Urteil des VG Aachen vom 17.07.2006

VG Aachen: wiedereinsetzung in den vorigen stand, falsche aussage, rechtliches gehör, nachzahlung, besoldung, fürsorgepflicht, beamter, vollstreckung, verschulden, ortszuschlag

Verwaltungsgericht Aachen, 1 K 2498/05
Datum:
17.07.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 2498/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des beklagten Landes zur rückwirkenden
Gewährung von familienbezogenem Ortszuschlag.
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Die als beamtete Lehrerin im Dienst des beklagten Landes stehende Klägerin
beantragte am 14. Dezember 1990 bei dem Landesamt für Besoldung und Versorgung
NRW (LBV) auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
rückwirkend ab 1. Januar 1986 die Gewährung eines höheren Kindergeldes.
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Mit Bescheid vom 12. April 1991 lehnte das M. den Antrag ab und entschied des
Weiteren über einen - von der Kläger nicht ausdrücklich gestellten - Antrag auf
Erhöhung des Ortszuschlages abschlägig. Der mit einer ordnungsgemäßen
Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid wurde bestandskräftig.
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Mit Antrag vom 19. Juli 2005 begehrte die Klägerin Antrag auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gemäß Art. 32 BayVwVfG und Nachzahlung der erhöhten
familienbezogenen Gehaltsbestandteile nach Art. 9 § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 des
Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und
Ländern 1999 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1999 -
BBVAnpG 99) vom 19. November 1999. Sie führte aus, dass sie die Voraussetzungen
dieser die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1999
umsetzenden Norm erfülle, wonach ihr ein Anspruch auf Nachzahlung
familienbezogener Gehaltsbestandteile für das 3. und die weiteren Kinder zustehe. Zwar
habe sie sich als bayerische Landesbeamtin seinerzeit nicht gegen die zu niedrige
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Besoldung gewandt, weil sie darauf vertraut hätte, auch ohne einen gesonderten Antrag
in den Genuss der Nachzahlung zu gelangen. Insoweit vertrete der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof in Musterverfahren die - in einer entsprechenden Verfügung
zum Ausdruck gekommene - Ansicht, dass entsprechende Anträge bayerischer Beamter
unverschuldet nicht gestellt worden seien und auch die Jahresfrist des Art. 32 Abs. 3
BayVwVfG wegen höherer Gewalt nicht habe eingehalten werden können.
Mit Bescheid vom 00.00.0000 wies das M. den Antrag zurück und führte aus, die
Klägerin zähle nicht zum Personenkreis des Art. 9 § 1 BBVAnpG und ein Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, weil sie keine Gründe
vorgetragen habe, die ersehen ließen, dass sie an einem Antrag auf amtsangemessene
Besoldung gehindert gewesen sei.
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Die Klägerin erhob Widerspruch und führte aus, ihr sei Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand nach § 32 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-
Westfalen (VwVfG NRW) zu gewähren. Der Dienstherr hätte nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zur amtsangemessenen Alimentation von Beamten mit 3
und mehr Kindern die Pflicht gehabt, alle betroffenen Beamtinnen und Beamten in
Nordrhein-Westfalen über ihre Ansprüche aufzuklären und zur Stellung von Anträgen
auf Nachzahlung aufzufordern. Eine solche Rechtspflicht ergebe sich aus der
Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach Maßgabe der hergebrachten Grundsätze des
Berufsbeamtentums aus Art. 33 Abs. 5 GG sowie der zu seiner Ausprägung ergangenen
einfach-gesetzlichen Vorschrift des § 85 des Landesbeamtengesetzes NRW.
Demgegenüber habe sie erst mit Rundschreiben des M. 07/99 zu einem Zeitpunkt weit
nach Ablauf der eigentlichen Antragsfrist von einem Entwurf des BBVAnpG 99 erfahren.
Erst am 7. Juli 2005 habe sie den "BBB- Nachrichten" entnommen, dass ein
Rundschreiben des Bayerischen Finanzministeriums die falsche Aussage enthalten
habe, dass ein Antrag nicht zu stellen sei. Durch die unterlassene Aufklärung der
sachlich und örtlich zuständigen Behörden des Dienstherrn sei ihr rechtliches Gehör
verletzt worden.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 wies das M. den Widerspruch als
unbegründet zurück. Ergänzend wurde ausgeführt, dass § 32 BayVwVfG in Nordrhein-
Westfalen nicht gelte. Eine Wiedereinsetzung nach § 32 VwVfG NRW käme nur in
Betracht, wenn die Klägerin ohne Verschulden an der Beantragung der in Rede
stehenden Leistung gehindert gewesen wäre. Das Land Nordrhein- Westfalen als
Dienstherrin der Klägerin habe sie aber nie an einer entsprechenden Antragstellung
gehindert.
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Die Klägerin hat am 1. Dezember 2005 Klage erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihre
Ausführungen aus dem Vorverfahren und verfolgt ihr Begehren auf Gewährung einer
Nachzahlung kinderbezogener Anteile im Orts- bzw. Familienzuschlag für die Zeit vom
1. Januar 1990 bis 31. Dezember 1998 weiter. Ergänzend trägt sie vor, dass in
Nordrhein-Westfalen jede Unterrichtung betroffener Beamtinnen und Beamter über die
Rechtsfolgen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1990
unterblieben sei. Sie habe sich in Rechtsunsicherheit darüber gefühlt, ob sich hieraus
rückwirkende Konsequenzen für Besoldungs- und Versorgungsansprüche ergeben
könnten. Ihr sei nie mitgeteilt worden, dass sie eine Nachzahlung von
Besoldungsanteilen ausdrücklich beantragen müsse. Insoweit habe das Land seine aus
der Fürsorgepflicht resultierende Aufklärungspflicht verletzt.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des M. vom 00.00.0000 sowie dessen
Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 1.
Januar 1990 bis zum 31. Dezember 1998 familienbezogene Bezüge auf der Grundlage
von Art. 9 § 1 Abs. 1 BBVAnpG 1999 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wiederholt er die Ausführungen aus den angefochtenen Bescheiden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Entscheidung kann ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergehen,
weil die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die Klägerin besitzt keinen Anspruch auf Nachzahlung kinderbezogener Anteile im
Orts- bzw. Familienzuschlag. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
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Rechtsgrundlage für das Nachzahlungsbegehren der Klägerin ist Art. 9 § 1 Abs. 1
BBVAnpG 99. Hiernach erhalten die Kläger des Ausgangsverfahrens der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 - 2 BvL 26/91 u. a. - für den
Zeitraum vom 1. Januar 1988 bis 31. Dezember 1998 für das 3. und jedes weitere in
ihrem Ortszuschlag bzw. Familienzuschlag zu berücksichtigende Kind monatliche
Erhöhungsbeträge, die sich auf der Grundlage von 115 vom Hundert des jeweiligen
durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes der in der
genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestimmten Maßgaben
errechnen. Satz 1 gilt auch für Kläger und Widerspruchsführer, die ihren Anspruch
innerhalb des genannten Zeitraums geltend gemacht haben, ohne dass über ihren
Anspruch schon abschließend entschieden worden ist.
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Diese Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin nicht erfüllt. Sie gehört nicht zu dem in
vorgenannter Vorschrift aufgeführten Personenkreis, denn sie ist weder Klägerin der
Ausgangsverfahren der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.
November 1998 noch hat sie einen entsprechenden Anspruch innerhalb des genannten
Zeitraums geltend gemacht, ohne dass über ihren Anspruch schon abschließend
entschieden worden ist.
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Keiner Erörterung bedarf, dass sie nicht Klägerin eines der Ausgangsverfahrens der
Bundesverfassungsgerichtsentscheidung ist.
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Sie hat auch keinen Anspruch auf Zahlung höherer kinderbezogener Anteile im Orts-
bzw. Familienzuschlag innerhalb des Zeitraums vom 1. Januar 1988 bis 31. Dezember
1998 geltend gemacht, ohne dass über ihn schon abschließend entschieden worden ist.
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Ihr am 14. Dezember 1990 bei dem M. eingegangener Antrag auf höheres Kindergeld
erfüllt die vorgenannten Voraussetzungen bereits deshalb nicht, weil er nicht die
kinderbezogenen Bezügeanteile betraf. Selbst wenn man dies indes im Wege der
Auslegung zu ihren Gunsten annehmen wollte, so ist über diesen Anspruch mit
Bescheid vom 12. April 1991 bestandskräftig entschieden worden.
Die von ihr beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 32 VwVfG NRW
kommt nicht in Betracht. Es kann dahinstehen, ob dessen Voraussetzungen,
insbesondere fehlendes Verschulden und Einhaltung der Antragsfristen, erfüllt sind.
Denn die Wiedereinsetzung scheitert hier daran, dass der Gesetzgeber in Art. 9 § 1
BBVAnpG umfassend und abschließend einen Personenkreis festgelegt hat, der in den
Genuss der Besoldungsnachzahlung kommen soll. Diese Verfahrensweise schließt
behördliche Entscheidungen zur Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand aus. Die Zugehörigkeit zu dem gesetzlich umschriebenen Personenkreis als
Kläger oder Widerspruchsführer, die ihren Anspruch innerhalb des genannten Zeitraums
geltend gemacht haben, ohne dass über ihren Anspruch schon abschließend
entschieden worden ist, begründet eine materielle Anspruchsvoraussetzung für die
rückwirkende Zahlung von Familienzuschlag. Es handelt sich dabei nicht um eine Frist,
deren Versäumung im Wege der Wiedereinsetzung geheilt werden könnte,
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vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2004 - 1 A 458/01 -, juris Nr. JURE060015270,
Rdnr. 59.
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Im Übrigen wäre eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch nicht aus
beamtenrechtlichen Fürsorgegesichtspunkten geboten. Es gibt keine Verpflichtung des
Dienstherrn, Beamtinnen und Beamten die Stellung von Anträgen nahe zu legen oder
gar anzuraten, um besoldungsrechtliche Vorteile zu erlangen. Vielmehr ist es Sache
eines jeden Beamten, zur Wahrung möglicher Rechtsvorteile Ansprüche gegenüber
dem Dienstherrn geltend zu machen und gegen negative Entscheidungen
Widersprüche einzulegen. Dies hat die Klägerin indes versäumt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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