier besser erscheinen. Ob dies tatsächlich zutrifft und ob der Kläger
trotz relativ fortgerückten Alters davon wird profitieren können, ist allein eine Frage der
inhaltlichen Richtigkeit der Sorgerechtsentscheidung; eine Fehlgewichtung begründet
allein keinen Verstoß gegen den ordre public. Es mag zwar sein, dass aus deutscher
Sicht wegen einer mit zunehmendem Alter abnehmenden Integrationsfähigkeit es dem
Kindeswohl umso mehr zu entsprechen scheint, das Kind in seiner gewohnten
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Kindeswohl umso mehr zu entsprechen scheint, das Kind in seiner gewohnten
Umgebung zu belassen, je stärker es dort integriert ist. Es ist aber nicht einsehbar,
weshalb die genannten ausländerrechtlichen und ökonomischen Belange grundsätzlich
mit Kindeswohlbelangen inkongruent sein sollen. Es ist zunächst eine autonome
Entscheidung der Eltern, wer die Erziehung des Kindes wo wahrnehmen soll. Eine
Sorgerechtsentscheidung, die dem Rechnung trägt, ist zunächst hinzunehmen, solange
nicht erkennbar ist, dass das Kind dadurch in eine nicht hinnehmbare Situation gebracht
wird. Die in § 20 Abs. 3 AuslG noch vorgesehene Möglichkeit, dem im Wege der
Ermessenentscheidung einwanderungspolitische Gesichtspunkte entgegenhalten zu
können, hat der Gesetzgeber abgeschafft.“
Dem schließt sich der erkennende Einzelrichter an (a.A.: VG Berlin, Urteile vom 1.9.2009
– VG 21 K 126.09 V – und vom 23.9.2009 – VG 9 K 135.09 V – beide in juris). Auch im
Vergleich zum Kosovo bestehen für einen Sechszehnjährigen in Deutschland
offensichtlich bessere Ausbildungs- und Berufschancen. Hierauf abzustellen ist eine
zulässige, durchaus beachtliche Kindeswohlerwägung. Gerade bei einem älteren
Jugendlichen treten diese Aspekte gegenüber den Gesichtspunkten der Geborgenheit im
mütterlichen Haushalt und dem Verbleiben im gewohnten Umfeld stärker in den
Vordergrund. Unerheblich ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich die entsprechenden
Hoffnungen der Klägerfamilie verwirklichen lassen. Im Rahmen des ordre public darf nicht
die Entscheidung des ausländischen Gerichts nach deutschen Maßstäben überprüft
werden, insbesondere darf nicht eine Kindeswohlentscheidung aus rein deutscher Sicht
an deren Stelle gesetzt werden. Darauf aber läuft die Argumentation der Beklagten und
des Beigeladenen hinaus. Zu der Tatsache, dass die ausländische Entscheidung
praktisch nur auf die von der Familie gewünschte Übersiedlung nach Deutschland abzielt
und dies mit den besseren finanziellen Verhältnissen des hier lebenden Elternteils, der
günstigeren ökonomischen Situation in Deutschland und den sich daraus ergebenden
besseren Zukunftschancen des Kindes begründet, müssen daher im Einzelfall
besondere Umstände treten, damit ein Verstoß gegen den ordre public festgestellt
werden kann. Dies kann etwa gegeben sein, wenn der hier lebende Elternteil ersichtlich
zur Betreuung des Kindes nicht geeignet oder nicht in der Lage ist. Derartige Umstände
liegen hier jedoch nicht vor. Der Vater ist gesund und geht seit vielen Jahren am selben
Arbeitsplatz einer geregelten Tätigkeit nach, ohne dass der Beruf ihn zeitlich derart
beanspruchen würde, dass er sich nicht um das Kind kümmern könnte. Nach den in der
mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrücken engagiert sich der Vater auch in der
Sache, so dass nicht davon auszugehen ist, er wolle die Erziehungsaufgabe gar nicht
wahrnehmen. Er hat auch durch regelmäßige Besuche Kontakt zum Kläger gehalten,
auch wenn diese nur einmal jährlich stattfanden. Zudem spricht der Vater Deutsch und
ist seit vielen Jahren mit einer Deutschen verheiratet. Insoweit ist eine erfolgreiche
Integration des Klägers trotz offenkundig schwieriger Ausgangssituation auch nicht
ausgeschlossen, wobei es auf diese Prognose nach dem dargelegten Maßstab nicht
ankommt.
Auch die übrigen Erteilungsvoraussetzungen liegen vor. Ausreichender Wohnraum
gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist gegeben, weil der Kindesvater und die Stiefmutter
eine 50 m² große 2-Zimmer-Eigentumswohnung bewohnen, was auch für den künftigen
3-Personen-Haushalt ausreichend ist.
Der Lebensunterhalt gem. §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs.3 AufenthG ist gesichert.
Vorzunehmen ist ein Vergleich des Unterhaltsbedarfs mit dem tatsächlich zur Verfügung
stehenden Einkommen. Der Bedarf ergibt sich im Wesentlichen aus den Regelsätzen
nach §§ 20, 28 SGB II und den Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II. Das tatsächlich
zur Verfügung stehende Einkommen ergibt sich aus dem - dauerhaft gesicherten -
Bruttoeinkommen abzüglich der Beträge gemäß § 11 Abs. 2 SGB II. Hinzu kommt ggf.
Kindergeld (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 – InfAuslR 2009, 8; vgl.
jetzt zur Frage des Abzugs von Freibeträgen VG Berlin, Urteil vom 27. Juni 2010 – 15 K
239.09 V - juris). Erforderlich ist weiter eine hinreichend sichere Prognose, dass auch
künftig ausreichendes Einkommen erzielt wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 28. Februar 2006 - 11 S 13.06 - InfAuslR 2006, 277).
Der Bedarf setzt sich hier aus den Regelsätzen für ein Ehepaar in Höhe von 646,00 Euro
und ein 16 Jahre altes Kind in Höhe von 287,00 Euro zusammen. Hinzu kommen die
Kosten für Wohnung und Heizung, die sich nach dem vom Vater im Termin vorgelegten
Wirtschaftsplan 2011 für die von der Familie bewohnte Eigentumswohnung auf monatlich
279,50 Euro belaufen. Berücksichtigt man auch noch die Grundsteuer in Höhe von
monatlich 17,61 Euro, ergibt sich ein Gesamtbetrag von 1.230,11 Euro. Dem steht das –
dauerhaft gesicherte – Nettoeinkommen des Vaters in Höhe von 1.255,75 Euro
gegenüber. Von diesem Betrag ist mindestens auszugehen, da er in den letzten beiden
Gehaltsabrechnungen für Juli und August 2010 ausgewiesen ist und der sich aus dem
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Gehaltsabrechnungen für Juli und August 2010 ausgewiesen ist und der sich aus dem
dort ebenfalls angegebenen Jahreswert ergebende Betrag geringfügig darüber liegt.
Hinzu kommen die Rente der Stiefmutter in Höhe von 673,09 Euro sowie das Kindergeld
für den Kläger in Höhe von 184,00 Euro. Nach Abzug der Werbungskostenpauschale in
Höhe von 100,00 Euro verbleiben 2.012,84 Euro. Angesichts dieser Differenz zum Bedarf
kann dahinstehen, ob hier auch noch die Freibeträge abzuziehen sind und ob der Vater
des Kindes weiterhin gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau unterhaltspflichtig ist. Das
vorgelegte Scheidungsurteil enthält eine solche Verpflichtung allerdings nicht. Jedenfalls
kann der Unterhalt maximal 200 bis 300 € betragen, die er bislang für Mutter und Kind
überwiesen hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.
Die Berufung war nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Sache zuzulassen. Denn die Grundsätze, wann eine ausländische Gerichtsentscheidung
in Deutschland die Anerkennung versagt werden kann, sind geklärt. Wann ein Ergebnis
vorliegt, dass mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich
unvereinbar ist, bleibt gerade im Bereich des hier in Rede stehenden Kindeswohls eine
Frage der Einzelfallprüfung.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes
auf 5.000 Euro festgesetzt.
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