Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 07.03.1995

VerfG Nordrhein-Westfalen (1995, vernehmung, beweisaufnahme, anordnung, antrag, bundesrepublik deutschland, hauptsache, bericht, durchführung, minderheit)

Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 3/95
Datum:
07.03.1995
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
VerfGH 3/95
Normen:
Art. 41 Abs. 1 Sätze 1 und 2 LV NW; § 27 VerfGH NW
Leitsätze:
Zur Folgenabwägung im einstweiligen Anordnungsverfahren bei einem
Streit zwischen Minderheit und Mehrheit eines parlamentarischen
Untersuchungsausschusses über die Fortsetzung einer
Beweisaufnahme.
Tenor:
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
aufgegeben, vor Abschluß seiner Beweisaufnahme die am 30.
September 1994 beschlossene Vernehmung von Herrn ... fortzusetzen
sowie die von den Antragstellerinnen am 16. Februar 1995 beantragte
Vernehmung von Ministerialrat ... durchzuführen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsgegner im Hinblick auf noch nicht
erledigte Beweisverlangen der Antragstellerinnen zur Fortsetzung seiner
Beweisaufnahme verpflichtet ist.
3
1.
angehörenden Fraktionen den aus elf stimmberechtigten Mitgliedern bestehenden ...
(Antragsgegner) ein. In ihm sind die Antragstellerinnen, auf die zusammen 116 von 239
Abgeordneten des Landtags entfallen, mit fünf Mitgliedern vertreten. Der Landtag gab
dem Antragsgegner unter anderem den Auftrag,
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"alle Umstände, insbesondere das Verhal- ten des Umweltministers ... und aller
sonstigen Beteiligten im Zusammenhang mit der außergewöhnlichen Dioxin-
Emission der '...' und der Immission im Umfeld aufzuklären und dabei insbeson-
dere festzustellen,
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- ob und ggf. aufgrund welcher Erkennt- nisse das Umweltministerium darauf
vertrauen konnte, daß von den bei ... verursachten Dioxin-Emissionen keine
Gesundheitsgefährdung ausging;
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- wann und auf welche Weise die mögliche akute und langfristige
Gesundheitsge- fährdung der Betriebsangehörigen und Anwohner der '...'
bewertet wurde".
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In der Spiegelstrich-Aufzählung des Einsetzungsbeschlusses sind noch elf weitere zu
untersuchende Komplexe aufgeführt. Darüber hinaus forderte der Landtag den
Antragsgegner auf, ihm nach Abschluß der Untersuchungen einen Gesamtbericht über
die Untersuchungsergebnisse sowie die sich aus den Feststellungen ergebenden
rechtlichen und politischen Notwendigkeiten vorzulegen.
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Die Minister ... und ... sagten vor dem Antragsgegner aus, daß sie sich für ihre
Einschätzung der von den hohen Dioxin-Emissionen der ... ausgehenden Gefahren
unter anderem auf die Ergebnisse einiger früher im Lande Nordrhein-Westfalen
durchgeführter spezieller Untersuchungen gestützt hätten. Es handele sich dabei um
Blutuntersuchungen an Feuerwehrleuten, die bei einem Großbrand in Lengerich an
besonders exponierter Stelle eingesetzt worden seien, um Untersuchungen, die
Kleingärten im Einwirkungsbereich von Dioxin-Emissionen in ... betroffen hätten, und
um Blutuntersuchungen an Sportlern im Zusammenhang mit Kieselrot.
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Der Antragsgegner holte zu der Frage, "ob die von der Landesregierung im
Zusammenhang mit den hohen Dioxin-Emissionen der Sinteranlage der ... in ... in
Auftrag gegebenen medizinischen Untersuchungen ... sowie die Bodenanalysen ...
geeignet sind, eine mögliche akute oder langfristige Gefährdung bzw. Schädigung
potentiell betroffener Personen zu belegen bzw. auszuschließen", ein schriftliches
Sachverständigengutachten des Mediziners ... ein. Das Gutachten endet mit folgendem
Satz:
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"Aufgrund der bundesweit bekannten Pressionen auf Wissenschaftler im
Umwelt- und Gesundheitsbereich seitens eines oder einiger Ministerien in
Nordrhein-Westfalen ist es darüber hinaus angezeigt zu untersuchen und
offenzulegen, welche Mittel hier eingesetzt werden."
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Daraufhin beschloß der Antragsgegner am 30. September 1994 auf Antrag der
Antragstellerinnen zu 1. und 3., ... als Zeugen "zur Aufklärung der allgemeinen Vergabe-
und Verwaltungspraxis der Landesregierung bei der Einholung medizinisch-
toxikologischer Gutachten im Zusammenhang mit der Durchführung des Dioxin-
Meßprogramms, insbesondere bei der Vergabe und Erstellung der Studie Kieselrot ..."
zu vernehmen.
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Im Rahmen seiner Vernehmung sagte ... aus, seitens der Landesregierung Nordrhein-
Westfalen bzw. nordrhein-westfälischer Ministerien sei versucht worden, die Tätigkeit
des Hamburger Arztes ... im Zusammenhang mit der Untersuchung von
Holzschutzmittelbelastungen nordrhein-westfälischer Kindergärten durch Einflußnahme
auf Standesorganisationen in Hamburg einzuschränken. Generell zu den
Untersuchungen habe er mit zwei Leitern von Instituten aus Nordrhein-Westfalen über
Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Vergabe von Gutachten gesprochen.
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Da ... sich weigerte, die Namen der Institutsleiter zu nennen, beschloß der
Antragsgegner auf Antrag der ...-Fraktion, die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen
ihn zu beantragen. Trotz Auferlegung eines Ordnungsgeldes durch Beschluß des
Amtsgerichts ... vom 25. Januar 1995 hielt ... an seiner Aussageverweigerung fest.
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In seiner Sitzung vom 14. Februar 1995 beschloß der Antragsgegner einstimmig, die
Vollstreckung aus dem amtsgerichtlichen Beschluß zu beantragen. Das Landgericht ...
verwarf durch Beschluß vom 21. Februar 1995 die von ... gegen die Auferlegung des
Ordnungsgeldes eingelegte Beschwerde.
15
Bezüglich des von ... erwähnten Arztes ... beschloß der Antragsgegner am 31. Januar
1995 dessen Vernehmung. Der - zur verfassungsgerichtlichen Entscheidung gestellte
(VerfGH 24/94) - Streit über das Bestehen einer Pflicht zur Vernehmung von Herrn ... als
Zeugen wurde damit beigelegt. Dieser sagte am 10. Februar 1995 vor dem
Antragsgegner aus, ein Mann, der sich mit dem Namen ... - ... - gemeldet habe, habe ihn
am 27. Februar 1989 angerufen und gesagt, er (...) solle sich nicht wundern, wenn man
der Kassenärztlichen Vereinigung den Entzug der Kassenzulassung vorschlagen
werde.
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Am 26. Januar 1995 faßte der Landtag auf Antrag aller ihm angehörenden Fraktionen
folgenden Beschluß zum Fortgang der Arbeit des Antragsgegners:
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"Der ... wird aufgefordert, gem. § 25 Abs. 1 des Gesetzes über die Einsetzung
und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Landtags Nordrhein-
Westfalen einen Schlußbericht so rechtzeitig zu erstellen, daß er
parlamentarisch spätestens bis zum 31. März 1995 noch beraten werden kann.
Der Untersuchungsausschuß mag hierzu überprüfen, ob der Abschluß der
Untersuchung durch beschleunigten Abschluß der Beweisaufnahme
herbeigeführt werden kann. Sollte dies aus zeitlichen Gründen nicht möglich
sein, wird der Parl. Untersuchungsausschuß II gem. § 25 Abs. 5 des Gesetzes
über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungausschüssen des
Landtags Nordrhein-Westfalen aufgefordert, einen Zwischenbericht über den
Stand der Untersuchungen vorzulegen, damit er noch parlamentarisch
spätestens bis zum 31. März 1995 beraten werden kann."
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In seiner Sitzung am 14. Februar 1995 beriet der Antragsgegner über den Fortgang
seiner Arbeit. Der Obmann der ...-Fraktion im Untersuchungsausschuß erklärte, man
verzichte auf eine weitere Vernehmung von ... und die Durchführung von Rechtsmitteln
hinsichtlich des Antrags auf Festsetzung von Zwangsmitteln und schlage den Abschluß
der Beweisaufnahme vor. Dem widersprachen die Obleute der Antragstellerinnen. Der
Sitzungsniederschrift zufolge kündigten sie außerdem an, die Vernehmung und
Vereidigung des Ministerialrats ... beantragen zu wollen. Der Antragsgegner faßte
sodann gegen die Stimmen der von den Antragstellerinnen entsandten Abgeordneten
folgenden Beschluß:
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"Es wird festgestellt, daß der Untersuchungsausschuß seine Untersuchungen
abgeschlossen hat und daß die Beweisaufnahme heute abgeschlossen werden
soll."
20
Die Antragstellerinnen stellten am 16. Februar 1995 die von ihnen angekündigten
Anträge zur Vernehmung und Vereidigung von Ministerialrat ... .
21
Nach dem 14. Februar 1995 erstellte die Vorsitzende des Antragsgegners den Entwurf
eines Schlußberichts, versandte ihn an die Ausschußmitglieder und lud zur Beratung
und Beschlußfassung auf den 7. März 1995.
22
2.
eingeleitet.
23
Sie beantragen,
24
im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen,
25
1.
26
ner mehrheitlich gefaßte Beschluß, festzu-
27
stellen, daß der Untersuchungsausschuß seine
28
Untersuchungen abgeschlossen hat und die Be-
29
weisaufnahme abgeschlossen wird, gegen
30
Art. 41 Abs. 1 Satz 2 LV verstößt und ihre
31
darin genannten Rechte verletzt,
32
2.
33
14. Februar 1995 nicht berechtigt ist, auf
34
der Basis der bisherigen Ergebnisse der Be-
35
weisaufnahme dem Landtag einen Schlußbericht
36
im Sinne von § 25 Abs. 1 PUAG vorzulegen.
37
Zur Begründung machen sie im wesentlichen geltend:
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Sie hätten einen Anordnungsanspruch. Durch den beanstandeten Beschluß verletze der
Antragsgegner ihre Rechte aus Art. 41 Abs. 1 Satz 2 LV. Das in dieser Vorschrift
geregelte Beweiserhebungsrecht der qualifizierten Minderheit schütze auch vor einem
vorzeitigen Abschluß der Beweisaufnahme, mit dem die Durchführung noch nicht
erledigter Beweisanträge vereitelt werde. Diese Wirkung habe der gerügte Beschluß
des Antragsgegners.
39
Auch ein Anordnungsgrund sei gegeben. Die Entscheidung in einem
Hauptsacheverfahren werde mit Blick auf das Ende der Wahlperiode im Frühsommer
1995 zu spät kommen. Da die Vernehmungen von ... und ... von herausragender
Bedeutung für die Aufklärungstätigkeit des Antragsgegners seien, könne dieser bei
Nichtgewährung einstweiligen Rechtsschutzes seinem Untersuchungsauftrag nicht
gerecht werden.
40
Der Antragsgegner beantragt,
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die Anträge zurückzuweisen.
42
Er bringt im wesentlichen vor:
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Der Beweiserhebungsanspruch der qualifizierten Minderheit aus Art. 41 Abs. 1 Satz 2
LV werde durch den beanstandeten Beschluß nicht berührt. Wie im Strafprozeß sei
auch im parlamentarischen Untersuchungsverfahren ein Beschluß, mit dem die
Schließung der Beweisaufnahme festgestellt werde, zwar zulässig, könne aber keinerlei
Bindungswirkung entfalten. Die Antragstellerinnen seien durch den Beschluß vom 14.
Februar 1995 nicht gehindert, weitere Beweisanträge zu stellen und Beweiserhebungen
im Rahmen ihres Minderheitenrechts und des Untersuchungsauftrages durchzusetzen.
Infolge dessen könne dieser Beschluß auch nicht als verbindliche Entscheidung über
die Beweisanträge vom 16. Februar 1995 gewertet werden.
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Dieser Beschluß sei darüber hinaus nicht als konkludente Ablehnung bereits gestellter,
aber noch nicht erledigter Beweisanträge zu werten, da zum Zeitpunkt der
Beschlußfassung kein offener Beweisantrag vorgelegen habe. Trotz der anhaltenden
Aussageverweigerung von Herrn ... sei der auf dessen Vernehmung als Zeuge
gerichtete Beweisantrag wegen des Verzichts der antragstellenden ...-Fraktion erledigt.
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Durch den Landtagsbeschluß vom 26. Januar 1995 seien die weiteren
Ermittlungsmöglichkeiten begrenzt. In bereits bekannten Sachverhaltskomplexen könne
nur insoweit weiter ermittelt werden, als dies den Berichtstermin nicht in Frage stelle.
Weiter auf der Vernehmung von ... zu beharren, sei als Verschleppungsabsicht zu
bewerten, weil dieser mit Blick auf das schwebende Erzwingungsverfahren, seine
fehlende Aussagebereitschaft und die durch den Landtag vorgegebene Terminierung
des Untersuchungsberichtes de facto als unerreichbar zu gelten habe. Im übrigen
unterliege die Forderung nach Vernehmung von ... und ... zu Fragen, die nicht im
Zusammenhang mit dem Untersuchungsauftrag stünden, den bereits im Verfahren
VerfGH 24/94 vorgebrachten Zulässigkeitsbedenken.
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Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten zu
diesem und zum Verfahren VerfGH 24/94 verwiesen.
47
II.
48
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
49
1.
Antragsbegründung dahin auszulegen, daß sie erstreben, den Antragsgegner im Wege
der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vor Abschluß seiner Beweisaufnahme die
am 30. September 1994 beschlossene Vernehmung von Herrn ... fortzusetzen sowie die
am 16. Februar 1995 beantragte Vernehmung von Ministerialrat ... durchzuführen. Mit
der Bezugnahme auf den Beschluß des Antragsgegners vom 14. Februar 1995
50
bezeichnen die Antragstellerinnen lediglich das aus ihrer Sicht bestehende Hindernis
für eine Fortsetzung der Beweisaufnahme.
51
2.
Anordnung sind gegeben.
52
a)
treffen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt
oder aus einem anderen wichtigen Grunde zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist wegen der meist weitreichenden Folgen
einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung ein strenger Maßstab anzulegen. Die
Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen
werden, haben grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der
Hauptsache zu verfolgende Begehren wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet.
Bei offenem Ausgang muß der Verfassungsgerichtshof die Folgen, die eintreten würden,
wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber
Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte
einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg
zu versagen wäre (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des
Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen: BVerfGE 88, 169 [172];
VerfGH NW, NWVBl. 1990, 410).
53
b)
Begehren in der Hauptsache ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
54
aa)
verbundenen Antragstellerinnen bilden in ihrer Gesamtheit eine qualifizierte Minderheit
i.S.d. Art. 41 Abs. 1 Satz 1 LV; sie können deshalb Träger von
Wahrnehmungszuständigkeiten und Verfahrensrechten im parlamentarischen
Untersuchungsverfahren sein. Das wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß alle
Fraktionen des Landtags die Einsetzung des Untersuchungsausschusses beantragt
haben. Denn im parlamentarischen Regierungssystem fallen bei der Aufklärung von
Vorgängen, die im Verantwortungsbereich der Regierung liegen, die
Untersuchungsinteressen von Parlamentsmehrheit und Opposition in der Regel
auseinander.
55
Auch Art. 41 Abs. 4 Satz 1 LV, nach dem die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse
der richterlichen Erörterung entzogen sind, steht der von den Antragstellerinnen
begehrten gerichtlichen Prüfung nicht entgegen. Denn diese Bestimmung bezieht sich
nur auf die das Untersuchungsergebnis feststellenden Beschlüsse (Geller/Kleinrahm,
Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 3. Auflage, Stand: Februar 1994, Art.
41 Anmerkung 10 d).
56
bb)
offensichtlich unbegründet. In dem Unterbleiben der angestrebten Beweisaufnahme
könnte eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Status der Antragstellerinnen als
Minderheit i. S. d. Art. 41 Abs. 1 Satz 2 LV liegen.
57
c)
einstweiligen Anordnung sprechenden Folgen größeres Gewicht.
58
aa)
Hauptsache Erfolg, wären die in Rede stehenden Beweiserhebungen unter Verstoß
59
gegen die Untersuchungspflicht des Antragsgegners und das Beweiserhebungsrecht
der Antragstellerinnen aus Art. 41 Abs. 1 Satz 2 LV nicht durchgeführt worden. In den
aufgrund des Landtagsbeschlusses vom 26. Januar 1995 vom Antragsgegner
vorzulegenden Abschlußbericht wären die entsprechenden Beweisergebnisse nicht
eingeflossen. Diese Folgen wären nachteilig und schwerwiegend.
Dem Untersuchungsrecht des Parlaments im allgemeinen und den damit in Verbindung
stehenden Minderheitsrechten im besonderen kommt in der parlamentarischen
Demokratie ein hoher Rang zu. Untersuchungsverfahren geben dem Parlament die
Möglichkeit, unabhängig von Regierung, Behörden und Gerichten mit hoheitlichen
Mitteln, wie sie sonst nur Gerichten und besonderen Behörden zur Verfügung stehen,
selbständig die Sachverhalte zu prüfen, die sie in Erfüllung ihres Verfassungsauftrags
als Vertretung des Volkes für aufklärungsbedürftig halten. Dabei hat die Untersuchung
von Vorgängen, die in den Verantwortungsbereich der Regierung fallen, besonderes
Gewicht. In der parlamentarischen Demokratie, in der die Parlamentsmehrheit
regelmäßig die Regierung trägt, überwacht in erster Linie die Opposition - und damit in
der Regel eine Minderheit - die Regierung (BVerfGE 49, 70 [85f.]; vgl. Stern, Das
Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Aufl. 1984, § 23). Soll vor
diesem Hintergrund die parlamentarische Kontrolle ihren Sinn erfüllen, ist der Wahrung
der Minderheitsrechte bei der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und bei der
Durchführung seiner Untersuchungen ein hoher Stellenwert beizumessen.
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Die aufgezeigten schwerwiegenden Folgen werden nicht dadurch gemindert, daß der
Antragsgegner geltend macht, sein Beschluß vom 14. Februar 1995 stehe einer
weiteren Beweiserhebung nicht entgegen. Zum einen macht er - wie schon im Verfahren
VerfGH 24/94 - die Unzulässigkeit einer Vernehmung von ... und ... geltend. Zum
anderen verfährt er tatsächlich so, als sei die Beweisaufnahme endgültig
abgeschlossen. Das ergibt sich daraus, daß seine Vorsitzende in Umsetzung des
Beschlusses des Antragsgegners vom 14. Februar 1995 den Entwurf eines
Schlußberichts erstellt, den Ausschußmitgliedern übersandt und zum Termin über seine
Beratung und Beschlußfassung geladen hat.
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Welche Bedeutung den in Rede stehenden Beweisfragen im Rahmen des
Untersuchungsauftrags zukommt, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.
Eine solche Beurteilung setzt politische Wertungen voraus, die den an der politischen
Auseinandersetzung beteiligten Kräften vorbehalten sind.
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Die Möglichkeit des Landtags, nach einer dem Begehren der Antragstellerinnen
stattgebenden Hauptsacheentscheidung in der folgenden (12.) Wahlperiode einen
Parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Klärung der in der Untersuchung des
Antragsgegners offen gebliebenen Tatsachenfragen einzusetzen, verringert das
Gewicht der dargelegten Nachteile nur unwesentlich. Die Einsetzung eines weiteren
Untersuchungsausschusses ist schon insofern ungewiß, als es eines hohen Aufwandes
bedürfte, um den jetzt nach mehr als einjähriger Untersuchungstätigkeit erreichten Stand
der Einarbeitung in den Untersuchungsgegenstand wieder zu erlangen.
63
bb)
erlassen wird, wiegen demgegenüber weniger schwer, auch wenn den Anträgen in der
Hauptsache der Erfolg zu versagen wäre.
64
Der Antragsgegner würde in diesem Fall unzulässige Beweiserhebungen durchführen,
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deren Ergebnisse nicht verwertet werden dürften. Dieser Nachteil kann indes im
Rahmen der Folgenabwägung hingenommen werden. Denn der Rechtsverstoß läge
nicht etwa in einem Übergriff in eine der anderen Staatsgewalten oder in Rechte der
Bürger, sondern nur darin, daß der Antragsgegner den ihm vom Landtag gegebenen
Untersuchungsauftrag überschritten hätte. Dies wiegt gering, weil der Landtag einen
Auftrag zur Untersuchung der von den Antragstellerinnen als klärungsbedürftig
angesehenen Sachverhalte hätte erteilen können. Überdies können die umstrittenen
Beweiserhebungen im zu erstellenden Bericht durch einen entsprechenden Hinweis als
in ihrer Zulässigkeit noch zweifelhaft gekennzeichnet werden.
Der darüber hinaus in Betracht zu ziehende Nachteil, daß infolge der Durchführung der
von den Antragstellerinnen geforderten Beweiserhebungen dem Landtag bis zum Ende
der laufenden Wahlperiode kein Schlußbericht vorgelegt werden könnte, kann
vermieden werden. Denn für die Berichterstattung steht noch der Zeitraum bis zum Ende
der Wahlperiode am 30. Mai 1995 zur Verfügung. Bei zügiger Durchführung der in Rede
stehenden Beweisaufnahmen können diese so rechtzeitig abgeschlossen sein, daß die
Erstattung des Schlußberichts innerhalb dieses Zeitraums voraussichtlich noch möglich
ist. Seine Zeitvorgabe im Beschluß vom 26. Januar 1995 kann der Landtag jederzeit
ändern, so daß die Zeit nach dem 31. März 1995 für die Erarbeitung eines
Abschlußberichts und die Beschlußfassung über ihn nicht ausscheidet. Schließlich hat
der Landtag hinsichtlich der abtrennbaren und abschließend erledigten Teile des
Untersuchungsauftrages nach § 25 Abs. 4 PUAG die Möglichkeit, die Vorlage eines
Teilberichts zu verlangen, wenn der Bericht ohne Vorgriff auf die Beweiswürdigung der
übrigen Untersuchungsaufträge möglich ist. Er kann so dem Umstand Rechnung tragen,
daß der Antragsgegner - soweit ersichtlich - seine Untersuchungen zu vielen der im
Einsetzungsbeschluß aufgeführten Einzelaufträge bereits abgeschlossen hat.
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