Urteil des VG Berlin vom 13.03.2017

VG Berlin: einstweilige verfügung, eigenschaft, öffentlich, generalsekretär, regierung, kritik, hauptsache, informationspflicht, quelle, zuschauer

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Gericht:
VG Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 L 557.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 5 GG, § 40 VwGO, § 123
VwGO
Äußerungen eines Amtsträgers und Meinungsfreiheit
Tenor
Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
Der Rechtsstreit wird an das Landgericht Berlin verwiesen.
Gründe
Für den Antrag auf einstweilige Anordnung, mit dem der Antragsteller begehrt,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO bei
Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,-- Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu untersagen, wörtlich oder sinngemäß in der
Öffentlichkeit in Bezug auf die Christlichen Gewerkschaften, Arbeitgeber und/oder
Arbeitgeberverbände zu behaupten und/oder behaupten zu lassen und/oder zu
verbreiten und/oder verbreiten zu lassen: „Ich weigere mich, Gewerkschaften – Sie
meinen die so genannten Christlichen Gewerkschaften – als Gewerkschaften zu
bezeichnen, weil sie sich von Arbeitgebern bezahlen lassen, dass sie Tarifverträge
abschließen“,
ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 VwGO nicht gegeben. Bei der vom
Antragsteller behaupteten Äußerung des Senators W. – unterstellt, sie ist so gefallen –
handelt es sich um eine persönliche Meinungsäußerung, die nicht seinem Amt
zuzurechnen ist.
Streitigkeiten über das Unterlassen ehrverletzender Äußerungen, die von einem Träger
öffentlicher Verwaltung bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben gestützt auf vorhandene
oder vermeintliche öffentlich-rechtliche Befugnisse abgegeben werden, sind öffentlich-
rechtlicher Natur. Hingegen ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet, wenn die
beanstandeten Äußerungen nicht in amtlicher Eigenschaft, sondern nur gelegentlich
einer nach öffentlichem Recht zu beurteilenden Tätigkeit gemacht werden, wenn sie
allein Ausdruck einer persönlichen Meinung oder Einstellung sind (vgl. VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 9. Oktober 1989, NJW 1990, 1808; OLG Sachsen-Anhalt,
Beschluss vom 18. April 2000 – 6 U 279/99, juris). Dabei ist anerkannt, dass der
Amtsträger sich unter Berufung auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG privat
äußern darf und seine Amtsträgerschaft keinen ausschlaggebenden Aspekt dafür
darstellt, ob seine Äußerung dem öffentlichen Bereich zuzuordnen ist. Die Abgrenzung
setzt eine umfassende Würdigung des Einzelfalls voraus, wobei insbesondere folgende
Umstände zu berücksichtigen sind: Gesichtspunkte der Akzessorietät, des einheitlichen
Lebenssachverhalts, Äußerung im Innen- und Außenverhältnis, in welcher Eigenschaft
der Betreffende in der Öffentlichkeit aufgetreten ist, welchen Aufgabenbereich er hierbei
wahrgenommen hat, ob er in seiner hoheitlichen Funktion seinem Geschäftsbereich
zugehörige Fragen zu beantworten hatte, ob er sich intern im dienstlichen Bereich
gegenüber einer ausgesuchten Zuhörerschaft oder öffentlich geäußert hat und wie seine
Äußerung für den Empfänger - bei indifferentem Auftreten - zu verstehen war (vgl. zu
Vorstehendem OVG Berlin, Beschluss vom 7. Juli 1997, NJW 1998, 257).
Vorliegend ist die beanstandete Äußerung für einen unbefangenen Zuhörer klar als
persönliche Meinungsäußerung zu verstehen gewesen. Die Äußerung soll bei der
Podiumsdiskussion von Herrn W. gegenüber dem (damaligen) Generalsekretär der FDP
Herrn N. als Unterargument zu der Notwendigkeit von Mindestlöhnen geäußert worden
sein. Zwar war Herr W. mit dem Thema der Einführung von Mindestlöhnen aktuell amtlich
befasst, jedoch nicht mit der Frage der Tariffähigkeit der christlichen Gewerkschaften.
Dies ist, wie der erstinstanzliche, nicht rechtskräftige Beschluss des Arbeitsgerichts
Berlin vom 1. April 2009 - 35 BV 17008/08 - (juris) zur Tariffähigkeit der
Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und
Personalserviceagenturen (CGZP) zeigt, eine Frage, mit der sich aktuell die Justiz
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Personalserviceagenturen (CGZP) zeigt, eine Frage, mit der sich aktuell die Justiz
befasst. Zudem ist in die Wertung miteinzubeziehen, dass Herr W. vorliegend an einer
parteiübergreifenden, nichtamtlichen Podiumsdiskussion teilgenommen und nicht etwa
eine Presseerklärung zum Standpunkt der Landesregierung abgegeben bzw. Fragen
eines Pressevertreters zu seinem Ressort im Rahmen der Informationspflicht der
Regierung gegenüber der Öffentlichkeit beantwortet hat. Die Teilnahme an einer solchen
Diskussion durch ein Regierungsmitglied ist – ebenso wie die Teilnahme an einer
Talkrunde – von vornherein nicht darauf angelegt, offizielle Stellungnahmen für die
Regierung abzugeben, sondern darauf, dass eine Diskussion zustande kommt, die
immer auch persönliche Meinungsäußerungen beinhaltet. Daher konnte Herr W., auch
angesichts der Tatsache, dass er in seiner Eigenschaft als Wirtschaftssenator zu der
Diskussion eingeladen war, nicht nur Erklärungen als ein Sprachrohr der
Landesregierung abgeben, sondern auch - ebenso wie Herr N. - als Parteipolitiker und
Privatmann, ggf. unter Berufung auf Art. 5 Abs. 1 GG, eigene Meinungen äußern, wenn
er sie als solche kennzeichnet. Mit der Formulierung „Ich weigere mich, Gewerkschaften
[…] als Gewerkschaften zu bezeichnen…“ hat er auch ausreichend kenntlich gemacht,
dass er seine persönliche Meinung kundtut, nämlich was er selbst von „solchen
Gewerkschaften“ hält. Das Gericht hat dabei auch in die Wertung einbezogen, dass Herr
W. sich als Reaktion auf einen Diskussionsbeitrag des Herrn N., der damals
Generalsekretär der FDP war, geäußert haben soll, so dass auch für einen unbefangenen
Zuschauer erkennbar war, dass hier auch eine Diskussion zwischen Politikern
verschiedener Parteien stattfand. Selbst wenn hier daher davon auszugehen wäre, dass
Herr W. an der Diskussion als Amtsträger teilgenommen hat, hat er die beanstandete
Äußerung nicht in amtlicher Eigenschaft, sondern nur gelegentlich einer nach
öffentlichem Recht zu beurteilenden Tätigkeit gemacht, da sie angesichts des Kontextes
und des Wortlauts erkennbar allein Ausdruck seiner persönlichen Meinung oder
Einstellung ist.
Der Rechtsstreit war deshalb nach § 17 a Abs. 2 GVG an das sachlich und örtlich (§ 32
ZPO) zuständige Landgericht Berlin zu verweisen. Das Landgericht ist nach §§ 23 Nr. 1,
71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig, weil für die Entscheidung über eine einstweilige
Verfügung gemäß § 937 ZPO das Gericht der Hauptsache zuständig ist und der Wert des
Streitgegenstandes (§§ 3 ff. ZPO) der Hauptsache den Betrag von 5.000,-- Euro
übersteigt. Wertbestimmend ist beim Unterlassungsanspruch die gemäß § 3 ZPO zu
schätzende Beeinträchtigung, die für den Antragsteller von dem beanstandeten
Verhalten verständigerweise zu besorgen ist und die mit der begehrten Unterlassung
beseitigt werden soll (vgl. Zöller, ZPO, § 3 Rn. 16 "Unterlassung"). Dabei sind alle
Umstände des Einzelfalls, insbesondere Umfang und Bedeutung der Sache für den
Antragsteller auch in beruflicher Hinsicht einzubeziehen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss
vom 20. April 2009 – 14 W 53/08 -, juris: 30.000,-- Euro im Fall der Kritik der
Habilitationsschrift eines Universitätsprofessors; OLG Koblenz, Urteil vom 11. Oktober
2007 – 5 U 737/07 -, juris: 50.000,-- Euro bei der Behauptung, eine Sozietät habe
Geldprobleme). Vorliegend war insbesondere zu berücksichtigen, dass der Antragsteller
durch grundlegende Kritik an seiner Vorgehensweise bei Tarifabschlüssen, wenn eine
solche in der behaupteten Äußerung des Herrn W. zu sehen sein sollte, in besonderer
Weise in seinem beruflichen Ansehen beeinträchtigt würde. Dass in diesem Fall damit
auch wirtschaftliche Nachteile verbunden sein können, wie der Antragsteller geltend
gemacht hat, liegt ebenfalls nicht fern. Das Interesse des Antragstellers an einem
Unterlassungsgebot ist daher nach Auffassung der Kammer in jedem Fall mit einem
Wert über 5.000,-- Euro zu bemessen.
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