Urteil des VG Berlin vom 15.02.2007

VG Berlin: sondernutzungsgebühr, öffentlich, gemeingebrauch, verfügung, behörde, erlass, härte, handel, vergleich, damm

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Gericht:
VG Berlin 1. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 A 209.07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 11 Abs 9 StrG BE 1985, Art 20
Abs 3 GG
Bemessung von Sondernutzungsgebühren; Äquivalenzprinzip,
Vertrauensschutz
Tenor
Der Bescheid des Bezirksamts Treptow-Köpenick vom 15. Februar 2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 2. August 2007 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin, eine aus zwei Personen bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts,
wendet sich gegen die Höhe einer von ihr erhobenen Sondernutzungsgebühr.
Sie nutzte seit längerer Zeit ein rechts der Zufahrt vom M. Damm zur früheren
Gaststätte „R.“ am M. in Berlin-Köpenick liegendes Gelände für Imbissverkauf, zum
Fahrradverleih und für eine Gokart-Bahn. Hierfür wurden jährlich
Sondernutzungserlaubnisse erteilt. Im Jahre 1993 errichtete sie zwischen der
vorgenannten Zufahrt, dem M. Damm und einem über die Zufahrt zum M.
erschlossenen Parkplatz auf Straßenbegleitgrün, aber ohne Inanspruchnahme von Geh-,
Radwegen oder Fahrbahn, einen ca. 5,5 x 5,5 m großen eingeschossigen massiven
Verkaufspavillon. Dem lag eine mit Zustimmung des beklagten Landes als
Grundstückseigentümer erteilte Baugenehmigung zugrunde. Später wurden der
Fahrradverleih und die Gokart-Bahn aufgegeben, und der Pavillon wurde und wird immer
noch zur Zubereitung und zum Verkauf von Imbisswaren genutzt. Für die hierfür jährlich
erteilten Sondernutzungserlaubnisse stellte das Bezirksamt bis zum Jahr 2006
Sondernutzungsentgelte in Höhe von jährlich 521,52 Euro in Rechnung; dies beruhte
zuletzt auf einem von den Klägern angegebenen Jahresumsatz von bis zu 40.900,--
Euro.
Auf Antrag der Klägerin wurde die Sondernutzungserlaubnis mit Bescheid vom 15.
Februar 2007 für das Kalenderjahr 2007 verlängert. Zugleich wurde nach Tarifstelle 1.1.1
der Sondernutzungsgebührenverordnung - SNGebV - eine Sondernutzungsgebühr in
Höhe von 2.359,50 Euro pro Halbjahr (30,25 qm x 13,-- Euro/qm/Monat x 6 Monate)
festgesetzt. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies das
Bezirksamt mit Bescheid vom 2. August 2007 zurück. Dem im Lauf des
Widerspruchsverfahrens beantragten Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages
hatte das Bezirksamt bereits zuvor abgelehnt, da hier keine „Sondernutzung
besonderer Art“ im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 2 SNGebV betroffen sei.
Mit ihrer am 3. September 2007 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren
weiter. Sie ist der Auffassung, bei der genutzten Fläche handle es sich nicht um
öffentliches Straßenland. Jedenfalls habe sie, falls sie Straßenland sei, diese Eigenschaft
durch Errichtung des Massivbaus verloren. Die Sondernutzungsgebührenverordnung
beziehe sich nicht auf dauerhafte Sondernutzungen in ortsfesten Einrichtungen. Die
Höhe der Sondernutzungsgebühr widerspreche dem Kostendeckungs- und
Äquivalenzprinzip. Das Land Berlin erbringe an dieser Stelle keine Leistungen, da das
von der Klägerin genutzte Gebäude von dieser errichtet worden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bezirksamts Treptow-Köpenick vom 15. Februar 2007 in der
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den Bescheid des Bezirksamts Treptow-Köpenick vom 15. Februar 2007 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 2. August 2007
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an den angefochtenen Bescheiden aus deren Gründen fest und trägt ergänzend
vor: Der Pavillon stehe nach den vorliegenden Flurstücksangaben auf öffentlichem
Straßenland. Auch lang andauernde Sondernutzungen in ortsfesten Einrichtungen seien
sondernutzungsgebührenpflichtig. Die Sondernutzungsgebühr sei auch nicht überzogen;
in anderen Städten lägen die Gebühren für vergleichbare ortsfeste Kioske in
vergleichbaren Ortslagen deutlich höher.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird
neben der Verwaltungsstreitakte auf den Verwaltungsvorgang des Bezirksamts, die
Bauaufsichtsakten betreffend die Errichtung des Verkaufspavillons sowie den
Generalvorgang der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung betreffend die
Sondernutzungsgebührenverordnung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig
und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zwar ist die von der Klägerin angegriffene Gebührenfestsetzung in den angefochtenen
Bescheiden auf der Grundlage von § 2 der Sondernutzungsgebührenverordnung -
SNGebV - i.V.m. der Anlage 1 (Gebührenverzeichnis), Tarifstelle 1.1.1 (Handel mit
Imbisswaren und Getränken, Wertstufe IV) bei einem Gebührensatz von 13,-- Euro/qm
und Monat und einer Grundfläche des Verkaufspavillons von 30,25 qm zutreffend
berechnet. Sie ist jedoch mit höherrangigem Recht nicht vereinbar.
Nach allgemeiner Auffassung (vgl. etwa BVerwGE 80, 36, 39; BVerwG, Beschluss vom
17. Oktober 2008 – BVerwG 9 B 24.08) ist bei der Bemessung von
Sondernutzungsgebühren das Äquivalenzprinzip als gebührenrechtliche Ausprägung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu berücksichtigen. Danach darf eine
Sondernutzungsgebühr ihrer Höhe nach weder außer Verhältnis zu Art und Ausmaß der
Einwirkung auf die Straße und den Gemeingebrauch noch außer Verhältnis zum
wirtschaftlichen Wert der Sondernutzung stehen. Ob die Anlage 1 (Gebührenverzeichnis)
zur Sondernutzungsgebührenverordnung, insbesondere die Tarifstelle 1.1.1, diesen
Anforderungen entspricht, erscheint fraglich. Die Gebührenregelung stellt nämlich – auf
der Grundlage der Regelung zur Höhe der Sondernutzungsgebühren in § 11 Abs. 9 Satz
2 BerlStrG – allein auf Art, Umfang, Dauer und den wirtschaftlichen Vorteil der
Sondernutzung ab. Dagegen drückt sich das unterschiedliche Maß, in dem eine
Sondernutzung auf die Straße und den Gemeingebrauch einwirkt, d.h. der Unterschied
zwischen Nutzungen, die zu Lasten des Gemeingebrauchs ausgeübt werden, zu solchen,
bei denen dies - wie bei dem hier genutzten Straßenbegleitgrün - praktisch nicht oder
nur sehr eingeschränkt der Fall ist, in der Sondernutzungsgebührenverordnung,
insbesondere in den Wertstufen des Gebührenverzeichnisses (§ 2 Abs. 1 SNGebV i.V.m.
Anlage 2 zur SNGebV), nicht aus. Fraglich erscheint auch, ob der im Entstehungsprozess
der Sondernutzungsgebührenverordnung zur Rechtfertigung der Gebührensätze
gezogene Vergleich zu Gewerberaummieten bezogen auf den von den Klägern
genutzten Standort ein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Bemessung der
Sondernutzungsgebühr ist (generell bejahend: BVerwG, a.a.O.), da in dem außerhalb
geschlossener Ortslagen liegenden Bereich, der hier betroffen ist, mit der ausgeübten
Sondernutzung vergleichbare Gewerberäume nicht zur Verfügung stehen.
Die Vereinbarkeit der Tarifstelle 1.1.1 des Gebührenverzeichnisses mit dem
Äquivalenzprinzip in Bezug dem Gemeingebrauch praktisch nur eingeschränkt zur
Verfügung stehenden Straßenflächen und auf Stadtrandlagen bedarf jedoch keiner
abschließenden Entscheidung. Die Erhebung der Gebühr in der in den angefochtenen
Bescheiden festgesetzten Höhe ist nämlich bereits deshalb rechtswidrig, weil sie zu
einem übergangslosen Anstieg der bis 2006 von der Klägerin entrichteten
Sondernutzungsentgelte von jährlich 521,52 Euro zu einer für das Jahr 2007 in Rechnung
gestellten Sondernutzungsgebühr in Höhe von 4.718,-- Euro und damit zu einer
Verneunfachung der Gebühr gegenüber dem zuvor gezahlten Entgelt führt.
Der Gesetz- und Verordnungsgeber war allerdings verfassungsrechtlich nicht gehindert,
das bis 2006 gültige, für Verkaufsstände an den Umsatz anknüpfende System der
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das bis 2006 gültige, für Verkaufsstände an den Umsatz anknüpfende System der
Sondernutzungsentgelte ab 2007 durch eine Gebührenregelung zu ersetzen, die sich
nicht an den mit der Sondernutzung erzielten Umsätzen orientiert, sondern nach der
genutzten Fläche richtet (vgl. hierzu und zum Folgenden: VerfGH BE, Beschluss vom 13.
Juni 2003 – VerfGH 161/00 – GE 2003, 1076). Denn grundsätzlich kann der Bürger nicht
darauf vertrauen, dass eine für ihn günstige Regelung auch in Zukunft bestehen bleibt.
Der verfassungsrechtlich verbürgte Vertrauensschutz kann den von einer bestimmten
Rechtslage Begünstigten nicht vor jeder Enttäuschung bewahren, da anderenfalls die
Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung beeinträchtigt würde (VerfGH BE, a.a.O.).
Deshalb muss ein Unternehmer, der sein Geschäft auf öffentlichem Straßenland betreibt
und hierfür jeweils auf ein Jahr befristete Sondernutzungserlaubnisse erhält, auch mit
einer Änderung des für Sondernutzungen geltenden Entgeltregimes und einem Anstieg
der von ihm zu leistenden Entgelte oder Gebühren rechnen.
Der hier zu verzeichnende Anstieg der Aufwendungen für die Nutzung öffentlichen
Straßenlandes von einem Jahr zum anderen um das Neunfache lässt sich damit indes
nicht rechtfertigen. Er verletzt allein wegen des Maßes der ohne jeden Übergang
stattfindenden Erhöhung der für die Sondernutzung zu leistenden Vergütung die aus
dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) beruhenden Grundsätze der
Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes. Die im Falle der Klägerin eingetretene
Erhöhung der Sondernutzungsvergütung infolge des Inkrafttretens der
Sondernutzungsgebührenverordnung zum 25. Juni 2006 beruht darauf, dass der
ortsfeste Pavillon zu einer Zeit errichtet wurde, in dem die genutzte Fläche für die Höhe
des Sondernutzungsentgelts unerheblich war. Diese Nutzung war im Zeitpunkt des
Inkrafttretens der Sondernutzungsgebührenverordnung von der Klägerin etwa 13 Jahre
lang praktiziert worden. Mit einer Erhöhung in dem geschehenen Umfang von einem Tag
auf den anderen musste sie nicht rechnen. Es ist auch kein vernünftiger Grund für eine
Erhöhung in dem hier zu verzeichnenden Umfang erkennbar. Dies umso weniger
deshalb, als die Möglichkeit einer im Einzelfall eintretenden einschneidenden Erhöhung
der städtischen Einnahmen aus Sondernutzungen beim Erlass der
Sondernutzungsgebührenverordnung offenkundig weder erkannt wurde, noch gar
beabsichtigt war. Der Verordnungsgeber ging ersichtlich davon aus, dass die Umstellung
der Entgelt- auf die Gebührenregelung mit dem dargelegten grundlegenden Wechsel der
Abrechnungsmethode keine wesentlichen Kostenauswirkungen auf
Wirtschaftsunternehmen zeitigen und (bis auf hier nicht einschlägige Ausnahmen) als
solche kostenneutral bleiben werde (Abschn. C der Amtl. Begründung zur
Sondernutzungsgebührenverordnung, Verwaltungsvorgang Bl. 933).
Eine Regelung, die in Fällen, in denen die Anwendung der Gebührensätze der
Sondernutzungsgebührenverordnung im Vergleich zum früheren Rechtszustand zu einer
unangemessenen und nicht beabsichtigten Härte führt, eine Herabsetzung der
Gebührensätze zulässt, enthält die Sondernutzungsgebührenverordnung nicht. Zwar
eröffnet § 1 Abs. 2 Nr. 2 SNGebV für Sondernutzungen besonderer Art die Möglichkeit,
die Sondernutzung in öffentlich-rechtlichen Verträgen zuzulassen, ohne dass dann die
Sondernutzungsgebührenverordnung - insbesondere deren Gebührenregelungen - im
Übrigen gilt. Obwohl die hier in Frage stehende Sondernutzung für sich betrachtet keine
Besonderheiten aufweist, da sie in Tarifstelle 1.1.1 des Gebührenverzeichnisses (Handel
mit Imbisswaren und Getränken) ausdrücklich erfasst ist, spricht bei Gesamtbetrachtung
der obwaltenden Umstände und der die Klägerin treffenden außerordentlichen
„Preiserhöhung“ einiges dafür, hier eine Sondernutzung besonderer Art anzunehmen,
die den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Sondernutzungsvertrags zulassen würde.
Da der Beklagte jedoch den Abschluss eines solchen Vertrages mit der Klägerin ablehnt,
führt dieser Weg nicht weiter. Die Klägerin muss sich auch nicht auf den nach § 7 Abs. 2
SNGebV i.V.m. § 59 Abs. 1 Nr. 3 LHO möglichen (Teil)-Erlass der Sondernutzungsgebühr
wegen besonderer Härte verweisen lassen, da dieser nur eingreift, wenn die
Gebührenfestsetzung als solche rechtmäßig ist. Mangels einer der besonderen Situation
der Klägerin gerecht werdenden Härtefallregelung bleibt dem Gericht mithin nur die
vollständige Aufhebung der angefochtenen Bescheide.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Entscheidung auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 und 711
ZPO.
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