Urteil des VG Aachen vom 08.09.2004

VG Aachen: psychisch kranker, gefahr, behandlung, abschiebung, familie, politische verfolgung, bundesamt, folter, depression, leib

Verwaltungsgericht Aachen, 6 K 185/02.A
Datum:
08.09.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 185/02.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
T a t b e s t a n d:
1
Der am 0. K. 0000 geborene Kläger stammt aus dem Dorf L. im Südosten der Türkei,
Kreis Karakocan, Provinz Elazig. Er ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer
Volkszugehörigkeit und alevitischen Glaubens.
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Er reiste eigenen Angaben zufolge am 17. Mai 1996 auf dem Luftweg von Istanbul nach
Köln in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22. Mai 1996 einen Antrag
auf Anerkennung als Asylberechtigter.
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Zur Begründung seines Asylantrags gab er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 28. Mai
1996 im Wesentlichen an:
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Er sei aus der Türk ei wegen der Repressalien geflüchtet, die er dort als Kurde und
Unterstützer der Guerillas erfahren habe. Im Dezember 1993 habe er sich gegenüber
den türkischen Spezialeinheiten dazu bekannt, für die Guerillas Spitzeldienste zu
leisten. Man habe ihn beschimpft und an die Wand geworfen. Die Spezialeinheiten
hätten ihm die Augen verbunden. Als er die Augen geöffnet habe, habe er gesehen,
dass er auf einer Militärstelle in Karakocan gewesen sei. Er sei geschlagen worden und
später nach Elazig in das Gefängnis "1800 Evler" ("1800 Wohnungen") gebracht
worden. Im Juli 1995 sei er erneut festgenommen worden. Spezialeinheiten seien ins
Dorf gekommen, hätten ihn zu Hause aufgesucht und gefragt, warum er den Guerillas
Lebensmittel gegeben habe. Er habe geantwortet, dass diese Leute für die Rechte der
Kurden kämpfen würden. Danach seien ihm die Augen verbunden worden. Die
Sicherheitskräfte hätten ihn von mittags bis abends in der Gendarmeriestelle in
Karakocan festgehalten und bei seiner Freilassung angekündigt, ihn nach Ablauf einer
Woche erneut zu Hause aufzusuchen. Als sie eine Woche später tatsächlich
zurückgekommen seien, hätten sie alle Lebensmittel zerstört. Mitte Februar 1996 seien
ein weiteres Mal Sicherheitskräfte in seinem Wohnort erschienen. Sein Hund habe sie
angegriffen. Als Reaktion darauf hätten sie das Tier erschossen. Dann seien sie in den
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Stall gegangen und hätten auch sein Pferd erschossen. Man habe ihm vorgeworfen, mit
dem Pferd die Lebensmittel zu den Guerillas gebracht zu haben. Er sei geschlagen und
beschimpft worden. Die Sicherheitskräfte hätten gedroht, ihn zu erschießen, wenn sie
etwas darüber hören sollten, dass er die Guerillas unterstütze. Schließlich sei er
aufgefordert worden, die Aufenthaltsorte der Guerillas zu zeigen. Er habe erwidert, dass
er das kurdische Volk nicht verraten werde.
Mit Bescheid vom 23. August 1996 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers
ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes
(AuslG) und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und forderte den
Kläger unter Androhung der Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat auf,
die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem
Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen.
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Die gegen den Ablehnungsbescheid erhobene Klage - 6 K 2749/96.A -, zu deren
Begründung der Kläger ergänzend ausführte, er habe sich wegen der von
Sicherheitskräften im Februar 1996 ausgesprochenen Todesdrohung zur Flucht aus der
Türkei entschlossen, wies das erkennende Gericht durch Urteil vom 21. September
2001 ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus:
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Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, weil er nicht
politisch verfolgt im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG sei. Es lasse sich nicht feststellen,
dass er die Türkei wegen einer vor der Ausreise erlittenen Verfolgung verlassen habe
und dass keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung bestehe. Die geltend
gemachten individuellen Vorfluchtgründe begründeten keinen Asylanspruch, weil sie
jedenfalls im wesentlichen Kern nicht geglaubt werden könnten. Der Kläger habe nicht
überzeugend dargelegt, dass er bei den türkischen Sicherheitskräften im Verdacht
gestanden habe, die Sache der Kurden durch Hilfeleistung gegenüber der PKK-Guerilla
zu unterstützen. Ausschlaggebend für diese Wertung sei, dass der Asylvortrag sowohl
durch einen groben Widerspruch als auch durch Detailarmut und fehlende
Anschaulichkeit gekennzeichnet sei. Die Behauptung, im Juli 1995 hätten türkische
Sicherheitskräfte sein Heimatdorf aufgesucht und ihn einen halben Tag lang in der Stadt
Karakocan festgehalten, sei erkennbar unrichtig, weil er dazu unauflösbar
widersprüchlich vorgetragen habe. Unabhängig davon fehlt es seinen Angaben an der
Anschaulichkeit und dem Detailreichtum, die Kennzeichen einer wahrheitsgemäßen
Schilderung seien. Eine einzelfallbezogene Schilderung, die das behauptete
Verfolgungsschicksal nachvollziehbar und damit glaubhaft hätte machen können, sei
der Kläger schuldig geblieben. Auch habe er sich ungereimt zu dem Ort eingelassen, an
dem er im Dezember 1993 für die Dauer von vier Tagen in Elazig festgehalten worden
sein wolle. Im Verwaltungsverfahren und in der Klagebegründung mit Schriftsatz vom
17. September 1996 habe er ohne jeden Vorbehalt ein Gefängnis namens "1800 Evler"
("1800 Wohnungen") als Haftort benannt. Hingegen habe er in der mündlichen
Verhandlung von einem ihm unbekannten Haftort gesprochen. Schließlich seinen seine
Behauptungen, Sicherheitskräfte hätten sein Pferd getötet, weil er damit "nachts Mehl
und Zucker zur Guerilla" gebracht habe, und ferner Todesdrohungen ausgesprochen,
um eine weitere Hilfeleistung zu unterbinden, nicht in eine schlüssige
Gesamtschilderung eingebettet. Gleiches gelte für das Vorbringen, man habe ihn im
Februar 1996 als Agent gewinnen wollen. Dass er etwa über besondere Kenntnisse
bzw. Möglichkeiten der Erkundung verfügt habe, welche ein solches Ansinnen der
Sicherheitskräfte plausibel erscheinen ließen, werde aus dem Asylvorbringen nicht
deutlich. Eine Asylanerkennung komme auch nicht wegen der allgemeinen Lage der
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Kurden in der Türkei in Betracht. Insbesondere müsse der Kläger bei einer Ausreise in
die Türkei keine Gruppenverfolgung wegen kurdischer Volkszugehörigkeit befürchten,
denn von einer solchen Gefahr sei - auch unter Berücksichtigung der Ereignisse nach
der Verhaftung und Verurteilung des PKK-Vorsitzenden Öcalan - bis in die heutige Zeit
nicht auszugehen. Letztlich könne sich ein Asylanspruch auch nicht aus den
vorgetragenen, im Bundesgebiet entfalteten exilpolitischen Aktivitäten, hier die
Mitgliedschaft im Kurdischen Kulturhaus E. e. V., ergeben. Hierbei handele es sich um
so genannte "selbst geschaffene Nachfluchtgründe", die einen Asylanspruch nur
ausnahmsweise auslösen könnten. Ein derartiger Ausnahmefall liege hier nicht vor, da
aus den eingangs genannten Gründen eine erkennbare politische Betätigung in der
Türkei nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso wenig bestehe begründete Furcht
vor politischer Verfolgung im Hinblick darauf, dass der Kläger nach seiner Rückkehr in
die Türkei möglicherweise zum Wehrdienst in der türkischen Armee herangezogen
werde. Aus den vorliegenden Erkenntnissen ergäben sich keine hinreichenden
Anhaltspunkte für die Annahme einer asylerheblichen Behandlung oder generellen
Schlechterbehandlung kurdischer Volkszugehöriger während der Ableistung ihres
Wehrdienstes gerade im Hinblick auf ihre Volkszugehörigkeit. Auch lasse sich nicht
feststellen, dass Kurden bei der Ahndung von Verstößen gegen wehrrechtliche
Bestimmungen diskriminiert würden. Eine Wehrdienstentziehung durch Flucht ins
Ausland werde auch nicht grundsätzlich und ohne weitere Verdachtsmomente als
Sympathie für die PKK ausgelegt. Des Weiteren bestehe auch kein Anspruch auf die
beantragte Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in der
Person des Klägers vorliegen. Die geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten als
einfaches Mitglied des Kurdischen Kulturhauses E. e. V. erreichten weder der Dauer
noch ihrer Intensität nach ein Ausmaß, bei dem nach den der Kammer vorliegenden
Erkenntnissen und der entsprechenden Wertung in der Rechtsprechung des OVG NRW
davon ausgegangen werden müsse, dass die türkischen Sicherheitsbehörden in der
Bundesrepublik auf den Kläger als einen aktiven Anhänger oppositioneller Kräfte
aufmerksam geworden seien, so dass bei einer Rückkehr in das Heimatland Gefahren
für Leben oder Freiheit (§ 51 Abs. 1 AuslG) bestünden. Das
Abschiebungsschutzbegehren nach § 53 AuslG sei ebenfalls unbegründet. Eine
konkrete Gefahr, der Folter oder der Todesstrafe unterworfen zu werden (§ 53 Abs. 1
und 2 AuslG), besteht vorliegend nicht. Ebenso wenig seien Anhaltspunkte dafür
ersichtlich, dass in der Türkei eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
durch den Staat (§ 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 3 EMRK) oder Gefahren für Leben, Leib
oder Freiheit (§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) landesweit drohten. Nach alledem lägen die
gesetzlichen Voraussetzungen für die im angefochtenen Bescheid erlassene
Abschiebungsandrohung und Ausreiseaufforderung ebenfalls vor (§§ 34, 38 Abs. 1
AsylVfG i. V. m. § 50 AuslG).
Einen Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
erkennenden Gerichts vom 21. September 2001 lehnte das Oberverwaltungsgericht
Münster mit Beschluss vom 6. November 2001 - 8 A 4269/01.A - ab.
9
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 4. Januar 2002, beim Bundesamt
eingegangen am 8. Januar 2002, beantragte der Kläger, das Verfahren zu § 53 AuslG
wiederaufzugreifen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG in
seiner Person vorliegen. Zur Begründung fügte er im Wesentlichen eine
"fachpsychologische Stellungnahme zur Vorlage bei Behörden und Gerichten" des Dr.
B. aus Solingen vom 19. Dezember 2001 bei. Außerdem regte er an, gegebenenfalls
eine ergänzende ärztliche Stellungnahme einzuholen.
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Das Bundesamt lehnte den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 23. August
1996 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG ab und führte zur Begründung im
Wesentlichen aus, das vorgelegte Attest des Dr. B. sei nicht geeignet, die Gefahr der
Retraumatisierung des Klägers im Falle seiner Rückkehr in die Türkei zu belegen, weil
es sich nicht mit den Gründen, die zur Ablehnung der Asylklage des Klägers geführt
hätten, auseinandersetze. Alleine der Umstand, dass der Kläger möglicherweise
psychisch erkrankt sei, begründe auch keinen Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG, weil eine Behandlung psychischer Erkrankungen in der Türkei
grundsätzlich möglich sei. Da der Antragsteller, wie er selbst angebe, aus einer reichen
Familie stamme, sei nicht ersichtlich, dass er aus finanziellen oder sonstigen Gründen
nicht in der Lage sein könnte, die notwendigen Behandlungen in der Türkei durchführen
zu lassen. Die dem Kläger attestierte Suizidgefahr ergebe sich vorliegend allein als
Folge der Abschiebung. Solche Gefahren seien inlandsbezogen und allein von der
Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen.
11
Der Kläger hat fristgerecht Klage erhoben, mit der er ergänzend vorträgt: Nicht nur aus
dem fachpsychologischen Attest des Herrn Dr. B. vom 19. Dezember 2001, sondern
auch aus der ergänzenden fachpsychologischen Stellungnahme des Herrn Dr. B. vom
6. Mai 2002 und den ärztlichen Attesten der Frau Dr. C. N. -C1. vom 18. September
2002, vom 23. Januar 2003, vom 21. März 2003, vom 26. Mai 2003 und vom 26.
November 2003 ergebe sich, dass der Kläger an einer posttraumatischen
Belastungsstörung leide, die auf einer Vorverfolgung in der Türkei beruhe. Eine
Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung des Klägers in der Türkei sei
kontraindiziert; im Verfolgerland könne die Behandlung nicht Erfolg versprechend
durchgeführt werden. Im Heimatland drohe dem Kläger eine erhebliche
Verschlimmerung seiner Erkrankung, möglicherweise sogar der Tod. Im Erstverfahren
sei er mit der Asylklage gescheitert, weil es zu Widersprüchen und Ungereimtheiten in
seinem Vortrag gekommen sei, die möglicherweise auf eine "Zeitgitterstörung" bzw.
eine "Achsenstörung" zurückzuführen seien.
12
Der Kläger beantragt,
13
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 17. Januar 2002
zu verpflichten, das Asylverfahren des Klägers hinsichtlich der Feststellungen des
Bundesamtes zu § 53 AuslG im Bescheid vom 30. August 1996 wiederaufzugreifen und
festzustellen, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 1 AuslG in der Person
des Klägers vorliegt,
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hilfsweise
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festzustellen, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in der
Person des Klägers vorliegt.
16
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
17
die Klage abzuweisen.
18
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat nicht im Verfahren Stellung
genommen.
19
In der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2003 ist der Kläger persönlich zu
der von seinem Prozessbevollmächtigten berichteten psychischen Erkrankung befragt
worden. Wegen des Ergebnisses wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift im
Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2003 verwiesen.
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Der Kläger hat wiederholt einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Seine Anträge vom 31.
Januar 2002 und vom 11. April 2002 sind durch Beschlüsse des erkennenden Gerichts
vom 2. April 2002 - 8 L 85/02.A - und vom 23. April 2002 - 8 L 383/02.A - abgelehnt
worden. Auf einen dritten Eilantrag des Klägers hin vom 18. November 2002 - 6 L
1406/02.A - hat die für den Kläger zuständige Ausländerbehörde -Landrat des Kreises
Düren - im Rahmen eines Vergleichs zugesagt, den Antragsteller nicht vor
rechtskräftiger Entscheidung im Hauptsacheverfahren - dem vorliegenden
Klageverfahren - abzuschieben. In dem durch Vergleich beendeten Eilverfahren hat die
Ausländerbehörde das Ergebnis einer psychiatrischen Untersuchung des Klägers durch
das Gesundheitsamt des Kreises Düren - Frau Dr. Q. - vom 31. Oktober 2003 vorgelegt.
Das Gutachten ist zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht worden.
21
Mit Beschluss vom 29. Dezember 2003 hat das Gericht zu den Fragen,
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1. ob beim Kläger eine psychische Erkrankung, insbesondere in Form einer
posttraumatischen Belastungsstörung, vorliegt oder ob der Kläger eine solche
Erkrankung lediglich vorgibt;
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2. ggf. wie schwer der Kläger erkrankt ist;
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3. welche Behandlung die Erkrankung erfordert;
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4. welche Kosten der Behandlung voraussichtlich entstehen;
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5. welche Verschlimmerungen der Erkrankung zu befürchten sind, wenn die nach Ziffer
3. erforderliche Behandlung nicht oder nur eingeschränkt erfolgt, weil der Kläger sich
nicht behandeln lässt, weil ausreichende Behandlungsmöglichkeiten fehlen oder weil
die Behandlung nicht finanzierbar ist;
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6. ob das Ausmaß der Verschlimmerungen der Erkrankung wegen unzureichender
Behandlung i. S. d. Ziffer 5 davon abhängt, ob der Kläger in Deutschland verbleibt oder
in die Türkei zurückkehrt;
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7. ob aus medizinischer Sicht eine Behandlung des Klägers in der Türkei - das
Vorhandensein medizinischer und psychiatrischer Behandlungsmöglichkeiten dort
unterstellt - "kontraindiziert" ist, weil die Krankheit wegen des spezifischen
Krankheitsbildes in der Türkei prinzipiell nicht oder nur eingeschränkt erfolgreich
behandelt werden kann (z. B. wegen Gefahr der Retraumatisierung bei zwangsweiser
Rückkehr in den Staat, der für erlittene politische Verfolgung verantwortlich ist, oder
durch den Verlust des bisherigen Lebensumfeldes in Deutschland?);
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8. als wie schwerwiegend und wahrscheinlich die ggf. i. S. d. Ziffer 7. in der Türkei zu
erwartenden Leiden und Gefahren einzustufen sind und welcher konkrete
Gesundheitsschaden im schlimmsten Fall dort zu erwarten ist;
30
ein Sachverständigengutachten eingeholt und mit der Beweisaufnahme Herrn Dipl.-
31
Psych. Thomas Weber, TraumaTransformConsult, Springen 26, 53804 Much,
beauftragt. Wegen des Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten des Dipl.-Psych.
Weber vom 10. April 2004 Bezug genommen. Mit Schriftsatz vom 17. August 2004 hat
der Prozessbevollmächtigte des Klägers ein ärztliches Attest der Frau Dr. N. -C1. vom 9.
August 2004 vorgelegt, worin unter anderem attestiert wird, "bei der Schwere der
vorliegenden Depression auf dem Boden einer posttraumatischen Belastungsstörung,
und weiterhin bestehendem Verdacht auf eine anhaltende Persönlichkeitsänderung
nach Extrembelastung" werde der Kläger aus psychiatrischer Sicht weiterhin nicht für in
der Lage gehalten, eine Abschiebung oder die Belastung einer Rückkehr in das
Heimatland zu bewältigen. Das Gericht hat hierzu Frau Dr. N. -C1. fernmündlich befragt.
Sie hat sinngemäß erklärt, sie habe das Attest auf Drängen des Klägers ausgestellt,
allerdings ohne Berücksichtigung des vom Gericht eingeholten Gutachtens des Herrn
Dipl.-Psych. Thomas Weber, das ihr der Kläger mit der Bitte übergeben habe, eine Art
"Gegengutachten" zu schreiben. Sie sehe sich jedoch nicht in der Lage, das fundierte
Gutachten des Herrn Weber "aus den Angeln zu heben". Um dem Kläger aber
wenigstens Etwas in die Hand zu geben, habe sie ihm dann das Attest vom 9. August
2004 ausgestellt. Nach fernmündlicher Kontaktaufnahme der Frau Dr. N. -C1. mit dem
Prozessbevollmächtigten des Klägers hat dieser gegenüber dem Gericht darauf
verzichtet, Frau Dr. N. -C1. als Zeugin zur mündlichen Verhandlung am 8 September
2004 zu laden.
Die Kammer hat das Verfahren durch Beschluss vom 18. November 2004 auf den
Vorsitzenden als Einzelrichter übertragen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte,
der Gerichtsakte 6 K 2749/96.A, der Gerichtsakten 8 L 85/02.A, 8 L 383/02.A und 6 L
1406/02.A sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes (2
Hefte) sowie der Ausländerbehörde (2 Hefte) verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist mit Haupt- und Hilfsantrag unbegründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte sein Asylverfahren
hinsichtlich der Feststellungen des Bundesamtes zu § 53 AuslG im Bescheid vom 30.
August 1996 wiederaufgreift und feststellt, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53
Abs. 1 oder Abs. 6 Satz 1 AuslG in seiner Person vorliegt. Der auf den Folgeantrag des
Klägers ergangene und sein Begehren ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom
17. Januar 2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113
Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
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Die Voraussetzungen für die mit dem Hauptantrag begehrte Feststellung eines
Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 1 AuslG liegen in der Person des Klägers
nicht vor. Für ihn besteht im Falle der Rückkehr in die Türkei nicht "die konkrete Gefahr
..., der Folter unterworfen zu werden". Bei dieser Wertung legt das Gericht - abweichend
von den Entscheidungsgründen des im Asylerstverfahren des Klägers ergangenen
Urteils vom 21. September 2001 zum Aktenzeichen 6 K 2749/96.A - die überzeugenden
Feststellungen des Gutachters Weber zum Wahrheitsgehalt der vom Kläger
geschilderten Gründe für seine Ausreise aus der Türkei zugrunde. Dementsprechend
glaubt das Gericht dem Kläger nunmehr, dass er folgende belastende Erlebnisse in der
Türkei innerhalb des Zeitraums von etwa 1990 bis etwa 1996 im Kern wahrheitsgemäß
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geschildert hat:
- Der Kläger ist im Prinzip nicht politisch aktiv gewesen. Er hat sich lediglich mit den
Kurden "identifiziert" und hat in diesem Kontext Guerilla- Kämpfern ein Mal bis maximal
dreimal Nahrung an Orte außerhalb des Heimatdorfes gebracht.
38
- Des Weiteren ist das Haus der Familie des Klägers mehrfach durchsucht worden. Der
gewaschene Weizen seiner Familie ist einmal "zerstört" bzw. "dreckig gemacht"
worden.
39
- Der Kläger selbst ist ein Mal (maximal zweimal, wenn man die Situation, als einem
Soldaten bei einer Hausdurchsuchung ein Zeitungsartikel an der Wand aufgefallen ist,
dazu nimmt) von einem Soldaten geohrfeigt sowie ein Mal von einem Soldaten mit
einem Militärstiefel gegen sein Schienbein getreten worden.
40
- Der Kläger ist ein Mal nach Elazig verbracht und dort für vier Tage inhaftiert worden.
Gewalterfahrungen haben dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht
stattgefunden.
41
- Der Hund und das Pferd der Familie des Klägers sind von türkischen
Sicherheitskräften erschossen worden.
42
- Der Kläger ist einige Male auf dem Weg von und nach Karakocan, wo er Einkäufe
erledigte, angehalten und kontrolliert worden.
43
- Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger mehr als ein Mal
festgenommen worden ist.
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Der nunmehr als wahrheitsgemäß anzuerkennende Kern im Asylvorbringen des Klägers
rechtfertigt indes nicht die Feststellung, dass in der Türkei für ihn die konkrete Gefahr
der Folter besteht. Auch erweist sich das im Asylerstverfahren ergangene Kammerurteil
bei Zugrundelegung des nunmehr als richtig anzuerkennenden Sachverhalts nicht als
falsch. Denn auch auf der Grundlage des nunmehr glaubhaften Sachverhaltskerns im
Vorbringen des Klägers lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger - und dies allein
würde für ihn eine beachtliche Gefahr der Folter im Falle der Rückkehr in die Türkei
begründen - schon einmal Opfer politischer Verfolgung geworden ist und mit erneuter
politischer Verfolgung - insbesondere mit Folter - rechnen muss.
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Für diese Wertung ist entscheidend, dass nach dem nunmehr festgestellten Sachverhalt
der Kläger zu keiner Zeit tatsächlich von den türkischen Sicherheitskräften individuell
verdächtigt worden ist, die Sache der Kurden aktiv - zum Beispiel durch
Lebensmittellieferungen an Guerilla-Kämpfer oder Spitzeldienste für die Guerilla-
Kämpfer - zu unterstützen. Vielmehr ist er nur den Schikanen und
Unterdrückungsmaßnahmen der Sicherheitskräfte ausgesetzt gewesen, die alle Kurden
in seiner Heimatgegend erdulden mussten. Er wurde ein Mal geohrfeigt und ein Mal
getreten, auch musste er ein Mal vier Tage ins Gefängnis. Desgleichen musste er
erleben, dass ein Mal der gewaschene Weizen seiner Familie beschädigt und der Hund
und das Pferd seiner Familie erschossen wurden. Die vom Kläger erlebten
Unterdrückungsmaßnahmen, denen gerade im Zeitraum von 1990 bis 1996 zahllose
Kurden im Südosten der Türkei während des Kampfes der türkischen Sicherheitskräfte
mit den Kämpfern der PKK ausgesetzt waren, überschreiten jedoch nicht die Schwelle
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der Asylerheblichkeit. Sie rechtfertigen insbesondere nicht die Annahme einer
sogenannten "Gruppenverfolgung" der Kurden in der Türkei. Eine darüber hinaus
gehende individuelle Gefährdung des Klägers wegen besonderer Umstände, die gerade
ihn bei den Sicherheitskräften in den Verdacht gebracht haben könnten, er habe
tatsächlich aktiv die Sache der Kurden unterstützt und Kämpfern der PKK geholfen,
ergibt sich aus dem nunmehr glaubhaften Vortrag des Klägers nicht. Es bleibt damit bei
der Feststellung in den Gründen des Urteils im Asylerstverfahren des Klägers - auf
dessen Begründung im Einzelnen insoweit Bezug genommen wird -, dass der Kläger im
Falle der Rückkehr in die Türkei weder wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit
noch wegen besonderer Umstände im Zusammenhang mit seiner Person - dies schließt
den Umstand ein, dass er in der Türkei eventuell noch Wehrdienst leisten muss -
befürchten muss, der Folter unterworfen zu werden.
Auch der Hilfsantrag ist unbegründet. Es drohen nämlich auch keine Gefahren für
Leben, Leib oder Freiheit, § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG.
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Nach dieser Vorschrift kann von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn für den
Ausländer im Zielstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit
besteht. Maßgebend ist allein das Bestehen einer konkreten individuellen Gefahr für die
genannten Rechtsgüter ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm
zuzurechnen ist,
48
vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383
(386) und vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 (330).
49
Für das Vorliegen einer konkreten Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG genügt
nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden.
Vielmehr ist der Begriff der Gefahr im Ansatz mit dem im asylrechtlichen
Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit angelegten Gefahrenbegriff
identisch, wobei allerdings aufgrund der Tatbestandsmerkmale der "konkreten" Gefahr
für "diesen" Ausländer als zusätzliches Erfordernis eine einzellfallbezogene, individuell
bestimmte und erhebliche Gefahrensituation hinzutreten muss,
50
vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 1 B 71.01 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG
Nr. 46; Urteil vom 9. März 1996 - 9 C 116.95 -, NVwZ 1996, Beilage Nr. 8, S. 57 m.w.N.,
51
die überdies landesweit drohen muss,
52
vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 (330).
53
Gemessen an diesen (strengen) Anforderungen steht dem Kläger kein
zielstaatsbezogener Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu.
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Eine konkrete Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG droht dem Kläger nicht,
weil er an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, die auf einer Vorverfolgung
in der Türkei beruht. Das Gericht folgt insoweit den überzeugenden Darlegungen des
Gutachters Weber, der im Einzelnen nachvollziehbar begründet hat, dass der Kläger
nicht durch Erlebnisse in der Türkei traumatisiert ist und deshalb auch nicht im Fall der
Rückkehr in die Türkei "retraumatisiert" werden kann. Mängel des schriftlich vorgelegten
Gutachtens sind weder ersichtlich noch vom Kläger bzw. dessen Bevollmächtigtem
dargelegt worden. Dass die vom Kläger vorgelegten zahlreichen Atteste und
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Stellungnahmen anderer Psychologen und Psychiater (Frau Dr. N. -C1. und Dr. B. )
schon wegen methodischer Fehler nicht geeignet sind, die Feststellungen des
gerichtlich bestellten Sachverständigen zu erschüttern, ergibt sich ebenfalls klar
nachvollziehbar aus dessen schriftlichem Gutachten. Schließlich besteht auch deshalb
keinerlei Veranlassung, das von Herrn Weber erstellte Gutachten von Amts wegen
anzuzweifeln oder zu hinterfragen, weil es im Ergebnis der gehaltvollen Untersuchung
der psychischen Erkrankung des Klägers durch die Amtsärztin Frau Dr. Q1. wie auch
der Einschätzung des Gerichts nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen
Verhandlung vom 11. Dezember 2003 entspricht, dass nämlich die psychischen
Probleme des Klägers im Zusammenhang mit der drohenden Abschiebung aus
Deutschland, nicht aber im Zusammenhang mit traumatischen Erlebnissen in der Türkei
zu sehen sind. Eine konkrete Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG droht dem
Kläger aber auch nicht wegen der vom Gutachter Weber aktuell diagnostizierten
"mittelgradig depressiven Episode (ICD-10: F32.1)". Zwar ist der Kläger durch die
festgestellten Zukunftsängste in seiner psychischen Gesundheit beeinträchtigt. Es ist
aber nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich sein
Gesundheitszustand nach einer Abschiebung in die Türkei wesentlich oder gar
lebensbedrohlich verschlimmern wird.
In der Türkei ist die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung durch das
öffentliche Gesundheitssystem und den sich ausweitenden Sektor der
Privatgesundheitseinrichtungen - wenn auch nicht auf hohem Niveau - grundsätzlich
gewährleistet,
56
vgl. zur medizinischen Grundversorgung: OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A
4782/99.A -, EAS. 109 ff; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20. März 2002, S. 46 f., und
vom 9. Oktober 2002, Seite 49 f.
57
Insbesondere garantiert das dortige Gesundheitswesen psychisch kranken Menschen
den Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beratungsstellen. Die Betreuung im
medizinischen Bereich ist insoweit in den Groß- und Provinzstädten der Türkei
sichergestellt. Allerdings weist die an sich gewährleistete medizinische Versorgung
gravierende Lücken nach Art und Umfang auf: Insbesondere ist die persönliche,
sozialpädagogische sowie psychosoziale Betreuung und/oder Rehabilitation psychisch
Kranker nicht sichergestellt. Die Situation psychisch Kranker in der Türkei ist
gekennzeichnet durch eine Dominanz krankenhausorientierter Betreuung bei
gleichzeitigem Fehlen differenzierter ambulanter (Tageskliniken- und/oder Stätten) und
komplementärer Versorgungsangebote (z. B. Beratungsstellen, Kontaktbüros, betreutes
Wohnten etc.). Fünf psychiatrische Kliniken des türkischen Gesundheitsministeriums
und drei Einrichtungen der Sozialversicherungsanstalt SSK verfügen - unter
Einbeziehung psychiatrischer Stationen in allgemeinen Krankenhäusern aller
öffentlichen türkischer Institutionen - über lediglich ca. 9.000 Betten für psychisch
Kranke. Dies führt dazu, dass die Verweildauer der Patienten in der Regel auf drei
Monate beschränkt ist. Dauereinrichtungen für psychisch kranke Erwachsene gibt es nur
in der Form so genannter Depotkrankenhäuser. Allerdings ist die Anzahl und Kapazität
derartiger Einrichtungen sehr gering. Die überwiegende Mehrheit derartiger Kranker
wird von der eigenen Familie betreut.
58
Vgl. dazu Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 9. Oktober 2002, Anlage zur
medizinischen Versorgung psychisch kranker Menschen in der Türkei.
59
Indes werden die Defizite des türkischen Gesundheitssystems im Fall des Klägers
voraussichtlich nicht zum Tragen kommen. Es kann nämlich als unwahrscheinlich
ausgeschlossen werden, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei einer stationären
Unterbringung bedarf. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass für den Kläger -
wie schon in Deutschland - ambulante bzw. komplementäre Versorgungsangebote
ausreichend sein werden. Davon geht auch der Gutachter Weber aus (S. 121 unten des
Gutachtens: "Die Therapie muss nicht zwingend ortsgebunden durchgeführt werden).
Dafür, dass die bisher vom Kläger in Deutschland eingenommenen Medikamente nicht
in der Türkei verfügbar sind, bestehen keine Anhaltspunkte. Es ist auch nicht ersichtlich,
dass die Beschaffung der Medikamente in der Türkei auf finanzielle Hindernisse stoßen
könnte, die nicht durch die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit durch der Kläger oder
notfalls durch Unterstützungsleistungen von Verwandten überwunden werden können;
denn nach den eigenen Angaben des Klägers ist seine Familie reich. Es ist
dementsprechend nicht damit zu rechnen, dass es zu der von Herrn Weber in seiner
Antwort auf die Frage 5 des Beweisbeschlusses (S. 122 des Gutachtens) als
wahrscheinlich angenommenen "gewissen Verschlimmerung der psychischen
Erkrankung" des Klägers wegen Nicht-Behandlung der festgestellten Depression in der
Türkei tatsächlich kommen wird. Im Übrigen hält der Gutachter selbst für den Fall, dass
der Kläger in die Türkei zurückkehren muss und dort nur unzureichend behandelt wird,
nur eine vorübergehende Verschlimmerung des psychischen Beschwerdebildes beim
Klägers für wahrscheinlich (S. 122 Mitte und S. 123 unten des Gutachtens). Eine
besonders schwerwiegende oder gar lebensbedrohliche Verschlimmerung der
Depression des Klägers, die als konkrete Gefahr für Leib und Leben des Klägers
eingeordnet werden könnte, ist damit selbst für den - denkbar schlechtesten - Fall der
Nicht-Behandlung der Depression in der Türkei nicht zu erwarten.
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Zur Klarstellung weist das Gericht abschließend darauf hin, dass im vorliegenden
Asyl(streit)verfahren gegen das Bundesamt allein Selbstmordgefahren zu
berücksichtigen sind, die (nach erfolgter Abschiebung durch die Ausländerbehörde) im
Zielstaat der Abschiebung -hier in der Türkei- drohen (sog. "zielstaatbezogene"
Gefahren bzw. Abschiebungshindernisse). Demgemäß ist im vorliegenden Verfahren
weder zu prüfen noch zu entscheiden, welche rechtlichen Folgerungen sich aus der
Depression des Klägers im Falle der Abschiebung des Klägers aus Deutschland für die
handelnde Ausländerbehörde ergeben. Die vom Gutachter für diesen Fall ausdrücklich
angesprochene Suizidgefahr (S. 122 bis 124 des Gutachtens) hängt unmittelbar mit der
Art und Weise der Abschiebung oder Rückführung in den Herkunftsstaat zusammen; sie
ist deshalb als sog. "inlandsbezogenes" Abschiebungshindernis dem
Vollstreckungsverfahren der Ausländerbehörde zuzurechnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b Abs. 1 AsylVfG.
Wegen des Gegenstandswertes wird auf § 83b Abs. 2 Satz 1 AsylVfG verwiesen.
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