Urteil des VG Aachen vom 24.04.2009

VG Aachen: ausweisung, bundesamt für migration, china, botschaft, rechtswidriger aufenthalt, konsularische vertretung, öffentliche sicherheit, im bewusstsein, eltern, gemeinde

Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 1457/07
Datum:
24.04.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 1457/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %
des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d:
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Die Klägerin, nach eigenen Angaben chinesische Staatsangehörige, wendet sich gegen
ihre Ausweisung aus Deutschland.
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Sie beantragte am 11. November 2005 ihre Anerkennung als Asylberechtigte und gab
an, am 00.00.1985 in G. A. geboren und mehrere Tage vor dem 8. November 2005 in
das Bundesgebiet eingereist zu sein. Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 14. November 2005
erklärte sie u.a.: Sie sei wie ihre Eltern Han-Chinesin. Sie könne keine Ausweispapiere
vorlegen. Mit 19 Jahren sei ihr in G1. ein Personalausweis ausgestellt worden. Ob es
bei der Ausstellung Probleme gegeben habe, könne sie nicht sagen, da ihre Mutter den
Ausweis abgeholt habe. Der Personalausweis sei ihr im Juni 2004 ausgestellt worden,
da sie nach chinesischer Altersrechnung erst 2004 18 Jahre alt geworden sei. Einen
Reisepass habe sie nie besessen oder beantragt. Sie habe ihren Personalausweis bei
einer Freundin zurückgelassen, bei der sie vom 21. November 2004 bis zum 10. April
2005 gewohnt habe. Davor bzw. bis zum 15. November 2004 habe sie bei ihren Eltern
gewohnt. Sie habe auch keine sonstigen Dokumente zu ihrer Person. Ihre Eltern und ihr
jüngerer Bruder hätten bis zum 15. November 2004 in R. 85(Dorf), Gemeinde K. , Stadt
G1. , Provinz G2. gelebt. Danach habe sie keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern gehabt.
Ihre Großeltern seien verstorben. Ein jüngerer Bruder ihres Vaters sei 2002 in die
Provinz K1. gezogen. Weitere Geschwister habe ihr Vater nicht, ihre Mutter sei
Einzelkind. Familienangehörige im Ausland habe sie nicht. Sie habe in ihrem
Heimatdorf R. bis zum 10. Schuljahr die Mittelschule besucht. Einen Beruf habe sie
nicht erlernt. Die Klägerin füllte einen Fragebogen aus, der zur
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Passersatzpapierbeschaffung dienen sollte und auf den im Einzelnen verwiesen wird.
Mit Bescheid vom 30. November 2005 wurde die Klägerin der Gemeinde C. , Kreis
Euskirchen zugewiesen, wo sie sich am 12. Dezember 2005 anmeldete. Unter dem 25.
November 2006 teilte die Gemeinde C. mit, dass die Klägerin am 1. November 2006 von
Amts wegen abgemeldet worden sei und keine neue Anschrift bekannt sei.
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Mit bestandskräftigem Bescheid vom 29. November 2006 lehnte das Bundesamt den
Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen
des § 60 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die
Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) und
Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Es
forderte die Klägerin zur Ausreise innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der
Entscheidung auf und drohte die Abschiebung in die Volksrepublik China an.
5
Unter dem 30. Januar 2007 wurde die Klägerin zur Fahndung ausgeschrieben. Am 3.
April 2007 erschien sie bei der Ausländerbehörde des Beklagten, um ihre bis zum 11.
April 2007 befristete Aufenthaltsgestattung verlängern zu lassen und wurde dort
festgenommen. Sie füllte erneut einen Fragebogen für chinesische Staatsangehörige
aus. Mit Beschluss vom gleichen Tage ordnete das Amtsgericht Euskirchen bis 2. Juli
2007 ihre Abschiebungshaft an. Vor dem Amtsrichter erklärte die Klägerin, dass sie sich
seit Ende August 2006 nicht mehr im Asylbewerberheim aufgehalten habe. Sie habe
auch auf Sozialhilfe verzichtet. Außer der Aufenthaltsgestattung besitze sie keine
Papiere. Ihr chinesischer Personalausweis laute auf die Daten, die sie angegeben
habe. Sie wolle nicht nach China zurück. Es solle ausschließlich die konsularische
Vertretung ihres Heimatlandes von der Abschiebehaft benachrichtigt werden.
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Unter dem 23. April 2007 teilte ein Anwalt der Klägerin mit, dass sie bereit sei freiwillig
auszureisen, sobald China die entsprechenden Dokumente ausstellen würde. Mit
Schreiben vom 25. April 2007 wies die Ausländerbehörde darauf hin, dass sich die
Klägerin zur Verfahrensbeschleunigung mit ihrer Freundin in Verbindung setzen solle,
um den chinesischen Personalausweis übersenden zu lassen; es könne auch eine
Kopie per Fax übermittelt werden. Sie könne sich auch an ihre Verwandten wenden
oder die entsprechenden Meldedaten bei ihrer Heimatbehörde selbst erfragen. Es sei
kein Fall bekannt, in dem chinesische Behörden bei wahrheitsgemäßen Angaben und
erklärter Rückkehrbereitschaft die Ausstellung von Heimreisedokumenten verweigert
hätten. Unter dem 25. April 2007 füllte die Klägerin einen weiteren Fragebogen für
chinesische Staatsangehörige aus.
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Die sofortige Beschwerde gegen die Sicherungshaft wurde mit Beschluss des
Landgerichts Bonn vom 30. April 2007 zurückgewiesen.
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Mit Beschluss vom 28. Juni 2007 ordnete das Amtsgericht Neuss die Verlängerung der
Abschiebehaft um längstens weitere drei Monate an.
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Im Rahmen eines Beratungsgesprächs in der Justizvollzugsanstalt Neuss erklärte die
Klägerin am 8. Juni 2007 und am 25. Juli 2007, dass sie der chinesischen Botschaft
vorgeführt werden möchte.
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Nachdem die Zentrale Ausländerbehörde Bielefeld unter dem 10. September 2007
mitgeteilt hatte, dass nach Auskunft der chinesischen Botschaft nach wie vor keine
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Antwort der chinesischen Innenbehörden vorliege, wurde die Klägerin auf Veranlassung
der Ausländerbehörde des Beklagten am 11. September 2007 aus der Haft entlassen.
Seit 14. September 2007 erhält die Klägerin fortlaufend befristete Duldungen mit den
Auflagen: Der Aufenthalt ist auf den Kreis Euskirchen beschränkt. Wohnsitznahme nur
in der Stadt/Gemeinde C. . Beschäftigung nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde
gestattet.
Am 12. September 2007 meldete sich die Klägerin in der Gemeinde C. an.
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Mit Schreiben vom 27. September 2007 erklärte die Zentrale Ausländerbehörde
Bielefeld gegenüber der Ausländerbehörde des Beklagten, der Mitarbeiter der
chinesischen Botschaft, Herr X. , habe am 21. September 2007 mitgeteilt, dass die
Klägerin auf Grund falscher oder fehlerhafter Angaben nicht habe identifiziert werden
können. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bestehe bei chinesischen
Staatsangehörigen aber die einzige Möglichkeit der Beschaffung von
Heimreisedokumenten darin, diese wiederholt zu neuen, möglichst vollständigen
Angaben oder Identitätsnachweisen zu befragen. Es werde daher gebeten, die Klägerin
erneut vorzuladen und zu befragen. Nur für den Fall, dass hierbei neue Erkenntnisse
gewonnen würden, die zur Überprüfung der Personenidentität beitragen könnten,
bestehe die Möglichkeit, erneut einen Antrag auf Ausstellung von
Heimreisedokumenten an die chinesische Konsularabteilung weiterzuleiten. In dem
beigefügten Schreiben des Generalkonsulats der Volksrepublik China vom 21.
September 2007 ist Folgendes ausgeführt:
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" die/der o.G. konnte durch das Überprüfungsverfahren aufgrund der angegebenen
Personalien als chinesische/r Staatsangehörige/r nicht identifiziert werden.
Ausführlichere Informationen über den/die o.G. sind erforderlich, um weitere
Identifizierungen fortzusetzen. Eine Ausstellung vom Heimreisedokument ist momentan
ausgeschlossen."
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Am 8. Oktober 2007 händigte die Ausländerbehörde des Beklagten der Klägerin einen
neuen Passersatzpapierbeschaffungsantrag aus, einen Tag später die Adresse der
Botschaft und einen weiteren Tag später deren Telefonnummer. Die Klägerin wurde
aufgefordert, zwecks der Beschaffung von Heimreisedokumenten einen Termin mit der
Botschaft in Frankfurt zu vereinbaren. Die Klägerin erklärte anlässlich der Verlängerung
ihrer Duldung am 16. Oktober 2007, sie sei am 15. Oktober in der Botschaft in Frankfurt
gewesen; man habe sie aber nach Vorlage ihrer Duldung hinausgeworfen. Ein
Mitarbeiter der Ausländerbehörde des Beklagten wies die Klägerin ausweislich eines
Vermerks in den Verwaltungsakten auf die Strafbarkeit von Falschaussagen vor
deutschen Behörden, sowie auf eine drohende Ermessensausweisung und Kürzung der
Sozialhilfe hin.
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Unter dem 19. Oktober 2007 erteilte der Beklagte der Klägerin erneut eine Erlaubnis,
sich im Zeitraum vom 20. Oktober bis 31. Oktober 2007 nach Frankfurt zur chinesischen
Botschaft zu begeben. Ferner händigte er der Klägerin eine Bescheinigung zur Vorlage
bei der Botschaft sowie einen Fragenkatalog aus. Die Klägerin wurde ausweislich eines
Aktenvermerks darauf hingewiesen, dass sie verpflichtet sei, die Schreiben der
Botschaft vorzulegen und ausfüllen zu lassen. Falls sie ihre Mitwirkung verweigern
sollte, müsse sie mit ihrer Ausweisung rechnen.
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Mit Schreiben vom 22. Oktober 2007 kündigte der Beklagte der Klägerin die
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Ausweisung an. Er führte u.a. aus: Die Klägerin verweigere nachhaltig die Mitwirkung
an der Beschaffung von Passersatzpapieren. Es wäre ihr auch möglich, ihren
Personalausweis aus China schicken zu lassen. Nach den bisherigen Erkenntnissen
sei davon auszugehen, dass sie sich unter falschen Personalien in Deutschland
aufhalte und dadurch ihre Rückkehr verhindern wolle. Zudem halte sie sich vorsätzlich
nicht in ihrer Zuweisungsgemeinde auf.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 14. November 2007 ließ die Klägerin mitteilen, dass
sie am 15. Oktober und am 23. Oktober 2007 das Chinesische Konsulat in Frankfurt
aufgesucht und gebeten habe, den Fragebogen auszufüllen. Dies sei jedoch abgelehnt
worden.
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Mit Ordnungsverfügung vom 21. November 2007, zugestellt am gleichen Tage, wies der
Beklagte die Klägerin gemäß § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 55 Abs. 2 Ziffer 1, 2 und 6
AufenthG aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Er wiederholte die Gründe des
Anhörungsschreibens vom 22. Oktober 2007 und führte ergänzend aus: Die Klägerin
habe sich nach Auskunft des Sozialamtes auch nach ihrer Haftentlassung nicht in der
zugewiesenen Unterkunft aufgehalten und verstoße damit vorsätzlich gegen die
Wohnsitzverpflichtung. Sie halte sich ohne den erforderlich Pass im Bundesgebiet auf
und erfülle somit den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Sie habe
offenkundig falsche Angaben zu ihrer Person gemacht und den Straftatbestand des § 95
Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt. Das chinesische Konsulat habe mitgeteilt, dass eine
Identifizierung der Klägerin auf der Grundlage ihrer Angaben nicht möglich sei. Die
Klägerin habe aber nach eigenen Angaben in China einen Personalausweis besessen.
Sie müsse dort also registriert sein und wäre bei korrekten Angaben auch identifiziert
worden. Es seien mithin mehrere Ausweisungstatbestände erfüllt. Rechtliche Gründe
stünden der Ausweisung nicht entgegen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die
Ausweisung ermessensfehlerhaft wäre. Besonderen Ausweisungsschutz genieße die
Klägerin nicht. Aus spezial- und aus generalpräventiven Gründen sei dem Verhalten der
Klägerin entgegenzuwirken. Andere ausreisepflichtige Ausländer sollten von
vergleichbaren Handlungen abgeschreckt werden und der Klägerin solle die
Möglichkeit der Aufenthaltsverfestigung entzogen werden. Der Verstoß gegen die
verfügte Wohnsitzbeschränkung sei nicht als geringfügig anzusehen. Im Rahmen des
Ermessens sei berücksichtigt worden, dass sie über keine schützenswerte
Rechtsposition verfüge. Das öffentliche Interesse an der Wahrung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung überwiege daher. Die Ausweisung sei verhältnismäßig und
insbesondere das einzige Mittel um sicherzustellen, dass sich ihr rechtswidriger
Aufenthalt nicht verfestige.
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Die Klägerin hat am 18. Dezember 2007 Klage erhoben. Sie trägt ergänzend vor: Sie
habe zu keinem Zeitpunkt falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht. Überdies bemühe
sie sich um Vorsprachen bei ihrem Konsulat zwecks Regelung ihrer
Personalangelegenheiten.
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Die Klägerin beantragt,
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die Ausweisungsverfügung des Beklagten vom 21. November 2007 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf seine Ausführungen im Verwaltungsverfahren und führt weiter aus: Nach
den eigenen Angaben der Klägerin stehe fest, dass sie in China behördlich registriert
und erfasst sei. Sie könne daher zumindest bei der Behörde, die den Personalausweis
ausgestellt habe, eine Bestätigung der Registrierung und Eintragung beschaffen. Dies
sei auch durch Verwandte bzw. Bevollmächtigte möglich. Grundsätzlich könne davon
ausgegangen werden, dass die chinesischen Behörden in der Lage seien, bei korrekten
Angaben zur Person eine Überprüfung im Heimatland zu veranlassen. Bei aktuell
gemeldeten Personen sei dies auch den Auslandsvertretungen via Datenverbindung
möglich. Diese Möglichkeit bestehe jedoch nicht mehr, wenn die Betroffenen im
Heimatland abgemeldet oder wegen längerer Abwesenheit aus den elektronischen
Registern gelöscht worden seien. In diesen Fällen könne die Identität jedoch weiterhin
auf Basis der vorhandenen Akten überprüft werden. Die Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz würden nunmehr vierzehntägig an die Klägerin
ausgezahlt, da sich diese nach Mitteilung des Sozialamtes in der zugewiesenen
Unterkunft auch aufhalte.
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Die Kammer hat der Klägerin durch Beschluss vom 28. Oktober 2008
Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz bewilligt und durch Beschluss vom
1. Dezember 2008 die Prozessbevollmächtigte beigeordnet.
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Der Beklagtenvertreter hat in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärt, dass an
der Ausweisung auch unter dem Gesichtspunkt der derzeit nicht möglichen
Abschiebung festgehalten werde; es sei im Rahmen des Ermessens auch zu
berücksichtigen, dass die Abschiebungshindernisse selbst verschuldet seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die erhobene Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. der Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO) ist zulässig, aber nicht begründet. Die Ausweisungsverfügung des Beklagten
vom 21. November 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten
(§§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 VwGO).
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Die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung beurteilt sich seit dem Inkrafttreten des Gesetzes
zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom
19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007
für alle Ausländer einheitlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts. Aus der
Zeitpunktverlagerung ergeben sich sowohl für den Ausländer als auch für die
Ausländerbehörde entsprechende Pflichten. Sind während des gerichtlichen Verfahrens
neu eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, ist es primär Aufgabe des Ausländers,
auf etwaige zu seinen Gunsten eingetretene persönliche Umstände hinzuweisen. Damit
korrespondiert die Pflicht der Ausländerbehörden zur ständigen verfahrensbegleitenden
Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Ausweisungsverfügung und zur Berücksichtigung
neuer - seitens des Ausländers vorgetragener oder auf anderem Wege bekannt
gewordener - Tatsachen.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45/06 -,
32
juris; BVerwG, Urteil vom 13. Januar 2009 - 1 C 2/08, juris.
Der Beklagte hat die angefochtene Ausweisungsverfügung zu Recht auf § 55 Abs. 1
i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 b), Nr. 2 und Nr. 6 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gestützt. Nach
§ 55 Abs. 1 AufenthG kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt
die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der
Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Ist eines der in § 55 Abs. 2 genannten
Regelbeispiele erfüllt, liegt der Ausweisungstatbestand des § 55 Absatz 1 AufenthG vor
und eine Ermessensausweisung kann erfolgen.
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Nach § 55 Absatz 2 Nr. 1 b) AufenthG kann ein Ausländer insbesondere ausgewiesen
werden, wenn er trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die
Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens
zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit er zuvor auf die Rechtsfolgen solcher
Handlungen hingewiesen wurde. Die Klägerin besitzt derzeit weder einen gültigen Pass
noch einen Passersatz. Gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist sie daher verpflichtet, an
der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken sowie alle Urkunden und sonstigen
Unterlagen, die für die Feststellung ihrer Identität und Staatsangehörigkeit und für die
Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen
Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz sie ist, den Behörden auf
Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Sie ist weiter nach § 49 Abs.
2 AufenthG verpflichtet, gegenüber den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten
Behörden auf Verlangen die erforderlichen Angaben zu ihrem Alter, ihrer Identität und
Staatsangehörigkeit zu machen und die von der Vertretung des Staates, dessen
Staatsangehörigkeit sie besitzt, geforderten und mit dem deutschen Recht in Einklang
stehenden Erklärungen im Rahmen der Beschaffung von Heimreisedokumenten
abzugeben.
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Die Klägerin hat nach Überzeugung der Kammer bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung nicht alle ihr möglichen und zumutbaren Anstrengungen zur
Beschaffung eines Passes bzw. Passersatzpapieres unternommen.
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Vgl. zu den Anforderungen an die Mitwirkungspflichten im Einzelnen:
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom
5. Juni 2008 - 18 E 471/08 - m.w.N., juris Rdnr. 5 ff.; VG Chemnitz, Urteil vom 28. Juni
2006 - 2 K 1409/01, juris Rdnr. 34 ff.
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Die Klägerin ist verpflichtet, sich um die Beschaffung ihres Personalausweises, der sich
nach ihren eigenen Angaben in der Anhörung vor dem Bundesamt am 14. November
2005 in China befinden soll, oder sonstiger Identitätsnachweise zu bemühen und
entsprechende Aktivitäten nachzuweisen. Sie hat insoweit nicht glaubhaft dargelegt,
dass sie sich hinreichend um eine Kontaktaufnahme mit in ihrem Heimatland lebenden
Verwandten oder Bekannten bemüht hat, um sich Unterlagen von dort schicken zu
lassen. Ihr Vortrag beschränkt sich darauf, dass sie versucht haben will, telefonisch und
schriftlich ihre Eltern und ihre Freundin zu erreichen. Auf entsprechende Nachfragen in
der mündlichen Verhandlung hat sie erläutert, die Telefonnummern seien falsch, es sei
kein Kontakt zustande gekommen; vor zwei bis drei Jahren habe sie einen Brief
geschrieben, der zwar nicht zurückgekommen sei, auf den sie aber auch keine Antwort
erhalten habe. Diese Bemühungen, die die Klägerin zudem in keiner Weise belegt hat,
sind nicht ausreichend. Es wäre der Klägerin insbesondere möglich und zumutbar
gewesen, weitere Briefe zu schreiben. Gerade der Umstand, dass der Brief nicht
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zurückgesandt wurde, spricht eher dafür, dass er angekommen ist. Im übrigen hat die
Klägerin nur einen einzigen Brief geschrieben, ob an ihre Eltern oder an die Freundin
kann offen bleiben, jedenfalls folgt daraus, dass sie nicht einmal versucht hat, alle
letzten Kontaktpersonen im Heimatland schriftlich zu erreichen. Darüber hinaus hat sie
im Asylverfahren vorgetragen, sie habe bis zum 10. Schuljahr die Mittelschule in ihrem
Heimatdorf besucht, so dass es bei einem entsprechenden Interesse an der Aufklärung
der eigenen Identität nahe liegen würde, diese Schule anzuschreiben und
beispielsweise um die Übersendung eines Zeugnisses zu bitten. Warum sie keinerlei
Versuche unternommen hat, etwa zu ehemaligen Mitschülern oder Bekannten Kontakt
aufzunehmen, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Weiter hätte sie versuchen können,
sich an die ihr bekannte Behörde, die ihren Personalausweis - nach ihren Angaben - im
Juni 2004 ausgestellt haben soll, zu wenden. Ob zusätzlich auch die Beauftragung
eines Rechtsanwaltes zumutbar gewesen wäre,
so OVG NRW, Beschluss vom 5. Juni 2008, a.a.O.
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kann angesichts der von der Klägerin nicht wahrgenommenen anderweitigen
Mitwirkungsmöglichkeiten dahingestellt bleiben.
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Im Übrigen gehen Zweifel bezüglich der Identitätsaufklärung und der Unmöglichkeit
einer Passbeschaffung zu Lasten der Klägerin, weil sie für die ausschließlich ihrem
Einflussbereich unterliegenden, ihr günstigen Tatsachen darlegungs- und
beweispflichtig ist und dies auch in Ansehung einer für sie möglicherweise schwierigen
Beweissituation gilt. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass grundsätzlich die
Ausländerbehörde die Beweislast für das Vorliegen von Ausweisungstatbeständen
trägt; vorliegend steht aber in Frage, ob die Klägerin einen Ausweisungstatbestand
erfüllt hat, weil sie ihr obliegenden Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist. Für
diese allein in ihrer Sphäre liegenden Umstände ist sie darlegungs- und beweispflichtig.
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Vgl. ausführlich OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2008 - 17 A 250/07, juris, Rdnr. 9 ff.
41
Die Klägerin hat ihre Mitwirkungspflichten mithin nicht in ausreichendem Umfang
dadurch erfüllt, dass sie zahlreiche Fragebögen für chinesische Staatsangehörige
ausgefüllt und sich zur chinesischen Botschaft begeben hat.
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Der für die Erfüllung des Regelbeispieles der Nr. 1 erforderliche Hinweis auf die
Rechtsfolge einer Ausweisung für den Fall der Nichtmitwirkung ist rechtzeitig erfolgt.
Ausweislich der in den vorliegenden Verwaltungsvorgängen befindlichen
Aktenvermerke vom 16. Oktober 2007 und vom 19. Oktober 2007 steht fest, dass der
Beklagte die Klägerin mehrfach auf die bestehenden Pflichten sowie gleichzeitig
insbesondere auf die Möglichkeit einer Ausweisung für den Fall der Nichterfüllung
hingewiesen hat. Der Beklagte hat auch konkrete, von der Klägerin vorzunehmende
Handlungen (z.B. Kontaktaufnahme mit Bekannten aus der Schulzeit) benannt.
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Vgl. zu Inhalt und Zeitpunkt des erforderlichen Hinweises: Armbruster, HTK-AuslR / § 55
AufenthG / zu Abs.2 Nr. 1 / Fassung ab 27.08.2007 01/2009 Nr. 3.
44
Schließlich liegt auch das Regelbeispiel des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG vor. Danach
kann ein Ausländer insbesondere ausgewiesen werden, wenn er für sich, seine
Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörige Sozialhilfe in Anspruch
nimmt. Die Klägerin bezieht unstreitig Leistungen nach dem
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Asylbewerberleistungsgesetz. Diese Leistungen sind dem Grunde nach
Sozialhilfeleistungen und fallen damit unter den Begriff der Sozialhilfe im Sinne des §
55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG, auch wenn sie gesetzestechnisch im
Asylbewerberleistungsgesetz als Sondermaterie geregelt sind. Zwar erhalten nach § 23
Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB XII) Leistungsberechtigte nach § 1
des Asylbewerberleistungsgesetzes keine Leistungen der Sozialhilfe; diese Vorschrift
dient aber nur der Klarstellung, dass dieser Personenkreis nicht gleichzeitig - etwa
ergänzend - die höheren Leistungen nach dem SGB XII beanspruchen kann und ändert
nichts am Rechtscharakter der Leistungen als Sozialhilfeleistungen.
Vgl. ebenso Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 05. März 2007 - 3 UE
2823/06, juris, Rdnr. 18; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 17.
Dezember 1998, juris, Rdnr. 22 zum wortgleichen § 46 Nr. 6 AuslG; Armbruster, HTK-
AuslR / § 55 AufenthG / zu Abs. 2 Nr. 6 12/2007 Nr. 1; a.A.: Verwaltungsgericht
Göttingen, Urteil vom 26. März 2008 - 1 A 400/06, juris; Sächsisches
Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 17. August 2006 - 3 BS 130/06, juris; Renner,
Ausländerrecht, 8. Auflage, § 55 Rdnr. 44 ff.
46
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass sie keine andere Wahl habe, als diese
Leistungen in Anspruch zu nehmen, ändert dies nichts am Vorliegen des
Ausweisungstatbestandes. Der Grund der Hilfsbedürftigkeit kann allerdings im Rahmen
des Ermessens Berücksichtigung finden.
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Vgl. Alexy in: Hofmann/Hoffmann, AuslR, 2008, § 55 AufenthG, Rdnr. 36; Armbruster,
Hypertextkommentar zum Ausländerrecht - HTK-AuslR, www.neuer-medienverlag.com,
§ 55 AufenthG / zu Abs. 2 Nr. 6 12/2007 Nr. 4.
48
Dagegen ist das in der Ausweisungsverfügung benannte Regelbeispiel des § 55 Abs. 2
Nr. 1 a) AufenthG in der Person der Klägerin nicht erfüllt. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 a)
AufenthG kann ein Ausländer insbesondere ausgewiesen werden, wenn er in einem
Verwaltungsverfahren falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines
deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Passersatzes, der
Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder Aussetzung der Abschiebung
gemacht hat. Soweit es um die Angaben der Klägerin zu ihrer Identität geht, ist bislang
nicht geklärt, ob diese falsch oder unvollständig sind.
49
Die von der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld im Schreiben vom 27. September
2007 wiedergegebene Mitteilung eines Mitarbeiters der chinesischen Botschaft, Herrn
X. , die Klägerin habe auf Grund falscher oder fehlerhafter Angaben nicht identifiziert
werden können, ist im Wortlaut nicht dokumentiert. Das beigefügte Schreiben des
Generalkonsulats der Volksrepublik China vom 21. September 2007 weist gerade nicht
auf falsche oder fehlerhafte Angaben hin, sondern führt nur aus, dass die Klägerin
aufgrund der angegebenen Personalien als chinesische Staatsangehörige nicht habe
identifiziert werden können. Der Beklagte vertritt die Auffassung, allein aus der
fehlgeschlagenen Identifizierung der Klägerin lasse sich schließen, dass sie falsche
Angaben gemacht habe. Nach Überzeugung der Kammer kann aufgrund der
tatsächlichen Verhältnisse in China dies aber nicht unterstellt werden. Der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Urteil vom 18. Juni 2008 - 19 ZB 07.2316, juris,
Rdnr. 16, insoweit zusammenfassend aus:
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"Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass die chinesischen Behörden
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Identitätspapiere ausstellen, wenn der chinesische Staatsangehörige nachweist, dass
ihm ein Aufenthaltsrecht zugestanden worden ist, dass sie diese Papiere nicht
ausstellen, wenn die Angaben nicht vollständig korrekt sind, und dass sich bei korrekten
und vollständigen Angaben (zum Zwecke der Aufenthaltsbeendigung) das Verhalten
der chinesischen Behörden nicht sicher einschätzen lässt."
Die Verneinung des Regelbeispiels des § 55 Abs. 2 Nr. 1 a) AufenthG führt allerdings
nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung, weil andere Ausweisungstatbestände
greifen und auch eine Auswirkung auf das Ermessen - wie noch auszuführen sein wird -
auszuschließen ist. Aus dem gleichen Grund kann offen bleiben, ob das vom Beklagten
darüber hinaus angeführte Regelbeispiel des § 55 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative AufenthG
vorliegt, wobei gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass weder die Anwendung
des § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG durch den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs.
2 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen wird,
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Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Dezember 2008 -
11 S 1454/08, juris, Rdnr. 22 m.w.N.; Armbruster, HTK-AuslR / § 55 AufenthG / zu Abs. 2
Nr. 2 01/2009 Nr. 3; a.A. Alexy in: Hofmann/Hoffmann, AuslR, 2008, § 55 AufenthG, § 55
Rdnr. 19 f.
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noch dass der - nach Überzeugung der Kammer vorliegende - Verstoß gegen
Mitwirkungspflichten in Form des Unterlassens weiterer Bemühungen, Papiere aus dem
Heimatland zu beschaffen, nur als vereinzelt oder geringfügig zu bewerten ist.
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Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Dezember 2008 -
11 S 1454/08, juris, Rdnr. 24: § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG bejaht für den Fall des
Verstoßes gegen eine behördliche Verfügung, die eine ausländerrechtliche
Mitwirkungspflicht zur Beschaffung eines Identitätspapieres konkretisiert.
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Die Klägerin genießt im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung keinen besonderen Ausweisungsschutz.
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Der Beklagte hat sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt und insbesondere den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit beachtet. Er hat entsprechend dem ordnungsrechtlichen Zweck
der Ausweisung spezial- und generalpräventive Gründe - nämlich einer Verfestigung
des Aufenthalts der Klägerin und ihrer mangelnden Mitwirkung entgegenzuwirken sowie
die Abschreckung anderer ausreisepflichtiger Ausländer - benannt.
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Weiter erfordert die Ermessensausübung die Abwägung aller für und gegen die
Ausweisung sprechenden Gründe. Es hat eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen
Interessen an einer Ausreise des Ausländers mit den Interessen des Ausländers an
einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu erfolgen. Dabei führt § 55 Abs. 3
AufenthG - nicht abschließend - Belange des Ausländers auf, die von der Behörde in
jedem Fall zu beachten sind. Die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten Gründe
sind hier erkennbar nicht einschlägig. Die Klägerin hielt sich bislang nicht rechtmäßig in
Deutschland auf und es sind weder persönliche noch wirtschaftliche Bindungen im
Bundesgebiet vorgetragen. Die gesamte Familie befindet sich nach ihrem Vortrag in
China. Gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG sind die in § 60 a Abs. 2 genannten
Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung zu berücksichtigen. Die Klägerin
wird derzeit nach § 60 a Abs. 2 AufenthG wegen tatsächlicher Unmöglichkeit ihrer
Abschiebung infolge der Passlosigkeit geduldet. Der Beklagtenvertreter hat aber
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insoweit in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Ausweisung gerade im
Bewusstsein des Umstandes, dass sie derzeit nicht zu einer Beendigung des
Aufenthaltes führen könne, aber beispielsweise die Sperrwirkung des § 11 AufenthG zur
Folge habe, verfügt worden sei. Dies ist nicht zu beanstanden, denn die tatsächliche
Unmöglichkeit der Abschiebung des Ausländers hindert dessen Ausweisung
grundsätzlich nicht.
Vgl. Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 6. März 2002 - 3 Bf
205/01, juris, Rdnr. 5; a.A. wohl VG Augsburg, Urteil vom 11. Dezember 2007 - Au 1 K
07.573, juris, Rdnr. 35.
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Der Beklagtenvertreter hat damit seine Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2
VwGO in zulässiger Weise ergänzt.
60
Vgl. zur Aktualisierung von Ermessenserwägungen in Ausweisungsverfahren wegen
neuer erheblicher Tatsachen: BVerwG, Urteil vom 13. Januar 2009 - 1 C 2/08, juris,
Rdnr. 27.
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Was § 55 Abs. 2 Nr. 1 a) und Nr. 2 AufenthG anbetrifft, fehlt es zwar an einer
entsprechenden Ergänzung der Ermessenserwägungen. Allein deshalb kann indes eine
Aufhebung der Ausweisungsverfügung gemäß § 46 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) nicht
beansprucht werden, weil - nicht zuletzt mit Blick auf die Ausführungen des Beklagten in
der mündlichen Verhandlung - offensichtlich ist, dass die Verkennung der Eröffnung des
Ausweisungstatbestandes des § 55 Abs. 2 Nr. 1 a) und - möglicherweise - auch des §
55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat. Die
Ausweisung wäre auch erfolgt, wenn der Beklagte davon ausgegangen wäre, dass
allein die Regelbeispiele des § 55 Abs. 2 Nr. 1 b) und Nr. 6 AufenthG vorliegen.
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Im Übrigen sind keine Gründe erkennbar, die - etwa im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1, Art. 6
Abs. 2 GG und Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK - gegen die Verhältnismäßigkeit der verfügten
Ausweisung sprechen. Insbesondere ist es nicht unverhältnismäßig, dass der Beklagte
den Bezug von Sozialhilfeleistungen zu Lasten der Klägerin berücksichtigt hat, denn
diese muss letztlich staatlich versorgt werden, weil sie als Folge ihres eigenen (Fehl-
)Verhaltens derzeit nicht abgeschoben werden kann.
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Die Kostenentscheidung folgt aus 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der
Zivilprozessordnung.
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