Urteil des VG Arnsberg vom 14.05.2004

VG Arnsberg (bundesrepublik deutschland, politische verfolgung, verfolgung, verhandlung, anerkennung, china, amnesty international, bundesamt, drohende gefahr, deutschland)

Verwaltungsgericht Arnsberg, 5 K 2676/03.A
Datum:
14.05.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Arnsberg
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 2676/03.A
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 24.
Juni 2003 verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 des Ausländergesetzes vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben
werden, tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte.
Tatbestand: Die am 6. Juli 1977 in M. geborene Klägerin ist - ebenso wie ihre
Stiefmutter M1. , deren Asylklageverfahren unter dem Aktenzeichen 5 K 2675/03.A
geführt wird - chinesische Staatsangehörige tibetischer Volkszugehörigkeit. Nach ihrer
Einreise in die Bundesrepublik Deutschland beantragte sie hier am 16. Mai 2002 ihre
Anerkennung als Asylberechtigte.
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Am selben Tag wurde die Klägerin vor dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) angehört. Hier machte sie unter
anderem folgende Angaben: Nach ihrer Schulausbildung in E. habe sie sich von 1998
bis 2001 unter ihrer Anschrift in M. bei ihren Eltern aufgehalten. Am 4. April 2000 sei ihr
Vater von den Chinesen verhaftet worden, da er Kontakte zu dem Lama in Indien
gepflegt habe. Man habe an diesem Tag auch sie verhaftet und zwei Tage festgehalten.
Außerdem habe sie in M. gegen die Chinesen protestiert und diese aufgefordert, Tibet
zu verlassen. Sie habe beanstandet, dass die Menschenrechte in Tibet nicht beachtet
würden. Da diese politischen Aktivitäten den Behörden bekannt geworden seien,
befürchte sie für den Fall ihrer Rückkehr Folter und eine Haftstrafe. Es sei bereits
verdächtig, dass sie bis 1998 eine indische Schule besucht habe. Da ihr Leben in M.
nicht mehr sicher gewesen sei, habe sie sich versteckt und zuletzt bis Mai 2002 in D.
aufgehalten. Sie habe dann die erste Ausreisegelegenheit genutzt und sei an einem
unbekannten Datum von Q. nach G. geflogen, wo sie am 7. Mai 2002 gegen 6.25 Uhr
eingetroffen sei.
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Mit Bescheid vom 24. Juni 2003, der der Klägerin am 4. Juli 2003 zugestellt wurde,
lehnte das Bundesamt den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) nicht vorliegen und
Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG nicht gegeben sind. Die Klägerin
wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach
unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, andernfalls sie nach
China oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat abgeschoben werde.
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Am 10. Juli 2003 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie durch ihre
Prozessbevollmächtigten ihr bisheriges Vorbringen ergänzen und vertiefen lässt und im
Übrigen auf das Vorbringen ihrer Stiefmutter in dem Verfahren 5 K 2675/03.A verweist.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom
24. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie - die Klägerin - als
Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 des Ausländergesetzes vorliegen, h i l f s w e i s e festzustellen, dass
Abschiebungshindernisse gemäß § 53 des Ausländergesetzes hinsichtlich China
bestehen.
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Die Beklagte beantragt - schriftsätzlich -,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beteiligte stellt keinen Antrag.
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Die Beteiligten sind mit der Ladung auf die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel
hingewiesen worden. Die Einzelrichterin hat die Klägerin in der mündlichen
Verhandlung zu den Gründen ihrer Ausreise angehört. Wegen der weiteren Einzelheiten
des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Gerichtsakte zu dem Verfahren der Stiefmutter der Klägerin 5 K
2675/03.A sowie der jeweils zugehörigen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Klage hat nur in dem tenorierten Umfang Erfolg. Die Klägerin hat einen
Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Insoweit erweist sich der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes vom 24.
Juni 2003 als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz
1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Im Übrigen ist die - auf Anerkennung der
Klägerin als Asylberechtigte gerichtete - Klage unbegründet.
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Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1
AsylVfG) keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a Abs. 1
des Grundgesetzes (GG). Danach genießen politisch Verfolgte zwar Asylrecht, auf
Absatz 1 kann sich gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a AsylVfG aber nicht berufen,
wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem
anderen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Zum
Nachweis des Reiseweges hat der Asylbewerber bei der Einreise auf dem Luftweg
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seinen Flugschein und etwaige sonstige Unterlagen über seinen Reiseweg vom
Herkunftsland nach Deutschland vorzulegen (§ 15 Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 3 Nr. 3 und 4
AsylVfG). Ist der Asylbewerber nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere, hat er
an der Grenze bzw. bei der Grenzbehörde auf dem Flughafen um Asyl nachzusuchen (§
13 Abs. 3 Satz 1, §§ 18 f. AsylVfG). Nach höchstrichterlicher Rechsprechung
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 29. Juni 1999 - 9 C 36.98 -
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE)
109, 174
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hat das Gericht in dem Fall, dass der Asylbewerber seinen Mitwirkungspflichten nicht
oder nur teilweise nachkommt und deshalb die behauptete Einreise auf dem Luftweg
nicht eindeutig feststeht, im Rahmen der weiteren Sachverhaltsaufklärung auch zu
berücksichtigen, dass und aus welchen Gründen die gesetzlich vorgesehene
Mitwirkung des Asylbewerbers bei der Feststellung des Reiseweges unterblieben ist.
Dabei kann das Gericht insbesondere die behauptete Weggabe von Beweismitteln wie
bei einer Beweisvereitelung zu Lasten des Asylbewerbers würdigen. Bleibt danach der
Einreiseweg unaufklärbar, trägt der Asylbewerber die materielle Beweislast für seine
Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaats nach Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a
AsylVfG auf dem Luft- oder Seeweg nach Deutschland eingereist zu sein.
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze, denen das erkennende Gericht folgt, gilt hier
Folgendes: Die Klägerin ist nach eigenen Angaben vor dem Bundesamt nicht in der
Lage, ihre Einreise in das Bundesgebiet auf dem Luftweg durch Vorlage von
Reisedokumenten nachzuweisen oder anderweitig glaubhaft zu machen, sondern will
nach ihren dortigen Angaben während der gesamten Reise keinerlei Dokumente in
ihren Händen gehalten noch Grenzbeamten vorgezeigt haben. Sie hat des Weiteren
auch nicht bereits bei der Grenzbehörde auf dem Flughafen G. , sondern erst einige
Tage später bei der Zentralen Ausländerbehörde in C. um Asyl nachgesucht. Ferner soll
der Schleuser ihr die Fahrkarte für die behauptete Bahnfahrt von G. nach P.
weggenommen haben und will die Klägerin einen weiteren Fahrausweis für die Fahrt
von P. über I. nach I1. weggeworfen haben. Durch dieses Verhalten - insbesondere
durch die Weggabe wichtiger Beweismittel - hat sie sich selbst in Beweisnot gebracht.
Vor diesem Hintergrund steht der Glaubhaftigkeit der angeblichen Luftwegeinreise am 6.
bzw. 7. Mai 2002 maßgeblich entgegen, dass die darauf bezogenen Angaben bei der
Anhörung vor dem Bundesamt einerseits und in der mündlichen Verhandlung
andererseits widersprüchlich sind. Während die Klägerin vor dem Bundesamt
angegeben hatte, sie sei an einem ihr nicht bekannten Datum in Q. gestartet und am 7.
Mai 2002 gegen 6.25 Uhr in G. gelandet, will sie nach ihrer Darstellung in der
mündlichen Verhandlung noch am 6. Mai 2004 - dem Tag des Abfluges in Q. - um 18.25
Uhr in G. gelandet sein. Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch, dass die
Stiefmutter der Klägerin in deren Asyl-(klage)verfahren dieselben wechselnden
Angaben gemacht hat und vor diesem Hintergrund ersichtlich abgesprochene und an
den jeweiligen Informationsstand angepasste Flugdaten angegeben wurden. Denn erst
die in der mündlichen Verhandlung genannte Ankunftzeit stimmt mit der - beispielsweise
bei der Flugauskunft des G Flughafens im Internet für jedermann abrufbaren -
planmäßigen Ankunftzeit in G. überein. Vorliegend ist deshalb nicht mehr feststellbar,
auf welchem Weg die Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist; dies
geht nach der materiellen Beweislastverteilung zu ihren Lasten.
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Die Klägerin hat allerdings einen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des §
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51 Abs. 1 AuslG. Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden,
in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder
wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Hinsichtlich der
Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts und des politischen Charakters der
Verfolgung besteht Deckungsgleichheit mit den Voraussetzungen, unter denen auf der
Grundlage des Art. 16 a GG die Anerkennung als Asylberechtigter erfolgt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 1992 - 9 C 21.92 -, BVerwGE 91, 150 (154) mit
weiteren Nachweisen (m.w.N.).
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Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG kann - ebenso wie das Grundrecht auf
Anerkennung als Asylberechtigter - nur derjenige in Anspruch nehmen, der selbst - in
eigener Person - politische Verfolgung erlitten hat oder dem asylerhebliche Maßnahmen
unmittelbar drohten und der deshalb gezwungen war, in begründeter Furcht vor
Verfolgung sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen.
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Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR
902/85 und 515, 1827/89 -, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 83, 216 (231).
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Politisch verfolgt ist danach, wer wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität,
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen
Überzeugung gezielt Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität nach aus
der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen; der
eingetretenen Verfolgung steht die unmittelbar drohende Gefahr der Verfolgung gleich.
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Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 (333
ff.) und vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 ff.
22
Für die Beurteilung, ob Abschiebungsschutz zu gewähren ist, gelten - ebenso wie für
die Anerkennung als Asylberechtigter - unterschiedliche Maßstäbe. Hat der Ausländer
seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder ihm unmittelbar drohender
politischer Verfolgung verlassen, so ist ihm Abschiebungsschutz zu gewähren, wenn
eine (erneute) Verfolgung des Ausländers nicht hinreichend sicher ausgeschlossen
werden kann (herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Hat der Ausländer sein
Heimatland dagegen unverfolgt verlassen, gilt der (gewöhnliche) Prognosemaßstab der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, Informationsbrief Ausländerrecht
(InfAuslR) 1995, 24 (26), vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 -, NVwZ 1994, 500 (503) und
vom 3. November 1992 - 9 C 21.92 -, NVwZ 1993, 486 (487).
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Entscheidend ist, ob dem Asylsuchenden bei objektiver Würdigung der gesamten
Umstände seines Falls nicht zuzumuten war bzw. ist, in seinem Heimatland zu bleiben
bzw. dorthin zurückzukehren. Bei dieser Beurteilung muss das Gericht sowohl von der
Wahrheit - und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Asylsuchenden
behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose
drohender politischer Verfolgung die volle Überzeugung gewinnen.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 (169) und
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vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180 ff.
Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylsuchenden kann schon
allein sein eigener Tatsachenvortrag zur Anerkennung führen, sofern das Gericht unter
Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugt ist. Der Asylsuchende
ist gehalten, seine Asylgründe in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss insbesondere
seine persönlichen Erlebnisse unter Angabe genauer Einzelheiten derart schlüssig
darlegen, dass seine Schilderung geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen.
Enthält das Vorbringen erhebliche, nicht überzeugend aufgelöste Widersprüche und
Unstimmigkeiten, kann es als unglaubhaft beurteilt werden, wobei insbesondere der
persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden entscheidende Bedeutung zukommt.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1989, - 9 B 239.89 -, Buchholz, Sammel- und
Nachschlagewerk des BVerwG 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 113.
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Hiervon ausgehend hat die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens
der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Nach dem Ergebnis ihrer Anhörung in der
mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sie in China
politische Verfolgung erlitten hat. Eine Rückkehr in ihr Heimatland kann ihr vor diesem
Hintergrund nicht zugemutet werden, da eine Wiederholung von
Verfolgungsmaßnahmen nicht mit hinreichender Sicherheit (herabgestufter
Wahrscheinlichkeitsmaßstab) auszuschließen ist.
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Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin in ihrem Heimatland unmittelbar
drohend politische Verfolgung durch chinesische Sicherheitskräfte fürchten musste und
hierdurch zur Ausreise aus China veranlasst wurde. Diese Überzeugung des Gerichts
beruht auf den im Kern widerspruchsfreien und ausführlichen Schilderungen der
Klägerin zu ihrem Verfolgungsschicksal. Bereits bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt
hatte die Klägerin die Gründe für ihre Ausreise im Rahmen der ihr durch die
Fragestellung gebotenen Möglichkeiten im Wesentlichen nachvollziehbar geschildert.
Soweit ihr dortiges Vorbringen lückenhaft war, ist zu berücksichtigen, dass sie bei der
Anhörung vor dem Bundesamt keine Gelegenheit hatte, die Gründe, die sie zur Flucht
bewogen haben, im Zusammenhang zu schildern. Sie wurde lediglich danach gefragt,
ob ihr im zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise konkret und persönlich etwas
passiert sei. Ihr wurde nach dem Inhalt der Anhörungsniederschrift insbesondere keine
Gelegenheit gegeben, nähere Ausführungen zur Registrierung ihrer politischen
Aktivitäten in Tibet zu machen und den Gesamtzusammenhang der Ausreisegründe
darzulegen. Der Einzelentscheider hat weder zu den politischen Aktivitäten noch
beispielsweise zu der zweitägigen Haft Fragen gestellt, sondern sich mit an die
Fragestellung angepassten knappen Antworten zufrieden gegeben. In der mündlichen
Verhandlung hat die Klägerin sich demgegenüber in der Lage gezeigt, eine ins Einzelne
gehende und plausible Darstellung zu geben, die bildhaft die Verhaftung am 4. April
2000, die zweitägige Haft und die erlittenen weiteren Repressalien durch die
chinesische Obrigkeit illustriert. Realitätsnah vermochte die Klägerin ihren Sachvortrag
im Termin zur mündlichen Verhandlung durch widerspruchsfreie und detailsichere
Angaben zu wiederholen und weiter auszuführen. Ohne Zögern hat sie namentlich die
Einzelheiten des Polizeieinsatzes, den zeitlichen Ablauf des Vorgehens der
Sicherheitskräfte sowie Einzelheiten im Zusammenhang mit der
Wohnungsdurchsuchung und ihrer Verhaftung vortragen können. Insbesondere ist es ihr
gelungen, die von ihr gemeinsam mit ihrer Stiefmutter durchgeführte heimliche
Plakataktion in M. C1. anschaulich darzutun. Gleiches gilt hinsichtlich ihrer Aufenthalte
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in U. und D. , wo angesichts der geschilderten näheren Umstände ebenfalls jederzeit
die latente Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen durch chinesische Sicherheitskräfte
bestand. Es ist ihr auf Nachfragen des Gerichts auch stets gelungen, Unklarheiten
nachvollziehbar und überzeugend auszuräumen. Dabei stimmten die Angaben in der
mündlichen Verhandlung auch zum Randgeschehen des Verfolgungsschicksals - bei
Ausschluss einer zwischenzeitlichen Absprachemöglichkeit - mit denjenigen ihrer
Stiefmutter überein.
In Anbetracht dessen hat das erkennende Gericht auch im Übrigen keinen Zweifel an
der Glaubwürdigkeit der Klägerin. Sie hat ihr Verfolgungsschicksal in der mündlichen
Verhandlung ruhig und sachlich, zugleich aber auch lebensnah, farbig und detailreich
wiedergegeben. Auf Nachfragen und Vorhalte hat sie natürlich und spontan geantwortet
und die Geschehnisse vor allem weder überzeichnet noch herabgespielt.
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Nach alledem kommt der Klägerin der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab
zugute, bei dessen Anwendung Asyl zu gewähren ist, da eine (erneute) Verfolgung bei
einer Rückkehr der Klägerin nach China nicht hinreichend sicher ausgeschlossen
werden kann. Die Volksrepublik China versteht sich als sozialistischer Staat mit
alleinigem Herrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei (KP). Alles, was diesen
Anspruch zu gefährden droht, wird von der Führung bekämpft. Personen, die in
Opposition zur gegenwärtigen Regierung und herrschenden Ideologie stehen, setzen
sich der Gefahr von Repressionen durch staatliche Stellen aus, wenn sie öffentlich
Aktivitäten unternehmen, die sich aus Sicht der Regierung gegen sie, die KP, die
Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas richten. Aus Sicht der
chinesischen Regierung kommt es dabei vor allem auf die Gefährlichkeit oder
Unbequemlichkeit der einzelnen Person für die Regierung bzw. die KP an. Dabei
unterliegen politische und religiöse Aktivitäten in Tibet weiterhin einer strikten Kontrolle
durch die Zentralregierung mit den Ziel, den Einfluss des tibetischen Buddhismus
zurückzudrängen und jegliche Form von tibetischen Autonomiebestrebungen zu
unterdrücken. Die Flucht des Karmapa Lama im Dezember 1999 hat zu weiteren,
schärferen Kontrollen von Mönchen und Nonnen geführt. Außerdem gibt es Berichte
über die Anwendung von Folter in allen Haftanstalten in Tibet.
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Vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in
der Volksrepublik China (Stand: August 2002) vom 17. September 2002.
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Diese Einschätzung wird auch von amnesty international (ai) geteilt, wonach die Gefahr,
Opfer von Folter und Misshandlung zu werden, vor allem für Personen besteht, denen
unterstellt wird, sich für die Unabhängigkeit Tibets einzusetzen und Kontakt mit der
tibetischen Exilregierung aufgenommen zu haben.
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Vgl. ai, Auskunft an das Verwaltungsgericht (VG) Bayreuth vom 5. März 1997,
veröffentlicht im Internet: http://www.2.anmesty.de/internet/Gutachte.nsf/Druck...
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Vor diesem Hintergrund und angesichts der glaubhaft vermittelten familiären
Verbindung der Klägerin zu herausragenden Persönlichkeiten des tibetischen
Buddhismus kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die
Klägerin bei einer Rückkehr nach China aufgrund der bereits erlittenen (Vor-
)Verfolgung und ihrer den staatlichen Stellen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
bekannt gewordenen regierungskritischen Plakataktion erneut mit politischer Verfolgung
rechnen muss.
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Über den auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG gerichteten
Hilfsantrag ist nicht (mehr) zu entscheiden, da die Klage bereits mit dem auf Feststellung
des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gerichteten Hauptantrag
erfolgreich ist.
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Die unter Ziffer 4 des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes vom 24. Juni 2003
enthaltene Ausreiseaufforderung nebst Abschiebungsandrohung kann nicht aufgehoben
werden, weil die hierfür nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erforderlichen
Voraussetzungen nicht vorliegen; die Klägerin ist nicht als Asylberechtigte anerkannt
und besitzt keine Aufenthaltsgenehmigung. Die festgestellte Verpflichtung der
Beklagten zu Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG steht dem Erlass
der Abschiebungsandrohung nicht entgegen (§ 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Allerdings wird
eine Änderung der Abschiebungsandrohung dahingehend, dass in ihr die Volksrepublik
China als der Staat, in den die Klägerin nicht abgeschoben werden darf, zu bezeichnen
ist, vorzunehmen sein (§ 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt
aus § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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