Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 28.08.2001

VerfG Nordrhein-Westfalen: politische partei, sperrklausel, gesetzlicher vertreter, wesentliche veränderung, wahlrecht, wahlsystem, chancengleichheit, gefährdung, rechtsverletzung, stimmzettel

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 14/00
28.08.2001
Verfassungsgerichtshof NRW
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Beschluss
VerfGH 14/00
Der Antrag wird als unzulässig verworfen.
G r ü n d e :
I.
Das Antragsbegehren richtet sich gegen Vorschriften des Landeswahlgesetzes und der
Landeswahlordnung sowie deren Anwendung bei der Landtagswahl am 14. Mai 2000;
gerügt wird die Verfassungswidrigkeit der 5 v.H.-Sperrklausel und der fehlenden
Möglichkeit zur Abgabe einer Zweitstimme für eine Landesreserveliste.
1.
(Landeswahlgesetz) - LWahlG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. August 1993
(GV NRW S. 516), geändert durch Gesetz vom 23. März 1999 (GV NRW S. 66), verbindet
die relative Mehrheitswahl im Wahlbezirk mit einem Verhältnisausgleich im Wahlgebiet für
die mit Landesreservelisten vertretenen politischen Parteien.
Das Land wird durch Gesetz in 151 Wahlkreise eingeteilt (§ 13 Abs. 1 LWahlG). In jedem
Wahlkreis wird ein Abgeordneter mit relativer Mehrheit der Stimmen direkt gewählt (§ 14
Abs. 1, § 32 Abs. 1 LWahlG). Jeder Wähler hat eine Stimme (§ 26 Abs. 1 Satz 1 LWahlG).
Zu den in den Wahlkreisen gewählten Abgeordneten treten aufgrund eines
Verhältnisausgleichs grundsätzlich weitere 50 Abgeordnete aus Landesreservelisten (§ 14
Abs. 2, § 33 LWahlG). Landesreservelisten können nur von Parteien aufgestellt werden (§
20 Abs. 1 Satz 1 LWahlG). Die Stimmen, die auf die von einer Partei aufgestellten
Bewerber um ein Direktmandat entfallen, schlagen zugleich für die Reserveliste dieser
Partei zu Buche; die Ergänzung durch Listenmandate erfolgt nach Maßgabe der
landesweiten Stimmenanteile der Parteilisten (§ 33 Abs. 2 bis 5 LWahlG). Das geschieht in
der Weise, dass die Parteien, die weniger Sitze in den Wahlkreisen errungen haben, als
ihre Sitzzahl nach dem Verhältnisausgleich beträgt, die fehlenden Sitze aus der
Reserveliste erhalten. Erringt eine Partei mehr Direktmandate, als ihr nach der auf ihre
Liste entfallenen Stimmenzahl zustehen, so wird die Zahl von regulär 201 Sitzen so weit
erhöht, dass die Sitzanteile der Parteien ihren Stimmenanteilen entsprechen (§ 33 Abs. 4
Satz 2 LWahlG). Parteien mit weniger als 5 v.H. der Gesamtstimmenzahl bleiben beim
Verhältnisausgleich unberücksichtigt (§ 33 Abs. 2 Sätze 2 und 3 LWahlG).
Sowohl das dargestellte System einer personalisierten Verhältniswahl als auch die 5 v.H.-
Sperrklausel sind Bestandteile des Landeswahlgesetzes seit dessen Ursprungsfassung
vom 22. Januar 1947 (GV NRW S. 69). Das Änderungsgesetz vom 23. März 1999, durch
welches das Landeswahlgesetz die für die Landtagswahl 2000 maßgebende Fassung
erhielt, dehnte das Wahlrecht auf Obdachlose aus und traf neben weiteren Änderungen
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eine Regelung über die Zahlung von Landesmitteln an Einzelbewerber. Die Vorschriften
über das Wahlsystem und die Sperrklausel blieben unberührt.
Die Landeswahlordnung (LWahlO) vom 14. Juli 1994 (GV NRW S. 548, ber. S. 964),
geändert durch Verordnung vom 29. Juni 1999 (GV NRW S. 440), enthält Bestimmungen,
die wie die Vorschriften über die Gestaltung der Stimmzettel und den Ablauf der
Auszählung auf den vorgenannten Regelungen des Landeswahlgesetzes aufbauen. Sie
trifft aber selbst keine Regelungen, die das Wahlsystem ausgestalten oder die
Berücksichtigung der Stimmenanteile von Parteien einschränken.
2.
Programm zufolge sieht sie ihre politische Basis in den freien und unabhängigen
Wählergemeinschaften in Nordrhein-Westfalen und verfolgt u.a. die Ziele, Staat und
Wirtschaft zu entflechten, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken und die direkte
Bürgerbeteiligung zu intensivieren. In ihrer Satzung vom 11. März 2000 bekundet sie den
Willen, durch Teilnahme an den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen auf die politische
Willensbildung Einfluss zu nehmen.
An der Landtagswahl 2000 nahm die Antragstellerin mit Bewerbern in 55 Wahlkreisen und
mit einer Landesreserveliste teil. Ihren Antrag, sie mit ihrer Liste auch in denjenigen
Wahlbezirken, in denen sie nicht mit einem Direktkandidaten vertreten war, in die
Stimmzettel aufzunehmen, hatte der Antragsgegner zu 1. zuvor unter Hinweis auf das
gesetzliche Wahlsystem und die ihm entsprechenden Vorschriften über die Gestaltung der
Stimmzettel abgelehnt.
3.a)
Antragstellerin das vorliegende Verfahren eingeleitet und nachträglich klargestellt, dass es
als ein gegen die Antragsgegner gerichteter Organstreit zu verstehen sei.
Einen bestimmten Antrag hat er nicht gestellt.
Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht:
Das Begehren sei zulässig. Auf Grund ihrer Stellung als Partei sei die Antragstellerin fähig,
einen Organstreit zu führen. Die Antragsfrist habe sie gewahrt, da ihr die Regelungen des
Landeswahlgesetzes offiziell erstmals am 21. Februar 2000 in einer Besprechung beim
Antragsgegner zu 1. mitgeteilt worden seien und ihr Antrag auf landesweite
Berücksichtigung ihrer Reserveliste in den Stimmzetteln erst am 3. April 2000 abschlägig
beschieden worden sei.
Das Begehren sei auch begründet. Die Antragsgegner verträten ein verfassungswidriges
Wahlrecht bzw. wendeten es an.
Da der Wähler nur über eine Stimme verfüge, könne er eine Partei lediglich dort wählen,
wo sie Direktkandidaten aufgestellt habe. Diese Konstruktion sei undemokratisch und
verletze das Recht der Parteien auf Chancengleichheit. Kleinere und neue Parteien seien
schwerlich in der Lage, den Anforderungen für die flächendeckende Aufstellung von
Wahlkreisbewerbern zu genügen.
Die 5 v.H.-Sperrklausel schränke das Recht auf Chancengleichheit ebenfalls massiv ein,
ohne im Interesse der Funktionsfähigkeit des Landtags geboten zu sein. Im Anschluss an
die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zum Kommunalwahlrecht sei es
folgerichtig, auch die 5 v.H.-Sperrklausel für die Landtagswahl zu überprüfen und
abzuschaffen.
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b)
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei unzulässig, zumindest soweit er sich gegen sie richte. Das gelte
unabhängig davon, ob die Antragstellerin eine politische Partei und damit antragsberechtigt
sei. Der Antragsgegner zu 1. gehöre schon nicht zu den möglichen Beteiligten eines
Organstreitverfahrens. Bezogen auf sie - die Antragsgegner zu 2. und 3. - fehle es an einem
Sachvortrag, der eine Rechtsverletzung schlüssig begründe. Die von der Antragstellerin
angegriffenen Regelungen seien Bestandteile des Landeswahlgesetzes und ihnen
deshalb nicht zuzurechnen. Die vom Antragsgegner zu 2. erlassene Landeswahlordnung
enthalte bezogen auf den Verfahrensgegenstand nur technische
Durchführungsbestimmungen ohne eigenständige Bedeutung. Der Antrag sei überdies erst
nach Ablauf der sechsmonatigen Antragsfrist gestellt worden. Die letzten Änderungen des
Landeswahlgesetzes und der Landeswahlordnung seien am 1. April 1999 bzw. am 2.
August 1999 verkündet worden und am jeweils darauf folgenden Tag in Kraft getreten.
Wann die Antragstellerin sich als Partei konstituiert habe, sei demgegenüber unerheblich.
c)
den Antrag abzulehnen.
Auch er hält den Antrag für unzulässig und trägt dazu vertiefend vor:
Die von der Antragstellerin beanstandeten Maßgaben für die Landtagswahl ergäben sich
unmittelbar aus dem Landeswahlgesetz. Gleichgültig, ob die getroffene gesetzliche
Regelung oder ein Unterlassen des ändernden Gesetzgebers als Bezugspunkt des
Antrags gesehen werde, habe die Antragstellerin die Antragsfrist versäumt.
Die Vorschriften über das Eine-Stimme-Wahlrecht und die 5 v.H.-Sperrklausel seien seit
Jahrzehnten im Landeswahlgesetz enthalten und gälten mit ihrer Verkündung als
allgemein bekannt geworden. Nicht entscheidend sei demgegenüber, wann diese
Bestimmungen die Antragstellerin aktuell betroffen hätten. Zwar habe das
Bundesverfassungsgericht bezogen auf Geschäftsordnungsvorschriften den Lauf der
Antragsfrist im Organstreitverfahren erst an den Zeitpunkt geknüpft, in dem diese für die
Person des Antragstellers eine aktuelle rechtliche Betroffenheit auszulösen vermögen.
Dieser Grundsatz lasse sich aber nicht auf den Erlass formeller Gesetze übertragen. Davon
abgesehen sei die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts abzulehnen. Das Gericht
setze unzulässigerweise das Bekanntwerden und das Wirksamwerden einer Norm gleich,
ohne dass dies aus Gründen des Rechtsschutzes geboten sei. Überlegungen des
Staatsgerichtshofs für das Land Baden-Württemberg, wonach das Antragsrecht einer
politischen Partei in einem Wahlrechtsvorschriften betreffenden Organstreit regelmäßig erst
im Zusammenhang mit der beabsichtigten Teilnahme an Wahlen entstehe, seien wegen
abweichender Fassung der baden-württembergischen Fristregelung auf den Organstreit
nach nordrhein-westfälischem Recht ebenfalls nicht übertragbar.
Soweit ein gesetzgeberisches Unterlassen in Rede stehe, sei schon nicht ersichtlich,
woraus sich eine Handlungspflicht des Gesetzgebers ergeben sollte. Im Übrigen habe der
Landesgesetzgeber mit dem Änderungsgesetz vom 23. März 1999 und damit mehr als
sechs Monate vor Antragstellung klar zum Ausdruck gebracht, die angegriffenen
Vorschriften des Landeswahlgesetzes nicht ändern zu wollen.
Darüber hinaus erachtet der Antragsgegner zu 4. den Antrag für unbegründet. Das in
Nordrhein-Westfalen geltende Eine-Stimme-Wahlsystem entspreche dem Prinzip der Wahl-
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und Chancengleichheit; es vermeide Nachteile, die mit einem Zwei-Stimmen-System
verbunden seien. Die 5 v.H.-Sperrklausel, die sowohl im Bundeswahlgesetz als auch in
allen Landeswahlgesetzen verankert sei, beuge einer übermäßigen Parteienzersplitterung
sowie den damit verbundenen Gefahren für die Funktionsfähigkeit des Parlaments vor und
finde hierin nach wie vor ihre Rechtfertigung.
II.
Der Antrag ist unzulässig.
Die Antragstellerin kann als politische Partei zwar Beteiligte eines Organstreitverfahrens
nach Art. 75 Nr. 2 LV, § 12 Nr. 5, §§ 43 ff. VerfGHG sein (vgl. VerfGH NRW, NWVBl. 1999,
383 m.w.N.). Es spricht aber bereits vieles dafür, dass der Antrag nicht ordnungsgemäß
gestellt worden ist. Unabhängig davon scheitert seine Zulässigkeit an der mangelnden
Antragsbefugnis der Antragstellerin. Ob der Antrag außerdem verfristet ist, kann danach
offen bleiben.
1.
Bedenken, ob der Antrag für die Antragstellerin wirksam anhängig gemacht worden ist.
a)
Verfassungsgerichtshof einleitenden Anträge der Schriftform. Ein Antragsteller kann den
Antrag entweder selbst bzw. durch seinen gesetzlichen Vertreter oder durch einen
Verfahrensbevollmächtigten stellen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VerfGHG); ein Zwang
zur Prozessvertretung besteht nur für die mündliche Verhandlung (§ 17 Abs. 1 Satz 1
Halbsatz 2 VerfGHG). Will ein Antragsteller sich durch einen Verfahrensbevollmächtigten
vertreten lassen, bedarf er dafür - abgesehen von den hier nicht einschlägigen Ausnahmen
des § 17 Abs. 2 VerfGHG - eines bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalts oder eines Rechtslehrers an einer deutschen Hochschule.
Neben der Prozessvertretung durch Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer deutschen
Hochschule sieht § 17 VerfGHG die Zulassung einer anderen Person als Beistand eines
Beteiligten vor (Abs. 3 Satz 1). Er fungiert als Vertreter des Beteiligten (vgl. BVerfGE 8, 92,
94). Die Zulassung setzt einen entsprechenden Antrag voraus. Dieser muss innerhalb der
Frist gestellt werden, die für die Prozesshandlung gilt, welche der vorgesehene Beistand
vornimmt oder vornehmen will (vgl. BVerfGE 37, 361, 362 f.). Die Entscheidung über die
Zulassung als Beistand steht im Ermessen des Verfassungsgerichtshofs. Sie setzt in
subjektiver Hinsicht ein Bedürfnis des Beteiligten und in objektiver Hinsicht ihre
Sachdienlichkeit voraus (vgl. Klein in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG,
Stand Januar 2001, § 22 Rdnr. 10; Meder in: Umbach/Clemens, BVerfGG, 1992, § 22 Rdnr.
20). Durch die Zulassung als Beistand werden vor der Zulassung vorgenommene
schwebend unwirksame Prozesshandlungen geheilt und sind als von Anfang an gültig
anzusehen (vgl. Klein a.a.O., § 22 Rdnr. 10).
b)
ordnungsgemäß eingeleitet worden.
aa)
Der Antrag sollte also als ein eigener der Antragstellerin und nicht etwa in
Prozessvertretung für sie gestellt werden. Dies bestätigen auch die nachfolgenden
Schriftsätze, die mit Ausnahme eines Schreibens ohne Absenderangabe und Unterschrift
vom 1. April 2000 ebenfalls die Antragstellerin als Absender angeben.
Hiervon ausgehend ist die Antragstellerin bei der Einleitung des Verfahrens nicht
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ordnungsgemäß vertreten worden. Nach § 11 Abs. 3 Satz 2 ParteienG i.V.m. § 26 Abs. 2
BGB wird eine politische Partei gerichtlich durch ihren satzungsmäßigen Vertreter oder,
wenn die Satzung keine Regelung trifft, durch den Vorstand vertreten. § 7 Abs. 2 der
Satzung der Antragstellerin bestimmt, dass diese durch ihren Vorsitzenden oder einen
seiner Stellvertreter gerichtlich vertreten wird. Die Antragsschrift wie auch die
nachfolgenden Schriftsätze der Antragstellerin sind demgegenüber mit Ausnahme des
überhaupt nicht unterzeichneten Schriftsatzes vom 1. April 2000 stets nur vom
Landesgeschäftsführer unterschrieben worden. Zusätzlich enthalten die Antragsschrift und
zwei der insgesamt vier nachfolgenden Schriftsätze zwar einen auf die Person des
Vorsitzenden bezogenen maschinenschriftlichen Zeichnungsvermerk. Das reicht für sich
genommen aber nicht, um die Schriftstücke - auch - ihm zuzurechnen. Dem
Schriftformerfordernis des § 18 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG genügt grundsätzlich nur ein
eigenhändig unterschriebener Schriftsatz. Die eigenhändige Unterschrift ist das im
Rechtsverkehr typische Merkmal, um den Urheber eines Schriftstücks und seinen Willen,
darin enthaltene Erklärungen in Verkehr zu bringen, festzustellen. Deshalb müssen
bestimmende fristwahrende Schriftsätze grundsätzlich die handschriftliche Unterschrift des
Berechtigten enthalten (BVerwGE 81, 32, 33; vgl. auch GmS-OGB, NJW 2000, 2340, 2341).
Das Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift schließt die Ordnungsmäßigkeit eines
bestimmenden Schriftsatzes nur dann nicht aus, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten
eine vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen des Urhebers ergibt, das
Schriftstück in Verkehr zu bringen (BVerwGE 81, 32, 36; BVerwG, NJW 1995, 2121, 2122).
Solche Anhaltspunkte fehlen hier. Dass die Antragsschrift vom 23. März 2000 in der
Absenderangabe allein die Anschrift des Vorsitzenden der Antragstellerin aufführt, lässt
ebenso wenig wie der für den Vorsitzenden angebrachte maschinenschriftliche
Zeichnungsvermerk einen verlässlichen Schluss auf dessen (Mit-) Urheberschaft und
Übermittlungswillen zu. Dies gilt um so mehr, als die Antragsschrift in gleicher Weise wie
die nachfolgend per Telefax übermittelten Schriftsätze von dem Faxgerät des
Landesgeschäftsführers abgesandt worden ist. Auch der Reaktion auf die gerichtliche
Anfrage vom 27. März 2000, die an den Vorsitzenden und den Landesgeschäftsführer
gemeinsam gerichtet und an die Anschrift des Vorsitzenden adressiert war, kann kein
hinreichend klares Bekenntnis des Vorsitzenden zur Urheberschaft der Antragsschrift
entnommen werden. Die Antwort erfolgte mit Schreiben vom 29. März 2000, das wiederum
nur vom Landesgeschäftsführer unterschrieben war und den Vorsitzenden lediglich in
einem maschinenschriftlichen Zeichnungsvermerk benannte. Das Antwortschreiben belegt
zwar, dass der Vorsitzende die Anfrage an den Landesgeschäftsführer weiterreichte. Das
erlaubt aber nicht den weitergehenden Schluss, der Vorsitzende wolle sich auch den Inhalt
des an dem Antrag festhaltenden Antwortschreibens zurechnen lassen.
bb)
behebbar.
(1)
fristwahrend nachgeholt werden. Unabhängig von Fristproblemen, die sich schon für den
Termin der erfolgten Antragstellung ergeben, ist die für Organstreitverfahren gemäß § 44
Abs. 3 VerfGHG geltende Antragsfrist jedenfalls heute verstrichen. Die Antragstellerin will
Verhaltensweisen der Antragsgegner bei der Vorbereitung und Durchführung der
Landtagswahl 2000 sowie hinsichtlich der dieser Wahl zugrunde liegenden Vorschriften
angreifen. Da ihr die in Betracht kommenden Akte bei der Antragstellung bekannt waren, ist
die Antragsfrist inzwischen längst abgelaufen. Ein nach Fristende für die Antragstellerin
von ihrem Vorsitzenden gestellter Antrag würde nicht auf den - möglicherweise vor Ablauf
der Beschwerdefrist liegenden - Zeitpunkt des Eingangs der nur von ihrem
Landesgeschäftsführer unterzeichneten Antragsschrift zurückwirken (vgl. BVerfGE 8, 92,
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94).
(2)
§ 17 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VerfGHG an einen Verfahrensbevollmächtigten stellt,
scheidet eine Umdeutung seines Handelns für die Antragstellerin in ein - durch Vorlage
einer Prozessvollmacht rückwirkend genehmigungsfähiges - Tätigwerden als ihr
Verfahrensbevollmächtigter von vornherein aus (vgl. zur Genehmigung durch Erteilung
einer Prozessvollmacht BVerfGE 1, 433, 436 f.; 62, 194, 200).
(3)
Falles keine Heilung dieses Mangels durch Zulassung des Landesgeschäftsführers der
Antragstellerin als ihr Beistand in Betracht. Insofern ist schon zweifelhaft, ob innerhalb der
Frist des § 44 Abs. 3 VerfGHG ein Antrag auf Zulassung gestellt worden ist. Ein solcher
Antrag kann zwar auch konkludent gestellt werden. Der Landesgeschäftsführer der
Antragstellerin wollte jedoch ersichtlich als ihr gesetzlicher Vertreter handeln. Der Wille, als
Beistand zugelassen zu werden, lässt sich daraus auch bei einem Rechtsunkundigen
schwerlich ableiten.
Im Übrigen wäre eine Zulassung des Landesgeschäftsführers als Beistand nicht angezeigt.
Zum einen ist nicht erkennbar, warum der Vorsitzende der Antragstellerin als ihr
satzungsmäßiger Vertreter den Prozess nicht selbst hätte führen sollen. Zum anderen lässt
der bisherige Vortrag des Landesgeschäftsführers erkennen, dass eine Prozessführung
durch ihn nicht sachdienlich wäre. Es bedurfte mehrerer gerichtlicher Verfügungen, um ihn
zu Angaben zu veranlassen, die eine Zuordnung des Antragsbegehrens zu einer
bestimmten Verfahrensart und die Bestimmung der Antragsgegner überhaupt erst
ermöglichten. Welche Maßnahmen oder Unterlassungen angegriffen werden, ist bis heute
nicht eindeutig bestimmt; ebenso bestehen weiter Unklarheiten, welchen der im
Nachhinein benannten Antragsgegner die verschiedenen Verhaltensweisen zugerechnet
werden sollen. Angesichts dessen spricht alles dafür, dass der Landesgeschäftsführer auch
künftig nicht die Gewähr für einen sachdienlichen Vortrag bieten würde.
2.
Antrags jedenfalls an der fehlenden Antragsbefugnis der Antragstellerin.
a)
dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des
Antragsgegners in seinen ihm durch die Verfassung übertragenen Rechten und Pflichten
verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Den Antragsteller trifft hierbei eine
Substantiierungspflicht. Er hat näher darzulegen, in welcher Maßnahme oder Unterlassung
er den Verfassungsverstoß erblickt (§ 44 Abs. 2 VerfGHG); sein Sachvortrag muss
außerdem eine Verletzung oder Gefährdung des ihm verfassungsrechtlich eingeräumten
Rechtsstatus als möglich erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 2, 347, 366; 70, 324, 350;
VerfGH NRW, OVGE 44, 301, 304). Ganz pauschale Angaben reichen mit Blick auf den
Kreis der möglichen Antragsteller eines Organstreits nicht aus. Von obersten
Landesorganen und den in der Landesverfassung oder einer Geschäftsordnung mit
eigenen Rechten ausgestatteten Teilen dieser Organe sowie den ihnen gleichgestellten
politischen Parteien kann erwartet werden, dass sie den Angriffsgegenstand, das als
verletzt erachtete Recht und die tatsächlichen Umstände, aus denen sie den
Verfassungsverstoß herleiten, deutlich bezeichnen.
b)
Antragstellerin schon nicht hinreichend verdeutlicht, durch welche Gesetzgebungsakte sie
ihre landesverfassungsrechtlich verbürgten Rechte auf Chancengleichheit bei Wahlen und
auf Wahlgleichheit verletzt oder unmittelbar gefährdet sieht.
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aa)
Gesetz, sondern nur das zugrundeliegende Handeln des Gesetzgebers, also der Erlass
eines Gesetzes sein (vgl. Schlaich, Das Bundesverfassunggericht, 4. Aufl. 1997, Rdnr. 85).
Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 44 VerfGHG, der mit dem Begriff der Maßnahme
auf ein Handeln abstellt. Diese Sicht entspricht zudem der Natur des Organstreits, der -
auch wenn es um normative Regelungen geht - auf eine Verhaltens- und nicht auf eine
Normenkontrolle gerichtet ist. Der beanstandete Gesetzgebungsakt ist deshalb vom
Antragsteller konkret zu bezeichnen. Bisweilen wird dazu die schlichte Angabe der
gesetzlichen Vorschrift ausreichen. Bei älteren, häufig geänderten Gesetzen können
hingegen präzisere Angaben unverzichtbar sein, um den angegriffenen Akt zweifelsfrei zu
bestimmen. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die fragliche Vorschrift selbst im Laufe
der Zeit geändert worden ist. Nur wenn der angegriffene Gesetzgebungsakt konkret
feststeht, lässt sich verlässlich beurteilen, ob die an sein Bekanntwerden anknüpfende
Antragsfrist gemäß § 44 Abs. 3 VerfGHG gewahrt ist. Außerdem besteht ein starkes
Bedürfnis für die zweifelsfreie Bestimmung dieses Akts mit Rücksicht auf das Programm
der im Organstreitverfahren stattfindenden verfassungsrechtlichen Prüfung. Gesetzliche
Regelungen sind häufig auf eine bestimmte, vom Gesetzgeber als fortbestehend oder
künftig eintretend vorausgesetzte Situation zugeschnitten. Insofern enthalten sie
prognostische Elemente. Auch Wahlrechtsbestimmungen weisen einen solchen
Situationsbezug auf (BVerfGE 1, 208, 259; 82, 322, 338 f.; VerfGH NRW, OVGE 44, 301,
310). Ob die Prognose ordnungsgemäß war, ist aus der vorausschauenden Sicht des
Gesetzgebers, nicht rückblickend unter Einbeziehung der tatsächlichen Entwicklung zu
beurteilen (BVerfGE 25, 1, 12 f.; 30, 250, 263). Demgemäß müssen die Darlegungen des
Antragstellers zur Antragsbefugnis erkennen lassen, bei welchem Gesetzgebungsakt er
den geltend gemachten Verfassungsverstoß sieht.
bb)
Ausdruck, dass die Antragstellerin ihre Rechte durch die Regelungen im
Landeswahlgesetz über die Verteilung der Landtagsmandate auf Grund nur einer Stimme
des Wählers und durch die 5 v.H.-Sperrklausel verletzt sieht. Die zugrunde liegenden
Gesetzgebungsakte sind aber weder in einem ausdrücklichen Antrag aufgeführt noch der
Antragsbegründung mit genügender Deutlichkeit zu entnehmen. Das Landeswahlgesetz ist
im Jahr 1947 zunächst als Rechtsgrundlage der ersten Landtagswahl erlassen und später
in eine generelle Regelung für Landtagswahlen umgewandelt worden. Es enthielt bereits in
seiner Ursprungsfassung Vorschriften, nach denen der Wähler eine Stimme hatte (§ 1 Abs.
5), in jedem Wahlkreis ein Abgeordneter mit relativer Stimmenmehrheit direkt gewählt
wurde (§ 15 Abs. 1), ein Verhältnisausgleich stattfand (§ 15 Abs. 2) und Parteien mit
weniger als 5 v.H. der Gesamtstimmenzahl bei diesem Ausgleich unberücksichtigt blieben
(§ 35 Abs. 2 Sätze 2 und 3). Zu jener Zeit konnten sich aus der Landesverfassung keine
Bindungen für den Gesetzgeber ergeben, da sie noch gar nicht in Kraft getreten war. Das
Gesetz wurde nach seinem Erlass 16-mal geändert, davon 14-mal nach Inkrafttreten der
Landesverfassung am 11. Juli 1950. Von den Änderungen waren zum Teil auch die
Vorschriften betroffen, die - mit wechselnder Paragraphenbezeichnung - die vorgenannten
Regelungen enthielten. Angesichts dieser vielstufigen Entwicklung hin zum aktuellen
Landtagswahlrecht kann es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs sein, von Amts
wegen als Angriffsgegenstände in Betracht kommende Gesetzgebungsakte ausfindig zu
machen und der Prüfung zugrunde zu legen. Vielmehr wäre die Antragstellerin auf Grund
ihrer Substantiierungspflicht nach § 44 Abs. 2 VerfGHG gehalten gewesen, diejenigen Akte
zu benennen, durch die sie sich verletzt sieht. Dieser Pflicht hat sie nicht genügt mit der
Folge, dass insoweit ihre Antragsbefugnis zu verneinen ist.
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Unterlassen des Gesetzgebers verletzt erachtet, das ebenso wie gesetzgeberische
Maßnahmen Gegenstand eines Organstreits sein kann (vgl. VerfGH NRW, OVGE 44, 301,
305; offen gelassen für den bundesrechtlichen Organstreit in BVerfGE 92, 80, 87). Mit ihrem
Vortrag, der Gesetzgeber habe aus den Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs zum
Kommunalwahlrecht nicht die nötigen Konsequenzen für die Landtagswahl 2000 gezogen
und im Zusammenhang damit auch das Eine-Stimme-Wahlrecht unverändert gelassen, hat
die Antragstellerin die beanstandete Untätigkeit zwar den Anforderungen des § 44 Abs. 2
VerfGHG entsprechend zeitlich und gegenständlich eingegrenzt. Ihr Vorbringen reicht aber
nicht aus, um eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung ihrer verfassungsrechtlich
verbürgten Rechte durch das Untätigbleiben des Gesetzgebers schlüssig darzutun.
Untätigkeit steht positivem Tun auch im Organstreit nur dann gleich, wenn eine
Rechtspflicht zum Handeln besteht (BVerfGE 96, 264, 277). Die tatsächlichen
Voraussetzungen einer solchen Pflicht hat die Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt.
aa)
Gesetzgeber unter Kontrolle zu halten. Ihn trifft eine Überprüfungs- und gegebenenfalls aus
der Überprüfung folgende Nachbesserungspflicht (BVerfGE 49, 89, 130; 77, 308, 334;
VerfGH NRW, OVGE 44, 301, 310; VerfGH NRW, NWVBl. 1999, 383, 384). Eine Pflicht zur
Überprüfung hat der Verfassungsgerichtshof in seinen beiden vorgenannten
Entscheidungen namentlich für eine bei ihrem Erlass mit der Landesverfassung im
Einklang stehende wahlrechtliche Sperrklausel anerkannt. Denn die Vereinbarkeit einer
Sperrklausel mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl und dem Recht auf
Chancengleichheit der Parteien kann - wie bereits angesprochen - nicht ein für alle Mal
abstrakt, sondern nur jeweils situationsbezogen beurteilt werden. Demgemäß hat der
Wahlgesetzgeber die Pflicht zu prüfen, ob die Verhältnisse, derentwegen eine Sperrklausel
bei Erlass des Wahlgesetzes für erforderlich gehalten wurde, unverändert fortbestehen
oder sich in erheblicher Weise geändert haben. Gefordert ist allerdings keine fortlaufende
Kontrolle durch den Gesetzgeber; die Überprüfungspflicht konkretisiert sich erst dann,
wenn eindeutig erkennbar wird, dass die Aufrechterhaltung der Sperrklausel der Kontrolle
bedarf (VerfGH NRW, OVGE 44, 301, 310).
Entsprechend diesen Voraussetzungen der Überprüfungspflicht erfordert die aus § 44 Abs.
1 VerfGHG abzuleitende Substantiierungspflicht nähere Angaben zu den Umständen,
welche die Überprüfungsbedürftigkeit ausgelöst haben sollen (so auch LVerfG
Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 14. Dezember 2000 - LVerfG 4/99 -, S. 20 des
amtlichen Umdrucks).
bb)
Das gilt zunächst für die beanstandeten Vorschriften über die Beschränkung des Wählers
auf eine Stimme. Die Antragstellerin hat mit keinem Wort ausgeführt, inwiefern neue
Entwicklungen Anlass gegeben haben könnten, die Verfassungsmäßigkeit dieser
Regelung nachträglich in Zweifel zu ziehen.
Aber auch bezogen auf die Sperrklausel lässt sich dem Vortrag der Antragstellerin keine
wesentliche Veränderung der Verhältnisse entnehmen. Sie leitet eine Überprüfungspflicht
des Gesetzgebers allein aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zur
Sperrklausel im Kommunalwahlrecht ab (vgl. VerfGH NRW, OVGE 44, 301, 308 ff.; VerfGH
NRW, NWVBl. 1996, 58, 60 f.; VerfGH NRW, NWVBl. 1999, 383, 384 ff.). Dabei geht sie
nicht ansatzweise auf die Frage ein, ob die vom Verfassungsgerichtshof für jenen
Regelungskomplex als maßgeblich angesehene Entwicklung der Verhältnisse auf der
Ebene der Landtagswahlen eine Entsprechung findet. Tatsächlich fehlt es an einer parallel
verlaufenen Entwicklung. Die Überprüfungsbedürftigkeit der Sperrklausel im
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Kommunalwahlrecht ergab sich aus der Neugestaltung der Kommunalverfassung, durch
die der Aufgabenkreis der kommunalen Vertretungskörperschaften wesentlich beschnitten
wurde; deren Aufgabe, den kommunalen Hauptverwaltungsbeamten zu wählen, wurde auf
die Bürger verlagert. Beim Antragsgegner zu 4. ist ein vergleichbarer Aufgabenverlust, der
die Sperrklausel als Mittel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments als
weniger dringlich erscheinen lassen könnte, nicht eingetreten. Andere wesentliche
Veränderungen hat die Antragstellerin nicht bezeichnet.
d)
von Bestimmungen der Landeswahlordnung und das Unterlassen ihrer Änderung rügt.
Ungeachtet der Frage, ob die angegriffenen Verhaltensweisen des Verordnungsgebers
ausreichend bezeichnet sind, folgt dies daraus, dass eine Rechtsverletzung oder -
gefährdung durch sie nicht in Betracht kommt.
Die Landeswahlordnung knüpft mit ihren Regelungen über den Inhalt der Stimmzettel (§ 29
Abs. 1), die Wahlbekanntmachung (§ 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3) und die Feststellung des
Wahlergebnisses aus den Landesreservelisten (§ 58 Abs. 2) an die beanstandeten
Vorschriften des Landeswahlgesetzes an, ohne das Wahlsystem oder den
Bedeutungsgehalt der Sperrklausel zu verändern. Eine über diese Vorschriften
hinausgehende Beschwer der Antragstellerin ergibt sich aus ihr in dieser Hinsicht nicht.
e)
durch die Vorbereitung und Durchführung der Landtagswahl 2000 nach Maßgabe der
beanstandeten rechtlichen Vorschriften geltend machen. Werden auf der Grundlage einer
gesetzlichen Bestimmung Anwendungsentscheidungen getroffen, die keine weiter
gehende Beschwer als die Norm selbst enthalten, so kommt eine Rechtsverletzung oder -
gefährdung nur durch die Norm in Betracht. Die gesetzeskonforme Durchführung einer
Wahl lässt den verfassungsrechtlichen Status der Parteien unberührt; sie bringt lediglich im
Wahlrecht angelegte Vor- und Nachteile zur Wirkung (BVerfGE 92, 80, 88 f.).
3.
und des Verordnungsgebers richtet, auch wegen Versäumung der Antragsfrist gemäß § 44
Abs. 3 VerfGHG scheitert, kann nach allem offen bleiben.