Urteil des VG Berlin vom 16.03.2011

OVG Berlin: kennzeichen, messung, fahrspur, tunnel, bekanntgabe, arbeitsstelle, fahrzeugführer, einsichtnahme, akteneinsicht, höchstgeschwindigkeit

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Gericht:
VG Berlin 11.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 K 17.11
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 154 VwGO
Bußgeldverfahren und Funktionstauglichkeit eines
Geschwindigkeitsmeßgeräts
Leitsatz
1. Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Traffipax
Traffistar S 330 ist ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne der
Rechtsprechung des BGH (Anschluss an Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts, Senat
für Bußgeldsachen, vom 14. April 2008 - 1 Ss 281/07).
2. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass die Messungen im Britzer Tunnel
fehlerhaft sind. 3. Einer erkennbar wenig wahrscheinlichen oder ins Blaue aufgestellten
Behauptung braucht das Gericht weder im Wege der Amtsermittlung noch im Rahmen eines
Beweisantrages nachzugehen (wie OVG Berlin, Beschluss vom 5. Dezember 2001 - OVG 5 N
41.01 -).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Fahrtenbuchanordnung des Beklagten.
Der 39-jährige Kläger war Halter des Pkw mit dem polizeilichen Kennzeichen B..., mit
dem nach Auffassung des Beklagten am Mittwoch, den 26. Mai 2010 um 11.22 Uhr in
12347 Berlin auf der Bundesautobahn (BAB) 100, Tunnel Ortsteil Britz Röhre Süd
Richtung BAB 113 die zulässige Höchstgeschwindigkeit nach Toleranzabzug um 22 km/h
überschritten wurde.
Der Polizeipräsident in Berlin leitete daraufhin gegen den Kläger ein Bußgeldverfahren
(A...) ein und übersandte unter dem 16. Juni 2010 einen Anhörungsbogen. Am 22. Juli
2010 meldeten sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers und baten um
Akteneinsicht. Der Polizeipräsident übersandte am 26. Juli 2010 den Bußgeldvorgang zur
Einsichtnahme und teilte gleichzeitig mit, einer Begründung – insbesondere aber der
Bekanntgabe des Fahrzeugführers zur Tatzeit oder des in Frage kommenden
Personenkreises – wurde bis zum 20. August 2010 entgegengesehen. Danach sei davon
auszugehen, dass der Kläger den tatsächlichen Führer des Kraftfahrzeuges nicht
benenne. Mit Schreiben vom 11. August 2010 trugen die Prozessbevollmächtigten des
Klägers vor, ihr Mandant bestreite, mit seinem Pkw am 26. Mai 2010 an dem
vorgenannten Ort anstelle 80 km/h nach Toleranzabzug 102 km/h gefahren zu sein. Die
Ordnungsgemäßheit der Videoüberwachungsanlage werde bestritten. Wie allgemein
bekannt, seien die Messungen im Britzer Tunnel nicht ordnungsgemäß, da hier Fehler
bei der Überwachungsanlage vorliegen würden.
Der Polizeipräsident bat den Abschnitt 56 mit der Durchführung weiterer Ermittlungen.
Über das Ergebnis dieser Ermittlungen übersandte der Abschnitt 56 unter dem 15.
August 2010 folgenden Bericht:
„Am Dienstag, dem 03.08.2010, wurde die Wohnanschrift des Fahrzeughalters
zum Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen B... aufgesucht.
Auf Klingeln öffnete die Mutter des Herrn R... die Wohnungstür.
Nach Bekanntgabe des Grundes meines Erscheinens erklärte Frau R..., dass ihr
Sohn sich auf der Arbeit befindet. Eine in der Wohnung durchgeführte fernmündliche
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Sohn sich auf der Arbeit befindet. Eine in der Wohnung durchgeführte fernmündliche
Rücksprache mit Herrn R... ergab, dass er zur Sache keine Angaben machen und einen
Rechtsanwalt einschalten wird.
Eine Vorlage des Beweisfotos der Mutter, Frau R..., nach rechtlicher Belehrung,
erkannte diese eine Bekannte ihres Sohnes.
Herr R... selbst wurde am 12.08.2010 auf seiner Arbeitsstelle aufgesucht und
angetroffen.
Nach Belehrung und Einsichtnahme des Beweisfotos erklärte er weiterhin, dass
er keine Angaben zur Sache macht und bereits ein Rechtsanwalt eingeschaltet ist.
Auf die Möglichkeit der Auferlegung eines Fahrtenbuches wurde Herr R...
hingewiesen.
Herr R... selbst scheidet als Fahrzeugführer zur Tatzeit aus.“
Das Bußgeldverfahren wurde am 1. September 2010 eingestellt, da diejenige Person, die
die Ordnungswidrigkeit begangen hatte, nicht festgestellt werden konnte.
Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten ordnete daraufhin mit
Bescheid vom 20. September 2010 an, dass für das oben genannte Fahrzeug oder ein
zu bestimmendes Ersatzfahrzeug für die Dauer eines Jahres nach Unanfechtbarkeit
dieser Verfügung ein Fahrtenbuch zu führen sei. Mit seinem Widerspruch wies der Kläger
darauf hin, dass die Überwachungsanlage nicht ordnungsgemäß arbeite. Er habe nie in
Frage gestellt, dass er nicht der Fahrer sei. Insofern sei der Vorwurf, er habe den
Fahrzeugführer nicht benannt, unzutreffend.
Das Landesamt holte daraufhin eine Stellungnahme der für die Überwachungsanlagen
zuständigen Fachdienststelle ein. Diese teilte unter dem 29. Oktober 2010 folgendes
mit:
„Zum Zeitpunkt der Messung lagen keine Meldungen über Störungen der
Überwachungsanlage vor.
Die Daten werden automatisch eingeblendet und wurden korrekt übernommen.“
Das Landesamt wies den Widerspruch nunmehr durch Bescheid vom 6. Dezember 2010
- zugestellt am 9. Dezember 2010 - als unbegründet zurück.
Mit seiner am Montag, den 10. Januar 2011 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der
Kläger unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren sein
Begehren weiter. Ergänzend hierzu trägt er vor, alles spreche dafür, dass die Messung
fehlerhaft sei, denn es seien zwei Tatvorwürfe erhoben worden, eine Anhörung und ein
Verwarnungsgeld. Beides zusammen sei unlogisch und ergebe keinen Sinne, weil in
beiden Fällen die gleiche Örtlichkeit angegeben worden sei. Beide Geschwindigkeiten
divergierten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom
20. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2010
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an den angefochtenen Bescheiden fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Streitakte und den Inhalt der den Kläger betreffenden
Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und
Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet, denn die angefochtenen Bescheide
sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO).
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Nach § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter
für ein oder mehrere Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die
Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen
Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Der Beklagte hat die
Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift zutreffend bejaht und sein Ermessen
fehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) ausgeübt.
Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil es
der Begründung des Verwaltungsaktes und des Widerspruchsbescheides folgt (§ 117
Abs. 5 VwGO).
Diesen zutreffenden Ausführungen ist zunächst lediglich hinzuzufügen, dass das Gericht
keine Zweifel daran hat, dass mit dem Fahrzeug des Klägers am 26. Mai 2010 auf der
BAB 100 im Tunnel Ortsteil Britz die zulässige Höchstgeschwindigkeit nach
Toleranzabzug um 22 km/h überschritten worden ist. Zur Überzeugung des Gerichts ist
der mit dem Fahrzeug des Klägers begangene erhebliche Verkehrsverstoß
ordnungsgemäß mit dem Radarmessgerät Traffipax Traffistar S 330 festgestellt worden.
Nach der Rechtsprechung des Thüringer Oberlandesgerichts - Senat für Bußgeldsachen -
(Beschluss vom 14. April 2008 - 1 Ss 281/07 -, zitiert nach juris, der sich die Kammer
bereits in ihrem Urteil vom 2. Juli 2009 - VG 11 K 97.09 - angeschlossen hat) ist die
Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Traffipax
Traffistar S 330 ein sog. standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung
dar (vgl. zum Begriff OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Januar 2011 - OVG 1 N
125.10 -). Nach dem Inhalt des vorliegenden Bußgeldvorgangs war das am Tatort
eingesetzte Gerät bis Ende 2011 geeicht.
Anhaltspunkte für die vom Kläger behauptete Fehlmessung sind weder substantiiert
vorgetragen noch sonst erkennbar. Die in der Fachliteratur (vgl. Beck/Löhle,
Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 9. Aufl., S. 135 ff.) wiedergegebene
Darstellung der Arbeitsweise des bei der Messung eingesetzten Systems lassen nach
Auffassung des Gerichts eine Fehlmessung ausgeschlossen erscheinen. Nach der
Darstellung bei Beck/Löhle (a.a.O. S. 136) erfolgt die Geschwindigkeitsermittlung auf der
Basis einer Weg-Zeitmessung. Auf der überwachten Fahrspur sind drei piezoelektrische
Drucksensoren in Abständen von jeweils einem Meter im Fahrbahnbelag eingelassen; sie
bilden die drei Messstrecken. Überfährt ein Fahrzeug die drei Piezosensoren, werden die
Sensorsignale dem Piezo-Vorverstärker zugeführt, der drei voneinander unabhängige
Zeitmessungen für die Messstrecken durchführt. Hieraus wird dann die Geschwindigkeit
des Fahrzeugs, das auf dieser Fahrspur fährt, ermittelt. Bei dieser Arbeitsweise sind
Messfehler nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich auszuschließen, wenn sonst
keine Bedenken an der ordnungsgemäßen Arbeitsweise der Messanlage bestehen.
Die im Bußgeldverfahren vom Kläger aufgestellte Behauptung, es sei allgemein bekannt,
dass die Messungen im Britzer Tunnel nicht ordnungsgemäß seien, ist ohne jede
Substanz und offensichtlich ins Blaue hinein aufgestellt worden. Bei einer wenig
wahrscheinlichen oder ins Blaue hinein aufgestellten Behauptung braucht das Gericht
weder im Wege der Amtsermittlung noch eines Beweisantrages diesem Vorbringen
nachzugehen (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 5. Dezember 2001 - OVG 5 N 41.01 -).
Auch der Hinweis des Klägers gegen das zweite gegen ihn eingeleitete
Ordnungswidrigkeitenverfahren (A...) vermag eine Fehlerhaftigkeit der Messung für das
auf ihn damals zugelassene Tatfahrzeug mit dem polizeilichen Kennzeichen B... zu
begründen. Es trifft zwar zu, dass die Bußgeldstelle unter dem oben genannten
Aktenzeichen gegen den Kläger ein Bußgeldverfahren eingeleitet hat, wobei das dortige
Tatfahrzeug allerdings das polizeiliche Kennzeichen B... trug und sich ausweislich der
Tatfotos auf der Fahrspur neben dem Fahrzeug des Klägers befand. Dieses
Bußgeldverfahren ist dann eingestellt worden und hatte seine Erklärung darin, dass das
Kennzeichen vom falschen Messplatz abgelesen worden war. Angesichts der
Arbeitsweise des am Tatort eingesetzten Systems ist nach Auffassung des Gerichts
jedoch auszuschließen, dass diese Bilder die Messung der Geschwindigkeit des
Fahrzeugs des Klägers beeinflusst haben können. Für das neben dem Fahrzeug des
Klägers fahrende Fahrzeug mit dem Kennzeichen B... wurde im Übrigen eine
Geschwindigkeitsüberschreitung um 8 km/h ermittelt, woraus ebenfalls erkennbar wird,
dass für jede Fahrspur ein eigenes Messsystem installiert worden ist, das die
Geschwindigkeit der Fahrzeuge auf der jeweiligen Fahrspur getrennt von den daneben
fahrenden Fahrzeugen ermittelt und kontrolliert.
Auch die übrigen Voraussetzungen für eine rechtmäßige Fahrtenbuchanordnung liegen
vor, denn der Kläger war zur Überzeugung des Gerichts zu keinem Zeitpunkt auch nur
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vor, denn der Kläger war zur Überzeugung des Gerichts zu keinem Zeitpunkt auch nur
ansatzweise bereit, an der Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen
erheblichen Verkehrsverstoßes mitzuwirken. Der Kläger war mit dem Schreiben der
Bußgeldstelle vom 26. Juli 2010 anlässlich der Gewährung der Akteneinsicht für seine
Prozessbevollmächtigten ausdrücklich aufgefordert worden, zur Person des
Tatzeitfahrers Stellung zu nehmen und er hat hierzu keine Angaben gemacht, auch nicht
am 12. August 2010, als er von dem ermittelnden Polizeibeamten auf seiner
Arbeitsstelle aufgesucht wurde. Seine Mutter hat anlässlich ihrer Befragung sogar
erklärt, sie erkenne auf den Tatfotos eine Bekannte ihres Sohnes, d.h. also eine Frau als
Tatzeitfahrerin. Unter Berücksichtigung des vorliegenden Ausweisfotos des Klägers
spricht auch nach Auffassung des Gerichts mehr für eine Fahrerin als dafür, dass der
Kläger zur Tatzeit selbst gefahren ist. Diese Frage kann letztlich dahinstehen, da
jedenfalls der Kläger in keiner Weise im Bußgeldverfahren zu erkennen gegeben hat,
dass er - wie jetzt behauptet - selbst gefahren ist.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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