Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 15.06.1999

VerfG Nordrhein-Westfalen: abstimmung, geschäftsordnung, antragsrecht, fraktion, mehrheit, empfehlung, parlamentarische initiative, verfassung, behandlung, plenarsitzung

Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 6/97
Datum:
15.06.1999
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VerfGH 6/97
Leitsätze:
1.
Das Antragsrecht der Abgeordneten und Fraktionen begründet einen
Anspruch darauf, daß das Parlament über einen Antrag berät und -
durch Annahme oder Ablehnung - Beschluß faßt.
2.a)
Das Antragsrecht der Abgeordneten und Fraktionen schließt nicht aus,
Änderungsanträge zur Abstimmung zuzulassen.
b)
Änderungsanträge dürfen nicht dazu benutzt werden, einer
Beschlußfassung über den Gegenstand des ursprünglichen Antrags
auszuweichen; das gilt auch für Entschließungsanträge.
c)
Unzulässig sind Änderungsanträge, die den Gegenstand des
Entschließungsantrags auswechseln, ihn in ein "aliud" umformen.
Tenor:
Der Antragsgegner zu 1. hat das Recht der Antragstellerin aus Art. 30
Abs. 2 LV NRW dadurch verletzt, daß er in der Plenarsitzung vom 18.
Dezember 1996 über die vier Entschließungsanträge der Antragstellerin
(Drucksachen ../...., ../...., ../...., ../....) in der aufgrund von
Änderungsanträgen der Fraktionen der ... und ... (Drucksachen ../...., ../....,
../...., ../....) abgewandelten Fassung abgestimmt hat.
Der Antragsgegner zu 2. hat das Recht der Antragstellerin aus Art. 30
Abs. 2 LV NRW dadurch verletzt, daß er in der Plenarsitzung vom 18.
Dezember 1996 die Abstimmung über die vier Entschließungsanträge
der Antragstellerin (Drucksachen ../...., ../...., ../...., ../....) in der aufgrund
von Änderungsanträgen der Fraktionen der ... und ... (Drucksachen ../....,
../...., ../...., ../....) abgewandelten Fassung durchgeführt hat.
G r ü n d e :
1
A.
2
Die Antragstellerin, die Fraktion der ... im Landtag Nordrhein-Westfalen, wendet sich
gegen die Behandlung von vier Entschließungsanträgen in der Plenarsitzung des
Landtags, des Antragsgegners zu 1., vom 18. Dezember 1996. Namentlich geht es um
die Berechtigung des Präsidenten des Landtags, des Antragsgegners zu 2.,
Änderungsanträge zu Entschließungsanträgen zur Abstimmung zuzulassen, und um die
Pflicht des Landtags, über die Entschließungsanträge in ihrer unveränderten
ursprünglichen Fassung abzustimmen.
3
I.
4
Anläßlich der abschließenden Beratung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-
Westfalen für das Haushaltsjahr 1997 stellte die Antragstellerin vier Anträge auf
Entschließung. Sie betrafen die Themen Rhein-Ruhr-Flughafen (Landtagsdrucksache
../....), Bio- und Gentechnologie (Landtagsdrucksache ../....), Ausbildungsplatzabgabe
(Landtagsdrucksache ../....) sowie das Projekt Garzweiler II (Landtagsdrucksache ../....).
Zu jedem der vier Anträge stellten die Fraktion der ... und die Fraktion ... einen
gemeinsamen Änderungsantrag. Anträge und Änderungsanträge hatten folgenden
Wortlaut:
5
Antrag der Antragstellerin Landtagsdrucksache ../....
6
Flughafen ...
7
Der Landtag unterstützt die Landesregierung bei ihren Bemühungen, die
notwendigen Maßnahmen zur Start- und Landebahnverlängerung des ... Flughafens
... umzusetzen.
8
Änderungsantrag Landtagsdrucksache ../....
9
Flughafen ...
10
Der Landtag bekräftigt:
11
I. Eine leistungsfähige Flughafeninfrastruktur ist für den Wirtschaftsstandort
Nordrhein-Westfalen notwendig. Im Rahmen dieser Flughafeninfrastruktur ist
insbesondere ein moderner, leistungs- und funktionsfähiger internationaler
Verkehrsflughafen ... als wichtiger Standort- und Wirtschaftsfaktor sowie als
bedeutender Arbeitgeber unverzichtbar.
12
II. Der Flughafen ... als wichtigster Flughafen in Nordrhein-Westfalen muß nach der
Brandkatastrophe so wiederhergestellt werden, daß er bezüglich seiner Sicherheit,
seiner Kapazitäten sowie seiner Leistungs- und Funktionsfähigkeit mit den
13
bestmöglichen Standards - auch im Wettbewerb mit anderen nationalen und
internationalen Flughäfen - den zukünftigen Anforderungen entsprechen kann.
III. Das derzeit laufende Verfahren zur Einführung eines Lärmkontingents statt der
jetzigen Begrenzung der Zahl der Flugbewegungen ist den gesetzlichen
Regelungen und der Luftverkehrskonzeption NRW entsprechend zu einem Ergebnis
zu führen. Die Reduzierung des Lärms im Umfeld des Flughafens muß für die
Bürgerinnen und Bürger ein erkennbares Ziel einer Neuregelung sein. Die
Bemühungen um eine Zusammenarbeit der Flughäfen ... und ... sind zu
intensivieren.
14
Antrag der Antragstellerin Landtagsdrucksache ../....
15
Bio- und Gentechnologie fördern
16
Der Landtag unterstützt die Absicht des Landwirtschaftsministers,
Investitionsvorhaben der Bio- und Gentechnologie, einschließlich Freilandversuche,
im Rahmen des Bio-Regio-Programmes Rheinland zu fördern, um so die Chance für
die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu verbessern.
17
Änderungsantrag Landtagsdrucksache ../....
18
Bio- und Gentechnologie
19
Biotechnologie hat sich in Nordrhein-Westfalen zu einem wichtigen Forschungs-
und zu einem aussichtsreichen Wirtschaftszweig entwickelt. Biotechnologische
Verfahren leisten schon heute erhebliche Beiträge zum Umweltschutz und zur
Energieeinsparung. Die Landesregierung wird diese Entwicklung im Hinblick auf
den Pharmazie- und Chemiestandort Nordrhein-Westfalen weiter fördern. Der
Nutzen der Biotechnologie wird allgemein anerkannt.
20
Bio- und Gentechnologische Verfahren finden in der Forschung in Nordrhein-
Westfalen breite Anwendung.
21
Die Landesregierung wird dafür eintreten, daß die Gentechnologie in Nordrhein-
Westfalen nicht ohne sorgfältige Abwägung der Chancen und Risiken
verantwortungsvoll genutzt wird.
22
Antrag der Antragstellerin Landtagsdrucksache ../....
23
Keine Ausbildungsplatzabgabe
24
Der Landtag beschließt für die Laufzeit des Ausbildungskonsenses NRW von fünf
Jahren keine Ausbildungsplatzabgabe einzuführen.
25
Änderungsantrag Landtagsdrucksache ../....
26
Ausbildungskonsens Nordrhein-Westfalen
27
Der Landtag unterstreicht das Ziel der Partner des Ausbildungskonsenses, bis zum
28
1. Februar 1997 allen Jugendlichen des Ausbildungsjahrgangs 95/96 einen
Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen.
Antrag der Antragstellerin Landtagsdrucksache ../....
29
Das Projekt Garzweiler II voranbringen
30
Der Landtag bekräftigt, daß das Projekt Garzweiler II mit allem Nachdruck
voranzubringen ist. Der Landtag fordert die Landesregierung auf sicherzustellen,
daß bei Vorliegen aller Genehmigungsvoraussetzungen in 1997 mit der
Genehmigung des Rahmenbetriebsplanes und der Tagebauentwässerung das
Projekt schnellstmöglich realisiert werden kann.
31
Änderungsantrag Landtagsdrucksache ../....
32
Garzweiler II
33
Der Landtag bekräftigt die Aussage des Ministerpräsidenten in seiner
Regierungserklärung am 13. September 1995 zu Garzweiler II. Die laufenden
Genehmigungsverfahren werden nach Recht und Gesetz durchgeführt.
34
Der Antragsgegner zu 1. befaßte sich in seiner Plenarsitzung vom 18. Dezember 1996
mit den Anträgen. Im Anschluß an die Haushaltsdebatte beanstandeten Abgeordnete
der Antragstellerin in einer Aussprache zur Geschäftsordnung das Verfahren der
Fraktionen von ... und ..., die von ihr eingebrachten Anträge auf Entschließung durch
Änderungsanträge ihres eigentlichen Sinnes zu entkleiden. Mit den Stimmen der
Fraktionen von ... und ... wurde ein Antrag der Antragstellerin abgelehnt, die Sitzung zu
unterbrechen, um im Ältestenrat über die Frage zu sprechen, ob die Geschäftsordnung
Änderungsanträge zu Entschließungsanträgen zuläßt.
35
Sodann wurde über die Anträge abgestimmt. Zu diesem Zeitpunkt amtierte als Präsident
des Landtags Vizepräsident ..., der als Abgeordneter der Antragstellerin angehört. Mit
Rücksicht auf eine bis dahin von allen Fraktionen geübte Praxis stellte er zunächst die
Änderungsanträge zur Abstimmung. Die Änderungsanträge wurden mit den Stimmen
der Fraktionen von ... und ... gegen die Stimmen der Antragstellerin angenommen.
Anschließend stellte der amtierende Präsident die Anträge der Antragstellerin in der
Fassung der zuvor angenommenen Änderungsanträge zur Abstimmung. In dieser
Fassung wurden die Anträge wiederum mit den Stimmen der Fraktionen von ... und ...
gegen die Stimmen der Antragstellerin angenommen.
36
II.
37
1.
17. Juni 1997, das vorliegende Organstreitverfahren eingeleitet.
38
Die Antragstellerin beantragt,
39
1.
Plenarsitzung am 18. Dezember 1996 über die vier Entschließungsanträge
der ...-Landtagsfraktion (Drucksachen ../...., ../...., ../...., ../....) nicht in ihrer
40
ursprünglichen Form, sondern in einer zuvor aufgrund von
Änderungsanträgen der Fraktionen der ... und ... (Drucksachen ../...., ../...., ../....,
../....) abgewandelten Fassung abgestimmt hat (Plenarprotokoll ../.., S. .... D bis
.... C), die Antragstellerin in den ihr durch Art. 30 Abs. 2 der Verfassung für das
Land Nordrhein-Westfalen übertragenen Rechten verletzt hat,
2.
Plenarsitzung am 18. Dezember 1996 amtierende Präsident die Abstimmung
über die vier Entschließungsanträge der ...-Landtagsfraktion (Drucksachen
../..., ../...., ../...., ../....) nicht in ihrer ursprünglichen Form, sondern in einer zuvor
aufgrund von Änderungsanträgen der Fraktionen der ... und ... (Drucksachen
../...., ../...., ../...., ../....) abgewandelten Fassung durchgeführt hat
(Plenarprotokoll ../.., S. .... D bis .... C), die Antragstellerin in den ihr durch Art.
30 Abs. 2 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen übertragenen
Rechten verletzt hat.
41
Die Antragstellerin macht geltend:
42
Der verfassungsrechtlich geschützte Status der Fraktion umfasse auch das Recht,
Entschließungsanträge zu stellen. Dem Antragsrecht korrespondiere die
verfassungsmäßige Pflicht des Landtags, über den gestellten Entschließungsantrag
abzustimmen. Anträge auf Entschließung böten vor allem, aber nicht nur, den
Minderheits- und Oppositionsfraktionen die Gelegenheit, das Parlament als Ganzes zur
Stellungnahme zu bewegen, es zu nötigen, in politisch umkämpften oder sonst heiklen
Fragen vor der Öffentlichkeit Farbe zu bekennen. Entscheidend dafür sei, daß das
Parlament zu dem Gegenstand des Antrags Stellung nehme. Über die Anträge in ihrer
Urfassung sei hier in der Sache nicht abgestimmt worden. Die ursprünglich gestellten
Anträge seien durch die Änderungsanträge vielmehr umgeformt und durch völlig
eigenständige Entschließungen ersetzt worden. Indem das Parlament die
Änderungsanträge angenommen habe, habe es keineswegs die ursprünglich gestellten
Entschließungsanträge zugleich inhaltlich abgelehnt. Mit ihnen seien in kritischer
Absicht Bruchstellen der Koalitions- und Regierungspolitik angesprochen worden. Zu
diesen Bruchstellen sei nicht mehr Position bezogen worden. Durch den Austausch der
Entschließungstexte seien Aussagen beschlossen worden, die für die Fraktionen der
Regierungsparteien und ihre Regierung ganz unverfänglich gewesen seien.
43
Änderungsanträge zu Entschließungsanträgen seien nur dann unbedenklich, wenn der
Antragsteller mit ihrer Zulassung einverstanden sei. Die Zulassung von
Änderungsanträgen widerspreche den Anforderungen, die das Demokratieprinzip an die
Behandlung von Minderheiten und an die Ausübung der Opposition stelle. Die
Minderheit werde gehindert, ihren Standpunkt wirkungsvoll in den parlamentarischen
Willensbildungsprozeß einzubringen.
44
Abgesehen davon lasse die Geschäftsordnung des Landtags Änderungsanträge zu
Entschließungsanträgen nicht zu. Selbst wenn die Geschäftsordnung solche
Änderungsanträge zuließe, sei das Recht auf faire und loyale Anwendung der
Geschäftsordnung zu beachten. Unzulässig wäre es insbesondere, wenn die
Landtagsmehrheit Entschließungsanträge durch Annahme von Änderungsanträgen im
Sinne der Mehrheitsvorstellungen umforme, nur um dem Landtag eine Beschlußfassung
über den Minderheitsantrag zu ersparen.
45
Die Antragsgegner beantragen,
46
die Anträge abzuweisen.
47
Sie machen geltend:
48
Die Behandlung der Entschließungsanträge habe der Geschäftsordnung des Landtags
entsprochen. Sie lasse Änderungsanträge auch zu Entschließungsanträgen zu. Darin
stimme sie mit den Geschäftsordnungen und der Praxis fast aller anderen deutschen
Parlamente überein.
49
Die Zulässigkeit von Änderungsanträgen verdeutliche das Recht der Mehrheit, den
Gegenstand ihrer Entscheidung selbst zu bestimmen. Jede Vorlage könne so formuliert
werden, daß der Mehrheit weder ein Ja noch ein Nein angemessen erscheine. Durch
Annahme eines Änderungsantrags vor einer Entscheidung über die Vorlage könne die
Mehrheit der Entscheidungsalternativität entgehen.
50
Die Geschäftsordnung halte sich in dieser Auslegung innerhalb des Spielraums, den die
Verfassung der autonomen Gestaltungsbefugnis des Parlaments einräume. Sie
gewährleiste dem Abgeordneten die Möglichkeit, seinen Standpunkt im Parlament
angemessen einzubringen. Das Ergebnis der parlamentarischen Entscheidung werde
von der jeweiligen Mehrheit bestimmt. Das Teilhaberrecht des Abgeordneten
beschränke sich auf die Teilnahme an der Entscheidung durch Abstimmung, werde also
durch sein gleiches Stimmrecht gewährleistet. Jeder Antragsteller könne durch
Stimmabgabe darauf hinwirken, daß über seinen Antrag durch Plenumsbeschluß
entschieden werde, im Falle von Änderungsanträgen dadurch, daß er in der
Abstimmung über diese mit "Nein" stimme.
51
Aus dem Demokratieprinzip und dem parlamentarischen Minderheitenschutz ließen sich
keine anderen Ergebnisse ableiten. Es gebe kein Recht der Minderheit, daß das
Parlament über Anträge berate und entscheide. Die Landesverfassung schließe die
Beschlußfähigkeit des Landtags aus, wenn nicht mehr als die Hälfte der gesetzlichen
Mitglieder anwesend seien. Die Garantie des freien Mandats in Art. 30 LV schließe aus,
den einzelnen Abgeordneten zur Anwesenheit bei Abstimmungen zu verpflichten. Nach
dem Grundsatz der Diskontinuität erledigten sich am Ende einer Legislatur
liegengebliebene Vorlagen, ohne daß ein Anspruch der Antragsteller auf
Beschlußfassung bestünde. Nach allen Geschäftsordnungen könnten Vorlagen zur
Entscheidung an einen Ausschuß überwiesen werden; ein Anspruch auf Entschließung
durch das Parlament sei dann ebenfalls ausgeschlossen. Schließlich erledige sich ein
Antrag, wenn zuvor ein weitergehender Antrag angenommen werde. Das Parlament
habe in der Sache entschieden. Die Annahme eines Änderungsantrags durch die
Mehrheit schließe begriffsnotwendig die Annahme des Ausgangsantrags aus.
52
Ein Recht auf "loyale und faire Anwendung der Geschäftsordnung" sei nicht verletzt.
Ergebe die Auslegung der Geschäftsordnung, daß Änderungsanträge zuzulassen seien,
müsse entsprechend der Bindung an die Geschäftsordnung so verfahren werden.
53
Der Antrag zu 2. sei aus einem weiteren Grund unbegründet. Der Präsident des
Landtags wäre nicht befugt gewesen, die Behandlung der Änderungsanträge zu
verweigern. Es habe sich um eine Frage der zutreffenden Auslegung der
Geschäftsordnung gehandelt. Die Auslegung der Geschäftsordnung sei nicht Sache des
54
Präsidenten, sondern im Einzelfall oder im Eilfall Sache des Präsidiums und in
Grundsatzfragen auf Antrag des Ältestenrats Sache des Landtags selbst (§ 114 GO LT).
Die offen geführte Geschäftsordnungsdebatte habe bereits eine für den Präsidenten
verbindliche Mehrheitsentscheidung über die Auslegung der Geschäftsordnung
erkennen lassen.
2.
abgegeben.
55
B.
56
Die Anträge sind zulässig.
57
1.a)
Organstreit als Teile des obersten Landesorgans "Landtag" gemäß Art. 75 Nr. 2 LV , §
12 Nr. 5, § 43 VerfGHG parteifähig. Sie sind in der Geschäftsordnung des Landtags mit
eigenen Rechten ausgestattet, beispielsweise mit dem Recht, Anträge zu stellen und
Gesetzentwürfe einzubringen (§ 87 GO LT).
58
b)
gilt für den Antragsgegner zu 2., den Präsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen.
Hierfür bedarf keiner Entscheidung, ob der Präsident des Landtags selbst oberstes
Landesorgan ist. Er ist jedenfalls Teil des obersten Landesorgans "Landtag". Er ist
sowohl in der Landesverfassung als auch in der Geschäftsordnung des Landtags mit
eigenen Rechten ausgestattet. So wahrt der Präsident gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 GO LT
die Würde des Landtags sowie seine Rechte und die seiner Mitglieder, fördert seine
Arbeiten, leitet die Verhandlungen gerecht und unparteiisch und wahrt die Ordnung des
Hauses.
59
c)
Gegenstand des Antrags zu 1. sind Maßnahmen im Sinne des § 44 Abs. 1 und 2
VerfGHG, nämlich die Annahme der Änderungsanträge und die Abstimmung nur über
diese. Hierfür ist der Landtag als solcher verantwortlich und damit richtiger
Antragsgegner.
60
Der Antragsgegner zu 2. ist richtiger Antragsgegner für den Antrag zu 2.. Mit ihm wendet
sich die Antragstellerin entweder gegen ein Unterlassen oder gegen eine Maßnahme
des Antragsgegners zu 2.. Er hat es unterlassen, ihren ursprünglichen Antrag in
unveränderter Fassung zur Abstimmung zu stellen. Gleichzeitig hat er die
Abänderungsanträge zur Abstimmung zugelassen und nach deren Annahme zur
Abstimmung gestellt.
61
Zwar hat zum Zeitpunkt der Abstimmung nicht der Präsident des Landtags selbst in
eigener Person die Sitzung geleitet, sondern einer der Vizepräsidenten. Ein
Stellvertreter des Präsidenten handelt bei der Leitung einer Sitzung des Landtags
jedoch als amtierender Präsident im Sinne des § 10 Abs. 1, § 42 Abs. 1 GO LT an Stelle
des Präsidenten. Seine Maßnahmen werden dem Präsidenten zugerechnet (vgl.
BVerfGE 60, 374, 378).
62
Die Sitzungsleitung und die in diesem Zusammenhang getroffenen Maßnahmen sind
63
Bestandteil der Geschäftsordnungsautonomie des Parlaments. Nicht der Präsident,
sondern der Landtag als solcher ist Träger der Befugnisse, die im Zusammenhang mit
der Sitzungsleitung, namentlich den Abstimmungen stehen. Der Präsident übt diese
Befugnisse jedoch kraft Übertragung durch das Parlament in eigener Verantwortung und
unabhängig aus (§ 10 Abs. 1 i.V.m. §§ 42 ff GO LT). In dieser Funktion kann er deshalb
im verfassungsrechtlichen Organstreit als richtiger Antragsgegner mit der Behauptung in
Anspruch genommen werden, er habe bei der Ausübung der Sitzungsleitung den
verfassungsrechtlichen Status eines Abgeordneten verletzt (so BVerfGE 60, 374, 379
zur Ordnungsgewalt des Bundestagspräsidenten).
2.
64
a)
Gefährdung von Rechten des gesamten Parlaments geltend zu machen. Sie sind
darüber hinaus zur Geltendmachung eigener Rechte befugt, wenn diese in der
Verfassung verankert sind (vgl. BVerfGE 70, 324, 351). Der Verstoß gegen Vorschriften
der Geschäftsordnung kann im Organstreitverfahren hingegen nicht geltend gemacht
werden (VerfGH OVGE 43, 274; BVerfGE 1, 144, 147).
65
b)
abgesicherten Antragsrecht verletzt zu sein.
66
Politisches Gliederungsprinzip für die Arbeit des Bundestages und der Landtage sind
heute die Fraktionen. Im Zeichen der Entwicklung zur Parteiendemokratie sind sie
notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der
politischen Willensbildung. Ihre Bildung beruht auf einer Entscheidung der
Abgeordneten, die diese in Ausübung des freien Mandats (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG; Art.
30 Abs. 2 LV) getroffen haben (BVerfGE 84, 304, 322).
67
Die Rechtsstellung der Fraktionen leitet sich aus dem Status der Abgeordneten ab
(BVerfGE 70, 324, 362; BVerfGE 93, 195, 203).
68
Art. 30 Abs. 2 LV regelt, daß die Abgeordneten des Landtags nach ihrer freien, nur durch
die Rücksicht auf das Volkswohl bestimmten Überzeugung stimmen und an Aufträge
nicht gebunden sind. Eine im wesentlichen inhaltsgleiche Aussage enthält Art. 38 Abs.
1 Satz 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht versteht diese Vorschrift als Grundlage für
den verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten. Diese Bewertung ist auch für Art.
30 Abs. 2 LV gerechtfertigt (VerfGH OVGE 43, 274, 276). Verfassungsrechtlich ist die
Rechtsstellung der Fraktionen damit ebenso wie der Status der Abgeordneten aus Art.
30 Abs. 2 LV abzuleiten (vgl. BVerfGE 70, 324, 363).
69
Neben subjektiven Rechten, die der Sicherung seines Status dienen, ergeben sich für
den Abgeordneten daraus vor allem Wahrnehmungszuständigkeiten. Sie sind in Art. 30
Abs. 2 LV zwar nicht ausdrücklich genannt, werden dort aber vorausgesetzt. Diese
parlamentarischen Befugnisse des Abgeordneten bilden in der Summe seinen
verfassungsrechtlichen Status. Hierzu gehören vor allem das Rederecht und das
Stimmrecht, die Beteiligung an der Ausübung des Frage- und Informationsrechts des
Parlaments, das Recht, sich an den vom Parlament vorzunehmenden Wahlen zu
beteiligen und parlamentarische Initiativen zu ergreifen, sowie das Recht, sich mit
anderen Abgeordneten zu einer Fraktion zusammenzuschließen (vgl. VerfGH OVGE 43,
274, 276; BVerfGE 80, 188, 218).
70
274, 276; BVerfGE 80, 188, 218).
Diese Rechte fließen dem einzelnen Abgeordneten aus seinem verfassungsrechtlichen
Status zu. Sie beruhen unmittelbar auf der Verfassung und werden nicht erst durch die
Geschäftsordnung begründet. Diese regelt vielmehr nur die Art und Weise ihrer
Ausübung (BVerfG 80, 188, 219).
71
Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund hat die Antragstellerin einen
Sachverhalt vorgetragen, der eine Verletzung solcher Rechte als möglich erscheinen
läßt, die ihr durch die Verfassung eingeräumt sind. Beruht das Recht zur
parlamentarischen Initiative des einzelnen Abgeordneten unmittelbar auf der
Verfassung, gilt dies ebenso für die gebündelte Wahrnehmung des Initiativrechts durch
die Fraktion. Die Antragstellerin kann geltend machen, ihre parlamentarische Initiative in
Form ihrer vier Entschließungsanträge sei in verfassungswidriger Weise unterlaufen
worden, weil durch die Annahme der Änderungsanträge nicht über ihre
Entschließungsanträge abgestimmt worden sei. Ob das parlamentarische Initiativrecht
das Recht umfaßt, eine Beschlußfassung des Parlaments über diese Anträge zu
verlangen, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit. Aufgabe des
Organstreits ist es, die Reichweite des als verletzt bezeichneten Rechts, hier des
parlamentarischen Initiativrechts, zu klären.
72
Danach kann offenbleiben, ob sich eine Antragsbefugnis der Antragstellerin zusätzlich
aus dem Demokratieprinzip des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG,
Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 LV herleiten läßt, die das Gebot, parlamentarische
Minderheiten zu schützen, sowie das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und
Ausübung der Opposition umfassen (BVerfGE 70, 324, 363). Ebenso kann offenbleiben,
ob es ein Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung gibt und sich
daraus eine Antragsbefugnis herleiten läßt (vgl. BVerfGE 1, 144, 149; BVerfGE 80, 188,
219; BVerfGE 84, 304, 332; ferner BayVerfGH BayVBl. 1998, 365, 367).
73
C.
74
Die Anträge sind begründet.
75
Der Antragsgegner zu 1. hat die Antragstellerin in ihrem Recht aus Art. 30 Abs. 2 LV
verletzt, indem er in der Plenarsitzung am 18. Dezember 1996 nicht über ihre vier
Entschließungsanträge (Drucks. ../...., ../...., ../...., ../.....), sondern nur über die zuvor
angenommenen Änderungsanträge der Fraktionen der ... und ... abgestimmt hat.
76
Der Antragsgegner zu 2. hat die Antragstellerin in ihrem Recht aus Art. 30 Abs. 2 LV
verletzt, indem er in der Plenarsitzung vom 18. Dezember 1996 nicht ihre vier
Entschließungsanträge, sondern nur die zuvor angenommenen Änderungsanträge zur
Abstimmung zugelassen hat.
77
Aus der Landesverfassung folgt das Recht einer Fraktion darauf, daß das Parlament
über ihre Anträge Beschluß faßt (unten 1.). Dieses Recht schließt Änderungsanträge
nicht aus (unten 2.). Jedoch sind Änderungsanträge unzulässig, die den gestellten
Antrag zu einem "aliud" umformen (unten 3.). Das ist hier durch die beanstandeten
Änderungsanträge geschehen (unten 4.).
78
1.
abgeleiteten verfassungsrechtlichen Status der Fraktionen folgt unter anderem das
79
Rederecht im Parlament als Ausfluß des freien Mandats. Folge und notwendiger
Bestandteil des Rederechts ist das Antragsrecht. Im Antrag erscheint der Redebeitrag
gewissermaßen gebündelt und auf das wesentliche konzentriert (BVerfGE 80, 188,
224). Das Antragsrecht umfaßt auch solche Anträge, die keinen Gesetzentwurf
enthalten. Insoweit ist das Antragsrecht ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgt
(BayVerfGH BayVBl. 1995, 16, 17).
a)
Parlament mit dem Antrag befaßt. Das Parlament muß darüber beraten und - durch
Annahme oder Ablehnung - Beschluß fassen (BayVerfGH, BayVBl. 95, 16, 17; BVerfGE
1, 144, 153, BVerfGE 84, 304, 329 f.). Für die Verwirklichung des Antragsrechts ist zwar
die Beratung, die der Beschlußfassung vorangeht, ebenfalls bedeutsam. Sie hat ihren
Eigenwert selbst dann, wenn der Antragsteller bei der Abstimmung unterliegt (BVerfGE
1, 144, 154). Aber erst die Notwendigkeit, über einen Antrag durch Annahme oder
Ablehnung zu entscheiden, verleiht diesem Gewicht. Diese Entscheidung verschafft der
vorausgehenden Debatte Substanz. Sie gibt Anlaß, sich in der Debatte mit dem Antrag
argumentativ in Rede und Gegenrede auseinanderzusetzen. Das gilt namentlich für
Entschließungsanträge. Das Parlament kann sich jenseits konkreter
Gesetzgebungsvorhaben mit politisch umstrittenen oder die Öffentlichkeit sonst
interessierenden Themen befassen. Der Entschließungsantrag soll als Meinung,
Anregung oder Empfehlung die Haltung des Parlaments zu diesem Thema bündeln. Die
Abstimmung gibt dem Antragsteller, sei es einem einzelnen Abgeordneten, sei es einer
Fraktion, die Gelegenheit, die eigene Auffassung in der Entschließung konzentriert
deutlich zu machen. Die Abstimmung nötigt den politischen Gegner dazu, in der pointiert
angesprochenen Sachfrage ebenfalls Stellung zu beziehen und den eigenen
Standpunkt vor der interessierten Öffentlichkeit offenzulegen. Daß über die
Entschließung abgestimmt wird, die in ihr enthaltene Meinung, Anregung oder
Empfehlung damit potentiell also zur Meinung, Anregung und Empfehlung des
Parlaments werden kann, zwingt dazu, den Antrag ernst zu nehmen. Aus § 86 GO LT
folgt nichts anderes. Er sieht im Gegenteil in Satz 3 ausdrücklich eine Abstimmung vor.
Dies wird in der Geschäftsordnung auch im übrigen durchgehalten (vgl. etwa § 88 Abs.
5 GO LT).
80
b)
herzuleiten, daß es keinen Anspruch auf Beschlußfassung des Parlaments über einen
Antrag geben könne. Inhalt und Umfang des Antragsrechts können aber nicht aus
solchen Ausnahmesituationen heraus bestimmt werden.
81
Die Mehrheit mag die Beschlußunfähigkeit des Landtags herbeiführen können. Der
Landtag ist nach Art. 44 Abs. 1 LV nur beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der
gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend ist. Die Mehrheit mag einer angesetzten
Beschlußfassung fernbleiben oder vor einer solchen den Sitzungssaal verlassen, mit
Ausnahme eines ihr zugehörigen Abgeordneten, der die Beschlußfähigkeit bezweifelt
und dadurch den Anstoß gibt, die Beschlußunfähigkeit festzustellen, mit der Folge, daß
die Sitzung aufzuheben ist (§ 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 49 Abs. 1 GO LT). Damit ist der
Antrag aber nicht erledigt. Die Abstimmung ist vielmehr in der nächsten Sitzung
nachzuholen (§ 49 Abs. 2 Satz 1 GO LT). Der Abgeordnete ist darüber hinaus
verpflichtet, an der Parlamentsarbeit mitzuwirken (BVerfGE 56, 396, 405). § 3 GO LT
geht von einer grundsätzlichen Pflicht des Abgeordneten aus, an einer Sitzung
teilzunehmen. Die Gründe seines Fernbleibens oder seines Auszugs aus dem
Sitzungssaal mögen nicht nachgeprüft werden dürfen. Art. 44 Abs. 1 LV räumt der
82
Mehrheit damit aber kein vorrangiges Recht ein, die Beschlußfassung über einen ihr
nicht genehmen Antrag zu verhindern. Ob es einen Anspruch auf Beschlußfassung gibt,
kann nicht von den Möglichkeiten her beurteilt werden, seine Durchsetzung zu vereiteln.
Die Geschäftsordnung mag Spielräume für ein in der Sache obstruktives Verhalten
eröffnen. Jedoch kann nicht von dem Ausnahmefall der Beschlußunfähigkeit und ihrer
bewußten Herbeiführung her argumentiert werden, sondern nur auf der Grundlage einer
fairen und loyalen Behandlung des Antrags (vgl. BVerfGE 1, 144, 154). Umgekehrt kann
allerdings aus der Existenz eines Anspruchs auf Beschlußfassung hergeleitet werden,
was an fairer und loyaler Behandlung einem Antrag geschuldet ist.
Nach dem Grundsatz der Diskontinuität erledigen sich Anträge, die am Ende der
Legislaturperiode noch nicht abschließend behandelt sind. Auch dabei handelt es sich
um einen Ausnahmetatbestand, der keinen Rückschluß auf den Regelfall zuläßt. Auch
wenn am Ende der Legislaturperiode sich noch nicht abschließend behandelte Anträge
erledigen, schließt dies nicht aus, daß im Grundsatz ein Anspruch des Abgeordneten
und der Fraktion auf Beschlußfassung über ihre Anträge besteht. Der Grundsatz der
Diskontinuität ist seinerseits in der Verfassung verwurzelt (vgl. Stern, Das Staatsrecht
der Bundesrepublik Deutschland, Band II, § 26 III 4, S. 74 ff.). Er ist deshalb imstande,
ein sonst verfassungsrechtlich gewährleistetes Antragsrecht zu begrenzen, das einen
Anspruch auf Beschlußfassung einschließt.
83
Das Recht einer Fraktion, eine Abstimmung über einen Entschließungsantrag zu
verlangen, ist andererseits nicht schrankenlos gewährleistet. Von ihm darf insbesondere
nicht mißbräuchlich Gebrauch gemacht werden. Keiner Erörterung bedarf hier indes,
wann ein solcher Mißbrauch anzunehmen ist. Denn für einen Mißbrauch bietet der
Sachverhalt keinen Anlaß.
84
2.
nicht aus, Änderungsanträge zur Abstimmung zuzulassen. Die Zulassung von
Änderungsanträgen kann vielmehr mit dem Anspruch des Abgeordneten und der
Fraktion vereinbar sein, daß das Parlament über ihren Antrag - durch Annahme oder
Ablehnung - Beschluß faßt. In jedem Fall muß das Parlament über den ursprünglich zur
Abstimmung gestellten Gegenstand entscheiden.
85
Ein Antrag kann durch die Annahme eines konkurrierenden Antrags mit
entgegengesetztem Inhalt erledigt sein. Ein Antrag kann ferner durch die Annahme
eines konkurrierenden Antrags mit weitergehendem Inhalt erledigt sein, eines Antrags
also, der den nicht förmlich zur Abstimmung gelangten Antrag umfaßt und über ihn
hinausgeht. Die Annahme des einen Antrags schließt in diesen Fällen die Annahme
des anderen Antrags aus und damit dessen Ablehnung ein. Das Parlament hat mit der
Annahme des konkurrierenden Antrags in der ursprünglich zur Abstimmung gestellten
Sache entschieden. Dem verfassungsrechtlich fundierten Antragsrecht ist genüge getan.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen kann keine weitere Abstimmung verlangt werden.
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Ähnlich kann es sich mit Änderungsanträgen verhalten. Die Annahme eines
Änderungsantrags kann nach dem Verhältnis von ursprünglichem Antrag und
Änderungsantrag konkludent die Ablehnung des ursprünglichen Antrags in seiner
unveränderten Fassung bedeuten. Das liegt auf der Hand bei Änderungsanträgen, die
dem ursprünglich gestellten Antrag eine andere erweiterte Fassung geben. Würde der
so geänderte Antrag von vornherein als selbständiger konkurrierender Antrag zur
Abstimmung gestellt, wäre mit seiner Annahme der andere Antrag, weil weniger
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weitreichend, abgelehnt. Über ihn müßte nicht mehr Beschluß gefaßt werden.
Für Entschließungsanträge gilt grundsätzlich dasselbe. Sie enthalten - wie es in § 86
Satz 1 GO LT heißt - Meinungen, Anregungen, Empfehlungen oder Ersuchen. Nimmt
das Parlament mit Mehrheit einen Änderungsantrag an, gibt es damit grundsätzlich
zugleich zu erkennen, daß es sich die Meinung, Anregung, Empfehlung oder das
Ersuchen nicht mit dem ursprünglichen Inhalt zu eigen machen will.
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3.
Abstimmung zugelassen werden. Unzulässig sind jedenfalls Änderungsanträge, die den
Gegenstand des Entschließungsantrags auswechseln, ihn in ein "aliud" umformen. Der
Änderungsantrag darf nicht dazu benutzt werden, einer Beschlußfassung in der Sache,
sei es auch nur in konkludenter Weise, auszuweichen. Das würde den Anspruch des
Antragstellers (Abgeordneter oder Parlamentsfraktion) auf Beschlußfassung - durch
Annahme oder Ablehnung - verletzen. Die Zulässigkeit von Änderungsanträgen setzt
vielmehr immer voraus, daß mit ihrer Annahme zumindest konkludent über den
ursprünglichen Antrag in der Sache entschieden wird, der Anspruch auf
Beschlußfassung also erfüllt ist. Nicht jeder Änderungsantrag, der als solcher
bezeichnet ist, steht in diesem Verhältnis zu dem zugrundeliegenden ursprünglichen
Antrag. Ein als solcher bezeichneter Änderungsantrag kann die Meinung, Anregung
oder Empfehlung des ursprünglichen Antrags nicht ändern, sondern durch eine andere
Meinung, Anregung oder Empfehlung ersetzen, die nicht Gegenstand des
ursprünglichen Antrags war. Der Antrag in seiner ursprünglichen Fassung und der
geänderte Antrag können nebeneinander stehen. Die Annahme des einen Antrags
schließt nicht zugleich die Annahme des anderen Antrags aus. Damit erübrigt aber die
Annahme des so bezeichneten Änderungsantrags nicht die Beschlußfassung über den
ursprünglichen Antrag. Sachlich ist über ihn nicht entschieden.
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Die Antragsgegner verweisen darauf, Entschließungsanträge verlangten eine Antwort
mit "Ja" oder "Nein". Es gebe aber Fragestellungen, zu denen die Mehrheit weder mit
"Ja" noch mit "Nein" antworten wolle. Die Antragsgegner ziehen hieraus jedoch zu
Unrecht den Schluß, der Mehrheit müsse es möglich sein, die Fragestellung so zu
verändern, daß ihr die für sie unannehmbare Alternative erspart bleibe.
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Das Initiativrecht des Abgeordneten und der Fraktion soll diesen ermöglichen, das
Parlament mit aktuellen oder umstrittenen Fragen zu befassen, sie dort zu diskutieren,
auch das Parlament zu einer Stellungnahme in einer bestimmten Frage zu bewegen.
Das Antragsrecht der Fraktionen dient namentlich dazu, ihr die Kontrolle der Regierung
zu ermöglichen. Dabei verläuft die "Front" in der Regel nicht zwischen Regierung
einerseits und Parlament andererseits, sondern zwischen der Regierung und den sie
tragenden Parlamentsfraktionen einerseits und den Oppositionsfraktionen andererseits.
Die Opposition muß grundsätzlich die Möglichkeit haben, das Parlament mit einer ihr
wichtig erscheinenden Frage in Form einer Entschließung zu befassen, der eine
zugespitzte Aussage zugrunde liegt, welche die Regierung und die sie tragenden
Fraktionen zwingt, in dieser Frage durch Abgabe ihrer Stimme "Farbe zu bekennen".
Die Opposition kann nicht zuletzt deshalb solche Fragestellungen zum Gegenstand
parlamentarischer Beratung und Beschlußfassung machen, um Meinungsunterschiede
innerhalb der Regierung und der sie tragenden Parteien aufzudecken und dadurch vor
dem Forum der Öffentlichkeit eine gegenseitige Blockade und Handlungsunfähigkeit der
Regierung in dieser Frage vorzuführen. Dies mag gerade die Regierungsfraktionen
reizen, die zugespitzte Aussage durch mehr oder weniger unverbindliche Aussagen zu
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ersetzen, die eine Zustimmung aller ermöglichen und Meinungsunterschiede nicht mehr
zutage treten lassen, wie sie bei einer Beschlußfassung über die Entschließung mit
ihrer ursprünglichen zugespitzten Aussage sichtbar geworden wären.
4.
Entschließungsanträge zu einem "aliud" umgeformt. Ihre Annahme stellt keine
konkludente Ablehnung der ursprünglichen Entschließung dar. Über die in ihr
formulierten Meinungen, Anregungen, Empfehlungen ist vielmehr nicht abgestimmt
worden.
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Die Behandlung des Entschließungsantrags zum Flughafen ... macht dies exemplarisch
deutlich. Die Antragstellerin hat mit ihrem Entschließungsantrag zum Flughafen ... eine
positive Aussage ("Meinung" im Verständnis von § 86 Satz 1 GO LT) des Landtags zur
Verlängerung der Start- und Landebahn des Flughafens ... erstrebt. Diese Streitfrage
wird im Änderungsantrag nicht mehr angesprochen. Der Änderungsantrag vermeidet
strikt die Reizworte "Verlängerung der Start- und Landebahn". Er ersetzt die konkrete,
allein auf ein ganz bestimmtes Problem zugespitzte Aussage durch allgemeine
Ausführungen zur Bedeutung von Flughäfen an sich, zur Bedeutung desjenigen in ... im
besonderen sowie zum Lärmschutz für die Bevölkerung in der Umgebung. Diese
allgemeinen Ausführungen mögen mit der konkret angesprochenen Verlängerung der
Start- und Landebahn zusammenhängen. Schlußfolgerungen aus ihnen für das
konkrete Anliegen einer Verlängerung der Start- und Landebahn zieht der
Änderungsantrag aber nicht. Nach ihrer logischen Verknüpfung können der Antrag in
seiner ursprünglichen Fassung und der Änderungsantrag ohne weiteres nebeneinander
bestehen. Mit der Annahme des Änderungsantrags ist über den ursprünglichen Antrag
nicht in der Sache ablehnend entschieden. Eine Stellungnahme zur Verlängerung der
Start- und Landebahn wird vielmehr gerade vermieden. Der Landtag hat nicht
konkludent eine positive Aussage des Landtags hierzu abgelehnt, sondern
beschlossen, zu dieser konkreten Streitfrage keinen Beschluß zu fassen, zu ihr vielmehr
zu schweigen. Damit wird das Thema gleichsam von der Tagesordnung abgesetzt,
ohne daß der Landtag sich ablehnend oder zustimmend zu der Verlängerung der Start-
und Landebahn des ... Flughafens geäußert hätte.
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Für die Behandlung der anderen Entschließungsanträge gilt nichts anderes: Der
Entschließungsantrag ../.... enthält die Empfehlung, Investitionsvorhaben der Bio- und
Gentechnologie, einschließlich Freilandversuche, im Rahmen des Bio-Regio-
Programms ... zu fördern. Der Änderungsantrag enthält keine - auch keine negative -
Aussage zur Förderung von Investitionsvorhaben und Freilandversuchen aus diesem
Programm. Der Entschließungsantrag ../.... enthält die Empfehlung, während der
Laufzeit des Ausbildungskonsenses NRW keine Ausbildungsplatzabgabe einzuführen.
Der Änderungsantrag trifft keine Aussage zur Ausbildungsplatzabgabe, sondern
unterstreicht nur das davon unabhängige Ziel, allen Jugendlichen des
Ausbildungsjahrgangs 1995/96 möge ein Ausbildungsplatz zur Verfügung gestellt
werden. Der Entschließungsantrag ../.... fordert die Landesregierung auf sicherzustellen,
daß bei Vorliegen aller Genehmigungsvoraussetzungen in 1997 mit der Genehmigung
des Rahmenbetriebsplans und der Tagebauentwässerung das Projekt Garzweiler II
schnellstmöglich realisiert werden kann. Der Änderungsantrag verweist lediglich auf die
Aussage des Ministerpräsidenten in seiner Regierungserklärung zu Garzweiler II und
enthält nur den allgemeinen Hinweis, die laufenden Genehmigungsverfahren sollten
nach Recht und Gesetz durchgeführt werden.
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