Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 05.08.1999

VerfG Nordrhein-Westfalen: verlängerung der frist, sperrklausel, eingriff, gestaltung, zahl, anfechtung, verhinderung, gewalt, entscheidungsbefugnis, einzug

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
3
4
5
6
7
Aktenzeichen:
Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 24/99
05.08.1999
Verfassungsgerichtshof NRW
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Beschluss
VerfGH 24/99
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
G r ü n d e :
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
Es bestehen bereits Zweifel an der Zulässigkeit, da der Antragsteller weder einen
Antragsgegner noch eine konkrete Maßnahme oder Unterlassung bezeichnet hat, gegen
die sich der Antrag richten soll. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da der Antrag auf
Erlaß einer einstweiligen Anordnung jedenfalls unbegründet ist.
Nach § 27 VerfGHG kann der Verfassungsgerichtshof eine einstweilige Anordnung treffen,
wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus
einem anderen wichtigen Grunde zum gemeinen Wohl dringend erforderlich ist.
Wegen der meist weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in
verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung ihrer Voraussetzungen ein
strenger Maßstab anzulegen. Das gilt zumal für eine einstweilige Anordnung im
Organstreit. Mit ihrem Erlaß greift das Gericht in die Entscheidungsbefugnis eines anderen
Staatsorgans ein (BVerfGE 96, 223, 229; BVerfGE 89, 38, 44).
Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat der Verfassungsgerichtshof
regelmäßig die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die
Maßnahme aber später für verfassungswidrig erklärt würde, gegen die Nachteile
abzuwägen, die entstünden, wenn die streitige Vorschrift aufgrund einer einstweiligen
Anordnung vorerst nicht angewendet werden dürfte, sie sich aber im Hauptsacheverfahren
als verfassungsgemäß erwiese (ständige Rechtsprechung, vgl. VerfGH NRW NWVBl.
1995, 248; NWVBl. 1990, 410; ebenso zu § 32 BVerfGG: BVerfGE 91, 70, 95; BVerfGE 89,
38, 43 f.).
Die danach gebotene Folgenabwägung fällt hier zu Lasten des Antragstellers aus. Erginge
die beantragte einstweilige Anordnung, fände die Kommunalwahl auf ungesicherter
rechtlicher Basis statt. Was die Zulassung von Wahlvorschlägen anginge, hätte sie ihre
Grundlage nicht mehr in den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, sondern in einer
einstweiligen Anordnung des Gerichts. Erwiesen sich die gesetzlichen Vorschriften, also
insbesondere die Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen nach § 15 Abs. 1 Satz 1
KWahlG iVm. Art. IV Buchst. a) des Gesetzes zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften, im
8
Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß, hätte eine stattgebende einstweilige
Anordnung Kandidaten die Teilnahme an der Wahl ermöglicht, die bei Beachtung der
gesetzlichen Vorschriften nicht mehr zur Wahl zugelassen worden wären. Dadurch wären
anderen Kandidaten Sitze, in jedem Falle aber Stimmen entzogen worden, die ihnen oder
ihrer Liste für den Einzug in die Kommunalvertretungen fehlen könnten. Gerade die
begehrte einstweilige Anordnung ist danach geeignet, Gründe für eine spätere Anfechtung
der Wahlergebnisse in einer unbekannten Zahl von Fällen zu schaffen. Ein solcher Eingriff
in die Wahlrechtsgrundlagen durch bloße einstweilige Anordnung hat grundsätzlich zu
unterbleiben (vgl. BVerfGE 82, 353).
Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - Gründe für eine Verfassungswidrigkeit der in
Rede stehenden Regelung nicht erkennbar sind. Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat mit
der streitigen Übergangsvorschrift die berechtigten Interessen kleinerer Parteien nicht
unangemessen zurückgestellt. Er hat keine Vorschriften des Kommunalwahlgesetzes
geändert, welche die Zulassung von Parteien zur Wahl regeln. Die Aufhebung der 5 v.H.-
Sperrklausel betrifft allein die Feststellung des Wahlergebnisses und die Zuteilung von
Sitzen in den Kommunalvertretungen. Die diesbezügliche Änderung des Wahlrechts läßt
die Möglichkeit des Antragstellers, sich an den Kommunalwahlen zu beteiligen, unberührt.
Diese Möglichkeit bestand und besteht unabhängig von der bisher geltenden Sperrklausel.
Ihr Wegfall mag kleinere Parteien ermutigen, sich überhaupt oder mit mehr Kandidaten als
bisher an den Wahlen zu den Kommunalvertretungen zu beteiligen. Soweit eine solche
(erweiterte) Beteiligung bisher unterblieben ist, ergeben sich die Hindernisse hierfür indes
primär aus der Struktur dieser kleinen Parteien. Mit ihrer geringen Mitgliederzahl und ihren
geringen finanziellen Mitteln waren und sind sie nicht imstande, sich in größerem Umfang
(flächendeckend) an Wahlen zu beteiligen. Diese Gründe mögen ihrerseits durch die
Gestaltung des Wahlrechts beeinflußt sein. Sie lassen sich indes mit Blick auf die jetzt
anstehende Wahl nicht durch eine Verlängerung der Frist für die Einreichung von
Wahlvorschlägen oder die kurzzeitige Verschiebung der Wahlen beseitigen.