Urteil des VG Aachen vom 12.12.2008

VG Aachen: befreiung, lfg, vollstreckung, satzung, eltern, ausführung, entlastung, zivilprozessordnung, vergleich, sozialhilfe

Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 2500/05
Datum:
12.12.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 2500/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
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Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklage vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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Tatbestand :
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Die Mutter der Kläger beantragte unter dem 9. September 2005 die Übernahme der
Kosten für Schulbücher der Kläger in Höhe von 98,90 EUR.
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Mit Schreiben vom 26. September 2005 teilte der Beklagte der Mutter die beabsichtigte
Ablehnung unter Hinweis darauf mit, dass für Schülerinnen und Schüler, welche nach §
2 Abs. 2 Satz 2 des Lernmittelfreiheitsgesetzes (LFG) im Schuljahr 2004/2005 wegen
des Empfangs von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem
Bundessozialhilfegesetz von der Zahlung des Eigenanteils befreit gewesen seien und
nun Leistungen nach Abschnitt 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) Zweites Buch (II)
erhielten, die Befreiung bis zum Ablauf des Schuljahres 2005/2006 weiterbestehe. Das
gelte nicht für Empfänger von Arbeitslosengeld II, die im Schuljahr 2004/2005 keine
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz erhalten hätten.
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Mit Bescheid vom 25. Oktober 2005 lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme der
Kosten für Schulbücher der Kläger ab. Zur Begründung führte er aus, die
Voraussetzungen zur Übernahme der Schulbuchkosten seien nach § 132 Abs. 9 des
Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Schulgesetz NRW - SchulG) nicht
gegeben. Es habe keine Bescheinigung über eine Befreiung von der Zahlung des
Eigenanteils wegen des Empfangs laufender Hilfe zum Lebensunterhalt im Schuljahr
2004/2005 vorgelegen.
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Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 8.
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November 2005 unter Hinweis darauf zurück, dass nach §§ 96 und 132 SchulG kein
Anspruch auf Befreiung vom Eigenanteil bestehe.
Die Kläger haben am 1. Dezember 2005 Klage erhoben. Sie machen geltend, ihre
Mutter habe bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfeleistungen nach dem SGB III erhalten. Seit
Einführung des SGB II erhalte sie Arbeitslosengeld II. Die Bescheide setzten das
geltende Recht um, verletzten sie aber in ihren Rechten aus Art. 4 Abs. 1 der
Landesverfassung (Verf) in Verbindung mit Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Es sei kein
sachlicher Grund erkennbar, warum Bezieher von Arbeitslosengeld II, die bis zum 31.
Dezember 2004 nur Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe bezogen hätten, anders zu
behandeln sein sollten als Personen, die bis dahin (auch) Hilfe zum Lebensunterhalt
erhalten hätten. Erst wenn ein überwiegender Anteil von SGB-II- Beziehern
hinzuverdienen würde, könne man an eine Differenzierung denken.
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Die Kläger beantragen,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 25. Oktober 2005 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2005 zu verpflichten, den
Eigenanteil an ihren Schulbüchern im Schuljahr 2005/2006 zu übernehmen.
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Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf seine Ausführungen im Vorverfahren.
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Die Kammer hat durch Beschluss vom 16. Juli 2008 Prozesskostenhilfe rückwirkend ab
Klageerhebung unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten bewilligt. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 25. Oktober 2005 ist rechtmäßig und verletzt die
Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO), weil sie keinen Anspruch auf
Übernahme des Eigenanteils an ihren Schulbüchern im Schuljahr 2005/2006 haben.
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Als Anspruchsgrundlage scheidet zunächst § 96 Abs. 3 Satz 3 SchulG aus, weil die
Mutter der Kläger im Schuljahr 2005/2006 keine Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bekommen hat.
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Auch die Übergangsregelung des § 132 Abs. 9 SchulG greift nicht, da diese auf die
Befreiung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 LFG wegen des Empfangs laufender Hilfe zum
Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz im Schuljahr 2004/2005 und den
anschließenden Bezug von Leistungen nach Abschnitt 2 des SGB II abstellt.
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Im Übrigen lässt sich aus Art. 4 Abs. 1 Verf in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG die
Notwendigkeit einer Befreiung auch für den Fall des Bezugs von Arbeitslosengeld bzw.
-hilfe in 2004/2005 und einen sich anschließenden Bezug von Leistungen nach dem
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SGB II nicht herleiten.
Ausgehend vom dem Grundsatz, dass Gleiches nicht willkürlich ungleich behandelt
werden darf, bedarf es eines sachlichen Kriteriums für die Differenzierung. Zwar dürfte
dieses nicht in einem finanziellen Unterschied zwischen den Leistungen nach SGB II
und SGB XII zu sehen sein; die Regelleistung des Arbeitslosengeldes II und der
Eckregelsatz betrugen seit 2005 jeweils 345,- EUR. Dem Leistungsumfang braucht
indes nicht weiter nachgegangen zu werden.
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Sachliche Differenzierungskriterien für das Abstellen auf den Bezug von Hilfe zum
Lebensunterhalt nach dem SGB XII in § 96 Abs. 3 Satz 3 SchulG sowie von Leistungen
nach dem Bundessozialhilfegesetz in § 132 Abs. 9 SchulG ergeben sich nämlich
daraus, dass zum einen im Rahmen des SGB II die Möglichkeit zur Verbesserung der
wirtschaftlichen Situation besteht, beispielsweise räumt § 30 SGB II Freibeträge für
Erwerbstätigkeit ein. Zum anderen kann bei erstmaligem Bezug von Arbeitslosengeld II
im Schuljahr 2005/2006 ohne vorausgehenden Bezug von Sozialhilfe von einer
besseren wirtschaftlichen Situation ausgegangen werden.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 30. April 2007 - 19 A 2204/06 -, NRWE unter Bezugnahme auf die Ausführung des
VG Gelsenkirchen in seinem Urteil vom 12. April 2006 - 4 K 2714/05 -, NRWE.
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Dass es sich dabei um pauschalierende Betrachtungen des Gesetzgebers handelt, ist
angesichts der Vielzahl denkbarer Konstellationen unvermeidlich. Insofern kommt es
zum Beispiel nicht darauf an, ob Empfänger von Leistungen nach SGB II hinzuverdient
haben.
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Auf einen Übernahmeanspruch führt ebenfalls nicht der Grundsatz der Lernmittelfreiheit
aus Art. 9 Abs. 2 Satz 1 Verf. Danach ist die Ausgestaltung der Lernmittelfreiheit dem
Gesetzgeber übertragen, was zur Folge hat, dass er auch pauschalierend Ausnahmen
von der grundsätzlich zulässigen Beteiligung der Eltern an Lernmitteln regeln kann.
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Die Härtefallregelung des § 96 Abs. 3 Satz 4 SchulG ist nach Art. 9 Satz 1 des Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes erst zum 1. August 2006 in Kraft getreten.
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Außerdem liegt keine Satzung des Beklagten nach § 5 Abs. 2 Satz 1 LFG, welcher
gemäß Art. 9 und 13 Abs. 2 des Gesetzes zur finanziellen Entlastung der Kommunen in
Nordrhein-Westfalen vom 29. April 2003 (EntlKommG) bis zum Ablauf des 31. August
2008 fortgalt und vorsah, dass der Schulträger ein Entfallen des Eigenanteils im
Einzelfall regeln konnte, vor.
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Der Frage, ob sich in einzelnen Härtefällen ein Anspruch aus einer
verfassungskonformen Auslegung des § 5 Abs. 2 Satz 1 LFG ergeben kann,
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vgl. OVG, a. a. O.,
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braucht nicht nachgegangen zu werden. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass
die Kläger und ihre Mutter im Vergleich zu anderen Empfängern von Arbeitslosengeld II
besonders benachteiligt gewesen wären.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
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vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711
der Zivilprozessordnung.