Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 01.12.1998

VerfG Nordrhein-Westfalen (gemeinde, finanzausgleich, verfügung, land, höhe, leistungsfähigkeit, innere sicherheit, 1995, aufgaben, grundsteuer)

Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 5/97
Datum:
01.12.1998
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VerfGH 5/97
Leitsätze:
1.
Wird den Gemeinden im Finanzausgleich - wie in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen NW 1996 und 1997 - insgesamt ein
ausreichendes Gesamtfinanzvolumen zur Verfügung gestellt und
werden diese Finanzmittel in verfassungsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise auf die Gemeinden verteilt (vgl. hierzu VerfGH
NW, NWVBl. 1998, 390), kommt eine Verletzung der
Finanzausstattungspflicht des Landes gegenüber einer einzelnen
Gemeinde grundsätzlich nicht in Betracht.
2.
Ob und inwieweit bei einem grundsätzlich verfassungskonformen
Verteilungssystem ein Anspruch einer einzelnen Gemeinde auf
ergänzende Finanzausstattung aufgrund ihrer besonderen Situation
gegeben sein kann, bleibt offen. Ein solcher Anspruch kann jedenfalls
dann nicht bestehen, wenn die gemeindliche Finanzausstattung nicht
offensichtlich unzureichend ist.
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
1
A.
2
Die Beschwerdeführerin, eine kreisfreie Stadt mit rund 295.000 Einwohnern, wendet
sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung
der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und
Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 1996 (Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 1996)
vom 20. März 1996 (GV NW S. 124) und des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen
der Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im
Haushaltsjahr 1997 (Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 1997) vom 18. Dezember
1996 (GV NW S. 586).
3
I.
4
1.
gegenüber den Gemeindefinanzierungsgesetzen vorangegangener Haushaltsjahre
unter anderem Änderungen auf, die auf ein vom Innenministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebenes Gutachten des Ifo-Instituts für
Wirtschaftsforschung (Parsche/Steinherr, Der kommunale Finanzausgleich des Landes
Nordrhein-Westfalen, 1995) zurückgehen. Das Gutachten sollte unter Berücksichtigung
des Urteils des Verfassungsgerichtshofs vom 6. Juli 1993 - VerfGH 9/92, 22/92 - die
Bedarfsermittlung und die Verfahren zur Ermittlung der Steuerkraft, die etwaige
Notwendigkeit einer Änderung des interkommunalen Verteilungssystems sowie das
System zur Vergabe von Investitionspauschalen (§ 27 GFG 1994) untersuchen. Der
Landtag beschloß am 20. März 1996, die wesentlichen Empfehlungen des Gutachtens
in drei Reformschritten in den Gemeindefinanzierungsgesetzen für die Haushaltsjahre
1996, 1997 und 1998 umzusetzen.
5
2.
Wege des Finanzausgleichs nach den Regelungen der Gemeindefinanzierungsgesetze
allgemeine und zweckgebundene Zuweisungen, die zur Ergänzung ihrer eigenen
Einnahmen bestimmt sind. In den Haushaltsjahren 1996 und 1997 stellte das Land
hierfür einen seit dem Haushaltsjahr 1986 unveränderten Prozentsatz (sog. Verbundsatz
oder Verbundquote) von 23 v. H. seines Anteils an der Einkommensteuer, der
Körperschaftsteuer, der Umsatzsteuer und der eigenen Einnahmen aus der
Grunderwerbsteuer (sog. allgemeiner Steuerverbund) zur Verfügung (§ 2 Abs. 1 Satz 1
GFG 1996/GFG 1997). Ob und in welcher Höhe die einzelne Gemeinde
Schlüsselzuweisungen erhält, ergibt sich aus einem Vergleich zwischen der sog.
Ausgangsmeßzahl (§ 8 GFG 1996/GFG 1997) und der sog. Steuerkraftmeßzahl (§ 9
GFG 1996/GFG 1997). Eine Differenz zwischen der Ausgangsmeßzahl und der
Steuerkraftmeßzahl wird im Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 - in Übereinstimmung
mit den Gemeindefinanzierungsgesetzen seit 1988 - zu 95 v. H. durch
Schlüsselzuweisungen ausgeglichen (§ 7 Abs. 1 GFG 1996); in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1997 und 1998 beträgt der Ausgleichsgrad 90 v. H. (§
7 Abs. 1 GFG 1997/GFG 1998).
6
3.
Vervielfältigung des Gesamtansatzes (Abs. 2) mit dem einheitlichen Grundbetrag (Abs.
7). Der Grundbetrag wird in der Weise festgesetzt, daß der für Schlüsselzuweisungen an
die Gemeinden zur Verfügung gestellte Betrag aufgebraucht wird. Der Gesamtansatz
wird aus dem Hauptansatz (Abs. 3) und den Nebenansätzen (Schüleransatz,
Soziallastenansatz, Zentralitätsansatz - Abs. 4 bis 6) gebildet. Der Hauptansatz ergibt
sich aus der Einwohnerzahl einer Gemeinde, vervielfältigt mit einem bestimmten, je
nach Größe der Gemeinde unterschiedlichen Prozentsatz. Diese Prozentsätze
beginnen bei einem Wert von 100 v. H. für Gemeinden mit 25.000 Einwohnern und
wachsen in einer sich abflachenden Kurve bis auf 147,5 v. H. für Gemeinden mit
679.500 Einwohnern bzw. bis auf 150,1 v. H. für größere Gemeinden (sog.
Hauptansatzstaffel der Anlage 1 zu § 8 Abs. 3 GFG 1996/GFG 1997). Die Prozentwerte
der Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 unterscheiden sich von den
Prozentwerten des Gemeindefinanzierungsgesetzes 1995 durch eine stärkere
"Spreizung" sowie durch einen einheitlichen Prozentwert für Gemeinden bis zu 25.000
Einwohnern.
7
4.
berechnet wird. Sie ergibt sich aus der Summe der für die Gemeinden geltenden
Steuerkraftzahlen der Gewerbesteuer, der Grundsteuer und des Gemeindeanteils an der
Einkommensteuer abzüglich der Steuerkraftzahl der Gewerbesteuerumlage. Das
Aufkommen an Gewerbesteuer, Grundsteuer A und Grundsteuer B wird unter anderem
nach fiktiven Hebesätzen ermittelt. Sie waren im Gemeindefinanzierungsgesetz 1995 für
Gemeinden bis 150.000 Einwohner niedriger als für Gemeinden über 150.000
Einwohner. Diese sog. Sprungstelle ist in drei Schritten in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996, 1997 und 1998 abgebaut und aufgegeben
worden.
8
II.
9
1.
Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, die
Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 verletzten die Vorschriften der
Landesverfassung über das Recht der Selbstverwaltung, weil sie ihren Anspruch auf
eine angemessene und ausreichende Finanzausstattung nicht erfüllten und gegen das
Gebot der Systemgerechtigkeit und das Willkürverbot verstießen.
10
Die Beschwerdeführerin beantragt,
11
festzustellen, daß das Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes
Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im
Haushaltsjahr 1996 (Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 1996) vom 20. März
1996 (GV NW S. 124) und das Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des
Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im
Haushaltsjahr 1997 (Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 1997) vom 18.
Dezember 1996 (GV NW S. 586) unvereinbar mit der Landesverfassung und
nichtig sind.
12
Zur Begründung führt sie aus:
13
a)
Selbstverwaltungsgarantie ergebenden Anspruch auf eine ausreichende
Finanzausstattung nicht gerecht. Das Niveau einer ausreichenden oder
Mindestausstattung sei grundsätzlich niedriger als das der angemessenen Ausstattung.
Die Mindestausstattung stehe - im Gegensatz zur angemessenen Ausstattung - nicht
unter dem Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Landes. Selbst im Verteidigungsfalle
habe der Bund nach Art. 115 c Abs. 3 GG die Lebensfähigkeit der Gemeinden,
insbesondere auch in finanzieller Hinsicht, zu wahren. Der Anspruch auf eine
ausreichende Ausstattung beschränke sich nicht auf die gesetzlich fixierten Aufgaben,
sondern schließe die Erfüllung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben ein. Freiwilligen
Aufgaben des Landes komme kein Vorrang vor freiwilligen Aufgaben der Kommunen
zu.
14
Eine Verletzung der Finanzausstattungspflicht des Landes sei zu bejahen, wenn
15
-
Bestimmungen entsprechenden Haushalt aufzustellen,
16
-
Selbstverwaltungsentscheidungen, sondern auf Umstände zurück-gehe, die von
der Kommune nicht beeinflußbar seien,
17
-
Einnahmemöglichkeiten ausschöpfe und in ihrer Ausgabenwirtschaft ausreichende
Anstrengungen zur Konsolidierung ihrer Finanzen unternehme, und
18
-
19
Diese Voraussetzungen seien bei ihr, der Beschwerdeführerin, gegeben. Sie sei
aufgrund der Fehlbeträge in ihrem Haushalt nicht in der Lage, einen den
kommunalrechtlichen Bestimmungen entsprechenden Haushalt aufzustellen. Das
Haushaltssicherungskonzept für 1995 sei nicht genehmigt worden, dasjenige für 1996
nur deshalb, weil die Genehmigungsanforderungen herabgesetzt worden seien.
20
Ursächlich für ihre haushaltswirtschaftlichen Schwierigkeiten seien der durch die
schwerste Rezession der Nachkriegszeit bedingte starke Einbruch bei der
Gewerbesteuer, der gesunkene Gemeindeanteil an der Einkommensteuer, ihre
Strukturschwäche, ihr stetiger Bevölkerungsrückgang, der hohe Anteil von alten
Menschen, weniger qualifizierten Arbeitskräften und Arbeitslosen an ihrer
Gesamtbevölkerung, ihre weit unterdurchschnittliche Steuerkraft, die hohe Belastung mit
Sozialkosten sowie ihre starke Konsolidierungsvorbelastung.
21
Ihre eigenen Einnahmequellen seien ausgeschöpft, eine weitere Anhebung der
Steuersätze nicht möglich. Der Hebesatz für die Grundsteuer B liege mit 530 v. H. weit
über dem aller anderen Gemeinden des Landes. Der Gewerbesteuersatz liege seit 1994
bei 440 v. H. - 10 v. H. unter dem Höchstsatz im Lande - und werde für 1997 auf 450 v.
H. angehoben. Durch zahlreiche Einsparungen in den unterschiedlichsten Bereichen
habe sie alles unternommen, die Ausgabenlast zu vermindern. Die Pro-Kopf-Ausgaben
ihres Verwaltungshaushalts lägen unter denen des Durchschnitts der kreisfreien Städte.
Der eingeleitete Personalabbau führe wegen arbeitsrechtlicher Bindung nicht zum
sofortigen Wegfall der Personalkosten. Aus sozialen Gründen spreche sie, die
Beschwerdeführerin, keine betriebsbedingten Kündigungen aus. Insgesamt seien ihre
"bereinigten" Ausgaben jedoch seit 1993 deutlich gesunken. Soweit sie in den
Einzelplänen 8 und 0 einen überdurchschnittlichen Zuschußbedarf aufweise, beruhe
dies auf der unterschiedlichen Gestaltungspraxis der Gemeinden bei der
Haushaltsaufstellung. Auch die Kommunalaufsichtsbehörde habe kein weiteres
Konsolidierungspotential feststellen können.
22
Die unzureichende Finanzausstattung führe zu einer Gefährdung der
Aufgabenerfüllung. Einschränkungen habe es beispielsweise bei der
Personalausstattung in Kindergärten, den zur Verfügung stehenden Plätzen in
Tageseinrichtungen, den Zuschüssen für die Musikschule, der Förderung der
Kulturarbeit und der Finanzierung der Verbraucherberatung gegeben. Vier von elf
Jugendheimen seien geschlossen worden, wichtige überregional bedeutsame oder
größere Veranstaltungen könnten praktisch nicht mehr finanziell unterstützt werden. Bei
der Straßen- und Gebäudeunterhaltung könnten nur noch die dringenden
Anforderungen der Verkehrssicherungspflicht erfüllt werden; eine wirtschaftlich
gebotene Substanzerhaltung finde nicht statt. Insgesamt könne daher im Vergleich zur
23
Situation der großen Mehrzahl der anderen Gemeinden nicht mehr von einer
ausreichenden Ausstattung gesprochen werden.
Der Ausstattungsanspruch könne auf unterschiedliche Weise erfüllt werden. Denkbar
sei eine Gestaltung des kommunalen Finanzausgleichs, die ihrer, der
Beschwerdeführerin, Situation Rechnung trage. In Betracht komme etwa ein besonderer
Ansatz, der die langfristigen Belastungen aufgrund eines starken Einwohnerrückgangs
oder besondere Konsolidierungsbemühungen berücksichtige; in Betracht komme auch
eine stärkere Berücksichtigung des Faktors "Arbeitslosigkeit" oder eine deutliche
Anhebung der fiktiven Hebesätze. Denkbar seien aber auch Bedarfszuweisungen in der
Form von Haushaltssicherungshilfen wie in den Jahren 1987 bis 1991. Eine solche
Sonderhilfe habe das Innenministerium des Landes NW 1996 unter Verweis auf die
beabsichtigten Änderungen des Gemeindefinanzierungsgesetzes aufgrund der
Empfehlungen des Ifo-Gutachtens abgelehnt. Aufgrund dieser Änderungen würden sich
jedoch für sie, die Beschwerdeführerin, lediglich Verbesserungen gegenüber dem
jeweiligen Vorjahr in Höhe von 8,7 Mio. DM im Jahre 1996, 4,5 Mio. DM im Jahre 1997
und 7,4 Mio. DM im Jahre 1998 ergeben.
24
b)
und 1997 verstoße gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit und das Willkürverbot;
Gemeinden mit hoher Steuerkraft würden ohne sachlichen Grund bevorzugt.
Abweichend von dem Vorschlag des Ifo-Gutachtens, als fiktive Hebesätze die
landesdurchschnittlichen Hebesätze anzusetzen (186 v. H. für die Grundsteuer A, 354 v.
H. für die Grundsteuer B und 405 v. H. für die Gewerbesteuer), habe der
Landesgesetzgeber deutlich niedrigere Hebesätze beschlossen. Diese Entscheidung
sei für eine finanzschwache Gemeinde wie sie, die Beschwerdeführerin, sehr ungünstig,
weil die tatsächliche Steuerkraft der finanzstärkeren Gemeinden nur unzureichend
erfaßt werde. Auf diese Weise entstünden ihr finanzielle Ausfälle in zweistelliger
Millionenhöhe.
25
Bedarf und Finanzkraft seien nicht realitätsgerecht ermittelt worden. Die gegenüber den
Empfehlungen des Ifo-Gutachtens niedrigere Festsetzung der fiktiven Hebesätze sei
lediglich zur Vermeidung bestimmter Ausgleichsergebnisse im kreisangehörigen Raum
erfolgt. Ausgleichsaspekte seien aber nicht bei der Feststellung der Steuerkraft, sondern
beim Ausgleichssatz zu berücksichtigen.
26
2.
worden. Der Landtag hat sich nicht geäußert.
27
Die Landesregierung - vertreten durch ... - hält die Verfassungsbeschwerde für
unbegründet. Sie macht insbesondere geltend: Der Inhalt des verfassungsrechtlich
verbürgten Anspruchs auf eine angemessene Finanzausstattung könne nicht
unabhängig von der finanziellen Lage des Bundes und der Länder bestimmt werden.
Ausgehend vom Prinzip der finanziellen Gleichberechtigung von Bund, Ländern und
Kommunen ziele der gemeindliche Finanzausstattungsanspruch auf eine gerechte
Verteilung des Steueraufkommens auf die am Finanzausgleich beteiligten
Gebietskörperschaften. Der Gesetzgeber habe insoweit eine wertende Entscheidung zu
treffen. In Zeiten knapper öffentlicher Finanzen könne sich der
Finanzausstattungsanspruch der Gemeinden auf ein Minimum reduzieren.
28
Ein haushaltsrechtlicher Fehlbetrag sei allein kein Beleg dafür, daß es an einer
29
angemessenen Finanzausstattung der Beschwerdeführerin fehle. Auch Kommunen, die
aufgrund ihrer Steuerkraft von allgemeinen Finanzzuweisungen unabhängig seien,
hätten in der Vergangenheit Fehlbeträge im Verwaltungshaushalt ausgewiesen. Die
Beschwerdeführerin verfüge noch über Einsparpotential. So weise sie beispielsweise
im Einzelplan 8 (Verwaltung der wirtschaftlichen Unternehmen) einen Zuschußbedarf
von 29,78 DM je Einwohner auf, während der Durchschnitt der kreisfreien Städte (mit
150.000 bis 300.000 Einwohnern) einen Überschuß in Höhe von 100,07 DM je
Einwohner erwirtschaftet. Die Beschwerdeführerin habe im übrigen in den vergangenen
Jahren Überschüsse erwirtschaftet, die sie zum Abbau ihrer Schulden verwendet habe.
So liege die Verschuldung der Beschwerdeführerin mit 2.293,38 DM je Einwohner
deutlich unter dem Durchschnitt der kreisfreien Städte (3.675,54 DM je Einwohner) bzw.
der Städte mit 200.000 bis 500.000 Einwohnern (3.336,54 DM je Einwohner). Sie
verfüge ferner über ein nicht unbeträchtliches Finanzvermögen, u.a. 1,16 Millionen
RWE-Stammaktien.
Die Beschwerdeführerin trage nicht vor, daß ihr für freiwillige
Selbstverwaltungsaufgaben keine Finanzmittel zur Verfügung stünden. So unterhalte
sie ein Theater sowie einen Zoologischen Garten und finanziere die
Veranstaltungsreihe "Kommunales Kino". Aufgrund der 1996 beschlossenen Reform
des kommunalen Finanzausgleichs hätten sich die Einnahmen der Beschwerdeführerin
aus den Schlüsselzuweisungen deutlich erhöht; zudem ziehe sie aus dem eingeführten
Strukturfonds unmittelbaren Nutzen. Von besonderer Bedeutung sei die hohe
Ausgleichswirkung des Finanzausgleichs, die sich aus einem Vergleich der Finanzkraft
der Beschwerdeführerin vor und nach durchgeführtem Finanzausgleich ergebe.
30
Die fiktiven Hebesätze seien mit den Geboten der Systemgerechtigkeit und der
interkommunalen Gleichbehandlung vereinbar. Mit den fiktiven Hebesätzen würden die
potentiellen Steuerausschöpfungsmöglichkeiten und nicht das tatsächliche
Steueraufkommen erfaßt. Würden bei der Ermittlung der Finanzkraft die tatsächlich
erhobenen Hebesätze zugrundegelegt, könnten die einzelnen Gemeinden die Höhe
ihrer Schlüsselzuweisungen durch die Festsetzung der Realsteuerhebesätze
beeinflussen mit der Folge, daß Gemeinden mit niedrigen Hebesätzen stärker als
Gemeinden mit höheren Hebesätzen an der Schlüsselmasse teilnähmen. Gemeinden
mit hohen Gewerbesteuerhebesätzen würden dann dafür "bestraft", daß sie ihren
Steuerpflichtigen eine höhere steuerliche Belastung zumuteten. Die Bemessung der
Steuerkraft nach fiktiven Hebesätzen schaffe hingegen gezielte Anreize zur "Pflege der
eigenen Wirtschafts- und Steuerkraftressourcen". Es sei auch sachgerecht, daß sich der
Gesetzgeber für niedrigere als die im Ifo-Gutachten vorgeschlagenen
Durchschnittshebesätze entschieden habe. Anderenfalls wäre bei mehr als zwei Dritteln
aller Kommunen ein systembedingter Zwang zur Hebesatzerhöhung ausgelöst worden.
Die Ifo-Gutachter selbst hätten dem Gesetzgeber einen Entscheidungsspielraum
eingeräumt, die fiktiven Hebesätze - vor allem bei Beibehaltung oder nur geringfügiger
Senkung des Ausgleichssatzes - in einem Rahmen von bis zu 10 v. H. unterhalb des
gewogenen Durchschnitts der tatsächlichen Hebesätze festzulegen.
31
Soweit die Beschwerdeführerin Einnahmeausfälle beklage, weil die vom Ifo-Gutachten
vorgeschlagenen Hebesätze nicht verwirklicht worden seien, lasse sie außer Betracht,
daß das Gutachten zugleich eine Absenkung des Ausgleichsgrads von 95 v. H. auf 75 v.
H. angeregt habe. Bei einer Gesamtbetrachtung erhalte die Beschwerdeführerin nach
dem Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 rund 21,6 Mio. DM und nach dem
Gemeindefinanzierungsgesetz 1997 13,9 Mio. DM mehr als nach dem Vorschlag des
32
Ifo-Gutachtens.
3.
Landesregierung wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.
33
B.
34
Die gemäß Art. 75 Nr. 4 LV, § 52 VerfGHG zulässige Verfassungsbeschwerde ist
unbegründet.
35
Die Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 verletzen nicht das Recht der
Beschwerdeführerin auf Selbstverwaltung aus Art. 78 LV (Art. 28 Abs. 2 GG). Sie
verstoßen auch nicht gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot oder gegen
sonstige verfassungsrechtliche Grundsätze.
36
I.
37
Das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände auf Selbstverwaltung (Art. 78 LV)
umfaßt einen gegen das Land gerichteten Anspruch auf angemessene
Finanzausstattung; denn eigenverantwortliches Handeln setzt eine entsprechende
finanzielle Leistungsfähigkeit der Selbstverwaltungskörperschaften voraus. Verletzt ist
die Finanzausstattungsgarantie, wenn einer sinnvollen Betätigung der Selbstverwaltung
die finanzielle Grundlage entzogen und dadurch das Selbstverwaltungsrecht ausgehöhlt
wird (VerfGH NW, OVGE 40, 300, 300 f. m.w.N.; VerfGH NW, OVGE 43, 252, 254).
38
Den Finanzausstattungsanspruch absichernd und konkretisierend verpflichtet Art. 79
Satz 2 LV das Land, im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit einen
übergemeindlichen Finanzausgleich zu gewährleisten (vgl. Art. 106 Abs. 7 GG). Der
Leistungsfähigkeit des Landes kommt wegen der Einbindung der Gemeinden in das
gesamtwirtschaftliche Gefüge der öffentlichen Haushalte wesentliche Bedeutung zu. Die
Finanzausstattung, die den Gemeinden zur Gewährleistung der Selbstverwaltung
bereitzustellen ist, kann nicht losgelöst von der finanziellen Lage des Landes allein
nach den Bedürfnissen der örtlichen Gemeinschaft festgesetzt werden. Weil die
Gemeinden über die ihnen zukommenden Zuweisungen mit dem Land und auch mit
dem Bund in einem allgemeinen Steuerverbund zusammengeschlossen sind und auch
das Land zur Erfüllung seiner eigenen Aufgaben auf Mittel aus diesem Verbund
angewiesen ist, muß trotz des hohen Stellenwertes der Selbstverwaltungsgarantie die
Höhe der gemeindlichen Finanzausstattung auch unter angemessener
Berücksichtigung des finanziellen Bedarfs und der Haushaltssituation des Landes
bestimmt werden (vgl. VerfGH NW, OVGE 40, 300, 303 f.; VerfGH NW, OVGE 38, 301,
308). Die Angemessenheit der Finanzausstattung der Gemeinden hängt außerdem von
der Aufgabenverteilung zwischen dem Staat, den Gemeinden und den
Gemeindeverbänden ab, nach der sich die Zuteilung der jeweiligen Mittel bestimmen
muß (vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1997, 303, 304 f.; BayVerfGH, BayVBl. 1998, 207, 208).
39
Art. 78, 79 LV legen den Umfang der Mittel nicht fest, die den Gemeinden aufgrund des
Finanzausgleichs zur freien Disposition gestellt werden müssen; weder sind
zahlenmäßig festgelegte Beträge noch bestimmte Quoten vorgeschrieben (VerfGH NW,
OVGE 40, 300, 303; VerfGH NW, OVGE 43, 252, 255).
40
Die Landesverfassung regelt ebensowenig, ob und ggf. in welchem Umfang das Land -
41
Die Landesverfassung regelt ebensowenig, ob und ggf. in welchem Umfang das Land -
über den durch Art. 106 Abs. 7 GG bestimmten "obligatorischen Steuerverbund" hinaus -
weitere eigene Einnahmen für die Gemeinden und Gemeindeverbände bereitstellen
muß. Die Garantie der Selbstverwaltung verleiht den Gemeinden auch keinen
verfassungsrechtlichen Anspruch auf Beibehaltung einer einmal erreichten Struktur oder
eines einmal erreichten Standards des Finanzausgleichs. Vielmehr steht es dem
Gesetzgeber frei, veränderte Rahmenbedingungen, neue Erkenntnisse und gewandelte
Präferenzen bei der jährlichen Regelung des kommunalen Finanzausgleichs zu
berücksichtigen.
41
Art. 78 LV i. V. m. dem rechtsstaatlich determinierten Gleichheitssatz widerspricht es, bei
der Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs bestimmte Gemeinden oder
Gemeindeverbände sachwidrig zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Dieses
interkommunale Gleichbehandlungsgebot verbietet willkürliche, sachlich nicht
vertretbare Differenzierungen. Es ist verletzt, wenn für die getroffene Regelung jeder
sachliche Grund fehlt. Der Verfassungsgerichtshof hat nicht zu prüfen, ob der
Normgeber die bestmögliche oder gerechteste Lösung gewählt hat.
42
Der Gesetzgeber darf durch den Finanzausgleich die von Gemeinde zu Gemeinde
bestehenden Finanzkraftunterschiede nicht gänzlich nivellieren. Ungleichheiten sollen
nicht eingeebnet, sondern nur gemildert werden. Das Sozialstaatsprinzip (vgl. Art. 20
Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) und das Leitbild der "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" (vgl.
Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG) bzw. der "Herstellung gleichwertiger
Lebensverhältnisse" (vgl. Art. 72 Abs. 2 GG; siehe auch Art. 91 a Abs. 1 und Art. 104 a
Abs. 4 GG) fordern lediglich ein annähernd gleiches Versorgungsniveau in den
Gemeinden. Wesentliche Abweichungen im Stand der Verwaltungsleistungen der
einzelnen Gemeinden und krasse Niveauunterschiede in der wirtschaftlichen und
sozialen Betreuung ihrer Bürger sind zu vermeiden. Eine durch den Finanzausgleich
bewirkte weitergehende Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse wäre unvereinbar mit
der gemeindlichen Selbstverwaltung. Eine Nivellierung der Gemeindefinanzen ließe
sich mit dem der kommunalen Selbstverwaltung innewohnenden Grundsatz
gemeindlicher Pluralität und Individualität nicht vereinbaren; sie würde die
Eigenverantwortlichkeit der Selbstverwaltungsorgane aushöhlen (VerfGH NW, OVGE
38, 312, 316 f.; ferner VerfGH NW, OVGE 43, 252, 254 und 265).
43
Dem Gesetzgeber ist ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt, in welcher Art und in
welchem Umfang er den gemeindlichen Finanzausstattungsanspruch erfüllt und nach
welchem System er die Finanzmittel auf die Gemeinden verteilt (vgl. VerfGH NW, OVGE
40, 300, 302; BayVerfGH, BayVBl. 1997, 303, 305; BayVerfGH, BayVBl. 1998, 207, 208;
ferner BVerfGE 71, 25, 38). Im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit obliegt es dem
Gesetzgeber, den Finanzbedarf von Land, Gemeinden und Gemeindeverbänden zu
gewichten, Unterschiede hinsichtlich des Finanzbedarfs und hinsichtlich der
vorhandenen Finanzausstattung auszumachen und festzulegen, wie die Differenzlagen
auszugleichen sind. Die Einschätzungen des Gesetzgebers sind vom
Verfassungsgerichtshof nur daraufhin zu überprüfen, ob sie unter dem Gesichtspunkt
der Sachgerechtigkeit vertretbar sind. Zudem dürfen die vom Gesetzgeber gewählten
Maßstäbe, nach denen der Finanzausgleich erfolgen soll, nicht im Widerspruch
zueinander stehen und nicht ohne einleuchtenden Grund verlassen werden (VerfGH
NW, OVGE 40, 300, 302; VerfGH NW, OVGE 43, 252, 254 f.; BVerfGE 76, 130, 139 f.;
BVerfGE 86, 148, 251 f.).
44
Der Gesetzgeber muß die Grundlagen seiner Einschätzungen und Prognosen
45
regelmäßig überprüfen und sich bei Bedarf des Sachverstandes Dritter bedienen.
Soweit die tatsächlichen Auswirkungen der Finanzausgleichsregelungen kaum oder nur
mit großen Unsicherheiten voraussehbar sind, ist der Gesetzgeber verpflichtet, die
weitere Entwicklung zu beobachten und mit geeigneten Maßnahmen zu reagieren,
wenn sich aufgrund neuer Erkenntnisse erweist, daß eine Korrektur notwendig ist. Bei
Finanzausgleichs- oder Haushaltsregelungen ist wegen der Komplexität der zu
berücksichtigenden Faktoren sowie der vielfältigen Interdependenzen der
Prognosezeitraum begrenzt und die gesetzliche Regelung deshalb von vornherein auf
einen festgelegten Zeitraum beschränkt. Es genügt daher nicht, wenn der Gesetzgeber
einmal festgesetzte Werte, Größenordnungen oder Prozentzahlen lediglich in den
folgenden Gemeindefinanzierungsgesetzen fortschreibt, ohne sich erneut ihrer
sachlichen Eignung zu vergewissern. Soweit der Gesetzgeber auf Einschätzungen
angewiesen ist, ist ein Gesetz nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil es auf einem
Irrtum des Gesetzgebers über den erwarteten Geschehensablauf beruht. Der
Verfassungsgerichtshof kann Einschätzungen des Gesetzgebers über die sachliche
Eignung und die Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung nur dann beanstanden,
wenn sie im Ansatz oder in der Methode offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig
widerlegbar sind (vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1998, 207, 209 m.w.N.).
Regelungen, die die Finanzausstattung mindern oder beeinträchtigen, müssen ferner
dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.
Belastungen oder Beeinträchtigungen der gemeindlichen Finanzausstattung sind
abzuwägen mit den dafür maßgebenden, dem öffentlichen Wohl verpflichteten,
sachlichen Gründen. Unterschiedliche Finanzausgleichsbelange kommunaler
Aufgabenträger sind zum angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. BayVerfGH,
BayVBl. 1997, 303, 305; BayVerfGH, BayVBl. 1998, 207, 208).
46
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die angegriffenen Vorschriften.
47
II.
48
1. Der Umfang der der Beschwerdeführerin im Finanzausgleich der
Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 zur Verfügung gestellten
Finanzausstattung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
49
a)
7/97 -, NWVBl. 1998, 390) bereits festgestellt, daß die den Gemeinden im
Finanzausgleich der Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 insgesamt zur
Verfügung gestellte Finanzausstattung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
Es ist nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber die Grenzen seiner
Einschätzungsprärogative überschritten und den durch Schlüsselzuweisungen zu
deckenden Bedarf der Gemeinden in den Jahren 1996 und 1997 fehlerhaft bestimmt hat.
Die Finanzausstattung der Gemeinden ist im Verhältnis zur Finanzlage des Landes
nicht offensichtlich unangemessen.
50
Die den Gemeinden vom Land in den Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997
gewährten Finanzmittel sind auch verfassungskonform auf die einzelnen Gemeinden
verteilt worden (vgl. im einzelnen VerfGH NW, a.a.O., NWVBl. 1998, 390 sowie die
Ausführungen unter 2).
51
b)
52
Beschwerdeführerin durch eine offensichtlich unzureichende Finanzausstattung in
ihrem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht verfassungswidrig eingeschränkt wird.
Wird - wie hier - den Gemeinden insgesamt ein ausreichendes Gesamtfinanzvolumen
zur Verfügung gestellt und werden diese Finanzmittel in verfassungsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise auf die Gemeinden verteilt, kommt eine Verletzung der
Finanzausstattungspflicht des Landes gegenüber einer einzelnen Gemeinde
grundsätzlich nicht in Betracht. Die Verteilungsmaßstäbe können nicht an der einzelnen
Gemeinde, sondern nur generalisierend und pauschalierend an der Gesamtheit der
Gemeinden - unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Vorbedingungen der
einzelnen Gemeinden - ausgerichtet sein. Ob und inwieweit bei einem grundsätzlich
verfassungskonformen Verteilungssystem ein Anspruch einer einzelnen Gemeinde auf
ergänzende Finanzausstattung aufgrund ihrer besonderen Situation gegeben sein kann
und ob insoweit die von der Beschwerdeführerin benannten Voraussetzungen
hinreichend wären, bedarf keiner Vertiefung und Entscheidung. Denn jedenfalls steht
der Beschwerdeführerin ein solcher Anspruch - ungeachtet eines hier nicht in Rede
stehenden Anspruchs nach § 16 GFG 1996/GFG 1997 - nicht zu, weil ihre
Finanzausstattung nicht offensichtlich unzureichend ist. Ihre wirtschaftliche
Lebensfähigkeit ist nicht in Frage gestellt.
53
Die Grenze zwischen einer (noch) angemessenen und einer offensichtlich
unzureichenden Finanzausstattung läßt sich über die bereits dargelegten Grundsätze
hinaus nicht anhand allgemeingültiger Maßstäbe nachrechenbar bestimmen. Der
gemeindliche Anspruch auf angemessene Finanzausstattung zielt auf eine Sicherung
der finanziellen Grundlage der gemeindlichen Selbstverwaltung. Die Finanzquellen der
Gemeinde sollen derart ergänzt werden, daß die finanzielle Möglichkeit zu
eigenverantwortlicher freiwilliger Selbstverwaltungstätigkeit gegeben ist. Die Gemeinde
soll über die Wahrnehmung der Pflichtaufgaben hinaus imstande sein, freiwillige
Aufgaben zu übernehmen bzw. zu gestalten (vgl. VerfGH, OVGE 38, 312, 315).
54
Ob eine Finanzausstattung in diesem Sinne angemessen ist, kann nicht allein aus der
Existenz einer sogenannten freien Spitze und auch nicht allein aus der konkreten
Finanzsituation einer Gemeinde geschlossen werden. Die Haushaltslage der
Kommunen wird vorrangig nicht durch den kommunalen Finanzausgleich bestimmt,
dessen Anteil an den Gesamteinnahmen gering ist, sondern durch eigene Einnahmen
und das Ausgabeverhalten. Auf beide Faktoren kann die Gemeinde durch
kommunalpolitische Entscheidungen wesentlichen Einfluß nehmen (vgl. BayVerfGH,
BayVbl. 1997, 303, 306).
55
Der gemeindliche Anspruch auf Gewährleistung einer angemessenen
Finanzausstattung ist darauf gerichtet, das Finanzaufkommen gerecht zu verteilen und
die Interessen der im Finanzverbund zusammengeschlossenen Gebietskörperschaften
in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Der Finanzausstattungsanspruch wird
durch die finanzielle Leistungsfähigkeit des Landes begrenzt. Der Vorbehalt der
finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes bestimmt das zu gewährleistende Niveau
der Finanzbefriedigung entscheidend mit. Da es neben dem Selbstverwaltungsrecht
noch zahlreiche andere, gleichwertige Güter zu schützen und zu erhalten gibt (etwa die
innere Sicherheit, das Bildungswesen, die Justizgewährung), kann sich der den
Gemeinden verbleibende Spielraum für die freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben bei
sehr knappen finanziellen Möglichkeiten des Landes auf ein Minimum reduzieren (vgl.
VerfGH NW, NWVBl. 1998, 390).
56
Die konkrete Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs hängt nicht zuletzt von
der langfristigen Entwicklung der maßgebenden Rahmenbedingungen ab, also
insbesondere der Entwicklung der staatlichen und kommunalen Einnahmen aus
Steuern und sonstigen Quellen, die wiederum nachhaltig von wirtschaftlichen und
konjunkturellen Faktoren mitbestimmt wird. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die
erforderlichen komplexen Einschätzungen, Beurteilungen und Bewertungen
vorzunehmen und den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem er mit dem - jeweils nur auf ein
Haushaltsjahr bezogenen - Gemeindefinanzierungsgesetz auf Entwicklungen und
Veränderungen reagiert. Zielvorstellungen, Wertungen, Sachabwägungen und
tatsächliche Beurteilungen des Gesetzgebers hat der Verfassungsgerichtshof nur
daraufhin zu prüfen, ob die betreffenden gesetzgeberischen Entscheidungen
offensichtlich fehlerhaft und eindeutig widerlegbar sind. Er kann die angegriffenen
Vorschriften nur im Falle einer evident unzureichenden Finanzregelung
verfassungsrechtlich beanstanden (vgl. BayVerfGH, a.a.O.).
57
c) Die der Beschwerdeführerin mit den Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997
gewährte Finanzausstattung ist nicht offensichtlich unzureichend. Der Gesetzgeber hat
nicht eine gerade die Situation der Beschwerdeführerin verkennende
Verteilungsentscheidung getroffen. Vielmehr hat er in den - auf einer einheitlichen
Reformkonzeption beruhenden - Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996, 1997 und 1998
verschiedene Verteilungskriterien im Schlüsselzuweisungssystem gegenüber den
Vorjahren geändert, die nicht zuletzt den besonderen Schwierigkeiten, wie sie von der
Beschwerdeführerin geltend gemacht werden, Rechnung tragen sollen.
58
Dementsprechend ist der Hauptansatz in einer Weise "gespreizt" worden, die sich für
die Beschwerdeführerin als einer größeren kreisfreien Stadt günstig auswirkte. Im
Rahmen des Soziallastenansatzes sind die Arbeitslosenzahlen stärker gewichtet
worden. Hiervon profitierte die Beschwerdeführerin, die auf den hohen
Bevölkerungsanteil der Arbeitslosen in ihrem Bereich verweist, in besonderer Weise
(vgl. Parsche/Steinherr, Der kommunale Finanzausgleich des Landes Nordrhein-
Westfalen, 1995, Materialband, S. M-24). Ferner wurde die Beschwerdeführerin dadurch
begünstigt, daß die frühere Sprungstelle bei den fiktiven Hebesätzen abgebaut worden
ist und die fiktiven Hebesätze für Gemeinden bis 150.000 Einwohner angehoben
worden sind. Dies bewirkte im wesentlichen eine Umverteilung zugunsten von
Gemeinden über 150.000 Einwohner.
59
Die Gesamtreform des Gesetzgebers bedeutete nach den Modellrechnungen des
Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik für die Beschwerdeführerin - unter
Berücksichtigung von für sie nachteiligen Veränderungen - einen "Gewinn" bei den
Schlüsselzuweisungen in Höhe von 8,7 Mio. DM im Jahre 1996, 13,2 Mio. DM im Jahre
1997 und 20,6 Mio. DM im Jahre 1998 (jeweils gegenüber dem Jahre 1995 und jeweils
auf der Datenbasis von 1996). Faktisch erhöhten sich die Schlüsselzuweisungen an die
Beschwerdeführerin (auf der Basis der jeweils aktuellen Berechnungsgrundlagen) im
Jahre 1996 um 24,6 Mio. DM, im Jahre 1997 um 2,7 Mio. DM und im Jahre 1998 um
12,1 Mio. DM (jeweils gegenüber dem Jahre 1995); der relativ geringe
Steigerungsbetrag im Jahre 1997 beruhte im wesentlichen auf einer Verbesserung der
Steuerkraft der Beschwerdeführerin.
60
Darüber hinaus hat der Gesetzgeber im Rahmen der Zweckzuweisungen einen
Strukturfonds zur Milderung von Strukturdefiziten in Höhe von 50 Mio. DM im Jahre 1997
61
und in Höhe von 100 Mio. DM im Jahre 1998 zur Verfügung gestellt. Die Kriterien für
diesen Strukturfonds - unterdurchschnittliche Grundbeträge der Gewerbesteuer und der
Grundsteuer B sowie verschiedene Belastungsindikatoren bei der Arbeitslosigkeit -
tragen wiederum den von der Beschwerdeführerin vorgetragenen gemeindlichen
Strukturproblemen Rechnung. Aus diesem Strukturfonds hat die Beschwerdeführerin
1997 3,6 Mio. DM und 1998 rund 8,1 Mio. DM erhalten.
Der Gesetzgeber hat mithin für die hier zu prüfenden Haushaltsjahre 1996 und 1997 die
sozialen und Wirtschaftsstrukturen insbesondere größerer Städte sowohl bei der
Festlegung der Schlüsselverteilungskriterien als auch im Rahmen der
Zweckzuweisungen berücksichtigt mit der Folge, daß die der Beschwerdeführerin
gewährten Finanzmittel gegenüber dem Jahre 1995 nicht unwesentlich erhöht worden
sind. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, die wertende Entscheidung des
Gesetzgebers daraufhin zu überprüfen, ob eine stärkere Berücksichtigung der
haushaltswirtschaftlichen Schwierigkeiten der Beschwerdeführerin bereits in den Jahren
1996 und 1997 - etwa durch eine konkrete Bedarfszuweisung - sachgerechter gewesen
wäre. Jedenfalls ist die Einschätzung des Gesetzgebers für diesen Zeitraum nicht
offensichtlich fehlerhaft.
62
Die Finanzausstattung der Jahre 1996 und 1997 ist nicht deshalb offensichtlich
unzureichend, weil die Beschwerdeführerin gravierende Einschränkungen bei der
Aufgabenerfüllung vornehmen mußte. Zwar stellt sich die Haushaltslage der
Beschwerdeführerin nach ihrem detaillierten Vorbringen als sehr schwierig und ernst
dar. Bezogen auf die Haushaltsjahre 1996 und 1997 kann der Verfassungsgerichtshof
jedoch nicht feststellen, daß die finanzielle Lebens- und Leistungsfähigkeit der
Beschwerdeführerin derart in Frage gestellt wäre, daß sie keine freiwilligen Aufgaben
mehr wahrnehmen könnte. Auch wenn bestimmte freiwillige Aufgaben nicht mehr
übernommen werden konnten und die Aufgabenerfüllung in vielen anderen Bereichen
auf ein niedrigeres Niveau reduziert werden mußte, war die finanzielle
Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht in einem Maße eingeschränkt, daß sie
ihre Funktionen nicht mehr ausüben konnte. So mußten nach dem Vortrag der
Beschwerdeführerin zwar unter anderem die Zuschüsse für die Musikschule, die
Förderung für die Kulturarbeit und die der Verbraucherberatung bislang gewährten
Finanzmittel gekürzt sowie vier von elf Jugendheimen geschlossen werden. Gleichwohl
führten diese Einschränkungen nicht dazu, daß der Beschwerdeführerin die
Wahrnehmung von freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben praktisch unmöglich
gewesen wäre. Die von der Beschwerdeführerin benannten Beispiele sowie darüber
hinaus etwa die Unterhaltung eines Theaters und eines zoologischen Gartens sind
hierfür Belege. Auch im Hinblick auf die Gesamthaushaltslage der Beschwerdeführerin
bestand kein sofortiger, unabdingbarer und damit verfassungsrechtlich gebotener
Handlungsbedarf des Gesetzgebers, die Finanzausstattung der Beschwerdeführerin für
die Jahre 1996 und 1997 über die bereits zur Verfügung gestellten Finanzmittel hinaus
zu erhöhen. So lag etwa die Pro-Kopf-Verschuldung der Beschwerdeführerin (2.293,38
DM) nicht unerheblich unter dem Durchschnitt der kreisfreien Städte (3.675,54 DM) bzw.
der Städte mit 200.000 bis 500.000 Einwohnern (3.336,54 DM).
63
Der Gesetzgeber war auch nicht verfassungsrechtlich gehalten, die von der
Beschwerdeführerin behauptete Differenzlage zwischen ihr und anderen Gemeinden
über die Regelungen der Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 hinaus
auszugleichen. Der Finanzausgleich soll jede Gebietskörperschaft in die Lage
versetzen, die Aufgaben zu erfüllen, die ihr nach der bestehenden Aufgabenverteilung
64
zufallen. Dabei sollen Ungleichheiten lediglich gemildert, nicht jedoch eingeebnet
werden. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin läßt nicht erkennen, daß die
angeführten Abweichungen im Stand der Verwaltungsleistungen sowie mögliche
Niveauunterschiede in der wirtschaftlichen und sozialen Betreuung der Bürger derart
krass sind, daß ein weiterer finanzieller Ausgleich verfassungsrechtlich geboten
gewesen wäre.
2.
verletzt nicht das Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführerin. Sie verstößt auch
nicht gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit und das Willkürverbot.
65
Die angegriffene Festsetzung der fiktiven Hebesätze in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997 hat der Verfassungsgerichtshof bereits
mit seinem Urteil vom 9. Juli 1998 (- VerfGH 16/96 und 7/97 -, NWVBl. 1998, 390) als
verfassungskonform angesehen. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin gibt keinen
Anlaß für eine abweichende Beurteilung. Es ist weder systemwidrig noch willkürlich,
wenn der Gesetzgeber die fiktiven Hebesätze niedriger als die vom Ifo-Institut
vorgeschlagenen gewogenen landesdurchschnittlichen Hebesätze festgesetzt hat.
66
Maßgebend für die Festsetzung fiktiver Hebesätze ist nicht das effektive
Steueraufkommen, sondern die potentielle Steuerkraft. Die Steuerkraft einer Gemeinde
ist im Rahmen der aus praktischen Gründen unvermeidbaren Typisierung möglichst
sachgerecht zu erfassen. Bislang gibt es allerdings keine allgemein anerkannte
wissenschaftlich fundierte Methode zur sachgerechten Ermittlung der Möglichkeiten
einer Gemeinde bei der Bemessung der Hebesätze für die Realsteuern. Schon deshalb
muß dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungsspielraum verbleiben (vgl. VerfGH NW,
OVGE 43, 252, 261 f.).
67
Dabei hat er verschiedene Aspekte zu berücksichtigen und abzuwägen. Nach
finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen führen hohe fiktive Hebesätze tendenziell zu
höheren Schlüsselzuweisungen bei Gemeinden mit einer geringeren Realsteuerkraft
(im Sinne der Bemessungsgrundlagen); steuerschwache Gemeinden profitieren mithin
von einem steigenden Nivellierungshebesatz (vgl. die Nachweise in VerfGH NW, a.a.O.,
NWVBl. 1998, 390). Eine differenzierte Gestaltung der Realsteuerhebesätze nach
Gemeinde(größen)klassen bewirkt - im Vergleich zu einheitlichen Hebesätzen - eine
zusätzliche Umverteilung von den Gemeinden mit hohen zu denen mit niedrigeren
Realsteuerhebesätzen. In diesem Rahmen ist auch das Zusammenwirken von fiktivem
Hebesatz und Ausgleichssatz im Hinblick auf mögliche negative Anreizfunktionen bei
der kommunalen Wirtschaftspolitik zu berücksichtigen. Wird ein relativ hoher fiktiver
Hebesatz kombiniert mit einem hohen Ausgleichsgrad von z.B. 95 % oder 90 %, so kann
die Erhöhung des Steuermeßbetrages einer Gemeinde, deren tatsächlicher Hebesatz
niedriger als der fiktive Hebesatz ist, aufgrund überproportionaler Verluste bei den
Schlüsselzuweisungen per Saldo zu einem Verlust führen (vgl. im einzelnen Strotmeier,
Städte- und Gemeinderat 1996, 144 ff.). Eine aktive und erfolgreiche gemeindliche
Wirtschaftsförderung würde auf diese Weise "bestraft".
68
Vor diesem Hintergrund begegnen die fiktiven Hebesätze des § 9 Abs. 2 GFG
1996/GFG 1997 keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber war
insbesondere verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, exakt die gewogenen
landesdurchschnittlichen tatsächlichen Hebesätze entsprechend dem Vorschlag des Ifo-
Instituts als fiktive Hebesätze festzusetzen. Er durfte und mußte vielmehr die
69
Auswirkungen der festzusetzenden fiktiven Realsteuersätze auf die unterschiedlichen
Ausgangsbedingungen aller Gemeinden sowie die Zusammenhänge mit anderen
Variablen im Schlüsselzuweisungssystem berücksichtigen und abwägen. Insbesondere
im Hinblick auf die angestrebten landeseinheitlichen fiktiven Hebesätze war zu
berücksichtigen, daß die vom Ifo-Institut vorgeschlagenen Hebesätze bei mehr als zwei
Dritteln aller Gemeinden einen systembedingten Zwang zur Hebesatzerhöhung bewirkt
hätten (vgl. auch Strotmeier, a.a.O., S. 146: Die Gewerbesteuerhebesätze von 83 % aller
Kommunen lagen unter dem vom Ifo-Institut vorgeschlagenen fiktiven Hebesatz). Diese
sachlichen Erwägungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Kritik der Beschwerdeführerin, sie werde durch die gegenüber dem Vorschlag des
Ifo-Instituts niedrigeren fiktiven Hebesätze des § 9 Abs. 2 GFG 1996/GFG 1997
"benachteiligt", verkennt, daß der Gesetzgeber zugleich den Ausgleichssatz nicht - wie
vom Ifo-Institut vorgeschlagen - auf 75 %, sondern auf 95 % im
Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 und 90 % im Gemeindefinanzierungsgesetz 1997
festgesetzt hat. Diese gesetzgeberische (Gesamt-)Entscheidung hat aufgrund der
dargelegten Kombinationswirkung von Ausgleichsgrad und fiktivem Hebesatz nicht zu
einer Benachteiligung, sondern zu einer nicht unerheblichen Begünstigung der
Beschwerdeführerin geführt. Darüber hinaus profitiert sie von dem Abbau der
Sprungstelle bei den fiktiven Hebesätzen (s. oben). Bei der gebotenen
Gesamtbetrachtung dieser Aspekte erhält die Beschwerdeführerin nach den von ihr
nicht in Frage gestellten Berechnungen der Landesregierung nach dem
Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 rund 21,6 Mio. DM und nach dem
Gemeindefinanzierungsgesetz 1997 13,9 Mio. DM mehr als nach dem Vorschlag des
Ifo-Instituts.
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